Urteil des OLG Frankfurt vom 17.08.2000

OLG Frankfurt: erwerbstätigkeit, auflage, streichung, verfügung, pfändung, höchstbetrag, sozialhilfe, fürsorge, gesetzesänderung, vorschlag

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Gericht:
OLG Frankfurt 26.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 W 16/2000, 26
W 16/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 23 Abs 4 BSHG vom
27.07.1992, § 850f Abs 1
Buchst a ZPO
(Pfändung des Arbeitseinkommens: Berechnung des
fiktiven Sozialhilfebedarfs nach Gesetzesänderung)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 20. Januar 2000 werden die
Beschlüsse des Amtsgerichts Gelnhausen vom 1. Oktober 1999 und der 8.
Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 7. Dezember 1999 abgeändert.
Der dem Schuldner von seinem Arbeitseinkommen zu belassende Teil wird auf
3.846,04 DM festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens
zu einem Wert von 5.376,69 DM fallen dem Schuldner 88 % und dem Gläubiger 12
% zur Last.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde werden
gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: 2.739,96 DM.
Gründe
Das Amtsgericht hat das Arbeitseinkommen des Schuldners durch Pfändungs-
und Überweisungsbeschluß vom 5. Juli 1999 wegen einer Forderung in Höhe von
5.376,60 DM gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen. Auf Antrag
des Schuldners, der gegenüber fünf Personen unterhaltspflichtig ist und unstreitig
ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 3.887 DM bezieht, hat das
Amtsgericht durch Beschluß vom 1. Oktober 1999 den pfandfreien Betrag gemäß
§ 850 f Abs. 1 lit. a ZPO auf 4.699,64 DM festgesetzt. Bei der Berechnung des
notwendigen Unterhalts hat das Amtsgericht einen Mehrbedarfszuschlag wegen
Erwerbstätigkeit in Höhe von 2/3 des Regelsatzes berücksichtigt.
Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Landgericht die Entscheidung
des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag des Schuldners auf Erhöhung des
pfändungsfreien Betrages zurückgewiesen. Das Landgericht hat seine
Entscheidung damit begründet, als Zuschlag wegen der Erwerbstätigkeit des
Schuldners sei ein Betrag in Höhe von nur 25 % des Regelsatzes neben den
tatsächlich entstandenen Fahrtkosten und einer Arbeitsmittelpauschale von 10 DM
angemessen.
Seine sofortige weitere Beschwerde hat der Schuldner ausdrücklich auf die Höhe
des Zuschlags für Erwerbstätigkeit begrenzt, den er in Höhe von 66,66 % des
Regelsatzes für angemessen hält. In dieser Höhe werde durch den für seinen
Wohnort zuständigen Sozialhilfeträger im Rahmen der Sozialhilfegewährung der
Absetzungsbetrag nach § 76 Abs. 2 a Nr. 1 BSHG bei Erwerbstätigen ohne
Beschränkung des Leistungsvermögens berücksichtigt.
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Die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners ist zulässig und hat zum
überwiegenden Teil auch in der Sache Erfolg.
Der Schuldner hat nämlich nachgewiesen, daß der notwendige Lebensunterhalt für
sich und für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, nicht mehr
gedeckt ist, soweit ihm nicht ein Betrag in Höhe von monatlich 3.846,04 DM
belassen wird (§ 850 f Abs. 1 lit. a ZPO).
Dabei ist neben den nachgewiesenen tatsächlichen Aufwendungen,. die dem
Schuldner durch seine Erwerbstätigkeit entstehen, auch ein prozentualer Zuschlag
für die Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Gemäß § 850 f Abs. 1 lit. a ZPO kann
das Vollstreckungsgericht dem Schuldner auf Antrag einen weiteren Teil seines
Arbeitseinkommens belassen, wenn er nachweist, daß sein notwendiger
Lebensunterhalt im Sinne des Abschnitts 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)
nicht gedeckt ist.
Bis zur Streichung des § 23 Abs. 4 a.F. BSHG bestand kein Zweifel daran, daß der
in dieser Regelung vorgesehene prozentuale Mehrbedarfszuschlag bei der
Berechnung des fiktiven Sozialhilfebedarfs im Rahmen des § 850 f Abs. 1 lit. a ZPO
zu berücksichtigen war. Nach der Streichung des § 23 Abs. 4 a.F. BSHG wird
demgegenüber z.T. die Auffassung vertreten, damit sei ein bestimmter
Prozentsatz des Regelsatzes als Mehrbedarf in dem zweiten Abschnitt des BSHG
nicht mehr vorgesehen und dürfe dementsprechend auch bei der Bestimmung
des notwendigen Lebensbedarfs nicht mehr berücksichtigt werden (KG RPfleger
1994; 371; OLG Köln, RPfleger 1999, 548, 549; Zöller-Stöber, ZPO; 21. Auflage, §
850 f Rn. 2; Stöber; Forderungspfändung, 12. Auflage, Rn. 1176 e, der im Ergebnis
aber einen nach § 76 BSHG berechneten Mehrbedarfszuschlag im Rahmen des §
850 Abs. 1 lit. b anerkennen will).
Im Gegensatz dazu hat der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. FamRZ 2000,
614, 616) die Auffassung vertreten, daß es die Streichung des § 23 Abs. 4 a.F.
