Urteil des OLG Frankfurt vom 20.11.2007
OLG Frankfurt: eltern, schmerzensgeld, unfall, beschädigung, meinung, spiel, fahrtkosten, anhörung, voraussehbarkeit, report
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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 91/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 253 BGB, § 278 BGB, § 280
BGB, § 828 BGB, § 832 Abs 2
BGB
(Aufsichtspflichtverletzung des Betreuers einer
Kindergruppe: Verletzung eines Kindes durch ein anderes
beim Ausholen mit dem Minigolfschläger; Schmerzensgeld
für Beschädigung eines Schneidezahnes)
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der siebten
Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 9.3.2006 wird auf seine Kosten
zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer des Beklagten beträgt 10.000 Euro.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der am …1998 geborene Kläger nimmt - vertreten durch seine Eltern - den
Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der Schädigung seiner
Zähne in Anspruch, die er anlässlich eines Minigolf-Spiels während eines im August
2005 von dem Beklagten veranstalteten Fußballcamps in O1 erlitt. Der Unfall kam
dadurch zu Stande, dass am 2.8.2005 eines der 7 - 12-jährigen Kinder, die am
Fußballcamp teilnahmen und in einer Pause Minigolf spielten, beim Ausholen mit
dem Schläger den Kläger im Gesicht traf und einen Schneidezahn (Zahn 11)
schädigte. Die Kinder wurden während des Spiels allenfalls aus einer Entfernung
von 100 m (Angabe des Beklagten) beaufsichtigt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe für die Folgen der
Verletzung wegen unzureichender Betreuung einzustehen, wobei ein
Schmerzensgeld von mindestens 2500 Euro angemessen sei. Dies im Hinblick
darauf, dass einer der Schneidezahn verdreht, die für chirurgisch behandelt
werden musste und weitere Behandlungen zu erwarten sind, eine der Betreuer den
stark blutenden Kläger lediglich mit einer Hand voll Papier zum Stillen der Blutung
versorgte und ihn schließlich weiterem Fußballtraining teilnehmen ließ. Der Kläger
hat überdies Schadensersatz in Höhe von 586,81 Euro sowie die Feststellung
begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger allen materiellen und
immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall auf dem Minigolfplatz
am 2.8.2005 in O1 noch entstehen werde.
Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, die Betreuung der
Kinder sei ausreichend gewesen; die Situation sei ähnlich der auf einem Schulhof,
auf dem auch nur wenige Aufsichtspersonen nach dem Rechten schauten. Auch
bei intensiverer Beaufsichtigung hätte die Verletzung nicht verhindert werden
können.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil
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Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil
Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 9.3.2006 in vollem Umfang
stattgegeben. Es hat eine Aufsichtspflichtverletzung des Klägers durch die von ihm
beauftragten Personen festgestellt und den geltend gemachten Schadensersatz
nach § 80 BGB sowie das Schmerzensgeld in Höhe von 2500 Euro nach § 53 BGB
für begründet erachtet, ebenso die den Feststellungsantrag, weil zahnärztlich
belegt sei, dass auch künftig mit Beeinträchtigungen durch den geschädigten
Zahn des Klägers zu rechnen sei.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner rechtzeitig eingelegten und
begründete Berufung, mit der er zunächst rügt, das erstinstanzliche Gericht habe
keine ausreichenden Feststellungen zum Unfallhergang getroffen. Er hat seine
Ansicht bekräftigt, auch durch einen neben den Kindern stehenden Betreuer hätte
der Unfall nicht verhindert werden können.
Der Beklagte beantragt,
das am 9.3.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Hanau am Main (2-10
O 383/04) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Einzelrichter des Senats hat Beweis erhoben durch Einholung eines
zahnärztlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage der Ursächlichkeit des
Unfalls vom 2.8.2005 für die Beschädigung der Zähne des Klägers sowie dazu, ob
mit weiteren Kosten der Behandlung, insbesondere für den Schneidezahn Nr. 11
und gegebenenfalls mit dessen Verlust zu rechnen ist. Wegen des Ergebnisses
wird auf das Gutachten des Privatdozenten Dr. SV 1 vom 13.5.2007 (Blatt 124 ff
d.A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
Dem Kläger steht der geltend gemachte und durch das angefochtene Urteil
zuerkannte Schadensersatz sowie das Schmerzensgeld ebenso zu, wie die
Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftig eintretende Schäden (§§
280, 253 BGB in Verbindung mit dem Betreuungsvertrag über die Teilnahme am
Fußballcamp, § 832 Abs. 2 BGB).
