Urteil des OLG Frankfurt vom 18.04.2006

OLG Frankfurt: geburt, assistenzarzt, komplexität des sachverhaltes, hebamme, schmerzensgeld, unmittelbare lebensgefahr, facharzt, behandlungsfehler, erfahrung, abfall

Gericht:
OLG Frankfurt 8.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 U 107/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 280 BGB, § 823 Abs 1 BGB, §
847 Abs 1 BGB vom
14.03.1990
Schmerzensgeld für während der Geburt verursachte
Hirnschädigung
Leitsatz
Zur Bemessung des Schmerzensgeldes für eine schwere Hirnschädigung durch
fehlerhafte geburtshilfliche Betreuung (hier: Unterlassen der Einleitung einer Notsectio)
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das Grund- und Teilurteil der 8.
Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 4.3.2005 teilweise abgeändert.
Die Klage ist gegen den Beklagten zu 2) dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit
die Klägerin aufgrund des geburtshilflich fehlerhaften Verhaltens materiellen
Schadensersatz bis zum 31.7.2000 geltend macht, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin den nach
dem 1.8.2000 entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu
ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige
Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.
Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin über die geleisteten 51.129,18 €
hinaus ein Schmerzensgeld von 300.000,-- € nebst 4% Zinsen seit 21.9.1999 zu
zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin den
infolge des geburtshilflich fehlerhaften Verhaltens entstehenden weiteren
immateriellen Schaden zu ersetzen.
Die Klage gegen die Beklagten zu 1), 3) bis 6) wird abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin und die weiter gehende Berufung des Beklagten zu 2)
werden zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten erster und zweiter Instanz der
Beklagten zu 1), 3) bis 6).
Die Kostenentscheidung im übrigen bleibt dem Schluss-Urteil des Landgerichts
vorbehalten, das auch über die übrigen Kosten der Berufungsinstanz zu
entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten zu 1), 3) bis 6)
wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren
Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit
in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am (Geburtstag) geborene Klägerin nimmt die Beklagten als
Gesamtschuldner auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens mit dem
Vorwurf in Anspruch, dass sie im Verlaufe der Geburt behandlungsfehlerhaft ihre
irreparable Hirnschädigung herbeigeführt hätten.
Die seinerzeit 39 Jahre alte Mutter der Klägerin wurde am (Geburtstag) um 5.25
Uhr mit Wehentätigkeit im Krankenhaus der Beklagen zu 1) aufgenommen, wo die
diensthabende Hebamme, die Beklagte zu 5), sogleich ein CTG
(Kardiotokogramm) fertigte. Als dessen Ergebnis vermerkte sie: „schwere DIP II“
(Dezeleration der kindlichen Herztöne). Um 5.55 Uhr verzeichnete sie den
Blasensprung mit Abgang von klarem Fruchtwasser und die Unterrichtung des
Beklagten zu 3) über die schwere DIP II. Um 7.20 Uhr notierte die Beklagte zu 6),
die die Beklagte zu 5) als Hebamme um 7.00 Uhr abgelöst hatte, im
Geburtsbericht: “HT Abfall bis 70 – 80“(Herztöne). Des weiteren wurde der Abgang
grünen Fruchtwassers festgehalten, der Mutter des Klägers 1 ml Partusisten
intravenös verabreicht und der Beklagte zu 3) (Assistenzarzt) telefonisch vom
Abfall der Herzfrequenz unterrichtet, woraufhin dieser im Kreißsaal erschien. Um
8.05 Uhr fand eine Visite des Beklagten zu 2) statt, die abschließend mit der Ordo
„weiter beobachten“ dokumentiert wurde. Um 8.15 Uhr ist „ tiefer DIP II Dr. B
informiert“ vermerkt, des weiteren: „Ordo: 2 ml Partusisten i.v.- Dr. A anwesend“.