BSHG nicht rechtfertigt, den Besserstellungszuschlag im Rahmen des
Pfändungsschutzes nach § 850 f ZPO entfallen zu lassen (so auch AG Stuttgart,
RPfleger 1996, 360; Christmann, RPfleger 1995, 99 f; Stein/Jonas-Brehm, ZPO, §
850 f Rn. 2 a; ausführlich mit weiteren Nachweisen: Grote, Einkommensverwertung
und Existenzminimum des Schuldners in der Verbraucherinsolvenz, Rn. 198 f,
200). Zweck der in § 850 f Abs. 1 lit. a ZPO geregelten Härteklausel ist es, zu
vermeiden, daß der Schuldner durch die Zwangsvollstreckung sozialhilfebedürftig
wird und der Staat letztlich mittelbar durch Sozialhilfeleistungen an den nunmehr
bedürftigen Schuldner bei der Tilgung privater Schulden mitwirkt
(Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 58. Auflage, § 850 f Rn. 2 m.w.N.). Dieser
Zweck, einen Schuldner durch die Pfändung nicht schlechter zu stellen als einen
Sozialhilfeempfänger, kann aber nicht bereits dadurch erreicht werden, daß nur die
mit der Erwerbstätigkeit des Schuldners verbundenen tatsächlichen Aufwendungen
berücksichtigt werden, weil dem Schuldner bei sonst gleichen Lebensbedingungen
als erwerbstätigem Sozialhilfeempfänger unter Berücksichtigung des
Absetzungsbetrages nach § 76 Abs. 2 a Nr. 1 BSHG zusätzlich zu den sonstigen
Leistungen 1/2 bis 2/3 des Sozialhilfesatzes eines Haushaltsvorstandes und damit
ein erheblich höherer Betrag zur Verfügung stünde.
Mit der Streichung des Mehrbedarfszuschlags in § 23 Abs. 4 a.F. BSHG wurde
nämlich durch das 7. Gesetz zur Umsetzung des föderalen
Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 (BGBl. 1 S. 944) im 4. Abschnitt ein
Abs. 2 a in § 76 BSHG eingefügt, in dem u.a. bestimmt wird, daß ein Betrag für
Erwerbstätigkeit von dem anrechenbaren Einkommen in angemessener Höhe
abzusetzen ist. Ausdrücklich erklärtes gesetzgeberisches Ziel der Änderung war
nicht etwa eine geringere Berücksichtigung der Erwerbstätigkeit. Der Gesetzgeber
wollte vielmehr "die Anreizfunktion für erwerbstätige Hilfsempfänger verstärken,
ihrer Erwerbstätigkeit weiterhin nachzugehen und zu versuchen, sich aus der
Sozialhilfe vollständig zu lösen" (BT-Drucks. 12/4748, S. 100 zu Nr. 13 a). Zugleich
ergibt sich aus der amtlichen Begründung, daß eine Änderung der
Pfändungsschutzbestimmungen der Zivilprozeßordnung nicht beabsichtigt war. Da
im Zeitpunkt der letzten Reform des § 850 f ZPO durch das 6. Gesetz zur
Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 1. April 1992 und die Bezugnahme auf
den 2. Abschnitt des BSHG die nachfolgende Änderung des BSHG nicht
vorhersehbar war, muß die Bezugnahme in § 850 f Abs. 1 lit. a ZPO auf den 2.
Abschnitt des BSHG dahin ausgelegt werden, daß der nunmehr an anderer Stelle
und in, anderer Weise geregelte Erwerbstätigkeitszuschlag weiterhin bei der
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und in, anderer Weise geregelte Erwerbstätigkeitszuschlag weiterhin bei der
fiktiven Berechnung dessen zu berücksichtigen ist, was dem Schuldner als
Sozialhilfeempfänger zur Verfügung stünde und deshalb auch im Rahmen des
Pfändungsschutzes zu belassen ist.
Im übrigen läßt sich der Betrag, der einem Sozialhilfeempfänger aufgrund der
"Hilfe zum Lebensunterhalt" zur Verfügung steht, nicht allein aus dem 2. Abschnitt
des BSHG berechnen. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BSHG wird nämlich Hilfe zum
Lebensunterhalt nur demjenigen gewährt, der seinen notwendigen
Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor
allem aus seinem Einkommen beschaffen kann. Voraussetzung und
mitbestimmend für die Höhe einer im 2. Abschnitt des BSHG geregelten Hilfe zum
Lebensunterhalt ist danach die Bestimmung des im 4. Abschnitt des BSHG in § 76
geregelten anrechenbaren Einkommens. Auch diese Einbeziehung des
Absetzungsbetrages in den zweiten Abschnitt des BSHG spricht dafür, die
Bezugnahme in § 850 f Abs. 1 lit. a ZPO nicht zu eng auf die unmittelbar im 2.
