Urteil des OLG Frankfurt vom 27.10.2006

OLG Frankfurt: gehalt, mandat, gewerkschaft, rechtsschutz, rechtshängigkeit, beratung, kreis, entstehung, satzung, verjährungsfrist

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Gericht:
OLG Frankfurt 24.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 U 121/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 280 BGB
(Gewerkschaftlicher Rechtsschutz: Auftrag zur Erhebung
der Kündigungsschutzklage; Verpflichtung zum Hinweis
auf die zur Abwendung drohender Verjährung notwendige
klageweise Verfolgung von Gehaltsansprüchen)
Leitsatz
1. Mit der Übernahme des Auftrages zur Gewährung gewerkschaftlichen
Rechtsschutzes ist die Gewerkschaft - nicht anders als ein in gleichartigem Mandat
tätiger Rechtsanwalt - verpflichtet, die Interessen des Auftraggebers im Rahmen dieses
Auftrages umfassend wahrzunehmen.
2. Der Begriff des Mandates ist nicht förmlich im Sinne des konkreten Klageauftrages zu
verstehen, vielmehr im Sinne des rechtlichen und wirtschaftlichen Interesses, das der
Auftraggeber mit der Erteilung des Mandates erkennbar verfolgt.
3. Richtet sich der Rechtsschutzauftrag auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage,
dann ist die Gewerkschaft - wie der in entsprechendem Mandat tätige Anwalt -
verpflichtet, das Mitglied auf die Notwendigkeit einer Sicherung fortbestehender
Ansprüche auf Zahlung des laufenden Gehaltes gegen drohende Verjährung
hinzuweisen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des
Landgerichts Darmstadt vom 04.04.2006 abgeändert.
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
In Höhe von 24.758,23 Euro nebst Zinsen – Klageantrag zu Ziffer 4 – wird die Klage
abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Gründe
1.
Die Arbeitgeberin des Klägers hatte das zu ihm bestehende Arbeitsverhältnis im
Mai 2000 fristlos gekündigt. Daraufhin wandte sich der an die für ihn zuständige …
verwaltung der Beklagten mit der Bitte um Gewährung gewerkschaftlichen
Rechtsschutzes. Dieser Rechtsschutz wurde ihm gewährt, und er erteilte der
Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 3) am 16.05.2000 Vollmacht, ihn zunächst
außergerichtlich zu vertreten. In einem ihm vorgelegten, unter dem 29.05.2000
unterzeichneten Formular machte er Angaben zu seinem Arbeitsverhältnis und zur
Kündigung; ein auf dem Formular vorgesehenes Feld „Ich mache (ggf. neben dem
Kündigungsschutzantrag) folgende Ansprüche geltend ... Zahlungsansprüche in
Höhe von“ ließ er offen.
Der Kläger erhob durch Vertreter der …verwaltung der Beklagten
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Der Kläger erhob durch Vertreter der …verwaltung der Beklagten
Kündigungsschutzklage; diese Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Die
Arbeitgeberin des Klägers nahm ihre im Frühjahr 2001 eingereichte Berufung im
März 2005 zurück.
Seit Juli 2000 hatte die Arbeitgeberin dem Kläger kein Gehalt mehr gezahlt. Nach
Abschluss des Kündigungsschutzprozesses wandte er sich wegen des Gehalts an
die in Rechtsschutzbereich der Beklagten zu 1) zuständige
Gewerkschaftssekretärin; sie erteilte ihm die – unstreitig richtige – Auskunft, dass
Zahlungsansprüche aus den Jahren 2000 und 2001 mittlerweile verjährt seien.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen des faktischen Verlusts von
Gehalt geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der von ihm
gefundenen Gründe sowie der tatbestandlichen Einzelheiten wird auf das Urteil
vom 04.04.2006 verwiesen.
