Urteil des OLG Frankfurt vom 17.11.2010

OLG Frankfurt: anleger, auflage, anschlussberufung, zustellung, mitverschulden, form, rückabwicklung, wertpapier, gesamteindruck, beratungsvertrag

Gericht:
OLG Frankfurt 9.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 U 102/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 249 BGB, § 280 Abs 1 BGB, §
524 BGB
Leitsatz
1. Zu Schadensersatzansprüchen wegen angeblicher Falschberatung über das Risiko
der Beteiligung an einem Filmfonds (hier: Vif 3)
2. Zur Fehlerhaftigkeit eines Prospekts, der einen falschen Eindruck über das Risiko der
Beteiligung vermittelt
3. Zur Berücksichtigung entgangenen Gewinns bei der Schadensberechnung bzw.
Rückabwicklung des Anlagegeschäfts
4. Zum Vorliegen einer "verdeckten" Anschlussberufung
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. September 2008 verkündete Urteil
des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 52.151,77 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 6. Januar 2006 zu zahlen, und zwar
Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Ansprüche aus der Beteiligung der
Klägerin an der Vif … GmbH & Co. Dritte KG.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz hat die Klägerin
zunächst diejenigen Kosten zu tragen, die durch die Anrufung des unzuständigen
Landgerichts München I entstanden sind.
Die übrigen Kosten hat die Beklagte zu tragen.
Die Nebenintervenientin hat ihre eigenen Kosten selbst zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Klägerin gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in Höhe von 110
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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I.
Die Klägerin verlangt von der beklagten Bank Schadensersatz wegen einer
angeblichen Falschberatung im Hinblick auf eine Beteiligung an der Vif …GmbH &
Co. Dritte KG (Vif).
Wegen des Sachverhalts im Weiteren, des streitigen Vortrags der Parteien und der
erhobenen Beweise in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils verwiesen. Zu ergänzen ist:
Die Beteiligung zuzüglich eines Agios entsprach einem Wert von 53.685,65 EUR.
Die Schadensersatzforderung der Klägerin beläuft sich auf den Beteiligungsbetrag
abzüglich einer Ausschüttung in Höhe von 1.533,88 €, so dass noch 52.151,77 €
gefordert werden.
Mit Urteil vom 24.9.2008 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Wegen der
Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor:
Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Die Klägerin habe aufgrund der Falschberatung durch die Beklagte eine wesentlich
riskantere Beteiligung erhalten als sie wollte, nämlich eine mit innewohnendem
Totalverlustrisiko. Das Landgericht übersehe, dass der Anleger in den Fällen
fehlerhafter Anlageberatung bereits einen sog. Zeichnungsschaden erlitten habe,
ohne dass der genaue Restwert der Beteiligung dargelegt werden müsse.
Rechtsfolge der Falschberatung sei dann die Rückabwicklung der Beteiligung, d.h.
der Anleger sei so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Beratung stünde. Selbst
wenn also die Beteiligung zum heutigen Zeitpunkt noch werthaltig wäre, würde
dies nichts daran ändern, dass die Klägerin einen Zeichnungsschaden erlitten
hätte.
Hinzu komme, dass ein etwaiger Restwert der Beteiligung durch den Zug-um-Zug-
Antrag berücksichtigt werde. Damit sei die Klägerin auch bei einem etwaigen
Restwert der Beteiligung durch die Rückabwicklung nicht besser gestellt.
Im Übrigen sei die Beteiligung heute völlig wertlos, nachdem sich der Vif in
Liquidation befinde.
Die Beklagte habe weder anleger- noch objektgerecht beraten. Die empfohlene
Beteiligung passe in keiner Weise zum Anlageprofil der Klägerin, was die
Beweisaufnahme unzweifelhaft ergebe habe.
Die Angabe der Beklagten, das Verlustrisiko sei durch die Erlösausfallversicherung
auf maximal 21,6 % beschränkt, sei unzutreffend. Diese Information habe die
Beklagte ungeprüft aus dem Prospekt entnommen, wodurch sie ihre Pflicht zur
Plausibilitätsprüfung verletzt habe.
