Urteil des OLG Frankfurt vom 29.11.2005

OLG Frankfurt: ausschreibung, gebäude, klage auf künftige leistung, vermietung, unternehmen, unterlassen, kennzeichen, kartellrecht, wiederholungsgefahr, behinderung

Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 U 10/05 (Kart)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 19 GWB, § 20 GWB, § 33
GWB
Kartellrecht: Diskriminierungs- und Behinderungsverbot bei
Geschäftsraumvermietung in einer kommunalen Kfz-
Zulassungsstelle; Ausschreibungspflicht für Mietvertrag;
Verschuldensvorwurf bei Orientierung an Obergerichtliche
Rechtsprechung
Leitsatz
1. Grundsätzlich ist ein Anbieter in einer marktbeherrschenden Stellung verpflichtet,
unter den Nachfragern eine Auswahl unter angemessenen und fairen Bedingungen zu
treffen, wenn er die nachgefragte Leistung nur gegenüber einem, jedenfalls nicht
gegenüber allen Nachfragern erbringen kann. Insbesondere ist nach gefestigter
Auffassung in Rechtsprechung und Literatur der Vermieter von Räumen im Gebäude
einer Kfz-Zulassungsstelle bzw. in deren unmittelbarer Nähe zu einer solchen Auswahl
gehalten. Diese Auswahl ist durch eine Ausschreibung zu treffen.
2. Eine ffreihändige Vergabe ohne Ausschreibung kann aber unter kartellrechtlichen
Gesichtspunkten zulässig sein, weil der potentielle Mieter Arbeitsplätze für schwer
vermittelbare Personen, insbesondere für geistig, körperlich und seelisch Behinderte
bereitstellte, und zugleich sichergestellt wurde, dass sich einerseits deutliche Hinweise
auf außerhalb des Gebäudes tätige Schilderpräger finden und andererseits
Behördenmitglieder Hinweise auf die Mieterin in jedem Falle unterlassen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel – 2.
Kammer für Handelssachen – vom 17.12.2004 abgeändert.
Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, es bei Meidung
von Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an ihrem
Oberbürgermeister, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,
die im Gebäude der KfZ-Zulassungsstelle …, O1 gelegene Fläche ohne vorherige
Ausschreibung zum Zwecke der Herstellung und des Vertriebes von KfZ-
Kennzeichen entgeltlich oder unentgeltlich an Dritte, insbesondere an die A ...
GmbH, ..., O2 über den 31.12.2007 hinaus zu überlassen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von der Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin ¾ und die Beklagte ¼ zu
tragen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der
Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 7.000,-- EUR
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
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Die Revision wird für die Beklagte zugelassen, für die Klägerin wird sie nicht
zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich mit einem Schadensersatzbegehren und einem
hilfsweise erhobenen Unterlassungsanspruch gegen ein Verhalten der Beklagten
als Vermieterin von Gewerbeflächen.
