Urteil des OLG Frankfurt vom 30.11.2005

OLG Frankfurt: eintritt des versicherungsfalles, entstehung, kündigung, versichertes risiko, bürgschaftsvertrag, begriff, insolvenz, firma, transparenzgebot, sicherheit

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Gericht:
OLG Frankfurt 23.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
23 U 288/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 AGBG, § 9 AGBG, § 765
BGB
(Umfang einer Bankbürgschaft: Abgrenzung zwischen „in
Entstehung begriffenen“ und „künftigen“ Forderungen)
Leitsatz
Zur Frage, ob im Lauf der Zeit entstehende variable Versicherungsprämienforderungen
ebenfalls von einer Gewährleistungsbürgschaft umfasst sind
Gründe
I.
Auf die vollständige Darstellung des Tatbestands in dem angefochtenen Urteil wird
Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage aus Rechtsgründen abgewiesen. Ein
Rückforderungsanspruch der Klägerin bestehe nicht, weil sie auf Grund der
Bürgschaftsverpflichtung zu den erbrachten Leistungen verpflichtet gewesen sei.
Der Begriff der „in Entstehung begriffenen Forderungen“ umfasse auch
Prämienforderungen, die erst nach der wirksamen Kündigung der Bürgschaft
entstanden seien. Zwar sei die Inanspruchnahme der Beklagten aus der
Versicherung ungewiss, die Entstehung der Prämienforderung in
korrespondierender Höhe aber sicher. Deshalb seien diese Prämien erst recht
geschuldet.
Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck der Bürgschaft, da nach der Insolvenz
des Versicherungsnehmers nur noch der Versicherungsvertrag mit den bisher
hingegebenen Bürgschaften bei korrespondierenden Prämienzahlungen
abgewickelt werde und die Klägerin sich in einer solchen Situation nicht anders als
die Beklagte von jeglicher Haftung befreien könne.
Die Klägerin hat gegen das hier am 30.11.2004 zugestellte Urteil am 29.12.2004
Berufung eingelegt und diese am Montag, den 31.1.2005, begründet. Sie verfolgt
ihre erstinstanzlichen Klageziele in vollem Umfang weiter. Zur Begründung führt
sie aus:
Der Begriff „in Entstehung begriffene Forderungen“ sei unbestimmt. Dem
Bestimmbarkeitserfordernis bezüglich einer verbürgten Hauptschuld sei deshalb
nicht genügt. Vom üblichen Sprachgebrauch her gesehen werde eine
Prämienzahlung eher als zukünftige als eine im Entstehen begriffene Forderung
angesehen. Der letztgenannte Begriff sei zugeschnitten auf etwaige Forderungen
aus bei der Kündigung des Bürgschaftsvertrages bereits erteilten, aber noch nicht
in Anspruch genommenen Gewährleistungsbürgschaften und nicht auf
Prämienzahlungen.
Die Überlegung des Landgerichts würden auf einer parallelen Kündigung von
Bürgschafts- und Kreditvertrag beruhen. Dies sei aber nicht zwangsläufig der Fall
(Bl. 180). Eine normative Auslegung, die an einem sachgerechten Ergebnis
orientiert sei, führe deshalb dazu, dass die Prämien nicht umfasst seien.
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Im Übrigen sei der Begriff der „im Entstehen begriffenen Forderung“ unklar im
Sinne des § 5 AGBG.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des am 18. November 2004 verkündeten Urteils
des Landgerichts Wiesbaden (2 O 262/03) zu verurteilen, an die Klägerin 5.266,30
€ nebst Zinsen iHv 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, aus
2.633,15 € seit dem 22.1.2003 und aus weiteren 2.633,15 € seit dem 22.12.2003.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
De Beklagte vertritt die Auffassung, die Prämienansprüche seien als zukünftige
vom Bürgschaftsvertrag umfasst.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Der wirtschaftliche Hintergrund des vorliegenden Rechtsstreits ist folgender:
Unternehmen, insbesondere Bauunternehmen, sind häufig vertraglich verpflichtet,
für die Erfüllung möglicher Gewährleistungsansprüche eine Sicherheit zu stellen.
Die Verträge sehen häufig einen Einbehalt von 5-10 % der Auftragssumme zu
diesem Zweck vor. Gleichzeitig wird dem Unternehmer die Möglichkeit eröffnet,
diesen Gewährleistungseinbehalt über das Stellen einer anderweitigen Sicherheit
abzulösen. Ihre Übernahme wird von Kautionsversicherungen gewerbsmäßig
angeboten. Die Kautionsversicherer stellen gegen Versicherungsprämien
Bürgschaften und lassen sich von dem Unternehmen zur Sicherung insbesondere
ihrer möglicherweise entstehenden Regressansprüche, § 774 BGB, selbst
Sicherheiten stellen (Vosberg ZIP 2002, 968). Eine solche Sicherheit hat im
vorliegenden Fall die Klägerin gestellt.