Steuervorteile spielten nach BGH vom 6.3.2008, III ZR 298/05 bei der Berechnung
des Schadens keine Rolle, da sie nur dann abzuziehen seien, wenn die Klägerin
außergewöhnliche Steuervorteile erzielt hätte, wofür die Beklagte die Beweislast
trage, was hier aber nicht der Fall sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie
52.151,77 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit 22.12.2000 zu zahlen, und zwar Zug um Zug gegen Abtretung
sämtlicher Ansprüche aus der Beteiligung der Klägerin am Vif.
Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen;
hilfsweise widerklagend,
festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, etwaig von der Beklagten
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festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, etwaig von der Beklagten
erhaltene Schadensersatzleistungen, die seitens der zuständigen Finanzbehörde
der Klägerin nicht der Nachversteuerung ganz oder teilweise unterworfen werden,
an die Beklagte zurückzuzahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Hilfswiderklage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zumindest im Ergebnis
zutreffend und trägt vor:
Zwischen den Parteien sei lediglich ein Anlagevermittlungsverhältnis und nicht ein
-beratungsvertrag zustande gekommen. Die Zeugin Z1 habe keinerlei Empfehlung
in Richtung auf irgendeine bestimmte Beteiligung ausgesprochen; die Klägerin
habe ihre Entscheidung vielmehr auf den Rat ihres Ehemanns hin getroffen (wird
ausgeführt). Wenn sich die Zeugin Z1 auch nicht mehr konkret daran erinnern
konnte, ob sie den Begriff des Totalverlustes angesprochen hatte, habe sie jedoch
auf der Grundlage des Prospektes umfassend über Haftungsfragen und
Kapitalverluste informiert.
Der Beklagten könne die geänderte Rechtsprechung des BGH nicht angelastet
werden. Vor der Entscheidung vom 14.6.2007 hätten etliche Instanzgerichte den
streitbefangenen Prospekt nicht beanstandet (wird ausgeführt). Bei dieser
Sachlage müsse zwangsläufig von einem entschuldbaren Irrtum aufseiten der
Beklagten ausgegangen werden. So sehe dies auch das OLG München in seiner
Entscheidung vom 28.7.2008, 21 U 4527/06 (wird ausgeführt).
Der Klägerin sei ein erhebliches Mitverschulden anzulasten. Sie sei gehalten
gewesen, den Prospekt sorgfältig zu lesen. Hätte sie dies getan, hätte ihr nicht
verborgen bleiben können, dass an exponierter Stelle von einem Totalverlustrisiko
die Rede war. Auf jeden Fall hätte sie insoweit Anlass zum Nachfragen gehabt.
Stattdessen habe sich die Klägerin allein auf die Empfehlung und Beratung ihres
Ehemannes verlassen.
Außerdem hätten die Gesellschafter - also auch die Klägerin - im Rahmen eines
Vergleichs die Erlösausfall-Rahmenversicherung bei der Versicherung ... gekündigt
und sich eine Abstandszahlung auskehren lassen, ohne eine neue Versicherung
abzuschließen. Auch insoweit müsse der Klägerin also ein Mitverschulden
angelastet werden.
Das Gespräch zwischen der Klägerin und der Zeugin Z1 sei nicht von
entscheidender Bedeutung für die Zeichnungsentscheidung der Klägerin gewesen.
Es sei vielmehr der Ehemann der Klägerin gewesen, der den Ausschlag gegeben
habe. Deshalb sei auch die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht
gegeben.
Die Darlegungen der Klägerin zum Schaden seien höchst ungenügend.
Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin schon nach ihrem
eigenen Vortrag nicht 100 % des angeblichen Schadens verlangen könne, wenn
sie - unstreitig - jedenfalls auf ein Verlustrisiko von 25 % hingewiesen worden sei.
Neben den Ausschüttungen seien Steuervorteile der Klägerin im Rahmen der
Vorteilsausgleichung anzurechnen (wird ausgeführt). Hilfsweise sei insoweit
jedenfalls der Widerklage stattzugeben.
Die Ansprüche der Klägerin seien jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2004 verjährt. Es
sei unklar, welche Erkenntnisse die Klägerin aus einem Scheiben der Firma A im
Jahr 2002 gewonnen haben soll, die sie nicht schon zum Zeitpunkt der Anlage
2000 hatte. Die subjektiven Voraussetzungen der Verjährung hätten bereits im
Jahr 2000 vorgelegen. Ein etwaiges Totalverlustrisiko existiere oder existiere nicht
und hänge nicht davon ab, dass die Firma A die Klägerin darüber informierte, dass
die Produktionsdienstleisterin der Vif - die B GmbH - habe Insolvenz anmelden
müssen.