Der Oberbürgermeister der beklagten Stadt hat die Kfz-Zulassungsstelle für die
Stadt und für den Landkreis O1 in einem Gebäude der Beklagten im X a… in O1
eingerichtet. Die Klägerin, die im gesamten Bundesgebiet ein Netz von über 300
Filialen unterhält, handelt mit Kfz-Zeichen, Kurzzeit- und Ausfuhrversicherungen
sowie Kennzeichenrahmen und Zubehör. Sie unterhält im X b gegenüber der Kfz-
Zulassungsstelle in einer Entfernung von etwa 100 Metern vom Eingang der
Behörde eine Niederlassung. Neben der Klägerin befinden sich weitere
Schilderprägestellen in unmittelbarer Umgebung der Kfz-Zulassungsstelle. Im
Jahre 2002 beabsichtigte die Beklagte, ohne vorherige Ausschreibung Räume in
dem Gebäude X a zum Betrieb einer Schilderprägestelle an die B ... mbH zu
vermieten. Bei dieser handelt es sich um eine Gesellschaft, die unter anderem die
Einrichtung, Bereitstellung und Unterhaltung von Arbeitsplätzen für schwer
vermittelbare Personen, insbesondere für geistig, körperlich oder seelisch
Behinderte bezweckt. Die Klägerin meldete dagegen kartellrechtliche Bedenken
an. Darauf äußerte die Beklagte gegenüber der Klägerin in einem Schreiben vom
15.08.2002 (Anlage K 10) die Auffassung, die Bevorzugung einer Schilderfirma
gegenüber allen anderen Bewerbern sei trotz des dadurch gewährten deutlichen
Wettbewerbsvorteils zulässig. Sie bezog sich dabei auf ein Urteil des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Senatsurteil vom 09.09.1997 – 11 U (Kart)
67/96, Bl. 65 – 86 d.A., veröffentlicht in WuW/E DE-R 55), durch das die freihändige
Vergabe von Räumen in einer KfZ-Zulassungsstelle im Jahre 1994 durch den
Landkreis O1 an die B ... mbH als sachlich gerechtfertigt im Sinne von § 26 Abs. 2
GWB a. F. angesehen worden war. Die Revision gegen dieses Urteil war vom
Bundesgerichtshof seinerzeit nicht angenommen worden (Beschluss vom
14.07.1998 – KZR 40/97). Mit Vertrag vom 27.09.2002 vermietete die Beklagte die
vorgenannten Räume in dem Gebäude der Zulassungsstelle an die B ... mbH, die
später in A ... GmbH umbenannt worden ist. Die Laufzeit des Mietverhältnisses
begann am 01.10.2002 und endet am 31.12.2007 (Bl. 138 – 141 d. A.).
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe kartellrechtswidrig gehandelt, indem
sie die Räume an die A ... GmbH ohne vorherige förmliche Ausschreibung
vermietet habe.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu
unterlassen, eine im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle O1, X a, O1 gelegene
Fläche ohne vorherige Ausschreibung zum Zwecke der Herstellung und des
Vertriebes von Kfz-Kennzeichen entgeltlich oder unentgeltlich an Dritte,
insbesondere an die B ... mbH, ..., O2 weiterhin zu überlassen;
hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu
ersetzen, der ihr dadurch entsteht, dass die Beklagte eine im Gebäude der Kfz-
Zulassungsstelle O1, X a, O1 gelegene Fläche bis zum 31.12.2007 an die A ...
GmbH vermietet hat;
weiter hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen
Ordnungsmittel zu unterlassen, die im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle O1, X a,
O1 gelegene Fläche ohne vorherige Ausschreibung zum Zwecke der Herstellung
und des Vertriebes von Kfz-Kennzeichen entgeltlich oder unentgeltlich an Dritte,
insbesondere an die A ... GmbH, ..., O2 über den 31.12.2007 hinaus zu überlassen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat die Ansicht vertreten, dass sie durch die Vermietung der Räume an die A
... GmbH nicht in den Wettbewerb eingegriffen habe. Für die Vermietung der
Räume an diese Gesellschaft liege ein sachlicher Grund vor, da durch die
Vermietung Dauerarbeitsplätze für behinderte Menschen gewährleistet werden
sollten.
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Das Landgericht hat dem Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht durch
das angefochtene Urteil stattgegeben. Wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf
Bl. 166 – 174 d. A. verwiesen.
