Urteil des OLG Frankfurt vom 08.12.2009

OLG Frankfurt: gefahr im verzuge, leiter, legitimation, hessen, beleihung, tatsächliche sachherrschaft, öffentlich, wirtschaftlichkeit, volk, begriff

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 239/09
(StVollz)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 20 Abs 2 GG, Art 33 Abs 4
GG, § 2 MVollzG HE, § 5
MVollzG HE, § 91 StVollzG
Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf juristische
Personen des Privatrechts im Maßregelvollzug
Leitsatz
1. Die im Zuge der Teilprivatisierung erfolgte Übertragung der Befugnis auf
privatrechtlich Beschäftigte bei Gefahr im Verzug besondere Sicherungsmaßnahmen
vorläufig anordnen zu dürfen, ist mit Artikel 33 IV GG vereinbar.
2. Das in Artikel 20 II GG niedergelegte Demokratieprinzip gebietet es, dass im Falle der
Übertragung hoheitsrechtlicher Befugnisse auf juristische Personen des Privatrechts im
Wege der Beleihung die natürlichen Personen, die diese Befugnisse tatsächlich
ausüben, über die erforderliche demokratische Legitimation verfügen.
3. Das Fehlen der personellen Legitimation der nur auf privatrechtlicher Grundlage
Beschäftigten (hier: bei der vorläufigen Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen)
kann durch zureichende Aufsichts- und Weisungsmöglichkeiten des Landes
ausgeglichen werden. Letztere sind in Hessen gewährleistet.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Antragsstellers verworfen.
Der Gegenstandswert wird auf 4000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist bei der X gGmbH in ... nach § 63 StGB auf der Station …
untergebracht. Am Abend des 08.04.2008 wurde er von Pflegekräften, die auf
privat-rechtlicher Grundlage beschäftigt sind, in Einschluss genommen.
Hintergrund dafür war, dass der Antragssteller aus Sicht der Pflegekräfte den
Versuch unternahm, die Stationstür zu öffnen. Als er aufgefordert wurde, sich von
der Tür zu entfernen, war er im Begriff, eine Pflegekraft anzugreifen, weshalb eine
zweite Pflegekraft hinzukam. Der Antragsteller schrie: „Ich schneide dir den Hals
durch, Arschloch, gehe nicht ins Zimmer!“. Daraufhin wurde er in Einschluss
genommen, wobei nicht geklärt werden konnte, ob er in seinem
Unterbringungsraum oder in einer Beruhigungszelle eingeschlossen wurde. Von
der Maßnahme wurde nachträglich der leitende diensthabende Arzt unterrichtet.
Seit der Änderung des Hessischen Maßregelvollzugsgesetzes durch Gesetz vom
05.07.2007 gestattet § 2 HessMVollzG, dass Träger von Einrichtungen des
Maßregelvollzuges auch Kapitalgesellschaften sein können, deren Anteile
vollständig vom Landeswohlfahrtverband Hessen, einer Körperschaft des
öffentlichen Rechts, gehalten werden oder einer Gesellschaft des
Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, an der der Landeswohlfahrtverband Hessen
ebenfalls sämtliche Anteile hält, soweit diese die notwendige Zuverlässigkeit und
Sachkunde aufweist.
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Die Übertragung der Aufgabe des Maßregelvollzuges erfolgt in einem solchen Fall
nach § 2 S. 4 HessMVollzG im Wege der Beleihung durch öffentlich-rechtlichen
Vertrag. Auch für den Fall der Beleihung bleiben nach § 2 S. 6 HessMVollzG die
Leiterinnen und Leiter der Einrichtung, sowie die Stellvertreterinnen und
Stellvertreter und die weiteren Ärztinnen und Ärzte mit Leitungsfunktionen
Beschäftigte des Landeswohlfahrtsverbandes und treffen gemäß § 2 HessMVollzG
die Ermessensentscheidungen, die in Grundrechte der Untergebrachten
eingreifen.