Abschnitt des BSHG getroffenen Regelungen zu beziehen. Im übrigen hat auch
das Bundesverfassungsgericht bei der Berechnung des jedem Erwerbstätigen zu
belassenden. Existenzminimums die Berücksichtigung lediglich der tatsächlichen
Aufwendungen nicht ausreichen lassen, sondern einen Zuschlag entsprechend der
in § 23 Abs. 4 a.F. BSHG getroffene Regelung für erforderlich gehalten (BVerfG,
NJW 1992, 3153, 3154). Diese Auffassung, hat das Bundesverfassungsgericht auch
nach der Streichung des § 23 Abs. 4 BSHG unter ausdrücklicher Zitierung dieser
Vorschrift aufrechterhalten (BVerfG;, NJW 1999, 561, 562).
Soweit es die Höhe des Besserstellungszuschlags betrifft, sieht sich der Senat
allerdings zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung veranlaßt.
Aufgrund der vom Senat in diesem Beschwerdeverfahren eingeholten Auskünfte
der Träger der Sozialhilfe in Hessen hat sich die Darstellung des Schuldners
bestätigt, daß erwerbstätigen Sozialhilfeempfängern nach § 76 Abs. 2 a Nr. 1
BSHG regelmäßig mehr als 25 % des Regelsatzes aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit
belassen wird und damit im Ergebnis zur Verfügung steht.
Überwiegend wird ein Abrechnungsbetrag in. Höhe von 25 % des
Sozialhilferegelsatzes (zur Zeit 25 % von 551 DM = 137,75 DM) zuzüglich 20 %
des darüber liegenden bereinigten Nettoeinkommens bis zu einem Höchstbetrag
von 66 2/3 % anerkannt. Zum Teil folgen die Träger der Sozialhilfe aber auch den
noch zu § 23 Abs. 4 a.F. BSHG ergangenen Empfehlungen des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge und rechnen zu dem Grundbetrag von 25 %
des Regelsatzes 15 % des über diesem Betrag liegenden Einkommens bis zu
einem Höchstbetrag von 50 % des Regelsatzes.
Der Senat schließt sich im Ergebnis hinsichtlich der Höhe des
Besserstellungszuschlags dem Vorschlag des Deutschen Vereins für öffentliche
und private Fürsorge an (Heft 55 der kleinen Schriften DV Rn. 24).
Dieser Vorschlag hat in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend Anerkennung
gefunden (BVerfG, NJW 1992, 3153, 3154; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15.
Auflage, § 76 Rn. 49; Grote, a.a.O., Rn. 203, 204; vgl. auch Zöller-Philippi, ZPO, 21.
Auflage, § 115 Rn. 28 f). Im Ergebnis wird dies regelmäßig bei Erwerbseinkommen
von etwas mehr als 1.000 DM dazu führen, daß dem Schuldner ein Zuschlag von
1/2 des Regelsatzes zu gewähren ist. Damit wird nach Auffassung des Senats zum
einen der gewünschte Anreiz zur Aufnahme oder Aufrechterhaltung einer
Erwerbstätigkeit geschaffen, zum anderen aber auch Gläubigern eine
Einschätzung der Vollstreckungsaussichten ermöglicht.
Der Besserstellungszuschlag errechnet sich daher aus der Summe von 25 % des
Regelsatzes in Höhe von derzeit 551 DM (137,75 DM) und 15 % des über diesen
Betrag hinausgehenden bereinigten Nettoeinkommens in Höhe von 3.887,- DM,
begrenzt durch 50 % des Regelsatzes von 551 DM, so daß sich der Höchstbetrag
von 275,50 DM ergibt.
Da das Landgericht - der bisherigen Rechtsprechung des Senats folgend - lediglich
einen Betrag in Höhe von 25 % des zur Zeit der Entscheidung geltenden
Regelsatzes und damit 137 DM berücksichtigt hat, erhöht sich der im übrigen
zutreffend ermittelte und mit der Beschwerde auch nicht angegriffene fiktive
Sozialhilfebedarf des Schuldners von 3.707,54 DM um (275,50 DM - 137 DM =)
138,50 DM auf 3.846,04 DM. Dieser Betrag liegt um 120,04 DM über dem nach der
Tabelle zu § 850 c ZPO pfändbaren Betrag von 3.726 DM.
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Der Wert der Beschwerdeverfahren war entsprechend dem Interesse der
Beschwerdeführer nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 57 Abs. 3 BRAGO).
Dieses Interesse entspricht regelmäßig der jeweiligen Beschwer, die das
Landgericht zu Recht mit dem Jahresbetrag der geltend gemachten Erhöhung des
Pfändungsfreibetrages entnommen hat. Dabei kann der Wert allerdings nicht über
dem Wert der mit der Pfändung geltend gemachten Hauptforderung nebst Zinsen
und Kosten liegen.
Die Kostenentscheidung folgt dem Anteil des beiderseitigen Obsiegens bzw.
Unterliegens (§ 92 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.