Der Beklagten stand ein Anspruch auf Bezahlung der Versicherungsprämien für
die Jahre 2002 und 2003 gegen die Firma X GmbH zu. Dies ist rechtlich
unproblematisch (vgl. Vosberg ZIP 2002, 968 f). Die Pflicht bestand auch nach der
Kündigung des Kautionsversicherungsvertrages am 13.12.2001 fort, da die
Verpflichtung zur Prämienzahlung unabhängig vom Fortbestand des Vertrages
besteht, solange und soweit nicht alle Bürgschaften aus dem Avalkonto
ausgebucht sind, wobei sich die Höhe der Prämie nach dem noch versicherten
Risiko richtet und dementsprechend sinkt, bis kein versichertes Risiko mehr
besteht.
Das Problem des Falles besteht in der Frage, ob die im Lauf der Zeit entstehenden
variablen Prämienforderungen auch von der Bürgschaft umfasst sind, die die
Klägerin abgegeben hat. Der Bürgschaftsvertrag umfasst auch „die in Entstehung
begriffenen Forderungen“. Damit sind offenbar die Ansprüche gemeint, die aus bei
der Kündigung des Bürgschaftsvertrages bereits übernommenen, aber noch nicht
in Anspruch genommenen Gewährleistungsbürgschaften resultieren. Ob unter die
genannte Klausel auch der Anspruch auf Prämien fällt, ist zwischen den Parteien
umstritten.
Nach Auffassung des Senats ergibt eine Auslegung des Begriffs der „in
Entstehung begriffenen Forderungen“, dass die Prämienzahlungen nicht
inbegriffen sind. Begrifflich wird in dem Bürgschaftsvertrag vom 1.9.1998 zwischen
bestehenden, in Entstehung begriffenen und künftigen Forderungen
unterschieden. Die Kündigung der Bürgschaft durch die Klägerin wurde Ende
Februar 2002 wirksam. Der erste streitgegenständliche Anspruch der Beklagten
auf Bezahlung der Prämie wurde jedoch erst am 7.9.2002 fällig. Dieser beruhte
zwar auf bereits früher eingegangenen Gewährleistungsverpflichtungen, die noch
nicht abgelaufen waren. Dennoch erscheint es dem Senat naheliegender zu sein,
insoweit von einer zukünftigen Verbindlichkeit zu sprechen.
Die Formulierung über die in Entstehung begriffenen Forderungen wird dadurch
auch nicht obsolet. Die Parteien stimmen darin überein, dass der Beklagten auf
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auch nicht obsolet. Die Parteien stimmen darin überein, dass der Beklagten auf
Grund dieser Formulierung ein Anspruch aus dem Bürgschaftsvertrag gegen die
Klägerin zusteht, soweit sie auf Gewährleistung in Anspruch genommen wird, was
hier, wie bereits ausgeführt, noch möglich ist, da der Kautionsversicherer auch
nach Beendigung des Vertragsverhältnisses noch ein Bürgenrisiko trägt.
Dieses Ergebnis entspricht Überlegungen, die sich aus dem noch anzuwendenden
AGBG ergeben. In diesem Zusammenhang ist bereits festzustellen, dass die
Klausel von den in Entstehung begriffenen Forderungen dem Transparenzgebot
widerspricht. Dieses gilt als allgemeines Auslegungsprinzip von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen und wird § 5 AGBG (jetzt § 305 c Abs. 2 BGB) entnommen.
Es gilt auch gegenüber Kaufleuten, § 24 AGBG (BGH NJW-RR 1988, 114, Palandt-
Heinrichs, BGB, 64. Aufl. 2005, § 305 c Rn. 18) und beruht auf dem Gedanken,
dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich
auszudrücken. In diesem Zusammenhang ist im vorliegenden Fall festzustellen,
dass die Beklagte die Bürgschaftsbedingungen durchaus hätte klarer gestalten
können. Anstelle eines unscharfen Rechtsbegriffes hätte mit präzisen
Formulierungen geregelt werden können, dass der Bürge sowohl für erst noch
entstehende Ansprüche aus Gewährleistungsbürgschaft, wie auch bezüglich der
noch entstehenden Ansprüche auf die Versicherungsprämien in Anspruch
genommen werden kann.
Dieses Transparenzgebot entspricht im Übrigen dem Bestimmtheitsgrundsatz, wie
er im Bürgschaftsrecht angewendet wird. Eine Bürgschaftserklärung muss die
fremde Schuld, für die gebürgt werden soll, in einer wenigstens indirekt
bestimmbaren Weise bezeichnen. Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten der
Gläubigerin (Palandt-Sprau, aaO, § 765 Rz 6).