Entsprechend § 2 S. 4 HessMVollzG haben am 23.10.2007 das Land Hessen,
vertreten durch das Sozialministerium, und die Antragsgegnerin, die Zentrum für
Soziale Psychiatrie ... gemeinnützige GmbH (im folgenden X gGmbH), deren
Gesellschafter zu 5,1% der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen und zu 94,9%
die LWV-Gesundheitsmanagment GmbH sind, vertreten durch die Geschäftsführer,
einen Beleihungsvertrag geschlossen mit dem der X gGmbH unter anderem die
Aufgabe übertragen wurde, den Vollzug der als Maßregel der Besserung und
Sicherung angeordneten Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus
im eigenen Namen für das Land Hessen nach Maßgabe des Vollstreckungsplanes
nach § 4 HessMVollzG durchzuführen.
§ 4 des Beleihungsvertrages bestimmt folgendes:
(1) Dem Träger werden hiermit die für die Durchführung der Aufgaben nach § 1
Hessisches Maßregelvollzugsgesetz erforderlichen hoheitlichen Befugnisse
verliehen. Insbesondere wird dem Träger die Befugnis verliehen, Eingriffe in die
Grundrechte der Patienten und anderen Personen vorzunehmen, zu denen das
Hessische Maßregelvollzugsgesetz ermächtigt. …
(2) Der Träger trägt die Gesamtverantwortung für die Rechtmäßigkeit,
Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Erfüllung der übertragenen Aufgaben.
Unter dieser Gesamtverantwortung obliegen alle Maßnahmen der Durchführung
des Maßregelvollzuges nach § 5 Abs. 2 und §§ 6 bis 37 Maßregelvollzugsgesetz
sowie § 126 a StPO der Verantwortung des Leiters der Einrichtung des
Maßregelvollzuges.
(3) Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter, die oder der mit der Aufgabe des
Maßregelvollzuges betraut ist, trägt für die Rechtmäßigkeit ihrer oder seiner
Anordnung und Handlungen persönlich Verantwortung.
§ 5 des Beleihungsvertrages, der das Weisungsrecht ausgestaltet, lautet wie folgt:
(1) Der Leiter der Einrichtung des Maßregelvollzuges erfüllt seine Aufgaben
innerhalb des ihm gesetzlich und durch § 4 Abs. 2 dieses Vertrages zugewiesenen
Verantwortungsbereiches eigenverantwortlich unter Beachtung der öffentlich-
rechtlichen Bestimmungen und nach Maßgabe der dem Träger nach § 3 Abs. 2
des Hessischen Maßregelvollzugsgesetzes erteilten Weisungen. Der Träger ist
hinsichtlich dieses Verantwortungsbereiches gegenüber dem Leiter nicht zu
eigenen Weisungen befugt.
(2) Der Leiter der Einrichtung übt gegenüber den in der Einrichtung eingesetzten
Mitarbeitern ein fachliches Weisungsrecht aus.
(3) Der Träger übt sein Weisungsrecht insbesondere in Angelegenheiten der
Betriebsorganisation, der Verwaltung und der betriebswirtschaftlichen und
finanziellen Rahmenbedingungen aus, soweit dadurch nicht in den gesetzlichen
und nach diesem Vertrag festgelegten Verantwortungsbereich des Leiters der
Einrichtung eingegriffen wird….