Gegen dieses am 30.12.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.01.2005
Berufung erhoben und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
mit am 24.03.2005 eingegangenem Schriftsatz begründet. Mit der Berufung
macht die Beklagte geltend, das Landgericht habe zu Unrecht den Tatbestand der
Behinderung als auch denjenigen der Ungleichbehandlung bejaht. Eine
Ungleichbehandlung liege nicht vor. Bei der A ... GmbH handle es sich um eine
regional tätige, gemeinnützige Einrichtung der Behindertenfürsorge, welche mit
der Klägerin als bundesweit tätiges Unternehmen keinesfalls gleichartig sei. Zwar
komme eine Behinderung der Klägerin dadurch in Betracht, dass die
Gewerbefläche im Gebäude der Zulassungsstelle nicht an diese, sondern an einen
Dritten vermietet worden sei. Die Behinderung als solche indiziere jedoch
keinesfalls die Unbilligkeit. Soweit sich das Landgericht darauf stütze, es ergebe
sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die A ... GmbH ihre anerkennenswerte
sozialpolitische Zielsetzung nicht auch mit anderen Tätigkeiten oder mit der
Schilderprägung an anderer Stelle erreichen könne, hätte das Landgericht
rechtliche Hinweise mit dem Ziel weiterer Sachverhaltsaufklärung hierzu geben
müssen. Bei der gebotenen Abwägung der Interessen der Beteiligten unter
Berücksichtung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung der
gesetzlichen Vorschriften habe das Landgericht folgendes unberücksichtigt
gelassen:
Sie (Beklagte) hätte zunächst die Möglichkeit gehabt, die Flächen selbst für sich zu
nutzen und dort den Eigenverkauf von Kennzeichenschildern zu betreiben. Auch
sei es ihr grundsätzlich gestattet, Gewerbeflächen außerhalb des Gebäudes der
Kfz-Zulassungsstelle an einen Schilderpräger zu vermieten. Um im Rahmen der
Interessenabwägung auch Wettbewerbern des Mieters und deren Interesse an
einem Marktzutritt gerecht zu werden, halte die Rechtsprechung zwar regelmäßig
eine Feststellung des Bedarfs durch Ausschreibung sowie eine zeitliche
Beschränkung des abgeschlossenen Mietvertrages auf 5 Jahre sowie die
Möglichkeit für Mitbewerber, in der Zulassungsstelle auf ihre Angebote werblich
hinzuweisen, für erforderlich. Sie (Beklage) habe jedoch der Klägerin grundsätzlich
gestattet und angeboten, im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle auf ihre Angebote
hinzuweisen.
Ebenfalls sei der Mietvertrag mit der A ... GmbH lediglich auf die Dauer von 5
Jahren befristet abgeschlossen worden. Einer Ausschreibung habe es im
vorliegenden Einzelfall nicht bedurft, da diese nur regelmäßig zur Feststellung des
Bedarfs durch Ausschreibung erforderlich sei. Die Klägerin sei der Beklagten
jedoch schon hinlänglich bekannt gewesen, so dass es nach Sinn und Zweck der
Ausschreibung nicht bedurft habe. Unabhängig hiervon sei die Ausschreibung zwar
„regelmäßig“ erforderlich, jedoch könne im Einzelfall auch ohne Ausschreibung die
Interessenabwägung zugunsten des Vermieters erfolgen. Das Landgericht habe
sich rechtsfehlerhaft über eine konkrete Abwägung der hier relevanten Tatsachen
hinweggesetzt. Sie (Beklagte) habe mit der Vermietung an die A ... GmbH dieser
die Möglichkeit eröffnen wollen, behinderte Menschen zu integrieren und in diesem
Zusammenhang in O1 wohnhafte Behinderte einzugliedern. Die VOL/A finde
gemäß ihres § 3 Ziffer 4 o keine Anwendung, da es sich bei der A ... GmbH um
eine „ähnliche Einrichtung“ im Sinne dieser Vorschrift handele. Die Beklagte ist der
Ansicht, dass selbst bei einer durchgeführten Ausschreibung kein anderes
Ergebnis erzielt worden wäre. Das Instrument der Ausschreibung diene hier nur
allgemein dazu, potentiellen Mitbewerbern den Zutritt zum relevanten Markt zu
eröffnen, während es keine konkretisierende Vorschrift gebe, dass auch der
günstigste Mitbewerber zu berücksichtigen sei. Daher hätte sie ohnehin aufgrund
der aufgezeigten sachlichen Kriterien selbst im Falle der Ausschreibung die
Flächen an die A ... GmbH vermieten dürfen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Kassel vom 17.12.2004 – 12 O 4165/03
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verweist darauf, dass bei der nach § 20 Abs. 1 GWB vorzunehmenden
Interessenabwägung ausschließlich Individualinteressen der Beteiligten
einzubeziehen seien, während es bei der Förderung von Behinderten um ein
Gemeinwohlinteresse gehe.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze
sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache nur hinsichtlich des zweiten
Hilfsantrages Erfolg.