Die Nebenintervenientin hat keinen eigenen Vortrag gehalten.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form-
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form-
und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache - bis auf einen Teil
der geforderten Zinsen - Erfolg (dazu A.). Bei der hilfsweise von der Beklagten in
der Berufungsbegründungsschrift erhobenen Widerklage handelt es sich um eine
verdeckte Anschlussberufung, die zwar zulässig ist, insbesondere innerhalb der
Frist des § 524 II 2 ZPO erhoben wurde, in der Sache aber ohne Erfolg bleiben
muss (dazu B.).
A. Die Berufung bzw. die Klageforderung ist begründet, denn der Klägerin stehen
Schadensersatzansprüche aus positiver Forderungsverletzung des im Jahr 2000
geschlossenen Anlageberatungsvertrages (nunmehr § 280 I BGB) gegen die
Beklagte zu.
Zwischen den Parteien ist ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen.
Nimmt ein Anlageinteressent bei einer konkreten Anlageentscheidung die Hilfe
einer Bank in Anspruch und lässt sich diese auf eine Beratung ein, kommt auch
ohne eine entsprechende ausdrückliche Abrede ein Beratungsvertrag zustande.
Ein stillschweigender Vertragsschluss ist schon dann anzunehmen, wenn der
Berater erkennt, dass der Kunde das Ergebnis der Beratung zur Grundlage einer
Anlageentscheidung machen will (Palandt-Heinrichs BGB, 69. Auflage, § 280 Rn 47
- mit weiteren Nachweisen).
Auch nach dem Vortrag der Beklagten ist dies vorliegend zu bejahen. Die Klägerin
hat sich über verschiedene Anlagemöglichkeiten von der für die Beklagte
handelnden Zeugin Z1 beraten lassen und diese konnte erkennen, dass ihre
Beratung in die Entscheidung der Klägerin einfließen würde. Wenn die Klägerin
durch Beeinflussung ihres Ehemanns bereits eine Präferenz für den Vif hatte,
ändert dies nichts. Es ist auch nicht notwendig, dass die Zeugin ausdrücklich den
streitbefangenen Fonds empfohlen hat. Die Beklagte war danach verpflichtet, die
Klägerin anleger- und objektgerecht beraten hat. Dies ist nicht erfolgt.
Der streitgegenständliche Prospekt ist als fehlerhaft zu werten. In seinem Urteil
vom 14.6.2007, III ZR 125/06 hat der BGH entschieden, dass ausschlaggebend der
sich einem durchschnittlichen Anleger bei der Lektüre des Prospekts aufdrängende
Gesamteindruck ist, dass er mit seiner Beteiligung nur ein begrenztes Risiko in
Höhe von 21,6 % des Beteiligungskapitals eingehe. Um diesen Eindruck zu
vermeiden, hätte in dem Abschnitt "Risiken der Beteiligung" der Hinweis wiederholt
werden müssen, dass im Extremfall das eingesetzte Kapital vollständig verloren
sei.
Der Gesamteindruck aber ist falsch. Das mit 21,6 % angegebene Verlustrisiko ist
unzutreffend kalkuliert.
Es berücksichtigt u.a. nicht, dass Versicherungen noch nicht abgeschlossen waren,
dass die Versicherung in einem solchen für sie atypischen Geschäft
möglicherweise nicht zahlungsbereit oder -fähig sein würde, dass der
Versicherungsumfang in erheblichem Umfang auf die Produktionskosten einzelner
Filme beschränkt war und dass die Kosten für die Versicherungsprämien aus
wirtschaftlicher Sicht in Anbetracht der zweifelhaften Erfolgschancen der Filme
hoch anzusetzen waren (so auch OLG Frankfurt am Main vom 14.5.2008, 23 U
177/06). Außerdem ist fraglich, ob eine Versicherungsleistung - z.B. bei einer
Insolvenz des Fonds - überhaupt dem einzelnen Anleger zugute kommen würde.
