Urteil des OLG Frankfurt vom 16.05.2006

OLG Frankfurt: due diligence, anfechtbarkeit, konzession, aufsichtsrat, tagesordnung, rechtsgutachten, wertberichtigung, anfechtungsklage, aktiengesellschaft, geschäftsjahr

1
2
3
4
Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 109/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 120 Abs 2 AktG
(Aktiengesellschaft: Anfechtbarkeit der
Hauptversammlungsbeschlüsse über die Entlastung von
Aufsichtsrat und Vorstand)
Leitsatz
Zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung einer AG, die die
Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrates betreffen
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde
vom Gericht nicht mitgeteilt]
Gründe
I.
Die Klägerin ficht als Aktionärin die Beschlüsse der Hauptversammlung der
Beklagten vom 25.6.2003 zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat
hinsichtlich des Geschäftsjahres 2002 an, weil aus einem Engagement der
Beklagten beim Bau eines weiteren Terminals am Flughafen von O1 im
Jahresabschluss 2002 eine Wertberichtigung um ca. 348 Mio. € geboten war und
vorgenommen wurde, für die sie die vorgenannten Organe als verantwortlich sieht.
Die Beklagte erwarb 1999 Anteile an einer O2 Gesellschaft, die eine Konzession
zum Bau des Terminals erteilt erhalten hatte. Vor dem Erwerb wurde von der
Beklagten u.a. eine rechtliche Überprüfung der Konzession veranlasst, („Legal-
Due-Diligence-Bericht“). Dieses Gutachten lag dem Vorstand und dem
Aufsichtsrat vor. Im Mai 2003 wurde die Konzession vom Obersten Gerichtshof der
O2 für nichtig erklärt, woraus sich bei der Beklagten die Notwendigkeit der
Wertberichtigung ergab.
Die Klägerin hat mit der am 23.7.2003 anhängig gemachten und demnächst
zugestellten Klage behauptet, der rechtliche Prüfungsbericht habe ergeben, dass
die Verträge zur Konzession wegen Verstoßes gegen O2 Recht nichtig bzw.
anfechtbar seien. Der Vorstand der Beklagten habe keine geeigneten Maßnahmen
für eine Risikoüberwachung geschaffen, durch die besondere Risiken hinsichtlich
der Konzession hätten erkannt werden können. Vorstand und Aufsichtsrat sei aus
dem Rechtsgutachten bekannt gewesen, dass die Verträge anfechtungs- bzw.
nichtigkeitsgefährdet gewesen seien. Später hat die Klägerin die Anfechtung auf
weitere Sachverhalte gestützt (unterlassenes Risikomanagement zur späteren
Schadensbegrenzung, Gewährung ungesicherter Finanzhilfen an O2 Unternehmen,
unterlassene Information in den Hauptversammlungen der Jahre 2000 bis 2002,
fehlende Rückstellung für Prospekthaftungsklagen, fehlende Rückstellungen für
Brandschutzeinrichtungen, unterlassene Schadensersatzbeanspruchung des
Aufsichtsrates beim Vorstand).
Die Klägerin hat beantragt,
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.6.2003, durch
welche die Entlastung des Vorstands (Punkt 2 der Tagesordnung) und des
Aufsichtsrats (Punkt 3 der Tagesordnung) erteilt wurden, für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin wegen eines bereits
vor der Beschlussfassung eingelegten generellen Widerspruchs nicht
anfechtungsbefugt sei und dass zum Beteiligungsprojekt vorgeworfene Verhalten
nicht im Geschäftsjahr 2002 erfolgt sei, das den Gegenstand der Entlastung
darstelle. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens
und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil verwiesen (Bl. 483 bis 494 d.A.).
Die Berufung der Klägerin betont die Zulässigkeit eines generellen Widerspruchs
bereits vor der Beschlussfassung und wiederholt die Ansicht, dass bei einem sich
in späteren Perioden auswirkenden früheren Verhalten der zu entlastenden
Organe Entlastung noch bei Eintritt der Folgen verweigert werden könne.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beschlüsse der Hauptversammlung
der Beklagten vom 25.6.2003, durch welche die Entlastung des Vorstands (Punkt 2
der Tagesordnung) und des Aufsichtsrates (Punkt 3 der Tagesordnung) erteilt
wurden, für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil.