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag
des Untergebrachten auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des sofort vollzogenen
Einschlusses zurückgewiesen. Der am 08.04.2008 von zwei pflegerischen
Mitarbeitern angeordnete und durchgeführte Einschluss des Antragsstellers sei als
Sicherungsmaßnahme gemäß § 36 HessMVollzG zulässig gewesen. Insbesondere
seien die pflegerischen Mitarbeiter zur Anordnung des Einschlusses auch befugt
gewesen. Bedienstet im Sinne des § 5 Abs. 3 HessMVollzG sei, wie sich aus der
Auslegung dieser Vorschrift ergebe, auch Personal, das auf privatrechtlicher
Grundlage beschäftigt sei. Gründe, die für eine Nichtigkeit des
Beleihungsvertrages und somit für eine Unwirksamkeit der Beleihung sprächen,
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Beleihungsvertrages und somit für eine Unwirksamkeit der Beleihung sprächen,
seien nicht vorhanden. Insbesondere ein Nichtigkeitsgrund nach § 59 Abs. 2 Ziffer
1 Hess VwVfG liege nicht vor, denn weder ein Verstoß gegen Art 33 Abs. 4 GG
noch gegen das Demokratieprinzip lägen auf der Hand.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Untergebrachten, der beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten
Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuweisen. Der
Beschwerdeführer rügt die Verletzung materiellen Rechts und begründet dies, was
im Einzelnen ausgeführt wird, damit, dass die Maßnahme gegen Art. 33 Abs. 4 GG
und gegen das Demokratieprinzip verstoßen habe.
Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse sei Angehörigen des öffentlichen Dienstes
vorbehalten und dürfe nicht durch Angestellte einer privaten GmbH durchgeführt
werden.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und erfüllt die
besonderen Zulassungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, weil die
Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten ist. Die Frage, ob Bedienstete im Sinne des § 5
HessMVollzG nur die auf öffentlich-rechtlicher Grundlage im Wege des
Beamtenverhältnisses Beschäftigten sind, oder auch solche, die auf
privatrechtlicher Grundlage tätig werden, ist in der Rechtsprechung noch nicht
behandelt worden. Der Einzelfall gibt hier daher Anlass festzustellen, dass
Bedienstete im Sinne des § 5 HessMVollzG auch die auf privatrechtlicher
Grundlage Beschäftigten sind.
III.
In der Sache ist die Rechtsbeschwerde dementsprechend unbegründet.
Die hier tätig gewordenen Pflegekräfte waren zur Anordnung der besonderen
Sicherungsmaßnahme des Einschlusses befugt. Grundsätzlich ist die Anordnung
von Sicherungsmaßnahmen nach § 36 HessMVollzG gemäß § 5 Abs. 2 des
HessMVollzG zwar dem Leiter der Einrichtung vorbehalten. Bei Gefahr im Verzug,
die hier gegeben war, können nach § 5 Abs. 3 HessMVollzG aber auch sonstige
Bedienstete der Einrichtung des Maßregelvollzuges besondere
Sicherungsmaßnahmen vorläufig anordnen.
Im Einzelnen bestimmt § 5 HessMVollzG folgendes:
(1) Im Maßregelvollzug obliegen die Aufgaben der Vollzugsbehörde, soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, der Einrichtung des Maßregelvollzuges.
(2) Entscheidungen nach § 7 Abs. 2, § 8, § 9 Abs. 1 und § 10 und Anordnungen
nach § 36 sind dem Leiter der Einrichtung des Maßregelvollzuges vorbehalten.
(3) Bei Gefahr im Verzuge dürfen auch Bedienstete der Einrichtung des
Maßregelvollzuges, denen die Befugnisse nach Abs. 2 nicht zustehen, besondere
Sicherungsmaßnahmen vorläufig anordnen; eine Anordnung nach § 36 Abs. 3 Satz
2 darf nur ein Arzt treffen. Der Leiter der Einrichtung des Maßregelvollzuges ist von
einer vorläufigen Anordnung nach Satz 1 unverzüglich zu unterrichten.