1. Unstreitig ist zwischen dem Kläger, vertreten durch seine Eltern, und dem
Beklagten ein Betreuungsvertrag (Schuldverhältnis) über die Teilnahme am
Fußballcamp im August 2005 in O1 zustande gekommen, aufgrund dessen der
Beklagte verpflichtet gewesen ist, dafür zu sorgen, dass die teilnehmenden Kinder
nicht - auch nicht durch unbedachte Handlungen - geschädigt werden und auch zu
diesem Zweck die Aufsicht über alle Kinder auszuüben. Diese Aufsichtspflicht hat
der Beklagte bzw. die von ihm beauftragten Trainer (§§ 278, 831 BGB) nach
seinem eigenen Vortrag verletzt und er ist deshalb dem Kläger zu Schadensersatz
wegen der eingetretenen Gesundheits/Körperverletzung und der damit
verbundenen Aufwendungen sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes
verpflichtet. Ein Entlastungsbeweis für die Haftung nach § 278 BGB ist nicht
möglich, im übrigen nicht angetreten.
a) Zunächst ist als unstreitig von dem im Tatbestand festgehaltenen
Unfallhergang auszugehen. Diesen Verlauf hat der Kläger bei seiner
erstinstanzlichen Anhörung mündlich sowie in zweiter Instanz schriftlich
(Schriftsatz vom 7.12.2006) sowie gegenüber den gerichtlich beauftragten
Gutachter SV1 angegeben. Das Bestreiten des Beklagten durch Nichtwissen ist
unzulässig. Zwar dürfte zutreffend sein, dass der Beklagte an dem Unfalltag nicht
persönlich das Fußballcamp geleitet hatte und deshalb der Vorgang nicht
Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen ist. Vor Ort sind jedoch von
ihm beauftragte Betreuer gewesen, bei denen er sich ohne weiteres erkundigen
konnte und deren Kenntnis er sich zurechnen lassen muss. Die Tatsache, dass der
Beklagte nicht in der Lage gewesen ist, einen näheren Hergang des Unfallablaufs
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Beklagte nicht in der Lage gewesen ist, einen näheren Hergang des Unfallablaufs
mitzuteilen, spricht bereits dafür, dass die von ihm eingesetzten Betreuer ihre
Aufsicht nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen haben. Die Angabe des
Beklagten, die Betreuer hätten sich zur Zeit des Unfalls in Sicht- bzw. Rufnähe von
etwa 100 m aufgehalten, bestätigt dies.
b) Bei der Beurteilung, ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt, ist zunächst
davon auszugehen, dass Minderjährige als solche wegen ihrer Minderjährigkeit der
Aufsicht bedürfen und es auf die besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles
insoweit nicht ankommt (Palandt/Sprau BGB, § 832 Rn 2). Diese Aufsichtspflicht
hatte der Beklagte vertraglich übernommen. Es bedurfte insoweit keiner
ausdrücklichen Erwähnung im Vertrag, die Aufsichtspflicht kann auch
stillschweigend ausbedungen sein ( a.a.O., Rn 7). Der Inhalt der Aufsichtspflicht
besteht darin, den Aufsichtsbedürftigen – vorliegend "Schädiger" – zu beobachten,
zu belehren und aufzuklären, zu leiten und auf sein Verhalten Einfluss zu nehmen.
Bei Kindern bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart
und Charakter sowie nach der Voraussehbarkeit von schädigendem Verhalten
sowie danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der
konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen
müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern, wobei erhöhte
Aufsichtspflicht in gefährlichen Situationen besteht (a.a.O., Rn 8). Weiterhin ist für
den Umfang der erforderlichen Aufsicht in Betracht zu ziehen, dass Kinder dazu
neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu
verhalten (vgl. OLG-Report Koblenz 2006, 820 zu Sicherheitsvorkehrungen).
Entgegen der Meinung des Beklagten konnte deshalb auch nicht unbedingt
ausgeschlossen werden, dass Kinder aus einer Situation heraus den Schläger
zweckwidrig verwenden würden, was vorliegend jedoch nicht geschehen ist.
c) Diese sonst den Eltern im dargestellten Umfang obliegende Aufsichtspflicht
hatte der Beklagte vertraglich übernommen. Das bedeutet, bezogen auf das
vorliegend zu beurteilende Minigolfspiel von 7 bis 12-jährigen Kindern, dass die
Beaufsichtigung in Ruf- und Hörweite von etwa 100 m keinesfalls ausreichend
gewesen ist. Denn die vorliegend entstandene Verletzung des Klägers durch eine
Schlägerbewegung eines mitspielenden Kindes stellt eine typische
Gefährdungssituation beim Minigolfspiel dar, insbesondere bei einer Teilnahme von
mehreren Kindern. Die gleiche Gefährdung tritt üblicherweise dadurch ein, dass
Kinder den Vorwärtsschwung des für sie relativ schweren Golfschlägers nicht richtig
einschätzen können und dieser sich über ihre Schulter fortsetzt und dadurch dicht
bei ihnen stehende andere Kinder im Gesicht verletzt werden können. Diese
Gefährdungssituationen liegen für einigermaßen erfahrene Eltern auf der Hand.
