Urteil des OLG Frankfurt vom 15.03.2006

OLG Frankfurt: wohl des kindes, gemeinsame elterliche sorge, wider besseres wissen, hiv, ärztliche behandlung, eltern, kommunikation, sorgerechtsentscheidung, virus, brief

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Gericht:
OLG Frankfurt 4.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 UF 112/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 1671 BGB
(Gemeinsame elterliche Sorge bei Getrenntleben:
Tiefgreifendes Zerwürfnis der Eltern wegen Verschweigens
der HIV-Infektion durch den Vater)
Leitsatz
Die Ausübung der gemeinsamen Sorge setzt zum Wohle des Kindes voraus, dass
zwischen den Eltern eine verlässliche Vertrauensbasis besteht und die Eltern
miteinander kommunizieren und kooperieren können. Ist einem Elternteil wegen eines
tiefgreifenden Zerwürfnisses (hier: Verschweigen einer HIV-Infektion) eine solche
Kommunikation unzumutbar geworden, so kann ein gemeinsames Sorgerecht nicht
mehr praktiziert werden.
Tenor
Die Beschwerde gegen die in dem Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau vom
20.6.2005 getroffene Sorgerechtsentscheidung wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die durch das
zurückgenommene Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen.
Der Gegenstandswert für den zweiten Rechtszug wird für die Scheidung auf 3.879,
- € und die Folgesache Sorgerecht auf 900, - € festgesetzt.
Gründe
Die Parteien schlossen am 14.6.2002 die Ehe. Die Antragstellerin ist O1
Staatsangehörige, der Antragsgegner besitzt die Staatsangehörigkeit von O2. Aus
der Ehe ist die am 12.9.2002 geborene Tochter A hervorgegangen, die seit der im
Herbst 2004 erfolgten Trennung von der Antragstellerin betreut wird. Die Parteien
waren bereits seit September 2000 ein Paar, noch vor der Aufnahme intimer
Beziehungen wurde die AIDS-Problematik angesprochen. Der Antragsgegner teilte
der Antragstellerin auf Befragen mit, dass er Leistungssportler sei, deshalb auf
seinen Körper aufpasse und regelmäßig auf die Immunschwäche getestet werde.
Er verschwieg, dass er HIV-infiziert war und dies bereits seit 1998 wusste. Im
September 2000 war die Antragstellerin das erste mal von dem Antragsgegner
schwanger, es kam zu einer Fehlgeburt. Nachdem A geboren wurde,
verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Antragsgegners, er litt unter
starkem Husten und begab sich auf Drängen der Antragstellerin in ärztliche
Behandlung. Während eines Afrika-Aufenthalts des Antragsgegners kam ein Brief
der Universitätsklinik O3, den die Antragstellerin aus Sorge um die Gesundheit des
Antragsgegners öffnete. Aus diesem Brief erfuhr die Antragstellerin erstmalig,
dass der Antragsgegner HIV-infiziert war und dies bereits seit Februar 1998
wusste. Die Antragstellerin trennte sich daraufhin von ihrem Ehemann und
beantragte eine Härtefallscheidung sowie die Übertragung des alleinigen
Sorgerechts.
Die Antragstellerin hat den Antrag auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts
damit begründet, dass der Antragsgegner durch das Verschweigen seiner HIV-
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damit begründet, dass der Antragsgegner durch das Verschweigen seiner HIV-
Infektion seine Familie in erheblicher Weise gefährdet habe. Er habe das Vertrauen
der Antragstellerin missbraucht und jegliche Einsicht in sein Fehlverhalten
verweigert. Ein normaler Umgang bzw. eine normale Kommunikation mit dem
Antragsgegner sei nicht mehr möglich, es sei deshalb zum Wohle der Tochter
erforderlich, ihr, der Antragstellerin, das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Der
Antragsgegner will an dem gemeinsamen Sorgerecht festhalten. Er weist darauf
hin, dass er in der Vergangenheit wegen der Berufstätigkeit der Antragstellerin die
gemeinsame Tochter in erheblichem Umfang betreut hatte.
Das Amtsgericht hat die Ehe der Parteien mit Verbundurteil vom 20.6.2005
geschieden und das alleinige Sorgerecht für die Tochter A auf die Antragstellerin
übertragen. Es hat die Voraussetzungen einer Härtefallscheidung für gegeben
angesehen und die Sorgerechtsentscheidung damit gerechtfertigt, dass die
Parteien zur Ausübung eines gemeinsamen Sorgerechts nicht in der Lage seien,
da die Antragstellerin im Hinblick das Verschweigen der HIV-Infektion das
Vertrauen zu dem Antragsgegner verloren habe. Es wird im übrigen auf das Urteil
vom 20.6.2005 verwiesen. Gegen das Urteil hat der Antragsgegner fristgerecht
Berufung eingelegt und diese fristgerecht begründet. Die Berufung gegen den
Scheidungsausspruch hat der Antragsgegner in der Sitzung vom 17.2.2006
zurückgenommen.
