Urteil des OLG Frankfurt vom 04.02.2010
OLG Frankfurt: beweisverfahren, ergänzung, beweiswürdigung, vorrang, quelle, verwaltungsrecht, immaterialgüterrecht, zivilprozessrecht, anfechtung, anschluss
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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 7/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 411 ZPO, § 412 Abs 1 ZPO, §
492 ZPO, § 657 Abs 1 Nr 2
ZPO
(Selbstständiges Beweisverfahren: Vorrang der mündlichen
Erläuterung des Sachverständigengutachtens vor der
Neubegutachtung und Statthaftigkeit der sofortigen
Beschwerde gegen die Ablehnung der Neubegutachtung)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 14.
Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8.
Dezember 2009 in der Fassung des Beschlusses vom 27. Januar 2010 wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
Gründe
Die Antragstellerin hat im Juli 2007 die Durchführung des selbständigen
Beweisverfahrens im Wege der schriftlichen Begutachtung durch einen
Sachverständigen bezüglich behaupteter Mängel an einer von der
Antragsgegnerin zu 1. hergestellten Pflasterung im Außenbereich von Lagerhallen,
die Antragsgegnerin zu 2. hat für die Bauleistung eine Gewährleistungsbürgschaft
übernommen, beantragt. Dem Antrag hat das Landgericht mit Beschluss vom
12.09.2007 (Bl. 162 – 164) entsprochen. Nachfolgend hat die Antragstellerin mit
Schriftsatz vom 27.10.2008 (Bl. 252 bis 258) die schriftliche Erläuterung und
Ergänzung des Gutachtens zu weiteren Fragen beantragt. Dies hat das
Landgericht mit Beschluss vom 18.11.2008 (Bl. 261, 262) angeordnet. Auf das
Ergänzungsgutachten vom 31.01.2009 (Bl. 274 bis 278) hat die Antragstellerin
zunächst angekündigt, eine Ergänzung des Gutachtens gegebenenfalls für
erforderlich zu halten und sich um dessen umfassende technische Begutachtung
zu bemühen. Nachdem die Antragsgegnerinnen eine Erläuterung des
Ergänzungsgutachtens beantragt haben, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz
vom 15. April 2009 (Bl. 301 bis 308) die Einholung des Gutachtens eines weiteren
Sachverständigen gemäß § 412 Abs. 1 ZPO namentlich mit der Begründung
beantragt, das zwischenzeitlich eingeholte Privatgutachten (Bl. 309 bis 324)
gelange zu dem Ergebnis, der gerichtlich beauftragte Sachverständige lasse
tatsächliche Ursächlichkeiten außer Betracht, wende nicht einschlägige
Vorschriften in unzutreffender Weise an und ziehe hinsichtlich der Ursachen der
Schäden falsche Schlüsse, das gerichtliche Gutachten könne also keinen Bestand
haben. Hilfsweise hat die Antragstellerin mündliche Erläuterung seines Gutachtens
durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen beantragt. Dem Antrag auf
Neubegutachtung sind die Antragsgegnerinnen entgegen getreten.
Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 343, 344) hat das Landgericht den Antrag
auf Neubegutachtung zurückgewiesen und auf den Hilfsantrag der Antragstellerin
dieser aufgegeben, die an den gerichtlich bestellten Sachverständigen konkret zu
richtenden Fragen binnen dreiwöchiger Frist zu formulieren und einen weiteren
Auslagenvorschuss einzuzahlen.
Gegen den ihr am 10.12.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am
21.12.2009 sofortige Beschwerde (Bl.356 bis 363) eingelegt, der die
Antragsgegnerinnen entgegen getreten sind und die das Landgericht mit
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Antragsgegnerinnen entgegen getreten sind und die das Landgericht mit
Beschluss vom 27.01.2010 zurückgewiesen und dem Oberlandesgericht zur
Entscheidung vorgelegt hat. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 3. Februar
2010 weiter begründet, warum das Gutachten des gerichtlich bestellten
Sachverständigen ungenügend und seine Sachkunde zweifelhaft sei.
Die Beschwerde ist form- und binnen der zweiwöchigen Notfrist zur Einlegung der
Beschwerde (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) fristgerecht eingelegt und auch sonst
zulässig, insbesondere statthaft als, was hier allein in Betracht kommt, gegen eine
im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung des Landgerichts gerichtet, durch
die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (§ 567 Abs.
1 Nr. 2 ZPO).
Der Senat teilt die Ansicht des 4. Zivilsenats des Oberlandesgericht Frankfurt am
Main (Beschluss vom 7.12.2007 – 4 W 64/07, BauR 2008, 1183, Juris-Rz. 2 mit w. N.
zur Gegenansicht), dass dem in vorliegender Konstellation nicht die hergebrachte
Auffassung entgegen steht, ein „das Verfahren betreffendes Gesuch“ im Sinne
von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sei nicht gegeben, wenn es für die Tätigkeit des
Gerichts keines Gesuches bedarf, sondern die Entscheidung von Amts wegen zu
ergehen hat (etwa BGH MDR 2004, 699; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 567
Rz. 15; MünchKomm-ZPO/Braun, 2. Aufl., § 567 Rz. 7; Zöller/Gummer, ZPO, 26.
