Urteil des OLG Frankfurt vom 02.02.2010
OLG Frankfurt: beginn der frist, klinik, unterbringung, persönlichkeitsstörung, geisteskrankheit, fortdauer, straftat, freiheit, diagnose, vollstreckungsverfahren
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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 81/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 63 StGB, § 67d Abs 2 StGB ,
§ 67e Abs 1 StGB, § 67e Abs 4
StGB, § 140 Abs 2 StPO
Pflichtverteidigerbestellung für Überprüfungsverfahren
nach §§ 67 e I, 67 d II StPO
Leitsatz
1. Der Beginn der Fünf-Jahres-Frist in § 463 IV 1 StPO bemisst sich nach § 67 e IV StGB.
Die erste Frist beginnt demnach mit der Aufnahme des Untergebrachten im
Maßregelvollzug, die nachfolgenden beginnen jeweils mit der Beschlussfassung, der ein
externes Gutachten zu Grunde liegt. Letzteres gilt auch dann, wenn das
Sachverständigengutachten vorzeitig eingeholt wurde.
2. Zur Frage, wann außerhalb der Fälle des § 463 IV 5 StPO dem in einen
psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten für das Überprüfungsverfahren nach § §
67 e I, 67 d II StPO einen Pflichtverteidiger zu bestellen.
Tenor
Die Beschwerde wird aus den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der
angefochtenen Entscheidung auf Kosten des Verurteilten (§ 473 I StPO) verworfen.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Gründe
Ein Fall des § 463 IV 5 StPO liegt – entgegen der Ansicht der
Generalstaatsanwaltschaft – nicht vor. Nach § 463 IV 1 StPO ist nur nach 5
Jahren ein externes Gutachten einzuholen. Der Fristenlauf richtet sich dabei nach §
67e IV StGB (Senat, Beschl. v. 18.06.2008 – 3 Ws 552/08 und v. 18.08.2008 – 3 Ws
731/08; i.E. ebenso OLG Karlsruhe, Justiz 2008, 145). Danach begann die Frist
ursprünglich mit Beginn der Unterbringung am 29.01.2004 zu laufen. Dem
Fortdauerbeschluss vom 08.12.2006 lag indes das vom – damals noch
zuständigen – Vollstreckungsleiter eingeholte Gutachten Prof. X zu
Grunde. Dies hat zur Folge, dass eine neue 5-Jahresfrist, beginnend mit dem
Datum der Entscheidung in Lauf gesetzt wurde (vgl. Groß, in: MüKo-StGB § 67 e Rn
6 mwN), die demzufolge erst für die Regelüberprüfung Relevanz erlangt.
Dass das Gutachten vor Erreichen der 5 -Jahresfrist eingeholt wurde, ist für den
neuerlichen Beginn der Frist ohne Bedeutung. Denn die Vorschrift soll
entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 70, 297)
Routinebeurteilungen durch die Maßregelanstalt vorbeugen, die nach der
gesetzgeberischen Wertung (zur Notwendigkeit einer früheren
externen Begutachtung vgl. OLG Zweibrücken, NStZ-RR 2008, 291) erst nach
Ablauf von 5 Jahren nach Beginn der Unterbringung, . der letzten, auf einer
externen Begutachtung beruhenden Fortdauerentscheidung zu besorgen ist. Für
die Notwendigkeit einer Abweichung von der Regel gibt es, da das
externe Gutachten in Diagnose und Prognose mit der Einschätzung der Klinik
übereinstimmt, keinen Anlass.
Danach gelten die allgemeinen Regeln für die Bestellung eines Pflichtverteidigers.
Im Vollstreckungsverfahren gilt nicht § 140 I StPO, auch nicht – entgegen der
Ansicht der Verteidigerin – analog. Vielmehr muss in entsprechender Anwendung
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Ansicht der Verteidigerin – analog. Vielmehr muss in entsprechender Anwendung
des § 140 II StPO ein Verteidiger nur bestellt werden, wenn die Schwierigkeit der
Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte
sachgemäß wahrzunehmen, es erfordern (vgl. Senat, Beschl. v. 29. 10 2003 – 3
Ws 1194/03. v. 24.1.2006 – 3 Ws 55/06 und v. 30.9.2005 – 3 Ws 859/05; st. Rspr.).