Mit der Berufung trägt der Kläger vor, die Beklagtenseite habe ihre
Beratungspflichten verletzt, indem sie den Kläger nicht auf die Notwendigkeit
klageweiser Geltendmachung seiner Zahlungsansprüche hingewiesen habe. Er
habe nicht nur Verluste an Gehalt und Urlaubsabgeltung erlitten, sondern auch
Folgeschäden, was die Aufnahme von Überbrückungskrediten, den
unzureichenden Fortgang eines seinerzeit eingeleiteten Bauvorhabens, den
Verlust der ihm an sich zustehenden Eigenheimzulage und steuerliche Nachteile
angehe.
Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 69.862,92 Euro brutto
abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 21.793,46 Euro zu zahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach §§ 288 I, 247 BGB i. V. m. § 1 des
Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 09. Juni 1998
aus 3.287,64 Euro ab dem 15.02.2000,
aus 3.031,99 Euro ab dem 15.08.2000,
aus 2.647,21 Euro ab dem 15.09.2000,
aus 1.540,97 Euro ab dem 15.10.2000,
aus 4.428,98 Euro ab dem 15.11.2000,
aus 1.540,97 Euro ab dem 15.12.2001,
aus 4.547,99 Euro ab dem 31.12.2000,
aus 1.500,08 Euro ab dem 15.01.2001,
aus 1.648,33 Euro ab dem 15.02.2001,
aus 1.500,08 Euro ab dem 15.03.2001,
aus 1.549,50 Euro ab dem 15.04.2001,
aus 1.500,08 Euro ab dem 15.05.2001,
aus 1.549,50 Euro ab dem 15.06.2001,
aus 1.739,41 Euro ab dem 15.07.2001,
aus 1.483,76 Euro ab dem 15.08.2001,
aus 1.533,70 Euro ab dem 15.09.2001,
aus 1.483,76 Euro ab dem 15.10.2001,
aus 4.946,13 Euro ab dem 15.11.2001,
aus 2.061,31 Euro ab dem 15.12.2001, und
aus 4.547,99 Euro ab dem 31.12.2001
zu zahlen.
3. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von 8
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§§ 288 II, 247 BGB) aus den sich aus den
Anträgen zu 1. und 2. bis zur Rechtshängigkeit ergebenden Beträgen ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 24.758,23 Euro nebst Zinsen
in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§§ 288 II, 247 BGB) ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
5. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger den
Steuerschaden (einschließlich der notwendigen Steuerberaterkosten) zu ersetzen,
der dadurch entsteht, dass der Betrag, der ihm als Ersatz für die entgangenen
Gehaltszahlungen der Monate Juli 2000 bis Dezember 2001 zusteht, nach dem
Einkommensteuergesetz zu versteuern ist und die Höhe der Steuerschuld davon
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Einkommensteuergesetz zu versteuern ist und die Höhe der Steuerschuld davon
abhängt, in welchem Jahr dem Kläger der eingeklagte Betrag zufließt.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, die Beklagten zu 1) und 2) seien als bloße (Kreis- bzw.
Landes- ) Bezirke der Beklagten zu 3) nicht passiv parteifähig. Es sei Sache des
Klägers gewesen, die Beklagtenseite von sich aus mit der Verfolgung von
Zahlungsansprüchen zu betrauen.
Wegen des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die
vor dem Oberlandesgericht gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
2.
Die Berufung ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
a) Die Klage ist gegen alle drei Beklagten zulässig. Soweit es die Beklagte zu 3) –
den „Bundesverband“ – betrifft, steht dies außer Streit. Passiv parteifähig sind
aber auch die Beklagten zu 1) und 2), der (Kreis-)bezirk und der Landesbezirk der
Beklagtenseite.
Nach § 50 Abs.2 ZPO kann ein Verein, der nicht rechtsfähig ist, verklagt werden.
Nicht rechtsfähiger Verein in diesem Sinne kann auch die regionale
Untergliederung eines Gesamtverbandes sein, so der (Kreis-)Bezirk oder
Landesbezirk einer Gewerkschaft, dies dann, wenn die regionale Untergliederung
körperschaftlich verfasst, vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist und – auch –
eigenständig Aufgaben des Gesamtverbandes wahrnimmt (BGHZ 73, 275; 90,
332; zu § 10 ArbGG: BAGEzA § 2 TVG Nr. 15; LAG Hamm, Urteil vom 31.05.2000,
18 Sa 858/00). Diese Voraussetzungen treffen für die Beklagte zu 1) und die
Beklagte zu 2) zu.
