Urteil des OLG Frankfurt vom 30.03.2006

OLG Frankfurt: eurocard, allgemeine geschäftsbedingungen, kreditkarte, nummer, sperrung, gold, rom, missbrauch, haftungsbeschränkung, verhinderung

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Gericht:
OLG Frankfurt 16.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 U 70/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 254 Abs 1 BGB, §
670 BGB, § 676f BGB, § 812
Abs 1 S 1 Alt 1 BGB
(Missbrauch einer gestohlenen Eurocard-Gold-Kreditkarte
unter Verwendung der PIN: Anscheinsbeweis für einen
sorgfaltswidrigen Umgang des Kreditkarteninhabers mit
der Geheimzahl; Nichtberücksichtigung allgemeiner
Behauptungen zur möglichen PIN-Entschlüsselung;
Mitverschuldensabwägung bei behaupteten
Organisationsmängeln des Kartenunternehmens und eines
behauptet unzureichenden technischen Standards)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 24. März 2005 verkündete Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main - 2- 31 O 215/04 -wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit
leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Erstattung der Beträge, mit denen ihr
Konto belastet wurde, nachdem am 7. Dezember 2002 in Rom unter Verwendung
der entwendeten Kreditkarte der Klägerin zwischen 10.54 Uhr und 11.38 Uhr an
diversem Geldautomaten insgesamt 20 Abhebungen vorgenommen wurden.
In der entwendeten Geldbörse der Klägerin befanden sich die ec-Karte der Klägerin
und die streitgegenständliche Eurocard-Gold-Kreditkarte mit der Nummer …. Am
Tag des Diebstahls erfolgte um 10.30 Uhr eine Verlustmeldung beim Nottelefon
der ...bank O1; um 11.44 Uhr meldete der Sohn der Klägerin den Verlust der
Kreditkarte bei der Beklagten, worauf diese die Kartensperrung veranlasste.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin aus
ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Die Beklagte könne die Erstattung
verweigern, weil ihr ein Anspruch gegen die Klägerin aus positiver
Vertragsverletzung zustehe, da die Klägerin in erheblicher Weise nebenvertragliche
Pflichten aus dem Kreditkartenvertrag verletzt habe. Weil die Auszahlungen mit
der richtigen PIN-Nummer der Klägerin getätigt wurden, spreche der
Anscheinsbeweis für eine sorgfaltswidrige Aufbewahrung der PIN-Nummer durch
die Klägerin.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung der
Entscheidung wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand (Bl. 150 – 152
d.A.) und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 152 –
154 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen das zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 3. Mai 2005 zugestellte
Urteil hat die Klägerin mit einer am 3. Juni 2005 bei Gericht eingegangenen Schrift
Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 3.
August 2005 mit einer an diesem Tag bei Gericht eingegangenen Schrift
begründet hat.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Landgericht habe zu Unrecht nicht berücksichtigt,
dass die missbräuchlichen Abhebungen bei einer Sperrung der Karte um 10.30
Uhr unterblieben wären. Da die Klägerin - wie sie behauptet – die PIN-Nummer zu
Hause aufbewahrt habe, könnten die Abhebungen nicht mit Hilfe dieser PIN-
Nummer erfolgt sein. Das Landgericht hätte auch berücksichtigen müssen, dass
die Beklagte wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen 20 Abhebungen
zugelassen und versäumt habe, durch Sicherstellung der Lichtbilder von den
Tätern einen Regress durch die Klägerin zu ermöglichen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom 24. März
2005, Az: 2 – 31 0 215/04, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.210,--
Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Nationalbank seit
dem 7. Dezember 2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Sie behauptet, eine Eurocard/Mastercard – PIN könnte nicht binnen kurzer Zeit
entschlüsselt werden, so dass die Abhebungen mit der PIN-Nummer der Klägerin
erfolgt sein müssten.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
Die Akte 4 0 439/04 LG Gießen hat zu Informationszwecken vorgelegen.