1.) Das angefochtene Urteil ist nicht bereits gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO
aufzuheben. Zwar hat das Landgericht den Hauptantrag, die Beklagte zu
verurteilen, eine im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle gelegene Fläche ohne
vorherige Ausschreibung zum Zwecke der Herstellung und des Vertriebes von Kfz-
Kennzeichen an Dritte, insbesondere an die A ... GmbH weiterhin zu überlassen,
nicht beschieden. Insofern hat das Landgericht ein möglicherweise unzulässiges
Teilurteil erlassen. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht ist dieser frühere Unterlassungsantrag jedoch nicht mehr
rechtshängig. Gem. § 321 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO hätte bezüglich dieses
übergangenen Antrags binnen einer zweiwöchigen Frist, die mit der Zustellung des
Urteils begann, die Ergänzung des Urteils beantragt werden müssen. Die
Voraussetzungen des § 321 Abs. 1 ZPO lagen vor, da der in erster Linie gestellte
Unterlassungsantrag durch Verweis auf die gewechselten Schriftsätze sowie durch
seine Erwähnung im letzten Absatz vor der Darstellung der Klageanträge Teil des
Tatbestandes geworden ist. Die Versäumung der Berichtigungsfrist hat jedoch zur
Folge, dass die Rechtshängigkeit des übergangenen Anspruchs erlischt (BGH NJW
1991, 1683, 1684; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 321 Rn. 8). Nach dem
Prozessstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht handelt es sich somit bei dem angefochtenen Urteil nicht mehr
um ein Teilurteil.
2.) Die Berufung der Beklagten hat jedoch hinsichtlich des ersten Hilfsantrages
(Feststellung der Schadensersatzpflicht) Erfolg. Das Landgericht hat einen
Schadensersatzanspruch der Klägerin aus §§ 33, 20 Abs. 1 GWB in Verbindung mit
§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB zu Unrecht bejaht.
Ein Schadensersatzanspruch scheitert jedenfalls daran, dass die Beklagte nicht –
wie es § 33 Satz 1 2. Halbsatz GWB für die Schadensersatzhaftung voraussetzt –
schuldhaft handelte, als sie die Räume im Gebäude der Zulassungsstelle ohne
vorherige Ausschreibung an die B ... mbH vermietete.
Die Beklagte durfte ohne Fahrlässigkeit davon ausgehen, dass diese
Vorgehensweise nicht gegen § 20 Abs. 1 GWB verstieß. Der Senat hat in seinem
Urteil vom 09.09.1997 in einem gleichgelagerten Fall die freihändige Verpachtung
von Räumen durch den Landkreis O1 an die B ... mbH im Gebäude einer KfZ-
Zulassungsstelle als sachlich gerechtfertigt angesehen. Er hat dazu ausgeführt,
der Landkreis habe diese Gesellschaft im Hinblick auf ihre Zielsetzung auch unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass die damalige Klägerin bereit sei, ebenfalls
Schwerbehinderte einzustellen, gleichwohl unter sachlichen Gesichtspunkten
ausgewählt (Urteil Seite 16). Die Beklagte durfte, wie sie dies in dem Schreiben
vom 15.08.2002 gegenüber der Klägerin vertreten hat, annehmen, dass auch
diesmal die freihändige Vergabe der Räume an die B ... mbH nicht
kartellrechtswidrig sei. Soweit der Senat in dem genannten Urteil erwogen hatte,
der Wettbewerb verschiedener Schilderanbieter sei nach wie vor für den Fall
möglich, dass die außerhalb des Zulassungsgebäudes gelegenen Betriebe ihren
Standortnachteil etwa durch günstigere Preise ausgleichen könnten (Urteil Seite
19), schloss dies die Anwendung der Entscheidung nicht aus. Zwar behauptet die
Klägerin nunmehr, sie habe erhebliche Umsatzeinbrüche hinnehmen und zwei
Beschäftigte entlassen müssen, andere Wettbewerber hätten ihren Betrieb
eingestellt oder arbeiteten nur noch mit Verlusten, ein wirksamer Preiswettbewerb
sei nicht möglich. Diese Auswirkungen der Vermietung an die A ... GmbH musste
die Beklagte aber nicht vorhersehen, sie konnte vielmehr annehmen, dass ein
Preiswettbewerb zwischen ihrer Mieterin und deren Konkurrenten möglich bleiben
würde.