Dies ist hier nicht der Fall.
Die bei der Regelüberprüfung gem. § 67 e StGB anstehenden tatsächlichen und
rechtlichen Fragestellungen sind nicht derart kompliziert, dass sie – wie die
Verteidigerin meint – die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebieten.
Dies erhellt die Entscheidung des Gesetzgebers, nur in den Fällen des § 463 III 5
StPO, die hier nicht einschlägig sind, und bei der Regelüberprüfung nach 5- jähriger
Unterbringungsdauer (§ 463 IV 1 StPO), die hier, wie aufgezeigt, noch nicht
ansteht, die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzuschreiben. Für besondere
Schwierigkeiten des Überprüfungsverfahrens im konkreten Fall bietet der
Akteninhalt keinen Anhalt.
Von mangelnder Verteidigungsfähigkeit des Verurteilten kann ebenfalls nicht
ausgegangen werden. Es mag sein, dass es demjenigen, der in eigener Sache und
zudem seiner Freiheit beraubt die Verteidigung führt, an Distanz zur Sache,
namentlich zum eigenen (inneren) Erleben fehlt, wie die Verteidigung bered
ausführt. „Einschränkung“ der Verteidigungsfähigkeit hat der Gesetzgeber
indes hingenommen, wie auch und gerade die Neuregelung des § 463 IV 5 StPO
zeigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 26.7.2006 – 3 Ws
701/06 und v. 23.2.2009 – 3 Ws 161/09 – ebenso OLG Köln, NStZ 2005, 466 jew.
mwN) ist demzufolge lediglich demjenigen, der wegen einer Straftat, für die er
wegen einer Geisteskrankheit nicht verantwortlich gemacht werden kann (§ 20
StGB), im Verfahren über die Fortdauer der Unterbringung analog §
140 II StPO ein Verteidiger zu bestellen, da bei diesem grundsätzlich angenommen
werden muss, dass er bei der erforderlichen Anhörung nicht in der Lage ist, sich
mit der Stellungnahme der Klinik auseinanderzusetzen und die Argumente, die zu
seinen Gunsten sprechen, darzulegen. Der Verurteilte gehört aber nicht zu diesem
Personenkreis, bei ihm wurde nur eine erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) angenommen. Vor allem hat die - auch vom externen
Gutachter bestätigte - Störung (kombinierte Persönlichkeitsstörung und multiple
Störung der Sexualpräferenz), die zu seiner Unterbringung führte und nach den
Stellungnahmen der Klinik fortbesteht, anders als etwa Psychosen oder gar
Debilität (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 26.7.2006 – 3 Ws 701/06; OLG Nürnberg,
NStZ-RR 2008, 253) auf die Verteidigungsfähigkeit keinen nennenswerten Einfluss.
Nach den Feststellungen des Urteils vom 07.01.2004 und den Stellungnahmen der
Klinik ist der Verurteilte ferner überdurchschnittlich intelligent, wie auch sein
Lebensweg und die ordentlichen Leistungen beim seinem Vorhaben, das
Fachabitur nachzuholen, zeigen. Das externe Gutachten und die Stellungnahmen
der Klinik werfen auch keine Fragen auf, mit denen ein Betroffener mit dieser
intellektuellen Ausstattung überfordert wäre (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 23.2.2009
– 3 Ws 161/09; Beschl. v. 14.1.2008 – 3 Ws 26/08; KG, StraFo 2006, 342). Das
Vorliegen der Persönlichkeitsstörung und der sexuelle Devianz ist unzweifelhaft, es
stehen lediglich die therapeutischen Fortschritte des Untergebrachten und die
Anforderungen an den sozialen Empfangsraum in Rede. Hierzu ist der Verurteilte
eindeutig in der Lage, sich ausreichend zu äußern, wie externes Gutachten und die
Stellungnahmen der Klinik ausweisen. Er hat schließlich gem. § 147 VI StPO
Anspruch auf Aushändigung von Abschriften aus der Akte, auch des Gutachtens
und der Klinikstellungnahmen, so dass er – entgegen der Ansicht der Verteidigerin-
keines Verteidigers zum Zwecke der Akteneinsicht bedarf.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.