Für 10.15 Uhr findet sich die Anlegung eines Wehentropfes, für 10.30 Uhr: Tel.
Bericht Dr. B – Ordo – abwarten, weiter beobachten. Um 11 Uhr ist dokumentiert:
„DIP II Dr. A anwesend“. Um 11.30 Uhr findet sicht der Eintrag: Muttermund
vollständig, Kopf fest im Beckeneingang, Reg. DIP II, Tel. Bericht Dr. B, Entschluss
zur Vakuum Ex.
Nach Versuch einer Vakuum-Extraktion und dem Versuch einer Zangengeburt
wurde die Klägerin durch Sectio um 12.06 Uhr mit einem Geburtsgewicht von 3350
g und 53 cm Länge entbunden. Es fanden sich Apgar-Werte von 2/6/8 nach 1/5/10
Minuten. Die Klägerin wurde 4 Minuten assistiert beatmet. Gegen 19.00 Uhr wurde
die Klägerin wegen ihres besorgniserregenden Zustandes in die Kinderklinik des
Stadtkrankenhauses O1 verlegt.
Die Klägerin hat schwere hirnorganische Schäden hinsichtlich multipler
Körperfunktionen und wird voraussichtlich immer pflegebedürftig sein. Sie hat
einen Schwerbehindertengrad von 100 mit dem Merkzeichen G (erhebliche Geh-
und Stehbehinderung).
Die Versicherung des Beklagten zu 2) leistete am 28.9.2002 eine Zahlung von
100.000,-- DM.
Die Klägerin hat behauptet, ihre Schädigung gehe auf eine fehlerhafte
geburtshilfliche Betreuung der Beklagten zu 2) bis 6) zurück, wofür auch die
Beklagte zu 1) einzustehen habe. Diese hafte nicht nur für die Beklagten zu 3) bis
6), sondern auch aus eigenem Organisationsverschulden. Der Beklagte zu 2) habe
fehlerhaft gehandelt, indem er trotz pathologischer CTG-Werte und Abgang grünen
Fruchtwassers bis 12.00 Uhr untätig geblieben sei. Er habe ferner dadurch gegen
die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen, dass er nicht sofort eine Notsectio
eingeleitet habe. Auch hätte er die Klägerin sofort in ein Perinatalzentrum verlegen
müssen. Der Beklagte zu 3) hafte, weil er trotz pathologischer CTG-Werte nicht
schon um 5.55 Uhr im Kreißsaal erschienen sei und trotz Abfalls der Herztöne und
Abgang grünen Fruchtwassers um 7.20 Uhr nicht sofort den Beklagten zu 2) oder
einen anderen Facharzt hinzugezogen habe, zumal er sich seinerzeit erst im
ersten Ausbildungsjahr befunden habe. Auch die Beklagte zu 6) sei haftbar, weil
sie trotz pathologischer Werte nicht unverzüglich den Beklagten zu 2) oder einen
anderen Facharzt herbeigerufen habe. Dem Beklagten zu 4) als bei der Geburt
anwesendem Anästhesisten sei vorzuwerfen, dass er nicht für die unverzügliche
Verlegung der Klägerin in Kinderkrankenhaus gesorgt habe.
Die Klägerin hat von den Beklagten als Gesamtschuldnern materiellen
Schadensersatz in Höhe von 318.765,78 DM + 5.002,62 DM nebst Zinsen für die
Zeit bis zum 31.7.2000 begehrt, des weiteren eine Mehrbedarfsrente von 5.215,--
€ ab diesem Zeitpunkt, ein angemessenes Schmerzensgeld sowie die Feststellung
der Ersatzpflicht für ab dem 1.8.2000 entstandene und noch entstehende
materielle Schäden sowie weitere immaterielle Schäden.
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Die Beklagten haben bestritten, dass ihr Verhalten während der Geburt der
Klägerin die derzeitigen Schäden verursacht habe.