Der Begriff des „Bediensteten“ wird im HessMVollzG nicht definiert. Nach dem
Wortlaut des § 5 Abs. 3 HessMVollzG, der keine Einschränkung hinsichtlich der Art
des Beschäftigungsverhältnisses vornimmt, ist jegliches Personal, das auf der
Grundlage eines Dienstverhältnisses, sei es öffentlich-rechtlicher oder privat-
rechtlicher Natur, bei der Antragsgegnerin beschäftigt ist, zur vorläufigen
Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bei Gefahr im Verzug berechtigt. Dabei
ist, wie sich aus der Norm selbst ergibt, eine einschränkende Auslegung dieses
Begriffes insoweit vorzunehmen, dass dazu lediglich solches Personal gehört, das
überhaupt befugt ist, im Sinne dieser Norm „anzuordnen“. Eine solche
Anordnungskompetenz haben weder Reinigungspersonal noch Hausmeister,
allerdings das hier handelnde pflegerische Personal.
Der Begriff des Bediensteten dürfte damit ausgehend vom Wortlaut im
Wesentlichen dem des „therapeutischen Mitarbeiters“ entsprechen, den das
Maßregelvollzugsgesetz Schleswig Holstein in § 7 gewählt hat, der die
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Maßregelvollzugsgesetz Schleswig Holstein in § 7 gewählt hat, der die
Zuständigkeit für die Anwendung besonderer Sicherungsmaßnahmen regelt und
bei Gefahr im Verzug für bestimmte Maßnahmen diese ermächtigt.
Auch bei systematischer Auslegung ergibt sich keine Einschränkung der Norm
dahingehend, dass „Bedienstete“ nur solche sein sollen, die aufgrund eines
öffentlich-rechtlichen Vertrages beschäftigt sind. Im Gegenteil spricht, worauf die
Strafvollstreckungskammer zu Recht hinweist, die in § 2 HessMVollzG eingeräumte
Möglichkeit der Beleihung mit der zwangsläufigen – und vom Gesetzgeber
gewollten - Folge, dass der Beliehene Personal auf privatrechtlicher Grundlage
beschäftigt, dafür, dass auch dieses in den Kreis der genannten Bediensteten
einzubeziehen ist. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber bei Einräumung der
Möglichkeit der Beleihung durch Gesetz vom 05.07.2007 ohne Weiteres auch den
seit 1981 geltenden § 5 HessMVollzG ändern können.
Die für den Strafvollzug geltende Parallelvorschrift des § 91 StVollzG führt ebenfalls
nicht zu einer anderen Auslegung des § 5 Abs. 3 HessMVollzG.
Die Vorschrift lautet: „Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter
an. Bei Gefahr im Verzuge können auch andere Bedienstete der Anstalt diese
Maßnahmen vorläufig anordnen. Die Entscheidung des Anstaltsleiters ist
unverzüglich einzuholen.“
Da die Aufgaben der staatlichen Justizvollzugsanstalten generell nach § 155 Abs. 1
StVollzG von Justizvollzugsbeamten wahrgenommen werden, sind „andere
Bedienstete“ im Sinne des § 91 StVollzG ebenfalls Beamte, wobei darunter solche
gefasst werden, die „weisungsbefugt sind und nicht einfache Beamte des
Vollzugsdienstes“ (Brühl in Feest, StVollzG, 5. Aufl. § 91 Rn 5) oder auch „weitere
höhere Beamte und der Abteilungsleiter“ (Arloth, StVollzG, 2. Aufl, § 91, Rn 1). Die
Auslegung dieses Begriffs des Bediensteten kann aber nicht ohne Weiteres auf
den Maßregelvollzug übertragen werden. Die Vorschriften über den Vollzug der
Freiheitsstrafen sind im Maßregelvollzug grundsätzlich nicht entsprechend
anwendbar, vielmehr bestimmt § 138 StVollzG, dass sich die Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt nach
Landesrecht richtet. Dabei hat der Gesetzgeber die gesetzliche Regelung des
Vollzugs der Maßregeln der Besserung und Sicherung dem Landesrecht
überlassen mit dem Ziel, den Maßregelvollzug im wesentlichen nach den Kriterien
auszurichten, die für die Behandlung der übrigen Patienten eines Psychiatrischen
Krankenhauses oder einer Erziehungsanstalt gelten (Bundestagsdrucksache
10/267 S. 5). Dementsprechend ist die Behandlung der in einem psychiatrischen
Krankenhaus Untergebrachten in erster Linie nach ärztlichen bzw. therapeutischen
Aspekten vorzunehmen, was eher gegen eine Begrenzung auf verbeamtete Kräfte
spricht.