Aufl., § 567 Rz. 31 ff.). Für die von der Antragstellerin erstrebte Entscheidung ist
zwar in § 412 Abs. 1 ZPO kein Antrag vorgesehen, die Norm besagt lediglich, das
Gericht könne die Entscheidung treffen. Hieraus ist nicht zu folgern, dass im
selbständigen Beweisverfahren eine sofortige Beschwerde mangels Notwendigkeit
eines Gesuches ausgeschlossen ist, weil die Gesetzesfassung, nach der das
Gericht auch ohne Antrag eine neue Begutachtung anordnen „kann“, auf der
besonderen Struktur des Erkenntnisverfahrens beruht; hiernach ist die
Entscheidung des Prozessgerichts, ob es eine weitere Begutachtung zum
Beweisthema durchführen lassen will, Teil der Beweisaufnahme, deshalb der
Anfechtung entzogen (vgl. § 355 Abs. 2 ZPO) und einer Überprüfung erst durch
das Rechtsmittelgericht, insbesondere im Fall einer zulässigen Berufung (vgl. § 529
Abs. 1 Nr. 1 ZPO), zugänglich.
Während das erstinstanzliche Prozessgericht schon aufgrund seiner Pflicht zur
Ausschöpfung der angebotenen Beweise und des Grundsatzes umfassender
Beweiswürdigung ( § 286 ZPO) von Amts wegen gehalten ist, die Notwendigkeit
einer erneuten Begutachtung nach § 412 Abs. 1 ZPO zu prüfen, trifft im
selbständigen Beweisverfahren das Gericht, weil es keine Beweiswürdigung nach §
286 ZPO vorzunehmen hat, keine Amtspflicht, die Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens zu prüfen. Wenn das von einer Partei beantragte
Sachverständigengutachten eingeht, so endet das Beweisverfahren, wenn keine
der Parteien weitere Beweiserhebungen, sei es eine Ergänzung des Gutachtens,
eine mündliche Erläuterung oder eine erneute Begutachtung wünscht. Deshalb hat
das Gericht des selbständigen Beweisverfahrens eine neuerliche Begutachtung
durch einen Sachverständigen nur auf Antrag einer der Parteien einzuholen, wenn
die Voraussetzungen des nach § 492 Abs. 1 ZPO anzuwendenden § 412 ZPO
gegeben sind.
§ 355 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, weil § 492 Abs.1 ZPO nur auf die
Vorschriften, die für die Aufnahme des jeweiligen Beweismittels gelten, nicht aber
auf die allgemeinen Vorschriften über die Anordnung und Durchführung der
Beweisaufnahme und damit nicht auf § 355 ZPO verweist (vgl. OLG Stuttgart, NJW-
RR 2009, 497, Juris-Rz. 23 m. w. N.).
Im Übrigen ergäbe sich auch ein Wertungswiderspruch, wollte man die Beschwerde
nicht zulassen. Denn die Antragstellerin könnte, würde sie die Voraussetzungen
des § 412 ZPO nachweisen, nach § 485 Abs.3 ZPO auch ein neues selbständiges
Beweisverfahren einleiten und für den Fall der Zurückweisung des Gesuchs nach h.
M. hiergegen sofortige Beschwerde einlegen (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2009,
497, Juris-Rz. 24).
Die sofortige Beschwerde ist aber - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens
im Schriftsatz vom 3.02.2010 - nicht begründet, was das Landgericht, das dem
Rechtsmittel lediglich hätte abhelfen oder für den Fall der Nichtabhilfe dies hätte
aussprechen dürfen (§ 572 Abs. 1 ZPO) überschießend, jedoch im Ergebnis zu
Recht ausgesprochen hat.
Die Entscheidung des Landgerichts, auf den Hilfsantrag der Antragstellerin zur
Vorbereitung der mündlichen Erläuterung des Gutachtens dieser die Formulierung
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Vorbereitung der mündlichen Erläuterung des Gutachtens dieser die Formulierung
konkreter Fragen aufzugeben, aber den Antrag auf Neubegutachtung
zurückzuweisen, ist nicht zu beanstanden.
Die Einholung eines weiteren Gutachtens ist erst geboten, wenn die Sachkunde
des bisherigen Gutachters zweifelhaft ist, wenn das Gutachten von unzutreffenden
tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn es Widersprüche enthält oder wenn
der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren
Gutachters überlegen erscheinen ( BGH, VI ZR 34/98, Beschluss vom 16.03.1999;
zur Geltung der Kriterien BGH, VersR 2006, a.a.O.). Demgegenüber ist
grundsätzlich und so auch hier gegenüber der Einholung eines weiteren
Gutachtens die Anhörung des bisherigen Sachverständigen vorrangig (§ 411 Abs.
3 ZPO), weil erst im Anschluss nach Ausschöpfung der sich so ergebenden
Erkenntnismöglichkeiten zuverlässig die Entscheidung getroffen werden kann, ob
die Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 ZPO erfüllt sind. Entsprechend dem
Hilfsantrag der Antragstellerin (§§ 402, 397 ZPO) wird also die Erläuterung des
Gutachtens abzuwarten sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 3 GKG, KV 1812.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.