Die Beklagte zu 1) hat ein Organisationsverschulden ebenso in Abrede gestellt wie
ein fehlerhaftes Verhalten der Beklagten zu 3) bis 6), für welches sie einzustehen
hätte. Die Beklagte zu 5) habe nach dem Befund „schwere DIP II“ um 5.40 Uhr
sofort den Beklagten zu 3) informiert. Dieser habe um 6 Uhr eine
Ultraschalluntersuchung vorgenommen und damit die Geburtsüberwachung
übernommen. Die Beklagte zu 6) habe ordnungsgemäß gehandelt, indem sie den
Beklagten zu 3) um 7.20 Uhr über den Abfall der Herztöne informiert habe,
welcher um 7.30 Uhr dem Beklagten zu 2) Bericht erstattet habe. Dieser sei über
alle maßgeblichen Vorgänge stets informiert worden und seine Anweisungen seien
ausgeführt worden.Der Beklagte zu 2) hat bestritten, dass um 5.25 Uhr und 7.20
Uhr Dezelerationen vom Typ DIP II vorgelegen hätten. Über die Dezeleration um
8.15 Uhr sowie den Abgang grünen Fruchtwassers sei er von der Beklagten zu 6)
nicht informiert worden. Auch um 10.20 Uhr sei ihm das CTG nicht als dramatisch
geschildert worden. Erst um 11.30 Uhr habe er infolge des Geburtsstillstandes die
Leitung übernommen. Anlass, eine Schnittentbindung früher einzuleiten, habe
nicht bestanden.
Durch Grund- und Teilurteil des Landgerichts Gießen vom 7.5.2001 (Bl. 182 ff d.A.)
sind die Beklagten zu 1), 2), 5) und 6) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von
650.000,-- DM verurteilt worden. Ferner ist die Klage ihnen gegenüber dem Grunde
nach für gerechtfertigt erklärt worden. Durch Urteil vom 8.1.2001 (Bl. 322 ff d.A.)
hat das Oberlandesgericht auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche
Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, dass es sich um ein unzulässiges Teilurteil handele, weil das
Feststellungsbegehren nicht beschieden worden sei und das angefochtene Urteil
nicht alle Streitgenossen auf Beklagtenseite erfasse. Außerdem sei die
Darlegungslast der Beklagten verkannt worden.
Gemäß Beweisbeschluss vom 5.4.2002 (Bl. 354ff d.A) ist Beweis erhoben worden
durch Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten. Wegen des Ergebnisses
wird auf das Gutachten des Sachverständigen SV1 vom 9.9.2002 nebst Ergänzung
vom 31.5.2004 (Bl.443-471, 553-562 d.A.) und auf das Gutachten des
Sachverständigen SV2 vom 23.9.2003 nebst Ergänzung vom 6.7.2004 (Bl. 514-
524, 570-576 d.A.) sowie hinsichtlich der mündlichen Erläuterung beider Gutachter
auf die Sitzungsniederschrift vom 14.3.2005 (Bl.626-639 d.A.) verwiesen.