II.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, weil das angefochtene Urteil nicht auf
einem Rechtsfehler beruht (§ 513 Abs. 1 1.Alt. ZPO). Denn es ist im Ergebnis
zutreffend. Von der erstinstanzlichen Vortragslage abweichende Tatsachen des
Berufungsverfahrens rechtfertigen ebenfalls keine andere Entscheidung (§ 513
Abs. 2. Alt. ZPO).
Die Beschlüsse der Hauptversammlung vom 25.6.2003 zur Entlastung des
gesamten Vorstands und Aufsichtsrats sind nicht anfechtbar, weil sie weder
Satzungsbestimmungen noch Gesetze verletzten.
Eine Verletzung des § 120 Abs.2 AktG ergibt sich nicht, weil die Billigung der
Verwaltung durch die vorgenannten Organe nicht außerhalb des
Ermessenspielraums der Hauptversammlung erfolgte, nämlich nicht einen
schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzesverstoß der Organe deckte (vgl. BGHZ
153, 47; BGH DStR 2005, 75; OLG Stuttgart ZIP 2003, 1981). Nur dann läge
nämlich eine Treupflichtverletzung der Mehrheit gegenüber der Minderheit der
Aktionäre vor, die einen Ermessensmissbrauch darstellen würde. Das setzt voraus,
dass der Erklärungsinhalt der von der Hauptversammlung ausgesprochenen
Billigung das von der Anfechtungsklägerin vorgeworfene Verhalten der
Verwaltungsorgane überhaupt erfasste.
Die sachliche Reichweite der Billigung erstreckt sich nach ganz überwiegender
Auffassung in der Fachliteratur (Semler in MüHdbGesR § 34 Rdnr. 28; ders. in AG
2005, 331, 333; Zöllner in Kölner Kommentar zum AG, 1985, § 120 Rdnr. 38;
Henze, BB 2005, 165, 169; differenzierend MüKo/Kubis, AktG, 2004, § 120 Rdnr.
20), der auch die Klägerin folgt (Berufungsbegründung S. 8 und S. 10, Bl. 551, 553
d.A.), nur auf die der Hauptversammlung bekannt gewordenen Umstände.
Dem schließt sich der Senat an, ohne dass es hier darauf ankommt, ob auch bei
sorgfältiger Prüfung aller der Hauptversammlung unterbreiteten Unterlagen und
erstatteten Berichte (vgl. für GmbH: BGH WM 1958, 1503, 1505) erkennbare
Verhaltensweisen erfasst sein könnten, weil es für den Erklärungswert eines
Entlastungsbeschlusses auf Umstände nicht ankommt, die nur einzelnen
Aktionären bekannt oder erkennbar waren. Der Entlastungsbeschluss ist nämlich
als Erklärung an einen allgemeinen Personenkreis objektiv auszulegen (vgl. RGZ
20
21
22
23
24
25
26
als Erklärung an einen allgemeinen Personenkreis objektiv auszulegen (vgl. RGZ
146, 154 für Hauptversammlungsbeschluss; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl.,
2006, § 133 Rdnr 12).