II.
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Klägerin hat in der Sache
keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Der Klägerin hätte gegenüber der Beklagten ein Anspruch aus ungerechtfertigter
Bereicherung dann zugestanden, wenn die Belastungen des Bankkontos der
Klägerin, über welches die Zahlungen für den zwischen den Parteien
abgeschlossenen Kreditkartenvertrag abgewickelt wurden, rechtsgrundlos erfolgt
wären (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 676 f. BGB). Andererseits
bestand im Rahmen des Geschäftsbesorgungsvertragsverhältnisses der Parteien
ein Anspruch auf Ausgleichung der streitgegenständlichen Barabhebungen an den
Geldautomaten in Rom, wenn es sich bei den Geldautomatenauszahlungen um
legitimierte Auszahlungen gehandelt hätte (§§ 670, 675 BGB). Zwar wurde der
Klägerin die Eurocard-Gold Kreditkarte in Rom entwendet. Einem sich aus der
unbefugten Abhebung ergebenden Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die
Beklagte steht indes ein Schadensersatzanspruch der Beklagten aus positiver
Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) entgegen, so dass die Beklagte gemäß §
242 BGB berechtigt ist, die Rückzahlung der Beträge zu verweigern (vgl. Palandt-
Heinrichs, BGB. 65 Aufl. § 242 Rn 52 – dolo agit, qui petit, quod statim redditurus
est). Die Klägerin hat nämlich – wie bereits durch das Landgericht festgestellt – in
erheblicher Wiese eine nebenvertragliche Pflicht aus dem Kreditkartenvertrag
verletzt. Nach den Eurocard-Kundenbedingungen (Ziffer 5: Sorgalts- und
Mitwirkungspflichten) hat der Karteninhaber die Eurocard mit besonderer Sorgfalt
aufzubewahren und dafür Sorge zu tragen, dass kein Dritter Kenntnis von der PIN
(Personenidentitätsnummer) erlangt; insbesondere darf diese PIN - zur
Verhinderung des Kartenmissbrauchs – anderen Personen nicht mitgeteilt und
auch nicht auf der Karte vermerkt werden oder nicht zusammen mit der Karte
aufbewahrt werden. Gegen diese Sorgfaltspflichten hat die Klägerin verstoßen.
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aufbewahrt werden. Gegen diese Sorgfaltspflichten hat die Klägerin verstoßen.
Hierbei ist nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins davon
auszugehen, dass mittels gestohlener und sonst abhanden gekommener
Kreditkarten am Geldautomaten nur deshalb Auszahlungen vorgenommen werden
konnten, weil der Karteninhaber mit seiner Geheimzahl nicht sorgfältig
umgegangen ist bzw. diese pflichtwidrig bei sich getragen hat (vgl. OLG Frankfurt
WM 2002, 2101; Palandt-Sprau, 65 Aufl., § 676 h Rn 13 m.w.N.). Besondere
Umstände, die den Nachweis erschüttern, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Ihr
Vorbringen, die PIN habe zu Hause gelegen, reicht nicht. Der Beweis des ersten
Anscheins kann auch nicht bereits durch die theoretisch denkbare Möglichkeit
einer PIN-Ermittlung erschüttert werden (vgl. OLG Frankfurt, NJW – RR 2004, 206
ff.).
Nach alledem haftet die Klägerin schon allein wegen dieses sorgfaltswidrigen
Verhaltens.
