Urteil des OLG Frankfurt vom 09.04.2002
OLG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, zulässigkeit der auslieferung, vollstreckung der strafe, zusicherung, einreise, appellationsgericht, venedig, strafvollstreckung
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Gericht:
OLG Frankfurt 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ausl I 73/99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 MRK, Art 175 StPO ITA,
Art 3 Abs 1 S 2
EuAuslfÜbkZProt 2, Art 3 Abs
1 S 3 EuAuslfÜbkZProt 2
(Auslieferung zur Strafvollstreckung in Italien: Auslieferung
zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ohne
Zusicherung des Rechts auf neues Gerichtsverfahren)
Tenor
Die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des
Landgerichts Padua vom 18.5.1998 (Az.: 1126/98 Reg-Sent.- Nr. 1263/97 R.G.
Trip.-Nr. 3489/96 R.G. notizie di reato) ist z u l ä s s i g.
Gründe
Der Senat hat durch Beschluss vom 23.2.2000, auf dessen Gründe Bezug
genommen wird, den Verfolgten unter anderem zur Vollstreckung der Strafen aus
den Urteilen des Landgerichts Padua vom 18.5.1998 und 19.1.1999 in förmliche
Auslieferungshaft genommen. Durch Beschluss vom 16. Mai 2000 hat der Senat
die Auslieferung zur Vollstreckung der in dem Urteil des Landgerichts Padua vom
19.1.1999 verhängten Freiheitsstrafe für zulässig erklärt und die Entscheidung
über die Zulässigkeit der Auslieferung zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus
dem Urteil des Landgerichts Padua vom 18.5.1998 zurückgestellt, da es sich um
ein Abwesenheitsurteil handelt und weitere Aufklärung erforderlich war. Nachdem
der Verfolgte zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts
Padua vom 19.1.1999 am 22.6.2000 an die italienischen Behörden übergeben
worden war, hat der Senat am 5. 7. 2000 den Auslieferungshaftbefehl vom 23.2.
2000 sowohl hinsichtlich des Urteils des Landgerichts Padua vom 19.1.1999 als
auch des Urteils vom 18.5.1998 trotz der noch ausstehenden Entscheidung über
die Zulässigkeit im letzteren Fall aufgehoben.
Der Senat hat durch Beschluss vom 5. September 2000 die Sache dem
Bundesgerichtshof zur Klärung der Rechtsfrage vorgelegt, ob im Falle eines in
Italien ergangenen Abwesenheitsurteils der Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung
nach Art. 175 CPP (italienische Strafprozessordnung) für die Zulässigkeit der
Auslieferung ausreiche oder es einer zusätzlichen Erklärung der italienischen
Behörden gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 2 und 3 des 2. Zusatzprotokolls vom 17.3.1978
zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13.12.1957 bedürfe. Hierzu
hat der Bundesgerichtshof in dem Beschluss vom 16.10.2001 ausgeführt, dass zur
Durchsetzung einer Art. 6 EMRK entsprechenden "verfolgtenfreundlichen"
Auslegung des Art. 175 CPP derzeit eine Zusicherung nach dem 2. Zusatzprotokoll
zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen "regelmäßig - abhängig von den
Umständen des Einzelfalls" zu fordern sei, wenn der Verfolgte, dessen Auslieferung
aufgrund eines Abwesenheitsurteils begehrt werde, von einem gegen ihn in Italien
geführten Strafverfahren, vom Hauptverhandlungstermin und von dem Urteil keine
Kenntnis hatte.
