Urteil des OLG Frankfurt vom 13.03.2017

OLG Frankfurt: bewährung, psychotherapeutische behandlung, widerruf, vollstreckung, unterbringung, apotheke, geldstrafe, form, vollzug, nacht

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 106/09, 3 Ws
107/09, 3 Ws
108/09, 3 Ws
109/09, 3 Ws
110/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 56f Abs 1 Nr 1 StGB, § 56f
Abs 2 Nr 1 StGB
Bewährungswiderruf: Absehen vom Widerruf trotz
Bewährungsversagens
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen trotz Bewährungsversagens von einem Widerruf
der Bewährung abgesehen werden kann (hier: Vorliegen einer neueren Prognose)
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 8.6.2006 für die Dauer der
Führungsaufsicht und der Bewährung erteilten Weisungen werden aufgehoben und
wie folgt neu gefasst:
1. Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnsitz
zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.
2. Der Verurteilte hat seinen Wohnsitz in dem „A“ in O1 beizubehalten und
3. jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich dem Bewährungshelfer und der
Strafvollstreckungskammer Limburg/Lahn anzuzeigen.
4. Der Verurteilte hat für die Dauer der Führungsaufsichts- bzw. Bewährungszeit
die Substitutionsbehandlung in der Praxis Dr. B, … in O1 fortzuführen und
dort weiterhin die von Dr. B gesetzten Termine der
psychotherapeutischen Begleitbehandlung wahrzunehmen und diese nicht ohne
deren Einverständnis zu beenden.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Verurteilten insoweit erwachsenen
notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse ( § 473 Abs. 2 S. 2 StPO ).
Gründe
Mit Beschluss vom 8.6.2006 hatte die Strafvollstreckungskammer den weiteren
Vollzug der mit Urteil des Landgerichts Kassel vom 3.2.2003 (3620 Js 21329/02)
angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung
ausgesetzt und die Vollstreckung des durch Anrechnung gem. § 67 IV StGB noch
nicht erledigten Restes der im gleichen Urteil verhängten Freiheitsstrafe zur
Bewährung ausgesetzt.
Gleichzeitig hatte sie auch die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den
Urteilen
- des Amtsgerichts Eschwege vom 7.3.2002 (9232 Js 22985/01),
- des Amtsgerichts Hannover vom 6.5.1993 (775 Js 48599/92), 20.10.1993 (775 Js
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- des Amtsgerichts Hannover vom 6.5.1993 (775 Js 48599/92), 20.10.1993 (775 Js
43584/93), vom 12.12.1994 (124 Js 21893/94), vom 8.12.1999 (144 Js 56043/99),
vom 4.12.1996 (685 Js 48845/96) und vom 11.9.2000 (144 Js 27815/00)
(erneut) zur Bewährung ausgesetzt, die Dauer der kraft Gesetzes eingetretenen
Führungsaufsicht (§ 67 d II S. 2 StGB) und der Bewährungszeit einheitlich auf 5
Jahre festgesetzt und dem Verurteilten für die Dauer der Führungsaufsicht und der
Bewährung diverse Weisungen erteilt.
Mit Beschluss vom 12.11.2008 widerrief die Strafvollstreckungskammer die
Aussetzung der o.g. Unterbringung und der o.g. Restfreiheitsstrafen gem. §§ 56f I
Ziff. 1, 67 g I Ziff. 1 StGB. Der Verurteilte war während laufender Bewährungszeit
erneut straffällig geworden und deshalb - vom Amtsgericht Neustadt am Rüben
am 14.8.2007 (66 Cs 105/07 – 2162 Js 61377/07) wegen Diebstahls und wegen
Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen und - vom
Amtsgericht Hannover am 17.10.2007 (286 Ds 94/07 – 7421 Js 76431/07) wegen
Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen
verurteilt. Mit Beschluss vom 14.1.2008 wurde aus diesen beiden Strafen eine
Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen gebildet.
Darüber hinaus verhängte das Amtsgericht Hannover am 8.4.2008 (218 Ds 2162
Js 115098/07) wegen eines ebenfalls während der Bewährungszeit begangenen
Einbruchdiebstahls eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten ohne Bewährung. Auf die
Berufung des Verurteilten änderte das Landgericht Hannover am 29.10.2008,
rechtskräftig seit dem gleichen Tage, das amtsgerichtliche Urteil dahingehend ab,
dass die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt
wurde.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde
des Verurteilten, der die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht beigetreten
ist, und der auch der Erfolg nicht zu versagen ist.