Durch Grund- und Teilurteil vom 4.3.2005 hat das Landgericht die Klage gegenüber
dem Beklagten zu 2) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und ihn zur
Zahlung eines Schmerzensgeldes von 500.000,-- € verurteilt. Des weiteren hat es
ihn für verpflichtet erachtet, der Klägerin den infolge des geburtshilflich
fehlerhaften Verhaltens nach dem 1.8.2000 entstandenen und noch entstehenden
materiellen Schaden zu ersetzen sowie weiteren immateriellen Schaden. Es hat
ihm eine fehlerhafte Geburtsleitung vorgeworfen, wodurch die bei der Geburt der
Klägerin aufgetretene Herabsetzung des Sauerstoffgehaltes im
Gesamtorganismus aufgetreten sei. Der Beklagte zu 2) hätte dringend um 8.15
Uhr, spätestens aber um 10.20 Uhr eine fachärztliche Untersuchung der Mutter
der Klägerin vornehmen müssen. Es sei kontraindiziert gewesen, eine vaginal-
operative Entbindung vom Beckeneingang her zu versuchen. Die Klage gegen die
übrigen Beklagten hat das Landgericht abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der
Tatsachenfeststellung und Begründung wird auf das landgerichtliche Urteil (Bl. 648
– 667 d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 2) form-
und fristgerecht Berufung eingelegt und begründet. Die Klägerin erstrebt eine volle
gesamtschuldnerische Mithaftung der Beklagten zu 1) und 3) bis 6). Der Beklagte
begehrt Klageabweisung, soweit er zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von über
300.000,-- € sowie durch Feststellungsausspruch verpflichtet worden ist, der
Klägerin weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass neben dem Beklagten zu 2) auch die
Beklagte zu 1) und die Beklagten zu 3) bis 6) für die Schädigung der Klägerin
einzustehen hätten.
Die Beklagte zu 1) hafte aus Organisationsverschulden und sei für die bei ihr
angestellten Beklagten zu 3) bis 6) haftbar.
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Völlig unverständlich sei zunächst, dass zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin
keine Belegarztvertrag zwischen der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2)
bestanden habe. Erst 1997 sei ein Vertrag vorgelegt worden, der rückwirkend in
Kraft getreten sein solle. Auch dieser sei unzureichend. Zwischen dem Beklagten
zu 2) als Belegarzt und dem Krankenhaus wäre zu regeln gewesen, wann die
Hebammen den Belegarzt zu rufen haben und nicht nur einen unerfahrenen
Assistenzarzt. Des weiteren wäre dafür Sorge zu tragen gewesen, dass keine
Patienten aufgenommen werden, die dem Arzt ein solch hohes Maß an
Risikobeherrschung abverlangen, das er neben seinem Praxisbetrieb nicht leisten
könne. Zum Schutz der Patienten hätte weiterhin geregelt werden müssen, dass
bei Auftreten postpartaler Risiken ein Kinderarzt hinzuzuziehen ist und unter
welchen Umständen ein Kind sofort in eine Spezialklinik zu verlegen ist. Vorliegend
sei zu beanstanden, dass weder der Pflichtenkreis der angestellten Hebammen
noch der des angestellten Assistenzarztes noch der des Anästhesisten in Bezug
auf den Belegarzt irgendeiner suffizienten Regelung zugeführt worden sei, was
einen Organisationsmangel darstelle.
Die Beklagte zu 1) habe es auch versäumt, die Rückführung der CTG-
Aufzeichnungen zu überwachen. Diesbezügliche Aufbewahrungspflichten hätten
seitens des Landgerichts auch in Bezug auf die Organisationspflicht der Beklagen
zu 1) beleuchtet werden müssen.
Die Beklage zu 5) habe sich nicht telefonisch Weisungen erteilen lassen dürfen,
obwohl ihr aufgrund eigener Kenntnis bewusst gewesen sein müsse, dass das CTG
eine drastische Regelwidrigkeit aufwies und eine fachärztliche Entscheidung zu
treffen gewesen sei. Die Hinzuziehung des unerfahrenen Beklagten zu 3) sei nicht
ausreichend gewesen, sondern sie hätte mit Nachdruck den Beklagten zu 2)
herbeiholen müssen. Das Landgericht habe sich auch nicht ausreichend mit der
Bekundung der Beklagten zu 5) und ihren Eintragungen auseinandergesetzt. Diese
habe nämlich offenbar kurz vor dem Blasensprung ein weiteres CTG gefertigt, das
ebenfalls eine ein DIP I bis II aufgewiesen habe, so dass nicht von einer nur
vereinzelten Dezeleration vor 7.20 Uhr ausgegangen werden könne.