Der Anlageberater hat sich gerade bei einer risikoreichen Anlageform - wie der
Beteiligung an Filmproduktionen - über die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Anlage
und den tatsächlichen Abschluss seriöser und dauerhafter Versicherungsverträge
zu informieren, da er ansonsten dem Anleger keine sachgerechten Auskünfte
geben kann. Eine sorgfältige und kritische Prüfung des Prospekts durch die
Beklagten hat aber gerade nicht stattgefunden, da sie ansonsten kaum in einem
internen Rundschreiben vom 30.6.2000 (Anlage K 96 = Bl. 219) die unzutreffende
Behauptung aufgestellt hätte, dass eine Absicherung durch eine Erlösversicherung
bereits erfolgt sei und nur eine Restrisiko von 22,6 % bestehe. In dieser Situation
muss sich ein Anlageberater in dem Beratungsgespräch von dem Prospektinhalt
ganz oder teilweise distanzieren, denn wesentliche Funktion des
Beratungsgesprächs ist es gerade, unrichtige Darstellungen und "werbenden
Zierrat" im Prospekt zu enttarnen (vgl. Ellenberger, Fehlgeschlagene
Wertpapieranlagen, 2006, S. 75; Ellenberger/Schäfer/Clouth Praktikerhandbuch
Wertpapier- und Derivategeschäfte, 3. Auflage 2010, Rz 332).
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Die Beratung der Klägerin durch die Zeugin Z1 wird den vorgestellten
Anforderungen nicht gerecht, selbst wenn man nur auf das abstellt, was die
Zeugin - zugunsten der Beklagten - ausgesagt hat und die Bekundungen des
ebenfalls als Zeugen vernommenen Ehemanns der Klägerin außen vor lässt. Wenn
die Zeugin Z1 - wie sie bekundet - anhand des Prospektes beraten hat, muss sich
der falsche Gesamteindruck aus dem Prospekt im Hinblick auf das
Totalverlustrisiko auch in das Beratungsgespräch übertragen haben. Nach ihrer
Aussage hat sich die Zeugin auch nicht von diesem falschen Eindruck distanziert,
wie es erforderlich gewesen wäre und wie es z.B. durch eine deutliche
Hervorhebung des Totalverlustrisikos hätte erfolgen können. Die Zeugin konnte
sich gar nicht genau daran erinnern, ob das Risiko des Totalverlustes überhaupt
zur Sprache gekommen ist.
Soweit die Beklagte meint, zwischen den Parteien sei kein
Anlageberatungsvertrag, sondern lediglich ein Anlagevermittlungsvertrag
zustande gekommen ist, kann dies letztlich dahinstehen. Auch der
Anlagevermittler hat - ebenso wie ein Berater - die Pflicht, den Anleger richtig und
vollständig über alle für die Anlage wichtigen tatsächlichen Umstände zu
informieren. Außerdem ist er verpflichtet, das Anlagekonzept auf wirtschaftliche
Plausibilität hin zu überprüfen (vgl. Palandt-Grüneberg BGB, 69. Auflage, § 280 Rn
52). Gegen diese Verpflichtung hat die Beklagte verstoßen, weil sie die Klägerin
über das Totalverlustrisiko der streitgegenständlichen Anlage nicht richtig
aufgeklärt hat.
Dafür, dass die Beratung durch die Zeugin Z1 kausal für die Anlageentscheidung
der Klägerin war, spricht die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens
(Ellenberger/Schäfer/Clouth Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäfte,
3. Auflage 2010, Rz 398 - mit weiteren Nachweisen).
Dass die Klägerin die Entscheidung allein aufgrund der Einflussnahme ihres
Ehemannes getroffen hat, wie die Beklagte behauptet, um die Vermutung zu
erschüttern, hat diese weder konkret vorgetragen noch hat sie hierfür Beweis
angeboten.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, ihre Mitarbeiterin treffe - auch in
Anbetracht des beanstandungsfreien Prospektprüfungsgutachtens - kein
Verschulden. Das Verschulden in Form von Fahrlässigkeit besteht darin, dass bei
der Klägerin auf Grund der Aufklärung der Zeugin Z1 der Eindruck entstanden ist,
das Verlustrisiko liege maximal bei rund 20 %. Die Beklagte muss sich darüber
hinaus vorwerfen lassen, dass sie keine eigenen Nachforschungen zum Bestehen
einer Erlösausfallversicherung vorgenommen hat.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass einige Gerichte den Prospekt
zunächst für beanstandungsfrei gehalten haben. Die Entscheidung des BGH vom
14.6.2007, III ZR 125/06 beschränkte sich nicht darauf, die Wiederholung eines
Satzes im Prospekt zu fordern. Sie stellt auch keine Änderung im Vergleich zur
bisherigen Rechtsprechung dar.