Mit Art. 33 Abs. 4 GG ist diese Auslegung entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers ebenfalls vereinbar. Danach ist die Ausübung
hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des
öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlichen Dienst- und
Treueverhältnis stehen, also Berufsbeamten (Kunig in von Münch/Kunig, GG, 5.
Aufl., Art. 33 GG Rn. 39 m.w.N.). Was unter der Ausübung hoheitsrechtsrechtlicher
Befugnisse zu verstehen ist, ist im Einzelnen streitig. Nach einhelliger Auffassung
(zu diesem Konsens Masing in Dreier, GG, 20. Aufl, Art. 33 Rn 64) allerdings ist die
Anwendung von Eingriffsbefugnissen gegenüber dem Bürger hoheitsrechtlicher
Natur.Die Ausübung von Sicherheits- und Aufsichtbefugnissen, die in Grundrechte
der Untergebrachten eingreifen, unterfällt daher ohne Zweifel dem Bereich der
Ausübung hoheitlicher Befugnisse. Der Funktionsvorbehalt gilt jedoch nur „in der
Regel“. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass
Ausnahmen von dieser Regel zulässig seien und eine Verletzung des Art 33 Abs. 4
GG erst dann vorliege, wenn die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse in
größerem Umfang auf Nichtbeamte übertragen würde (BVerfGE 9, 268, 284 = NJW
1959, 1171). Konkret für den Bereich des Maßregelvollzugs wird zwar in der
Literatur zum Teil vertreten, dass es, soweit in Grundrechte eingegriffen werde,
keine Ausnahme geben könne (vergl. Grünebaum, Zur Privatisierung des
Maßregelvollzuges, Wie eine Diskussion haarscharf am Kern vorbeigeht, R & P
2006, S. 55, 58; Pollähne, Maßregelvollzug auf Abwegen, R & P 2001, 195, 198;
Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl., 2002, A.II.3. A 130; Willenbruch,
Bischoff, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Privatisierung des
Maßregelvollzuges, NJW 2006, S. 1776 ff.). Die Entscheidung, welche Aufgaben
ausnahmsweise auch von nichtbeamteten Personen wahrgenommen werden
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ausnahmsweise auch von nichtbeamteten Personen wahrgenommen werden
können, ist allerdings in erster Linie dem Gesetzgeber zu überlassen (vergl.
BVerwGE 57, 55, Urteil vom 27.10.1978). Eine aufgrund sachlicher Erwägungen
vorgenommene Beleihung mit der Konsequenz der Ausübung hoheitsrechtlicher
Befugnisse auch durch Nichtbeamte ist daher hinzunehmen (vergl. z.B.
Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 15.01.2002; Haug,
NVwZ 1999, 816, der einschränkend einen sachlich „zwingenden“ Grund fordert;
Beschluss vom 21.07.1997, 7 K 7532/95, NdsVBl 1998, 16; Bonk,
JZ 2000, 435, 439). Wie sich den Äußerungen anlässlich der ersten Lesung des
Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des
Maßregelvollzugs entnehmen lässt (Drucksachennummer 16/7237, 03.05.2007,
Tagesordnungspunkt 7), wollte der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Beleihung
unter anderem Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des
Landeswohlfahrtsverbandes sicherstellen.