Auch der Beklagen zu 6) sei vorzuwerfen, dass sie es unterlassen habe, für eine
schnelle und suffiziente fachärztliche Präsenz zu sorgen. Eine Hebamme und eine
Assistenzarzt im ersten Ausbildungsjahr dürften sich nicht auf nur telefonische
Anordnungen des Facharztes verlassen, wenn sie wissen müssen, dass die
Kompetenz des Assistenzarztes zur Beurteilung und Beherrschung des konkreten
Risikos nicht ausreiche. Zwischen den Beklagten zu 3) und 6) habe es keine
ausreichende Weisungsdifferenzierung gegeben, so dass sich keiner so recht
getraut habe, den Beklagten zu 2) mit Nachdruck an das Krankenbett der Mutter
der Klägerin zu zitieren.
Spätestens um 8.15 Uhr, also kurz nach der Visite des Beklagten zu 2) habe
dringender Handlungsbedarf bestanden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte die
vorzunehmende Blutuntersuchung einen pH-Wert erbracht, der die Indikation zur
Sectio begründet hätte. Auch hätte die Ursache des Geburtsstillstandes,
insbesondere die Frage, ob ein Missverhältnis zwischen Kopfgröße und den
anatomischen Gegebenheiten der Mutter bestand, viel früher abgeklärt werden
müssen. Es sei nicht hinnehmbar, dass sich die Beklagten zu 3) und 6) hinter dem
unsäglich fehlerhaften Verhalten des Beklagten zu 2) versteckten. Die Haftung des
Beklagten zu 3) ergebe sich auch aufgrund eines Übernahmeverschuldens. Er
habe die Situation als kritisch eingestuft und seine Fähigkeiten drastisch
überschätzt. Es sei nicht dokumentiert, mit welchem Nachdruck die Präsenz des
Beklagten zu 2) gefordert worden sei. Da er die Situation selbst als kritisch
eingeschätzt habe, hätte er sich nicht abwartend verhalten dürfen. Es sei insoweit
auch kein milderer Fall deshalb anzunehmen, weil er noch Assistenzarzt im Ersten
Jahr gewesen sei. Angesichts ihrer langjährigen geburtshilflichen Erfahrung habe
die Beklagte zu 6) auch nicht die gesamte Verantwortung auf den Beklagten zu 3)
verlagern dürfen.
Was den Beklagten zu 4) angehe, so habe das Landgericht sich nicht mit dem
Widerspruch zwischen dem Operationsprotokoll und der Einlassung des Beklagten
zu 4) befasst. Während es im Protokoll heiße, „Es (das Kind) bleibt weiterhin
intensiv überwacht durch den Anästhesisten“, habe der Beklagte zu 4) ausgesagt,
nicht zu wissen, was mit dem Kind weiter geschehen ist, da er bei der Mutter
geblieben sei und die Narkose ausgeleitet habe. Der Beklagte zu 4) habe auch
fälschlich nicht dafür Sorge getragen, dass das Kind einer fachlichen
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fälschlich nicht dafür Sorge getragen, dass das Kind einer fachlichen
Weiterbetreuung in einer entsprechend ausgerüsteten Neuropädiatrie zugeführt
werde.
Die Klägerin beantragt,
unter teilweise Abänderung des angefochtenen Urteils
1. festzustellen, dass die Klage auch gegenüber der Beklagten zu1) sowie den
Beklagten zu 3) bis 6) dem Grunde nach gerecht- fertigt ist;
2. die Beklagten gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2) zu verurteilen, an
die Klägerin 500.000,-- € Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit dem 21.9.1999 zu
zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte zu 1) sowie die Beklagten zu 3) bis 6)
gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2) verpflichtet sind, der Klägerin den
infolge des geburtshilflich fehlerhaften Verhaltens nach dem 1.8.2000
entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, soweit
die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergegangen sind oder noch übergeh en werden;
4. festzustellen, dass die Beklagte zu 1) sowie die Beklagten zu 3) bis 6)
gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2) verpflichtet sind, der Klägerin den
infolge des geburtshilflich fehlerhaften Verhaltens entstehenden weiteren
immateriellen Schaden zu ersetzen.