Bereits in einem Urteil vom 12.7.1982, II ZR 175/81 hat der BGH ausgeführt, dass
es zur Beurteilung der Richtigkeit eines Prospekts nicht allein auf die darin
wiedergegebenen Einzeltatsachen ankommt, sondern wesentlich auch darauf,
welches Gesamtbild er durch seine Aussagen von den Verhältnissen und der
Vermögens-, Ertrags- und Liquiditätslage des Unternehmens einem
aufmerksamen Leser ohne überdurchschnittliches Fachwissen vermittele (so OLG
Frankfurt am Main vom 14.5.2008, 23 U 177/06; anders aber wohl OLG München
vom 28.7.2008, 21 U 4527/06).
Der Schaden der Klägerin besteht in den Aufwendungen zum Erwerb der
Beteiligung abzüglich der einmal erfolgten Ausschüttung, die bei der
Klageforderung schon berücksichtigt wurde.
Unzutreffend ist die zentrale Argumentation des Landgerichts, ein Schaden sei
nicht substantiiert dargelegt und liege von vornherein nicht vor, soweit die Klägerin
ohnehin von einer Verlustmöglichkeit habe ausgehen müssen. Nach den
Grundsätzen der Schadensberechnung nämlich hat die Beklagte als Schädigerin
den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn sie ihren
Beratungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen wäre. In diesem Fall hätte die
Klägerin aber die gesamten Aufwendungen nicht getätigt. Das Geschäft ist also
regelmäßig vollständig - Zug um Zug - rückabzuwickeln
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regelmäßig vollständig - Zug um Zug - rückabzuwickeln
(Ellenberger/Schäfer/Clouth Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäfte,
3. Auflage 2010, Rz 402 f.).
Es kommt auch nicht darauf an, welchen Wert die Anteile heute haben, denn der
Schaden entstand schon bei Erwerb der Anteile.
Auch Steuervorteile sind im vorliegenden Fall im Wege der Vorteilsausgleichung
nicht anzurechnen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass im Falle einer
Besteuerung der Schadensersatzleistung die Steuervorteile insgesamt nicht
angerechnet werden, auch wenn dies keine exakte Gegenüberstellung der
tatsächlichen und der hypothetischen Vermögenslage sein mag. Für den
vorliegenden Fall ist in steuerlicher Hinsicht § 15 Abs. 1 Ziff. 2 EStG
ausschlaggebend. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 17.11.2005, III
ZR 350/04) gelten bezüglich eines Kommanditisten, der steuerlicher
Mitunternehmer des Betriebes ist, alle Zahlungen, die er in wirtschaftlichem
Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der KG erhält, als Betriebseinnahmen
und sind deshalb zu versteuern. Zu ihnen gehören auch die hier geltend
gemachten Schadensersatzleistungen im Zusammenhang mit der Zug um Zug
vorzunehmenden Rückgabe der Rechte aus der Beteiligung. Im Hinblick darauf ist
eine nähere Berechnung und Berücksichtigung von Steuervorteilen nicht
erforderlich. Etwas anderes gilt nach BGH vom 6.3.2008, III ZR 298/05 nur, falls es
Anhaltspunkte für "außergewöhnliche" Steuervorteile gibt. Zumindest für solche
Steuervorteile liegen hier aber keine Anhaltspunkte vor.
Der Klägerin ist auch kein Mitverschulden anzurechnen.
So kann ein Mitverschulden nicht darin gesehen werden, dass die Klägerin den
Beschluss der Gesellschafterversammlung (vgl. Anlage K 4) mitgetragen hat, das
Vergleichsangebot der VERSICHERUNG ... anzunehmen und keine neue
Restrisikoversicherung abzuschließen. Zwar hatte die Klägerin im Rahmen ihrer
Schadensminderungspflicht alle Maßnahmen zu treffen, die ein ordentlicher und
verständiger Mensch zur Schadensminderung ergreifen würde (Palandt-Heinrichs
BGB, 69. Auflage 2010, § 254 Rn 36). Aus dem Vorbringen der Beklagten ergeben
sich aber keine Anhaltspunkte dafür, ob ex post bei wirtschaftlicher Betrachtung
das von der Beklagten geschilderte Alternativverhalten erkennbar zu besseren
Ergebnissen geführt hätte und ob es der Klägerin überhaupt zumutbar gewesen
wäre, der Beschlussfassung der übrigen Gesellschafter im Interesse der
Schädigerin entgegenzutreten (so auch OLG Frankfurt am Main, Urteil vom
14.5.2008, 23 U 175/06).