Dies sind sachliche Gründe. Die teilweise vertretene Auffassung, finanzielle
Erwägungen könnten eine Ausnahmeregelung nicht begründen (z.B. LG Flensburg,
Beschluss vom 02.03.2005, 6 T 1/05, wonach „allgemeine Kostengesichtspunkte“
jedenfalls im Bereich des Maßregelvollzuges nicht ausreichen sollen) ist angesichts
dessen, dass nach § 7 Abs. 1 der Hessischen Landeshaushaltsordnung bei
Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes auch die Grundsätze der
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten sind und der Rechnungshof im
Rahmen seiner Prüfung auch die Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit zum Gegenstand hat (HessStGH Urteil vom 27.04.1994, NVwZ-
RR 1994, 678) wenig überzeugend. Zu berücksichtigen ist bei der wertenden
Betrachtung, ob eine Ausnahme von der in Art 33 Abs. 4 GG vorgegebenen Regel
zulässig ist, entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch,
dass grundsätzlich die Anordnung von Sicherheitsmaßnahmen durch den Leiter
der Anstalt zu erfolgen hat. Nur bei „Gefahr im Verzug“ sind die Pflegekräfte dazu
ebenfalls befugt. Auch wenn stets die Gefahr besteht, dass eine untergebrachte
Person „außer Kontrolle“ gerät und die vor Ort tätige Pflegekraft aus
Sicherheitsgründen eingreifen muss, ist dies nicht die Haupttätigkeit des
pflegerischen Personals, sondern eher die Ausnahme, sodass die Ausübung
hoheitlicher Befugnisse im Hinblick auf das Gesamtbild jedenfalls nicht von solcher
Bedeutung ist, dass von einer ins Gewicht fallenden Gefährdung der in Art. 33 Abs.
4 GG getroffenen Funktionsverteilung gesprochen werden könnte.
Auch das in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Demokratieprinzip führt nicht zu einer
anderen Auslegung.
Das Demokratieprinzip ist im Grundgesetz als eines der grundlegenden
Strukturprinzipien des Staates festgelegt. Wesentlicher Ausdruck dieses Prinzips
ist, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, vom Volk in Wahlen und
Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird (Art. 20 Abs. 2 GG).
Diese Grundentscheidung ist nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch für die
verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich. Ausgehend vom Volk als
Träger und Inhaber der Staatsgewalt folgt aus dem Demokratieprinzip nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht, dass die Wahrnehmung
staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse einer Legitimation
bedürfen, die sich auf das Volk selbst zurückführen lässt (BVerfGE 93, 37ff,
m.w.N.). Die dazu in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in
der Literatur entwickelten unterschiedlichen Formen der institutionellen,
funktionellen, sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation haben
Bedeutung nicht je für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken; notwendig ist
ein bestimmtes „Legitimationsniveau", das bei den verschiedenen
Erscheinungsformen von Staatsgewalt unterschiedlich ausgestaltet sein kann.
Dabei ist das zu fordernde Niveau der demokratischen Legitimation desto höher,
je intensiver die grundrechtliche Relevanz des amtlichen Handelns ist (BVerfGE 93,
37, 73).
Durch den Beleihungsvertrag vom 24.07.2007 wurde der Träger der Einrichtung
mit den für die Durchführung des Vollzuges der Maßregel erforderlichen
hoheitlichen Befugnissen beliehen. Da auch nach der Privatisierung der ärztliche
Direktor, dessen Stellvertreter und die leitende Ärzte Beschäftigte des
Landeswohlfahrtsverbandes blieben und in einem öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnis stehen, § 2 HessMVollzG, ist für ihr Handeln eine personelle
Legitimation gegeben, während die Pflegekräfte auf der Grundlage
privatrechtlicher Verträge angestellt sind und im Beleihungsvertrag nicht genannt
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privatrechtlicher Verträge angestellt sind und im Beleihungsvertrag nicht genannt
werden. Dementsprechend sind die Pflegekräfte nicht durch den Beleihungsvertrag
mit der Ausübung hoheitlichen Aufgaben beauftragt worden. Eine
ununterbrochene Legitimationskette liegt somit nicht vor.