Die Beklagten zu 1), 3) bis 6) beantragen,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen ihr Vorbringen, für die
unter und nach der Geburt eingetretene Hirnschädigung der Klägerin nicht
verantwortlich zu sein.Eine Haftung der Beklagten zu 4) scheide aus, weil die
Heranziehung des Beklagten zu 2) innerhalb des Zeitrahmens, in dem die
Beklagte zu 5) verantwortliche Hebamme war, nicht geboten war.Das Landgericht
habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der gegenüber dem Beklagten zu 3) zu
erhebende Vorwurf, er hätte nicht rechtzeitig einen Facharzt herbeigerufen, nicht
gleichzeitig auch gegenüber der Beklagten zu 6) erhoben werden könne. Denn
nach den üblichen Organisationsstrukturen sei für die Sicherstellung des
Facharztstandards der Assistenzarzt verantwortlich. Wenn der Beklagte zu 2) die
Geburtsleitung übernommen habe, könnten etwaige Unterlassungen nur diesem,
nicht aber der Beklagten zu 6) angelastet werden.
Was den Beklagten zu 4) angehe, so habe der Sachverständige SV1 mit
nachvollziehbarer Begründung ausgeführt, dass im Rahmen der horizontalen
Arbeitteilung die Versorgung des Neugeborenen in der Verantwortung des
Geburtshelfers liege. Auch ohne fachspezifische Kenntnis der horizontalen
Arbeitsteilung sei es eine Selbstverständlichkeit, dass der zuständige Geburthelfer
und nicht der im Rahmen einer Sectio tätige Anästhesist für die Entscheidung
verantwortlich ist, ob und wann ein Kinderarzt hinzuziehen ist und ob eine
Verlegung in eine Neuropädiatrie zu erfolgen hat.
Auch die Beklagte zu 1) hafte nicht. Eine Verantwortung aus § 831 BGB sei nicht
gegeben, da den möglichen Verrichtungsgehilfen, den Beklagten zu 4) bis 6), ein
fehlerhaftes Verhalten nicht zur Last falle. Auch etwaige Fehler der Beklagten zu 5)
und 6) vor 8 Uhr seinen nicht zwangsläufig der Beklagten zu 1) zuzurechnen. Denn
zu diesem Zeitpunkt habe der Beklagte zu 3) die alleinige Weisungsbefugnis
besessen. Für etwaige Fehler des Beklagten zu 3) hafte ebenfalls der Beklagte zu
2), da der Beklagte zu 3) den Bereitschaftsdienst in dessen Fachbereich
durchgeführt habe.
Die Beklagte zu 1) treffe auch kein Organisationsverschulden. Es habe zur
fraglichen Zeit sehr wohl einen Belegarztvertrag gegeben, der bereits am 1.7.1988
begonnen habe. Sämtliche Aufgaben, die die Berufung der Klägerin der Beklagten
zu 1) zuweisen wolle, fielen in den Organisations- und Verantwortungsbereich des
Belegarztes. Innerhalb der Organisation der Beklagten habe es keine Mängel
gegeben.