Die Klageforderung ist auch nicht verjährt.
Einschlägig sind die Bestimmungen über die Regelverjährung in Überleitungsfällen,
wonach eine Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2004 eintreten konnte.
Im vorliegenden Fall greift jedoch Art. 229 § 6 I, IV EGBGB in Verbindung mit § 199 I
BGB nF ein. Nach h.M. beginnt die Verjährungsfrist auch in Überleitungsfällen erst
mit der Entstehung der subjektiven Voraussetzungen des § 199 I BGB (vgl. z.B.
BGH vom 23.1.2007, XI ZR 44/06). Die Klägerin will erst im Jahr 2002 durch ein
Rundschreiben der A-GmbH vom 18.6.2002 von den wahren Risiken der
Beteiligung erfahren haben. Dieser Umstand stellt ein zentrales Argument für die
von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche dar. Verjährung wäre danach erst
mit Ablauf des 31.12.2005 eingetreten. Dafür, dass die Klägerin schon vor 2002
Kenntnis vom Totalverlustrisiko hatte, ergeben sich aus dem Vortrag der
darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten keine Anhaltspunkte.
Der Umstand, dass das Totalverlustrisiko von Anfang an bestand, sagt nichts über
die Kenntnis der Klägerin hiervon aus; die Falschberatung hat gerade dazu geführt,
dass die Klägerin insoweit keine Kenntnis hatte.
Die Verjährung ist gemäß § 204 I Nr. 3 BGB durch die Zustellung des
Mahnbescheids rechtzeitig gehemmt worden. Zwar ging der Mahnbescheidsantrag
vorliegend am 14.12.2005 beim Mahngericht und wurde der Beklagten erst am
6.1.2006 - also nach Ablauf der Verjährungsfrist - zugestellt. Gemäß § 167 ZPO
wirkt aber die Zustellung auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klage zurück, sofern
die Zustellung demnächst erfolgt ist, was hier der Fall ist. Der Umstand, dass die
Sache zunächst an das - unzuständige - Landgericht München I abgegeben wurde,
ändert hieran nichts, da es nur auf die Zustellung des Mahnbescheids und nicht
auf die rechtzeitige Abgabe an das (zuständige) Streitgericht ankommt (dazu
Palandt-Ellenberger BGB, 69. Auflage, § 204 Rn 18).
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Zinsen in gesetzlicher Höhe stehen der Klägerin gemäß §§ 286 I 2, 288, 247 BGB
erst ab Zustellung des Mahnbescheids am 6.1.2006 zu. Aus § 291 BGB ergibt sich
keine bessere Verzinsung. Für eine Verzinsung nach anderen
Anspruchsgrundlagen fehlt entsprechender Vortrag vonseiten der Klägerin.
B. Der - als Anschlussberufung aufzufassende - Eventualantrag der Beklagten
muss ohne Erfolg bleiben, da - wie oben ausgeführt - der zu leistende
Schadensersatz der Einkommensteuerpflicht unterliegt, so dass für eine Auskehr
bereits zugeflossener Steuervorteile kein Raum ist (im Ergebnis so auch OLG
Frankfurt am Main, Urteil vom 14.5.2008, 23 U 177/06).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 281 III, 92 II ZPO. Die Beklagte hat als
unterliegende Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da die
Zuvielforderung der Klägerin hinsichtlich der Zinsen verhältnismäßig geringfügig
war und keine Kosten verursacht hat. Hiervon ausgenommen sind diejenigen
Kosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts München I
entstanden sind; diese Kosten hat die Klägerin zu tragen.
Der Kostenausspruch bezüglich der Nebenintervenientin beruht auf § 101 I ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr.
10, 711, 709 S. 2, 108 I ZPO.
Der Gebührenstreitwert für die Berufung beträgt (gerundet) 53.152,- €. Dabei sind
- wie in erster Instanz - 52.151,77 € anzusetzen, zuzüglich eines geschätzten
Wertes für die Anschlussberufung, den der Senat mit 1.000,- € bemisst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht
vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.