Allerdings bestehen hier Aufsichts- und Weisungsmöglichkeiten, die die
tatsächliche Sachherrschaft des Landes Hessen über den Maßregelvollzug durch
die X gGmbH sicherstellen. Bei Vorliegen solcher Aufsichts- und
Weisungsmöglichkeiten kann eine fehlende personelle Legitimation ausgeglichen
werden (so auch grundsätzlich Schleswig Holsteinisches Oberlandesgericht, 2.
Zivilsenat, Beschluss vom 19.10.2005, 2 W 120/05; a.A. der Niedersächsischen
Staatsgerichtshof, nach dem die durch die Fachaufsicht vermittelte sachlich-
inhaltliche Legitimation im Bereich des Maßregelvollzugs eine fehlende personelle
Legitimation nicht auszugleichen vermag, da eine effektive Fachaufsicht nur
geeignet sei, eine geminderte, personelle Legitimation zu kompensieren, um
insgesamt ein ausreichendes Legitimationsniveau zu erreichen; Urteil des
Niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 17.10.2008, StGH 2/07, S. 34).
Zunächst sieht § 3 Abs. 2 HessMVollzG vor, dass die Fachaufsichtsbehörde
(Sozialminister/RP) den Trägern der Einrichtungen des Maßregelvollzuges
allgemein Weisungen erteilen kann und Weisungen im Einzelfall, wenn die Aufgabe
des Maßregelvollzuges nicht im Einklang mit den Gesetzen wahrgenommen oder
die erteilten allgemeinen Weisungen nicht befolgt werden.
Darüber hinaus sind der Leiter der Einrichtung sowie der Stellvertreter und die
weiteren Ärzte und Ärztinnen mit Leitungsfunktion auch weiterhin Beschäftige des
Landeswohlfahrtsverbandes (§ 2 HessMVollzG), stehen also im einem öffentlich-
rechtlichen Dienstverhältnis zum Land. Dadurch ist gewährleistet, dass das Land
auch weiterhin den erforderlichen Einfluss auf die Durchführung des
Maßregelvollzuges hat, denn der Leiter der Einrichtung übt gegenüber den in der
Einrichtung eingesetzten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein fachliches
Weisungsrecht aus (§ 5 Abs. des Beleihungsvertrages). Alle Maßnahmen der
Durchführung des Maßregelvollzugs nach § 5 Abs 2 des Beleihungsvertrages und
§§ 6 bis 37 HessMVollzG sowie § 126 a StPO obliegen seiner Verantwortung (§ 4
Abs. 2 Beleihungsvertrages) und dies unter der Gesamtverantwortung des Trägers
für die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Erfüllung der
übertragenen Aufgaben (§ 4 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 des Beleihungsvertrages),
was zur Folge hat, dass der Träger dafür Sorge zu tragen hat, dass das Personal
der Einrichtungen den Weisungen Folge leistet. Hinsichtlich des in § 5 Abs. 1
festgelegten Verantwortungsbereichs des Leiters hat der Träger gegenüber dem
Leiter der Einrichtung auch kein Recht zu eigenen Weisungen.
Im konkreten Fall der Befugnisse der Bediensteten, nach § 5 Abs. 3 HessMVollzG
bei Gefahr im Verzug besondere Sicherungsmaßnahmen vorläufig anordnen zu
dürfen, ist der Leiter nach einer vorläufigen Anordnung unverzüglich zu
unterrichten.
Das heißt, sofern nicht bereits sogar im vorhinein durch den Leiter der Einrichtung
im Hinblick auf eine bestimmte untergebrachte Person eine allgemeine Weisung
erteilt wurde – was hier nicht festgestellt ist -, kann jedenfalls davon ausgegangen
werden, dass lediglich in einem überschaubaren Zeitraum keine unmittelbare
Eingriffs- und Kontrollmöglichkeit durch eine in parlamentarischer Verantwortung
stehende Aufsichtsperson besteht.
Nach alledem war die vorgenommene Maßnahme rechtmäßig und die
Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG; die Festsetzung
des Gegenstandwertes erfolgte gemäß §§ 60, 52 Abs. 1, 65 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.