Mit Schreiben vom 22.11.2001 hat das Hessische Ministerium der Justiz unter
Beifügung einer Ablichtung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom
16.10.2001 bei den italienischen Behörden angefragt, ob nunmehr mit der Abgabe
einer Zusicherung nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des 2. Zusatzprotokolls zum
Europäischen Auslieferungsübereinkommens zu rechnen sei. Die
Generalstaatsanwaltschaft bei dem Appellationsgericht von Venedig hat mit
Schreiben vom 9. Januar 2002 mitgeteilt, dass eine entsprechende Zusicherung
Schreiben vom 9. Januar 2002 mitgeteilt, dass eine entsprechende Zusicherung
im vorliegenden Fall nicht abgegeben werden könne. Der Verfolgte, der zur
Vollstreckung eines anderen Urteils bereits ausgeliefert worden sei, habe zum
Zeitpunkt seiner Einreise in das nationale Territorium am 22.6.2000 formelle
Kenntnis von dem Urteil des Landgerichts Padua vom 18.5.1998 gehabt und
bisher keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Ein
solcher Antrag dürfte auch nicht mehr eingereicht werden können, nachdem die
Ausschlussfrist von 10 Tagen nach Art. 175 CPP verstrichen sei. Unter diesen
Umständen könne die italienische Gerichtsbehörde aufgrund der Untätigkeit des
Ausgelieferten die Garantie gemäß Art. 3 des 2. Zusatzprotokolls zum
Europäischen Auslieferungsübereinkommen nicht zur Verfügung stellen, da die
Vorschrift des Art. 175 Abs. 3 CPP dem entgegenstehe. Die Staatsanwaltschaft bei
dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat am 4.3.2002 beantragt, im Hinblick
auf das Schreiben vom 9.1.2002 die Auslieferung zur Vollstreckung der Strafe aus
dem Urteil des Landgerichts Padua vom 18.5.1998 für unzulässig zu erklären. Der
Beistand des Verfolgten hat sich mit Schriftsatz vom 27.3.2002 dem Antrag der
Staatsanwaltschaft angeschlossen. Entgegen der von der Staatsanwaltschaft bei
dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main und dem Beistand des Verfolgten
vertreten Ansicht hält der Senat wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles
die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des
Landgerichts Padua vom 18.5.1998 für zulässig. Der Verfolgte hatte durch die
Senatsbeschlüsse vom 23.2.2000 und 16.5.2000 sowie durch die Zustellung der
Vollstreckungsanordnung 329/99 der Staatsanwaltschaft Padua, in der das
betreffende Urteil ausdrücklich erwähnt worden war, Kenntnis von dieser in seiner
Abwesenheit gegen ihn ergangenen Verurteilung. Die Generalstaatsanwaltschaft
bei dem Appellationsgericht von Venedig weist in dem Schreiben vom 9.1.2002
darauf hin, dass der Verfolgte seit seiner Einreise (Auslieferung) nach Italien am
22.6.2000 bis zu dem Zeitpunkt des Schreibens keinen Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt habe und ein solcher Antrag
nunmehr wegen Fristablaufs auch nicht mehr eingereicht werden könne. Der Senat
ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Verfolgte nach seiner Einreise nach
Italien in Kenntnis des Umstandes, dass gegen ihn in Abwesenheit das Urteil des
Landgerichts Padua vom 18.5.1998 ergangen und die Entscheidung über die
Zulässigkeit der Auslieferung in diesem Fall von dem Senat nur zurückgestellt
worden war, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur
Fristwahrung hätte stellen müssen, wenn er das Urteil hätte angreifen wollen. In
diesem Fall hätte von den italienischen Behörden auch eine entsprechende
Zusicherung hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der Gewährung einer
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinn der vom Bundesgerichtshof
geforderten "verfolgtenfreundlichen" Auslegung des Art. 175 CPP erwartet werden
müssen. Der mehr als sechs Monate andauernden Untätigkeit des in Italien
einsitzenden Verfolgten steht aber nunmehr die Ausschlussfrist des Art. 175 Abs.
3 CPP entgegen, so dass den italienischen Behörden unter diesen Umständen
eine entsprechende Zusicherung nicht mehr abverlangt werden kann. Danach ist
die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts
Padua vom 18.5.1998 verhängten zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen schweren
betrügerischen Bankrotts in diesem Fall auch ohne eine entsprechende
Zusicherung der italienischen Behörden zulässig. Die ihm in dem Urteil zur Last
gelegten Taten sind nach deutschem Recht ( §§ 266,246, 283, 283a, 283 b StGB)
und nach italienischem Recht (Art.216 Abs.1 Nr. 1 und 2, 219 Abs. 2 Nr. 1 und 223
Abs. 1 des Königlichen Dekrets Nr. 267 vom 16.3.1942) strafbar und nach dem
Recht der beiden beteiligten Staaten auslieferungsfähig. Weitere Gründe, die der
Zulässigkeit der Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.