Dass das mit der Anfechtungsklage geltend gemachte Verhalten des Vorstands
und des Aufsichtsrats, das die Klägerin als vorwerfbar wertet, der
Hauptversammlung zumindest in den Umrissen bekannt gewesen wäre oder aus
ihr erteilten Informationen erkennbar hätte sein können, ist nicht vorgetragen. Die
Anfechtungsklage legt dem Vorstand das Unterlassen der Einrichtung einer
unternehmerischen Kontrollinstanz vor, die das Risiko aus einer Anfechtbarkeit
oder Unwirksamkeit der Konzession aufgedeckt hätte. Das Risiko soll sich nach
Darstellung der Klägerin aus einem für den Vorstand erstellten Rechtsgutachten
(„Legal-Due-Diligence-Bericht“) ergeben haben (Klageschrift S. 5, letzter Absatz,
und S. 6, letzter Absatz, Bl. 29, 30 d.A.). Alternativ ist geltend gemacht worden,
dass der Vorstand ein solches sich aus dem Rechtsgutachten ergebendes Risiko
erkannt, aber hierauf nicht angemessen reagiert habe (Klageschrift S. 7, 2. Abs.,
Bl. 31 d.A.). Dem Aufsichtsrat ist angelastet worden, trotz Kenntnis des
Rechtsgutachtens der Beteiligung zugestimmt zu haben (Klageschrift S. 9, Bl. 33
d.A.).
Die Klägerin hat nicht behauptet, dass eine für Vorstand und Aufsichtsrat
gegebene Erkennbarkeit eines sich später realisierenden besonderen
Beteiligungsrisikos anhand des Rechtsgutachtens der Hauptversammlung vom
25.6.2003 bekannt oder zumindest aus erteilten Informationen erkennbar war. Sie
hat vielmehr in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, ein
Kenntnismangel der Hauptversammlung sei unbeachtlich, weil der Vorstand von
sich aus hierzu hätte berichten müssen.
Eine Verletzung von Informationsrechten der Aktionäre, die zu einer fehlerhaften
Ermessensausübung der Hauptversammlung und damit zur Anfechtbarkeit der
Entlastungsbeschlüsse (BGHZ 62, 193, 194, zur Berichtspflicht, BGHZ 160, 385,
zur Auskunftspflicht) hätte führen können, ist nicht festzustellen. Eine solche
Gesetzeswidrigkeit der Entlastung ist in der entsprechend anwendbaren Frist des §
246 Abs. 1 AktG durch die Klägerin nicht eingewandt worden. Innerhalb der
Anfechtungsfrist muss nämlich der Teil des Klagegrunds, aus dem ein
Anfechtungskläger die Anfechtbarkeit herleiten will, vorgetragen sein (vgl. BGH ZIP
2005, 706, in Klarstellung zu BGHZ 152, 1).
Ungeachtet dessen lag auch keine Informationspflichtverletzung vor, weil die
Erteilung einer Auskunft nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG von einem Aktionär hätte
verlangt werden müssen, woran es hier fehlt. Eine Verletzung einer gesetzlichen
Berichtspflicht, etwa aus § 120 Abs. 3 Satz 2 AktG, ist nicht behauptet, auch nicht
zu § 171 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG. Eine ungeschriebene Berichtspflicht, wie diese
für strukturelle Änderungen oder so genannte „Holzmüller“-Maßnahmen erwogen
wird (Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2.
Aufl. 2003, § 5 Rdnr. 70), lag ebenfalls nicht vor. Begrenzt man den Erklärungswert
der Entlastung auf der Hauptversammlung bereits bekannt gewordene Umstände,
bedarf es zur sachgerechten Willensbildung der Hauptversammlung auch keiner
weiteren Information. Ein anderes Verständnis würde zu einem umfassenden
Anfechtungsrecht von Entlastungsbeschlüssen führen, das mit § 120 Abs. 2 Satz 1
AktG nicht in Einklang stünde (vgl. auch BGHZ 153, 47).
Ob einer Verletzung von Informationsrechten der zur Entlastung beschließenden
Hauptversammlung unrichtige Tatsachenangaben gegenüber früheren
Hauptversammlungen gleichzustellen sind, wie die Klägerin meint, muss nicht
entschieden werden. Unrichtige Tatsachenangaben sind nämlich nicht ausreichend
behauptet. Der vom Vorstand der O2 Seite vorgeworfene Rechtsbruch betraf eine
rechtliche Bewertung des Vorstands.
Die später erhobenen weiteren Angriffe der Klägerin gegen die
Entlastungsbeschlüsse sind analog § 246 Abs. 1 AktG nicht zu berücksichtigen,
weil ihre Geltendmachung verfristet ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Die
Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO
fehlen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.