Es kommt weiter in Betracht, dass eine unangemessene Benachteiligung im Sinne
des § 9 AGBG vorliegt. Auch diese Bestimmung ist im Verhältnis zu Kaufleuten
anwendbar, § 24 AGBG. Insoweit kann man verschiedener Auffassung sein. Von
Gesetzes wegen beschränkt sich die Bürgenhaftung im Falle einer Kündigung auf
die zum Zeitpunkt der Kündigung begründeten Verbindlichkeiten (Palandt-Sprau,
aaO, § 765 Rn. 16; Schimansky/Bunte/Lwowski-Schmitz, Bankrechtshandbuch, Bd.
II 2001, § 91 Rn. 114). Den Vorschriften des dispositiven Rechtes kommt bei der
Inhaltskontrolle von AGB eine Leitbildfunktion zu (Palandt-Heinrichs, aaO, § 307 Rn.
25). Entscheidend ist, ob die abbedungene Norm des dispositiven Rechts einem
wesentlichen Schutzbedürfnis des Vertragspartners dient (Palandt-Heinrichs, aaO,
§ 307 Rn. 27). Man wird allgemein sicherlich sagen können, dass ein Bürge ein
nachhaltiges Interesse daran hat, dass er nicht für Forderungen in Anspruch
genommen wird, die erst nach wirksamer Kündigung des Bürgschaftsvertrages
entstehen. Zu beachten ist jedoch, dass die Beklagte ihrerseits aus dem mit der
Firma X GmbH abgeschlossenen Bürgschaftsvertrag unter Umständen auch zu
Leistungen auf geltend gemachte Gewährleistungsansprüche verpflichtet ist, die
nach dem Wirksamwerden ihrer Kündigungserklärung entstehen. Im Hinblick auf
das generell eingeschränkte Schutzbedürfnis von Unternehmen kann man die
Auffassung vertreten, dass keine unangemessene Benachteiligung vorliegt. Die
Klägerin gibt ebenso wie die Beklagte in professioneller Art und Weise
Bürgschaftserklärungen ab. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass das Argument
der Beklagten betreffend eine Haftung der Bank als Bürgin für später entstehende
Gewährleistungsansprüche darauf beschränkt ist und sich nicht auf später
entstehende Prämienansprüche bezieht. Da ein Verstoß gegen das
Transparenzgebot vorliegt, kommt es auf diese Frage nicht entscheidend an.
Das Landgericht hält seine Auslegung auch im Hinblick auf die Insolvenz der
Versicherungsnehmerin für angebracht. Es sei nicht gerechtfertigt, dass die
Klägerin – anders als die Beklagte – aus jeglicher Haftung befreit sein sollte,
obwohl doch der Eintritt des Versicherungsfalles unklar, aber die Entstehung von
Prämienforderungen sicher gewesen sei. Diese Argumentation setzt die Insolvenz
der Versicherungsnehmerin und die Kündigung beider Bürgschaftsverträge voraus.
Dies war zwar im vorliegenden Fall so, kann aber auch ganz anders sein. Hätte die
Klägerin allein die von ihr eingegangene Bürgschaftsverpflichtung gekündigt und
die Firma X GmbH dann entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtung gegenüber
der Beklagten die Bürgschaft einer anderen Bank beigebracht, würde doch alles
dafür sprechen, die Prämienforderungen im Verhältnis zur Klägerin als zukünftige
und nicht als in Entstehung begriffene Forderung anzusehen, da ansonsten eine
Doppelhaftung eintreten würde. Deswegen überzeugt die Argumentation des
Landgerichtes nicht.
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III.
Auch der Zinsanspruch, der sich auf § 288 Abs. 2 BGB nF stützt, ist berechtigt.
Nach Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB tritt für Dauerschuldverhältnisse vom 1.1.2003 an
die dann geltende Fassung des BGB auch für Verträge in Kraft, die vorher
abgeschlossen worden sind. Ein Bürgschaftsvertrag ist aber als (wenn auch nicht
klassischer) Fall eines Dauerschuldverhältnisses anzusehen (vgl. Palandt-
Heinrichs, aaO, § 314 Rn. 5). Zu berücksichtigen ist dabei zusätzlich, dass es bei
der Vorschrift des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB weniger auf die im materiellen Recht
diskutierten Eigenarten eines Dauerschuldverhältnisses ankommt, als auf die
Herbeiführung einer „intertemporalen Rechtseinheit“ (Hess, NJW 2002, 253, 256)
und dies auch dafür spricht, das neue Recht bei der Ermittlung der Höhe des
Zinsanspruches anzuwenden.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10 und
713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision, § 543 II ZPO liegen nicht vor.
Insbesondere liegt ein Fall der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht
vor, da Entscheidungen von Gerichten, die eine solche Klausel in einem
Bürgschaftsvertrag anders interpretieren, nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.