Insbesondere sind beide körperschaftlich organisiert; beide verfügen über eigene
Beschluss- und Vertretungsorgane, und ihnen sind eigene Aufgaben neben denen
des Gesamtverbandes nicht nur durch Satzung zugewiesen, werden von ihnen
vielmehr auch – und dies ist entscheidend (BGHZ 90, 332) – tatsächlich
ausgeführt.
b) Die Schadensersatzklage ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Die
Beklagtenseite hat ihre vertraglichen Beratungspflichten dergestalt verletzt, dass
sie es unterlassen hat, ihn auf die zur Abwendung drohender Verjährung
notwendige klageweise Verfolgung seiner Zahlungsansprüche hinzuweisen.
aa) Zur Erfüllung und damit zur sachgerechten Erfüllung des
Rechtsschutzmandates war nicht nur die Beklagte zu 3) – ihre Rechtsvorgängerin –
als gleichsam originäre Vertragspartnerin des Klägers verpflichtet. Die gleiche
Verpflichtung traf die Beklagte zu 2): Ausweislich der von ihr vorgelegten aktuellen
Satzung – eine inhaltlich anders geartete frühere Satzungslage hat sie nicht
vorgetragen – gehören zu ihren Aufgaben unter anderem die „Rechtspolitik und
Gewährung von Rechtsschutz gemäß der Rechtsschutzrichtlinie“ (§ 34 Ziffer 4 q).
Die Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1) ergibt sich aus der tatsächlichen
Übernahme der Vertretungstätigkeit nicht nur durch ihre zuständige
Gewerkschaftssekretärin, sondern auch durch ihren Geschäftsführer.
bb) Mit der Übernahme des Mandates war die Beklagtenseite – nicht anders als
ein in gleichartigem Mandat tätiger Rechtsanwalt – verpflichtet, die Interessen des
Auftraggebers – des Klägers – im Rahmen dieses Mandates nach jeder Richtung
und umfassend wahrzunehmen; sie hatte ihr Verhalten so einzurichten, dass
Schädigungen ihres Auftraggebers, mochte deren Möglichkeit auch nur von einem
Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermieden würden (BGH NJW
1991, 2079; WM 2003, 1628; NJW-RR 2005, 494).
Die konkreten Pflichten, die sich hieraus herleiteten, bestimmten sich nach dem
erteilten Mandat (BGH a.a.O.), dies zu verstehen allerdings nicht förmlich im Sinne
des konkreten Klageauftrages, vielmehr im Sinne des rechtlichen und
wirtschaftlichen Interesses, das der Auftraggeber mit der Erteilung des Mandates
erkennbar verfolgte. Dieses rechtliche und wirtschaftliche Interesse, die
Zielrichtung des Mandates „auszuloten“ ist Teil der beratenden und aufklärenden
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Zielrichtung des Mandates „auszuloten“ ist Teil der beratenden und aufklärenden
Aufgaben des Anwalts wie der im Rechtsschutzbereich tätigen Gewerkschaft.
Dies bedeutete im Verhältnis der Parteien, dass der Inhalt des Mandats sich nicht
formal danach bestimmte, ob der Kläger neben dem Auftrag zur Erhebung der
Kündigungsschutzklage auch ausdrücklich – so: durch Ausfüllen des
entsprechenden Feldes in dem ihm vorgelegten Formular – Auftrag zur
Einreichung der Zahlungsklage erteilt hatte. Es kam auch nicht darauf an, ob er
diese Problematik von sich aus ansprach. Denn sein Interesse daran, die im Sinne
des nachgesuchten Kündigungsschutzes fortbestehenden Ansprüche auf
Auszahlung des laufenden Gehaltes zu sichern, lag für die Beklagte ebenso auf der
Hand wie sie als die fachkundig auftretende Beraterin wissen musste, dass
Verjährung drohte, und dass die Verjährung im Grundsatz nur durch
Zahlungsklage unterbrochen werden konnte. Schließlich ist der ganz offensichtlich
primäre Zweck jeglicher Berufstätigkeit, Einkommen aus dieser Berufungstätigkeit
zu beziehen.