Für den Straßenverkehr ist anerkannt, dass Kinder zwischen sieben und 10 Jahren
die damit verbundenen Gefahren noch nicht richtig einschätzen können und
deshalb nicht verantwortlich sind (§ 828 Abs. 2 BGB). Ähnliche Fehleinschätzungen
betreffen auch das hier zu beurteilende Spiel Minigolf. Es genügt deshalb nicht, die
Kinder auf solche Gefahren hinzuweisen und das eigentliche Spiel aus der Distanz
zu beaufsichtigen. Vielmehr ist erforderlich, dass sich ein Betreuer bei jeweils einer
Gruppe in unmittelbarer Nähe aufhält, um Gefährdungssituationen, insbesondere
bei dicht beieinander stehenden Kindern durch ausholende Schlagbewegungen
bereits im Ansatz verhindern zu können. Denn solche Situationen können
aufgrund des Umstands, dass Kinder die Gefahren mit dem Hantieren eines
Minigolfschlägers nicht ausreichend einschätzen können, jederzeit auftreten, ohne
dass "Unsinn" gemacht wird. Die "Beaufsichtigung" des Minigolfspiels aus 100 m
Entfernung stellt mithin eine schadensersatzpflichtige Aufsichtspflichtverletzung
dar. Entgegen dem Vortrag des Beklagten ist es nicht erforderlich, jedem Kind
einen Betreuer zur Seite zu stellen. Die Beobachtung und Anleitung der Kinder aus
unmittelbarer Nähe durch einen Betreuer genügt, um die beschriebenen
gefährlichen Situationen von vornherein verhindern; das ist aber nicht geschehen.
Entgegen der Meinung des Beklagten war die Verletzung des Klägers deshalb bei
Beachtung der erforderlichen Aufsichtspflicht zu vermeiden.
2. Die Ursächlichkeit des auf unzureichende Aufsicht zurückzuführenden Unfalls für
die Beschädigung am Schneidezahn Nr. 11 des Klägers, die daraus resultierenden
Schmerzen, Beeinträchtigungen, Behandlungen und die künftig daraus
resultierenden weiteren Behandlungen, gegebenenfalls der Verlust des Zahns sind
bewiesen durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen,
Privatdozent Dr. SV1, der im übrigen das vom Kläger vorgelegte Kurzgutachten
des Zahnarztes Dr. SV2 inhaltlich bestätigt hat. Die Richtigkeit des eingeholten
Sachverständigengutachtens sowie die Sachkunde des Sachverständigen sind
vom Beklagten auch nicht angegriffen worden.
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3. Auf dieser Tatsachengrundlage ist die vom Landgericht getroffene Feststellung
über die Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich künftiger Schäden begründet.
Ebenso ist die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes im Hinblick auf die Dauer
der bereits erforderlich gewesenen und noch zu erwartenden Behandlungen und
die damit zusammenhängende Beeinträchtigung der Lebensfreude nicht zu
beanstanden. Der bereits erstinstanzlich der Höhe nach nicht bestrittene
Schadensersatz, der aus vorgerichtlichen Anwaltskosten, Fahrtkosten im
Zusammenhang mit notwendigen Behandlungen des Klägers sowie
Zahnarztkosten besteht, stellt ebenfalls einen adäquat durch die
Aufsichtspflichtverletzung verursachten Schaden dar, den das Landgericht im
Ergebnis zu Recht ausgeurteilt hat. Auch die weiteren, im Berufungsverfahren vom
Kläger vorgetragenen Behandlungs-, Gutachten-, und pauschalierten Fahrtkosten
dürften - mit Ausnahme der Mahnkosten der X - zu erstatten sein. Über sie ist
vorliegend jedoch nicht zu entscheiden, weil sich die Berufung auf die Anfechtung
des landgerichtlichen Urteils und dessen Streitgegenstand beschränkt.
4. (3. in 4. berichtigt: Die Redaktion) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.
1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind
vorliegend nicht erfüllt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.