Wenn die Beklagte sich an die Entscheidung des Senats vom 09.09.1997 hielt,
kann ihr kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. An die Bejahung eines
unverschuldeten Rechtsirrtums sind zwar besonders strenge Anforderungen zu
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unverschuldeten Rechtsirrtums sind zwar besonders strenge Anforderungen zu
stellen (BGH NJW 1994, 2754, 2755). Dies gilt auch dann, wenn es nicht um die
Kenntnis der einschlägigen Rechtsvorschriften, sondern um deren Auslegung geht,
wie hier im Hinblick auf die Merkmale der Unbilligkeit und des fehlenden sachlich
gerechtfertigten Grundes gemäß § 20 Abs. 1 GWB. Ein Rechtsirrtum ist aber als
unvermeidbar anzusehen, wenn sich der Täter zuvor über die höchstrichterliche
Rechtsprechung informiert hat. Liegt ein Urteil eines Fachsenats eines
Oberlandesgerichts vor, bei dem der Bundesgerichtshof die Revision auch nicht
wegen Erfolgsaussicht angenommen hat, so reicht das zur Absicherung des Täters
über die Rechtslage aus. Die Beklagte konnte sich deshalb darauf verlassen, dass
ihre Verfahrensweise im Einklang mit der Auslegung des § 20 Abs. 1 GWB durch
die gleichen Gerichte wie in dem vorangegangenen Fall steht.
3.) Damit muss über den Hilfsantrag entschieden werden, durch den es der
Beklagten verboten werden soll, die streitgegenständliche Fläche ohne vorherige
Ausschreibung an Dritte, insbesondere die A ... GmbH über den 31.12.2007 hinaus
zu überlassen.
Dieser Antrag ist zulässig. Dem Antrag steht nicht § 259 ZPO entgegen, wonach
Klage auf künftige Leistung nur erhoben werden kann, wenn nach den Umständen
die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung
entziehen werde. Diese Vorschrift ist auf gesetzliche Unterlassungsansprüche
nicht anzuwenden (Lüke in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2.
Aufl., § 259 Rn. 6).
Der Hilfsantrag ist auch begründet. Die Beklagte verstößt mit der beanstandeten
zukünftigen Vermietung der im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen Flächen
an Dritte ohne vorherige Ausschreibung gegen § 20 Abs. 1 GWB, der es
marktbeherrschenden Unternehmen verbietet, ein anderes Unternehmen in
einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich
ist, unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern oder gegenüber gleichartigen
Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar
unterschiedlich zu behandeln.
Die Beklagte ist Normadressat des § 20 GWB. Sie verfügt auf dem relevanten
Markt über eine marktbeherrschende Stellung. Der hier räumlich relevante Markt
umfasst die Vermietung derjenigen Gewerbeflächen, die sich für einen
Schilderpräger zur Anmietung oder sonstigen Nutzung eignen, um den bei den
Besuchern der Zulassungsstelle anfallenden Bedarf an Kfz-Schildern zu decken.
Auch wenn sich für diese Nutzung Gewerbeflächen außerhalb des Gebäudes der
Zulassungsstelle eignen, besteht eine überragende Marktposition der Beklagten
deshalb, weil eine Verkaufsstelle innerhalb des Gebäudes der Zulassungsstelle
potentiellen Kunden den Weg erspart, den sie zurücklegen müssten, um
Schilderpräger außerhalb dieses Gebäudes zu erreichen (BGH NJW 1998, 3778,
3779 – Schilderpräger im Landratsamt; NJW 2003, 752, 753 –
Schilderprägebetrieb).