cc) Als unstreitig ist zu behandeln, dass die Beklagtenseite – vor allem: die den
Kläger betreuende Gewerkschaftssekretärin – auf die Problematik der Verjährung
und die grundsätzliche Notwendigkeit der Einreichung der Zahlungsklage nicht
hingewiesen hat. Soweit die Beklagten erstmals in der Berufungsinstanz
behaupten, doch auf die Verjährung hingewiesen zu haben (Bl. 3 der
Berufungserwiderungsschrift vom 01.09.2006), ist dieser neue Vortrag nicht
zuzulassen: Weder betrifft er einen Gesichtspunkt, der vom Landgericht erkennbar
übersehen oder für unerheblich gehalten worden wäre, lag in ihm doch einer der
tatbestandlich zentralen Aspekte des Falles, auf welchen die Beklagten
erstinstanzlich auch – zugestehend – eingingen. Noch wurde der neue abändernde
Vortrag nicht infolge eines Verfahrensmangels nicht geltend gemacht. Schließlich
beruhte der andersartige Vortrag erster Instanz auch nicht auf Umständen, die
nicht mit einer Nachlässigkeit der Beklagten zu begründen wären – auch hier ist
darauf zu verweisen, dass die tatsächliche Nichterteilung des Rates, die
tatsächliche Nicht-Aufklärung im Zentrum der Klagebegründung stand. Deshalb
sei dahingestellt, ob dem zugestehenden Vortrag erster Instanz nicht sogar
Geständniswirkung im engeren Sinne zukam.
dd) Die hiernach – unter dem rechtlichen Gesichtspunkt positiver
Vertragsverletzung alten Rechts – begründeten Schadensersatzansprüche des
Klägers sind nicht wegen eines Mitverschuldens begrenzt. Der Kläger musste als
juristischer Laie nicht wissen, dass Ansprüche auf Zahlung von Gehalt in
vergleichsweise kurzer Frist verjähren würden; ebenso wenig musste er wissen, das
diese seine Ansprüche nicht bereits durch die Kündigungsschutzklage „gesichert“
waren, vielmehr eine Zahlungsklage – ein ergänzender Zahlungsantrag –
notwendig gewesen wäre, um die drohende Verjährung zu unterbrechen.
ee) Verjährt sind die Schadensersatzansprüche des Klägers nicht. Für diese
Ansprüche gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Die
Verjährung begann frühestens mit der Entstehung des Schadensersatzanspruchs,
dem Zeitpunkt also, zu welchem sich die infolge mangelnder Aufklärung und
Beratung seitens der Beklagten eintretende Verjährung der Gehaltsansprüche des
Klägers verwirklichte (§ 199 Abs.1 Ziff. 1 BGB, BGH NJW 1994, 2822). Dies war für
die Gehaltsforderungen des Jahres 2000 der 31.12.2002, und es war für die
Gehaltsforderungen des Jahres 2001 der 31.12.2003 (§§ 196 Abs.1 Ziff. 8, 201
BGB a.F., Art. 229 § 6 Abs. 1, 3 EGBGB.
Die – zunächst bis zum 31.12.2005 bzw. 31.12.2006 laufende – Verjährung der
Schadensersatzansprüche ist gehemmt seit dem Zeitpunkt der Einreichung der
Klage am 29.12.2005; da die – von der Einzahlung des notwendigen
Kostenvorschusses begleitete – Klage demnächst zugestellt wurde, wirkte der
Zeitpunkt der Klagezustellung – 07./08.02.2006 – auf den Zeitpunkt ihrer
Einreichung zurück (§ 204 Abs.1 Ziff.1 BGB, 253, 167 ZPO).