Zwar hat der Karteninhaber nach Ziffer 9 der EURO-Card – Kundenbedingungen für
missbräuchliche Verfügungen, die mit der EURO-CARD nach der Verlustanzeige
getätigt werden, nicht mehr einzustehen. Es ist hier jedoch davon auszugehen,
dass diese Regelung nur für solche Sachverhalte Geltung beanspruchen kann, bei
denen Schäden verschuldensunabhängig eingetreten sind. An der
Verschuldenshaftung des Kunden bei Verletzung seiner Sorgaltspflichten ändert
diese Bestimmung nichts (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 2004, 206; OLG Zweibrücken
NJW-RR 1991, 241, 242; OLG Nürnberg, NJW-RR 1989, 880). Würde man auch bei
fahrlässiger Sorgfaltspflichtverletzung des Karteninhabers die
Haftungsbeschränkung eintreten lassen, müsste sich dieser geradezu ermuntert
fühlen, unsorgfältig mit den Kreditkarten umzugehen. Der sorgfältige Umgang des
Kunden mit der Karte ist jedoch Grundlage eines jeden Kreditkartensystems. Dies
gilt auch für die Haftungsbeschränkung i.S.v. Ziffer 9 S. 2 der EUROCARD-
Kundenbedingungen.
Weiter ist hier der Auffassung des Landgerichts darin zu folgen, dass der Beklagten
hinsichtlich der Schadensentstehung kein mitwirkendes Verschulden i.S. v. § 254
BGB anzulasten ist. Zwar war die verzögerte Sperrung mitschadensursächlich,
nachdem die streitgegenständlichen Auszahlungen erst nach der ersten
Verlustmeldung der Klägerin erfolgt sind. Nach der Fassung des Gesetztes
("insbesondere") ist bei der Abwägung in erster Linie auf das Maß der
beiderseitigen Verursachung abzustellen. Entscheidend ist, mit welchem Grad von
Wahrscheinlichkeit die beiderseitigen Verursachungsbeträge zur Herbeiführung
des schädigenden Erfolgs geeignet waren; "vorwiegend verursachen" bedeutet
soviel wie in höherem Grad wahrscheinlich machen (Palandt-Heinrichs, aaO. § 254
Rn 60). Wendiger erheblich ist insoweit, in welcher zeitlichen Reihenfolge die
beiderseitigen Verursachungsbeiträge gesetzt worden sind.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die verletzte Sorgfaltspflicht
auf Seiten der Klägerin, die hier gerade den Zweck hatte, Schäden wie den
eingetretenen zu verhindern, die Herbeiführung des schädigenden Erfolgs zu
einem höheren Grad wahrscheinlich gemacht hat. Es war hier nur dem Zufall zu
verdanken, dass nicht auch schon vor der Verlustmeldung Abhebungen getätigt
worden sind. Etwaige Organisationsmängel bei der Gesamtabwägung auf Seiten
der Beklagten müssen daher zurücktreten. Die Klägerin kann sich daher nicht
darauf berufen, dass der von ihr verursachte Schaden aufgrund eines anderen
Ereignisses ohnehin eingetreten wäre.
Es kommt hierzu, dass sich die Klägerin vorhalten lassen muss, dass die
Verlustmeldung bei der "X", die bereits um 10.30 Uhr erfolgt ist, nicht zuverlässig
bei der nach den Vertragsbedingungen richtigen Stelle erfolgte. Nach Ziffer 5 der
Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist der Verlust einer Eurocard entweder bei
der Gesellschaft für Zahlungssysteme oder bei dem Kreditinstitut oder bei der
Repräsentanz des Eurocard/Mastercard-Verbundes zu melden. Letzteres erfolgte
aber erst um 11.44 Uhr.
Eine Verlustmeldung bei der X erfolgte zwar um 10.30 Uhr, und zwar deshalb, weil
die ...bank selbst – wegen des Samstages – geschlossen war.
Ausweislich des Berichts über die Verlustmeldung erfasste diese jedoch nicht mit
der erforderlichen Klarheit auch die Sperrung der Eurocard. Denn der
entscheidende untere Abschnitt des Berichts vom 30. Dezember 2002 (Bl. 50 d.A.)
bezieht sich nur auf die EC-Karte. Der Hinweis auf eine Poolsperre beweist nicht,
dass auch die Eurocard erfasst wurde. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob das
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dass auch die Eurocard erfasst wurde. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob das
von der ...bank eingerichtete Nottelefon "X" ohnehin nur für die Sperrung von EC-
Karten vorgesehen war.