Wenn die Beklagte bei der Vermietung der hier in Rede stehenden Räumlichkeiten
die Klägerin nicht berücksichtigt, behindert sie diese objektiv und behandelt sie
zugleich unterschiedlich (BGH a.a.O.).
Der hier maßgebliche Geschäftsverkehr, nämlich die Anmietung von Räumen im
Gebäude der Zulassungsstelle, ist gleichartigen Unternehmen üblicherweise
zugänglich (BGH a.a.O.).
Die Behinderung der Klägerin ist unbillig und die Ungleichbehandlung sachlich nicht
gerechtfertigt. Ob eine Maßnahme unbillig oder eine Ungleichbehandlung sachlich
gerechtfertigt ist, ist durch eine umfassende Abwägung der Interessen aller
Beteiligter unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten
Zielsetzung des GWB zu ermitteln (Langen/Bunte/Schultz, Kommentar zum
deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Auflage, § 20 Rn. 130;
Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 20 Rn. 38 m. w. N.).
Grundsätzlich ist ein Anbieter in einer marktbeherrschenden Stellung verpflichtet,
unter den Nachfragern eine Auswahl unter angemessenen und fairen Bedingungen
zu treffen, wenn er die nachgefragte Leistung nur gegenüber einem, jedenfalls
nicht gegenüber allen Nachfragern erbringen kann. Insbesondere ist nach
gefestigter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur der Vermieter von Räumen
im Gebäude einer Kfz-Zulassungsstelle bzw. in deren unmittelbarer Nähe zu einer
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im Gebäude einer Kfz-Zulassungsstelle bzw. in deren unmittelbarer Nähe zu einer
solchen Auswahl gehalten. Diese Auswahl ist durch eine Ausschreibung zu treffen
(BGH NJW 2003, 2684 – Konkurrenzschutz für Schilderpräger; OLG Stuttgart NJW-
RR 1996, 1003; Immenga, NJW 1995, 1921, 1926; Bechtold, § 20 Rn. 40;
Langen/Bunte/Schultz, § 20 Rn. 71; vgl. auch BGH NJW 1998, 3778, 3780 –
Schilderpräger im Landratsamt). Allerdings hat der Senat in seinem oben
erwähnten Urteil vom 09.09.1997 entschieden, dass eine freihändige Vergabe
ohne Ausschreibung unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zulässig war, weil der
potentielle Mieter Arbeitsplätze für schwer vermittelbare Personen, insbesondere
für geistig, körperlich und seelisch Behinderte bereitstellte (vgl. Seiten 4 und 16 f.
des Urteils), und zugleich sichergestellt wurde, dass sich einerseits deutliche
Hinweise auf außerhalb des Gebäudes tätige Schilderpräger finden und
andererseits Behördenmitglieder Hinweise auf die Mieterin in jedem Falle
unterlassen. Mit dieser Entscheidung hat der Senat es der Vermieterin gestattet,
ohne Berücksichtigung anderer Nachfrager dasjenige Unternehmen zu
bevorzugen, das eine wichtige sozialpolitische Aufgabe erfüllen will.
Der Senat hält indes an seiner früheren Entscheidung, die in der Literatur als
„problematisch“ bezeichnet wird (Langen/Bunte/Schultz, § 20, Rn. 125), nicht
länger fest. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass nur eigene Interessen
des Normadressaten Berücksichtigung finden können (Langen/Bunte/Schultz
a.a.O. Rn. 127). Dabei steht auf Seiten der Schilderpräger das Anliegen, dass sie
durch ein Ausschreibungsverfahren mit von allen Bewerbern erfüllbaren Kriterien
eine Chance bekommen, den nur begrenzt vorhandenen Raum im Gebäude der
Zulassungsstelle anzumieten, um ihre Absatz- und Gewinnchancen zu erhöhen.