Die Parteien sowie das Kind wurden durch den Berichterstatter angehört. Es wird
auf das Protokoll der Sitzung vom 17.2.2006 (Bl. 144 - 147 d.A.) verwiesen. Das
Jugendamt hat mit Schreiben vom 28.2.2005 (Bl. 45 d.A.) Stellung genommen.
Nachdem der Antragsgegner die Berufung im übrigen zurückgenommen hat, stellt
sich sein nur noch auf Abänderung der Sorgerechtsentscheidung gerichtetes
Rechtsmittel als Beschwerde dar, über die durch Beschluss zu entscheiden ist (vgl.
OLG Hamm, FamRZ 1988, 625; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 629 a Rdnr.9). Die
zulässige Beschwerde ist nicht begründet und musste deshalb zurückgewiesen
werden. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin zu Recht das alleinige Sorgerecht
für die gemeinschaftliche Tochter A zugesprochen, denn es ist zu erwarten, dass
die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die
Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Ziff. 2
BGB). Die Parteien sind sich darüber einig, dass die gemeinsame Tochter ihren
Lebensmittelpunkt weiterhin bei der Antragstellerin haben soll. Gründe, die dafür
sprechen könnten, dass die Antragstellerin das Sorgerecht nicht im Interesse des
Kindes ausübt, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nach dem
übereinstimmenden Vortrag der Parteien im Anhörungstermin vom 17.2.2005
davon auszugehen, dass der Antragsgegner sein Umgangsrecht wieder
ungehindert ausüben kann. Auch das über die Bestimmung des Aufenthalts
hinaus gehende weitere Sorgerecht ist von dem Amtsgericht zu Recht auf die
Antragstellerin übertragen worden, denn es ist der Antragstellerin nicht
zuzumuten, dass Sorgerecht weiterhin gemeinsam mit dem Antragsgegner
auszuüben. Zwar sind getrennt lebende Ehegatten im Rahmen der elterlichen
Sorge zur Konsensfindung verpflichtet. Solange ihnen dies zum Wohl des Kindes
zumutbar ist, können sie aus dieser Konsensverpflichtung nicht entlassen werden.
Das gemeinsame Sorgerecht ist allerdings aufzulösen, wenn ein tiefgreifendes
Zerwürfnis die Eltern daran hindert, die Belange ihrer Kinder in gemeinsamer
Verantwortung wahrzunehmen. So liegt der Fall hier. Auf Seiten des
Antragsgegners ist es zu einem massiven Vertrauensbruch gekommen. Da der
Antragsgegner aus einer Region Afrikas stammt, in der weite Bevölkerungskreise
mit dem HIV-Virus infiziert sind, hatten die Parteien bereits vor der Aufnahme
erster intimer Beziehungen die Problematik einer HIV-Infektion angesprochen.
Durch die Angabe, er sei Leistungssportler, würde auf seinen Körper aufpassen
und darüber hinaus auch regelmäßig auf eine mögliche Immunschwäche getestet,
brachte der Antragsgegner klar und unmissverständlich zum Ausdruck, dass er
nicht HIV-infiziert sei. Diese Erklärung erfolgte wider besseres Wissen, da der
Antragsgegner bereits seit 1998 von seiner Erkrankung wusste. Der
Antragsgegner nahm es also hin, dass sowohl seine Ehefrau sowie möglicherweise
auch ein aus dieser Beziehung gezeugtes Kind mit dem HIV-Virus infiziert wurden.
Da eine HIV-Infektion in vielen Fällen tödlich ausgeht bzw. zu einer mit erheblichen
Einschränkungen verbundenen schweren Erkrankung führt, setzte der
Antragsgegner seine Ehefrau über Jahre einer massiven Gefährdung aus. Der
Antragsgegner hat sich damit in drastischer und nicht entschuldbarer Weise über
fundamentale Interessen nicht nur seiner Ehefrau sondern seiner ganzen Familie
hinweggesetzt. Es ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, dass die
Antragstellerin keine Basis für die Ausübung eines gemeinsamen Sorgerechts
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Antragstellerin keine Basis für die Ausübung eines gemeinsamen Sorgerechts
sieht und wegen des Vertrauensmissbrauchs einen Kontakt zum Antragsgegner
derzeit ablehnt. Die Ausübung der gemeinsamen Sorge setzt aber zum Wohle des
Kindes voraus, dass zwischen den Eltern eine verlässliche Vertrauensbasis besteht
und die Eltern miteinander kommunizieren und kooperieren können. Ist einem
Elternteil wegen eines tiefgreifenden Zerwürfnisses eine solche Kommunikation
unzumutbar geworden, so kann ein gemeinsames Sorgerecht nicht mehr
praktiziert werden. Ein gemeinsames Sorgerecht, das im Alltag nicht praktiziert
werden kann, entspricht nicht dem Kindeswohl. Das Sorgerecht muss dann einem
Elternteil alleine übertragen werden, so wie es das Amtsgericht in seiner
Entscheidung zu Recht getan hat.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Die Kostenentscheidung ergab sich aus § 97
Abs.1 ZPO und – soweit das Rechtsmittel zurückgenommen wurde – aus § 516
Abs.3 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergab sich aus §§ 47 Abs.1
Satz 1, 48 Abs.3 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.