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB vor, denn der
Verurteilte ist im Bewährungszeitraum erneut straffällig geworden. Neben den mit
Geldstrafen geahndeten Taten hat er den Feststellungen des Urteils des
Amtsgerichts Hannover vom 8.4.2008 zufolge in der Nacht vom 19.11. auf den
20.11.2007 die Schaufensterscheibe einer Apotheke mit einem Pflasterstein
eingeworfen, dort Bargeld und 5 Packungen C und 1 Packung D an sich
genommen und war noch in der Apotheke von Polizeibeamten angetroffen worden.
Aufgrund zuvor konsumierter Medikamente und Alkohols ging das Gericht davon
aus, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Verurteilten aufgehoben war.
Auch ist der Verurteilte – worauf die Kammer zu Recht hingewiesen hat – bereits
am Nachmittag des Tages seiner Entlassung aus der Maßregeleinrichtung
drogenrückfällig geworden und haben bisher weder Therapien noch Geld- und/oder
Freiheitsstrafen, deren Vollstreckung auch zur Bewährung ausgesetzt wurden, den
Verurteilten in irgendeiner Weise beeindrucken können.
Durch die Straftaten hat sich auch gezeigt, dass die Erwartung, die der
Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Begeht der Verurteilte erneut
Straftaten in nicht nur bedeutungslosem Umfang, gilt die mit der Strafaussetzung
verbundene Erwartung, er werde sich künftig straffrei führen, als widerlegt (§ 56f
Abs. 1 StGB).
Gleichwohl ergibt sich aus seinem Bewährungsversagen nicht zwingend die
Notwendigkeit eines Widerrufes.
Das Landgericht Hannover hat unter Berücksichtigung der o.g. gegen den
Verurteilten sprechenden Umstände – wenn auch mit erheblichen Bedenken – mit
Blick auf die von dem Verurteilten aufgenommene intensive ärztliche und
psychotherapeutische Behandlung in der Praxis Dr. B Ansätze einer positiven
Prognose gesehen und die verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Wegen der besseren Erkenntnismöglichkeiten des die erneute Straftat aufgrund
einer Hauptverhandlung aburteilenden Gerichts ist es in aller Regel auch geboten,
sich dessen zeit- und sachnäheren Prognose anzuschließen (Senat, NStZ-RR
1996, 59; Beschluss vom 06.06.2005 – 3 Ws 477-479/05 –).
Hiervon abzuweichen sieht der Senat – bei allem Verständnis für die
nachvollziehbare Argumentation der Strafvollstreckungskammer – keinen Anlass.
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nachvollziehbare Argumentation der Strafvollstreckungskammer – keinen Anlass.
Wie die Nachfrage der Berichterstatterin bei der den Verurteilten behandelnden
Ärztin ergeben hat, hält dieser sich zuverlässig an alle Termine und hat er sich im
Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auch weiter stabilisiert.
Rückfragen bei der Bewährungshelferin wie auch der Einrichtung des „A“ (A) haben
ebenfalls ergeben, dass es sich bei dem Verurteilten um einen absprachefähigen
Probanden handelt. Im A befindet er sich zur Zeit in der „Zentralen
Integrationsphase“, wobei vorgesehen ist, ihn über die „Dezentrale
Integrationsphase“ langfristig in eine Wohnung sei es auf dem Gelände der
Einrichtung oder auch außerhalb zu vermitteln
Derartige für einen seit seinem 13. Lebensjahr Suchtauffälligen bei aller Skepsis
durchaus im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu sehenden
positiven Ansätze erlauben es mit den im Tenor genannten geänderten Weisungen
wegen des im Maßregelrecht geltenden Subsidiaritätsgrundsatzes von einem
Widerruf der Unterbringung abzusehen (vgl. Fischer, StGB, 56. Auflage, Rn 3 zu §
67 g). Auch von einem Widerruf der gewährten Strafaussetzungen zur Bewährung
konnte gem. § 56f II Nr. 1 StGB abgesehen werden.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der
§§ 467 I, 473 III StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.