Zugunsten der Beklagten kann dagegen das Interesse, die Flächen im Kfz-
Zulassungsgebäude an ein Unternehmen mit der genannten sozialpolitischen
Zwecksetzung zu vergeben, um dadurch stabile Arbeitsplätze für schwer
vermittelbare Personen zu schaffen, als allgemeinpolitisches Anliegen nicht
berücksichtigt werden (siehe Immenga a.a.O., der strukturpolitische Argumente
einer regionalen Wirtschaftförderung bei der Abwägung der Interessen zugunsten
der öffentlichen Hand nicht vorrangig berücksichtigen will. Auch das Urteil des LG
Gera vom 15.08.2005 – 3 HK O 91/05 weist das sozialpolitische Argument zurück).
Der Unterlassungsanspruch setzt ferner Wiederholungsgefahr voraus. Diese ist
vorliegend zu bejahen, da die Verfahrensweise der Beklagten bei der Vergabe der
Flächen im Jahre 2002 objektiv kartellrechtswidrig war.
Dieser Verstoß begründet die Vermutung einer Wiederholung in der Zukunft,
insbesondere für die Zeit nach dem 31.12.2007. Die Wiederholungsgefahr fehlt
nicht deshalb, weil sich die Beklagte bei der Vergabe der Flächen an die vormalige
B ... mbH in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befand. Zwar hat der
Bundesgerichtshof (GRUR 1994, 443, 445 - Versicherungsvermittlung im
öffentlichen Dienst erwogen) erwogen, dass bei einer noch nicht höchstrichterlich
geklärten Rechtslage die Vermutung der Wiederholungsgefahr ausnahmsweise
entfallen kann. Er hat darüber aber nicht abschließend entschieden. Weiterhin ist in
der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verhalten, dessen Wettbewerbswidrigkeit
zur fraglichen Zeit umstritten war, nicht die Vermutung begründet, der Betreffende
werde sein Verhalten auch dann fortsetzen, wenn später durch gesetzliche
Regelung ein eindeutiges Verbot erlassen wird (BGH GRUR 2002, 717, 719 –
Vertretung der Anwalts-GmbH; OLG Frankfurt am Main GRUR 2003, 805). Die
Literatur bezeichnet diese Stellungnahmen zu Recht als nicht
verallgemeinerungsfähig und lehnt die Berücksichtigung des entschuldbaren
Rechtsirrtums ab, stattdessen wird betont, dass es auf ein Verschulden an dem
Verstoß nicht ankommt (Bornkamm in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht,
23. Aufl., § 8 UWG Rn. 1.42; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und
Verfahren, 8. Aufl., Kap. 7 Rn. 4; Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., Rn. 2 und 4 vor § 13;
Beckedorf in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, § 8 Rn. 8; Melullis,
Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl., Rn. 578).
Zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr bedarf es daher auch im Kartellrecht
grundsätzlich einer strafbewehrten Unterlassungserklärung
(Langen/Bunte/Bornkamm, § 33 Rn. 41), die von der Beklagten jedoch nicht
abgegeben worden ist.
3.) Die Revision ist für die Klägerin nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die
Rechtssache, soweit der Senat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin
verneint, keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
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die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts nicht erfordert. Es ist höchstrichterlich geklärt, welche
Anforderungen an die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums zu stellen sind.
Demgegenüber ist die Revision für die Beklagte gem. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
zuzulassen, da der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Senats
vom 09.09.1997 nicht angenommen hat und die vorliegende Entscheidung von der
früheren Rechtsprechung abweicht.
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.5.) Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für die Klägerin aus §
708 Nr. 10, 711 ZPO. Bezüglich der Beklagten folgt die Entscheidung aus § 708 Nr.
10 ZPO. Eine Abwendungsbefugnis für die Klägerin ist nach § 713 ZPO nicht
anzuordnen, weil für sie die Revision nicht zugelassen wird und ihre Beschwer
unterhalb des Betrages liegt, den die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde
erfordert (§ 26 Nr. 8 EGZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.