Der Vortrag der Klägerin hinsichtlich der bezeichneten Möglichkeiten der
Besitzerlangung von Daten und PIN`s ("Knacken des Quellcodes der
Banken")erscheint bei der Abwägung eines konkreten Mitverschuldens als nicht
berücksichtigungsfähig und eher spekulativ, wie auch solche allgemeinen Hinweise
einer konkreten Anknüpfung bzw. Begutachtung nicht zugänglich wären und auf
eine unzulässige Ausforschung hinausliefen. Die Klägerin hat hier keinerlei
tatsächliche Anknüpfungstatsachen vorgebracht, die auch nur annähernd eine
Grundlage für eine Beweiserhebung abgeben könnten. Nicht zuletzt hat auch die
Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt NJW – RR 2004, 206 ff.) darauf hingewiesen,
dass es für einen signifikanten Anstieg von PIN-Entschlüsselungen keinen
greifbaren Anhaltspunkt gibt, und auch von keinem Experten bestritten sei, das
alle Kreditkartengeschäftsaktionen an Geldausgabeautomaten stets online geprüft
werden.
Im übrigen hat die Beklagte hier – entgegen der Ansicht der Klägerin – dargelegt,
dass die Überprüfung der PIN online durch einen Zentralrechner erfolgt ist, was
durch die Autorisierungsprotokolle bewiesen ist. Die Abhebung erfolgte unter
korrekter Eingabe der PIN, dies folgt aus der vorgelegten
Transaktionsdokumentation.
Es kommt hierzu, dass der Vorfall aus dem Jahre 2002 stammt, also aus einer
Zeit, als die technischen Möglichkeiten für Manipulationen noch geringer waren als
heute, und zwischen Entwendung der Karte und den Abhebungen eine Zeitspanne
von nur 1 ½ Stunden lag.
Die Beklagte trifft hinsichtlich der Schadensentstehung auch kein mitwirkendes
Verschulden wegen vermeintlich unzureichender technischer Standards.
Unerheblich bleibt insoweit der Vortrag der Klägerin, dass die Beklagte keine
ausreichenden Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung der Kreditkartennutzung
in streitgegenständlichen Umfang getroffen habe. Soweit dieses Vorbringen nicht
bereits als verspätet im Sinne von § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zu behandeln ist, ist
davon auszugehen; dass es der Beklagten weder technisch noch aufgrund der
gegebenen kreditkartenvertraglichen Vereinbarungen mit dem Karteninhaber
möglich ist, einem Karteninhaber mehrere Bargeldauszahlungen, auch wenn diese
innerhalb eines kurzen Zeitraums und in streitgegenständliche Höhe erfolgen, zu
verweigern. Der Karteninhaber kann vielmehr grundsätzlich seinen Bargeldbedarf
mit der Kreditkarte im Rahmen des ihm kreditkartenvertraglich zur Verfügung
stehenden Dispositionsrahmens decken. Das Kartenunternehmen hat insoweit
aufgrund des Kreditkartenvertrages keine Handhabe, ihm derartige
Bargeldverfügungen zu verwehren. Etwas Anderes könnte nur dann gelten, wenn
eine solche Beschränkung einzelvertraglich oder durch Allgemeine
Geschäftsbedingungen geregelt würde.
Soweit sich die Klägerin weiter darauf beruft, die Beklagte habe nicht dafür Sorge
getragen, dass die italienischen Kreditinstitute die von den Dieben während der
Auszahlung gefertigten Lichtbilder aufbewahrt, ist ihr Vorbringen gemäß § 531 Abs.
2 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Im Übrigen ist eine solche Nebenpflicht
der Beklagten im Rahmen des Vertragsverhältnisses nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht
erfordert (§543 Abs. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.