Die Auffassung des Landgerichts, der Klageanspruch sei verjährt, da der Kläger
sich in der Vollmachtsurkunde vom 16.05.2000 mit der Geltung einer einjährigen
Verjährungsfrist einverstanden erklärt habe, ist verfehlt. Schon ihrem äußeren
Wortlaut nach gab die Vollmachtsurkunde nichts für eine Vereinbarung über die
Verjährung her. Die Rede ist davon, dass „die Frist ein Jahr beträgt“, und dieser
Passus ist bezogen auf den an gleicher Stelle zitierten § 51 BRAO. Allerdings betraf
§ 51 BRAO zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Vollmacht erteilt wurde, überhaupt
keine Regelung zur Verjährung.
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Die Entscheidung des Landgerichts geht auch daran vorbei, dass nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung eine formularvertragliche Abkürzung der
Verjährung für Ansprüche aus der Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten
ohnehin nicht in Frage kam (BGHZ 97, 21).
c) Der Höhe nach ist die Sache nur teilweise zur Entscheidung reif.
aa) Im Ansatz steht fest, dass die Beklagten dem Kläger den Schaden ersetzen
müssen, der ihm aus der Verjährung seiner offenen Gehaltsforderungen, damit
deren faktischem Verlust entstanden ist. Zum Umfang des so entstanden
wirtschaftlichen Nachteils wird der Kläger aber noch im einzelnen vorzutragen
haben. Nachdem die Beklagten ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass der
Kläger in den betreffenden Jahren Steuern erspart hat, welche aus seinem
Bruttogehalt hätten abgeführt werden müssen, obliegt es dem Kläger, eine exakte
Berechnung vorzulegen (BGH NJW 1999, 3711). Entsprechendes gilt für die
Auswirkungen sozialversicherungsrechtlicher Art. Ein Verzicht auf eine Darlegung
im einzelnen ist auch nicht in Anwendung des § 287 ZPO deshalb gerechtfertigt,
weil angenommen werden könnte, dass sich steuerliche Vor- und Nachteile aus
dem Wegfall der Zahlungen in den Kalenderjahren 2000 und 2001 einerseits, der –
auf der Grundlage des vorliegenden Rechtsstreits - unter höherer Progression zu
versteuernden „Nachzahlung“ andererseits gegeneinander als annähernd
gleichwertig verrechnen ließen (vgl. hierzu BGH VersR 1990, 95); diesen Ansatz
verfolgt auch der Kläger nicht, stellt er doch neben dem Zahlungsantrag aus dem
Bruttogehalt einen Feststellungsantrag wegen der „Nachversteuerung“.
bb) Ebenso wenig entscheidungsreif ist der geltend gemachte Anspruch auf
Ausgleich „verlorener“ Verzugszinsen. In welchem Umfang eine die Verjährung
unterbrechende bzw. – nach neuer Rechtslage – hemmende Geltendmachung der
Gehaltsforderungen auch zur Verwirklichung von auf Zahlung von Verzugszinsen
gerichteten Ansprüchen gegen die Arbeitgeberin geführt hätte, lässt sich erst
beurteilen, wenn feststeht, welche Gehaltsverluste eingetreten sind und – was der
Kläger wird ergänzend vortragen müssen – zu welchem Zeitpunkt die
Arbeitgeberin einen Entschluss über die (Nach-) Zahlung von Gehalt fasste.
Aus unmittelbar eigener Verpflichtung schuldete die Beklagte Verzugszinsen nicht
vor dem Eintritt des Verzuges im Verhältnis des Klägers zu dem Beklagten
(Klageantrag zu 3]).
cc) Entscheidungsreif – im negativen Sinne – sind die Ansprüche des Klägers auf
Ausgleich von Überziehungszinsen bzw. Rücklastschrift- und
Bearbeitungsgebühren, welche er gegenüber der …bank O1 und der …bank O2 zu
zahlen hatte. Für beide Komplexe lässt sich eine Kausalität der Aufklärungs- und
Beratungsversäumnisse der Beklagten für den Eintritt der wirtschaftlichen
Nachteile nicht feststellen. Hätte die Beklagtenseite pflichtgemäß zur
unmittelbaren gerichtlichen Geltendmachung der Gehaltsforderungen geraten –
eine aufklärungsrichtige Zustimmung des Klägers wäre zu unterstellen –, dann
wären diese Schäden in gleicher Weise eingetreten, wie sie jetzt eingetreten sind:
Denn das arbeitsgerichtliche Verfahren über den Kündigungsschutzantrag endete
erst im März 2005, damit nach Entstehung der Zins- und Gebührennachteile. Das
– gedanklich nachrangige – fiktive Verfahren über die Gehaltsforderungen hätte
nicht früher enden können.
dd) Entscheidungsreif ist auch – und zwar ebenfalls im negativen Sinne – der
Anspruch auf Ausgleich der Kreditkosten aus der Aufnahme von Darlehen am
15.02. und 15.07.2001. Auch insofern fehlt es an der Kausalität des Aufklärungs-
und Beratungsversäumnisses der Beklagtenseite. Das vorstehend unter lit.cc)
Gesagte gilt entsprechend.
ee) Ebenfalls im negativen Sinne entscheidungsreif sind die
Schadensersatzforderungen des Klägers wegen der Bauschäden am eigenen
Hause, der Beschädigung von Dachsparren mangels Abdeckung, der
Feuchtigkeitsschäden mangels Dämmung und des ebenfalls mangels Dämmung
eingetretenen erhöhten Energieverbrauchs. Wie sich aus der auf Blatt 22 der
Klageschrift unter lit.cc. angestellten Berechnung ergibt, wurde das Haus
spätestens im Jahre 2000 bezogen. Die baulichen Versäumnisse – wie sie, was
unterstellt werden kann, durch den Ausfall laufenden Gehalts verursacht wurden –
ergaben sich damals. Sie könnten – was hier nicht zu klären ist – eine von der
Arbeitgeberin zu verantwortende Belastung darstellen; in der Unterlassung
rechtzeitiger gerichtlicher Verfolgung der Gehaltsforderungen – der Unterlassung
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rechtzeitiger gerichtlicher Verfolgung der Gehaltsforderungen – der Unterlassung
notwendiger Aufklärung und Beratung hierzu – liegt ihre Ursache aber nicht. Auch
hier gilt das vorstehend unter lit.cc) Gesagte entsprechend.
ff) Schließlich ist im negativen Sinne entscheidungsreif auch der Anspruch des
Klägers auf Ausgleich des Schadens, der ihm daraus entstanden ist, dass er nach
Trennung von seiner Ehefrau die ihm gewährte Eigenheimzulage zurückzahlen
musste. Im Sinne des Klagevortrages unterstellt, die Rückzahlungsverpflichtung
sei entstanden, weil die Ehefrau des Klägers ihn verließ, lässt sich doch eine
ursächliche Verknüpfung zwischen dem Scheitern der Ehe und dem Aufklärungs-
und Beratungsversäumnis der Beklagten schon nach dem eigenen Vortrag des
Klägers nicht feststellen. Alle an sich weit näher liegenden Erwägungen über die
emotionalen Grundlagen ehelicher Verbindung dahingestellt, hebt der Kläger
selbst hervor, seine Ehefrau habe sich bereits im August 2001 von ihm getrennt.
Dies hätten die Beklagten auch durch eine rechtzeitige Aufklärung und Beratung
nicht verhindern können; für einen sofortigen – vom Standpunkt des Klägers aus:
ehefördernden – weiteren Fluss des laufenden Gehalts hätten sie nicht sorgen
können. Die Annahme, die Gefühle seiner Ehefrau für den Kläger hätten sich
anders dargestellt, hätte er neben der Kündungsschutzklage auch eine
Zahlungsklage eingereicht, ist abwegig.
Nur am Rande sei – im Blick auf den Zurechnungszusammenhang – darauf
hingewiesen, dass Zweck gewerkschaftlichen Rechtsschutzes nicht die Erhaltung
der Ehe des Gewerkschaftsmitgliedes ist.
gg) Was den Feststellungsantrag angeht, fehlt es im Blick auf das oben unter
lit.aa) Gesagte an der Entscheidungsreife.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.