Der Beklagte zu 3) ist weiterhin der Auffassung, dass ihm ein Behandlungsfehler
nicht vorgeworfen werden könne. Da das CTG um 11 Uhr nicht wesentlich
schlechter als das um 10.20 Uhr gewesen sei, könne auch keine Verpflichtung
bestanden haben, den Beklagten erneut zu informieren. Der Beklagte zu 3) sei
auch nicht für das Fehlen der Geburts-CTGs verantwortlich, da ihn keine
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auch nicht für das Fehlen der Geburts-CTGs verantwortlich, da ihn keine
Aufbewahrungspflicht treffe. Indem der Beklagte zu 3) den Beklagten zu 2)
durchgängig informiert und ihn zum Erscheinen im Krankenhaus aufgefordert
habe, habe er fehlerfrei gehandelt. Ein unerfahrener Assistenzarzt könne sich auf
Anweisungen des Ober- oder Chefarztes ebenso verlassen wie auf die vom
Krankenhausträger und dem verantwortlichen Arzt getroffenen organisatorischen
Vorsorgemaßnahmen für den Fall, dass seine Fähigkeiten nicht ausreichen. Die
Behandlung der Mutter der Klägerin habe auch nicht die Dokumentation der
Bedenken des Beklagen zu 3) erfordert; auch sei nicht etwa eine elementare
Befunderhebung unterblieben. Den Beklagen zu 3) treffe auch kein
Übernahmeverschulden. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern er seine Fähigkeiten
überschätzt haben sollte. Selbst wenn ein einfacher Behandlungsfehler des
Beklagten zu 3) anzunehmen sein sollte, scheitere seine Haftung an der
mangelnden Kausalität seines Handelns für die Schäden der Klägerin.
Der Beklagte zu 2) trägt zur Begründung seiner Berufung vor, dass die
Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 500.000,-- €, zu dem noch die am
28.9.2002 vorgerichtlich geleisteten 100.000,-- DM (= 51.129,-- €) hinzugerechnet
werden müssten, bei vergleichender Betrachtung die Maßstäbe der
Rechtsprechung zur Höhe des Schmerzensgeldes sprenge. Es sei nicht
nachzuvollziehen, dass das Landgericht – noch dazu unter Nichteinbeziehung der
bereits geleisteten Zahlung – angesichts des konkreten Verletzungsbildes ein so
hohes Schmerzensgeld ausspreche. Der Beurteilungsrahmen für
Beeinträchtigungen und Folgen der vorliegenden Art gehe eher von einer
Größenordnung von 300.000,-- € aus. Auch wenn die Schwere der
Beeinträchtigungen der Klägerin nicht zu bagatellisieren sei, dürfe man sich nicht
an vereinzelt zuerkannten Höchstschmerzensgeldern orientieren. Die Klägerin sei
in geistiger Hinsicht weitgehend gesund und könne sich auch entsprechend
verständlich machen. Auch das Regulierungsverhalten der hinter dem Beklagten
zu 2) stehenden Haftpflichtversicherung rechtfertige keine Erhöhung des
Schmerzensgeldes. Abgesehen davon, dass eine vorgerichtliche Zahlung erfolgt
sei, sei es dem Beklagten zu 2) angesichts der Komplexität des Sachverhaltes
zuzubilligen gewesen, die Haftungsfrage einer gerichtlichen Klärung zuzuführen.
Auch der Feststellungsantrag sei zurückzuweisen, soweit er auf weiteren
immateriellen Schaden abstelle. Mit Zuerkennung eines schuldangemessenen
monetären Ausgleichs seien die Schäden der Klägerin ausgeglichen.
Der Beklagte zu 2 ) beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte zu 2) zur Zahlung eines
Schmerzensgeldes von über300.000,-- € nebst 4% Zinsen seit 21.9.1999 verurteilt
worden ist;
2. die Klage abzuweisen, soweit seine Verpflichtung festgestellt wurde, der Klägerin
weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zu 2) zurückzuweisen.
Sie verteidigt den vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldbetrag. Die
Klägerin sei weit davon entfernt, in geistiger Hinsicht weitgehend gesund zu sein
und entsprechend kommunizieren zu können. Wegen ihrer Sprechstörung seien
Kommunikationshilfen erforderlich. Ihre schwersten körperlichen Behinderungen
führten dazu, dass sie überhaupt nichts von dem realisieren könne, was ein
gleichaltriges zehnjähriges Mädchen an Lebensfreude zu erfahren in der Lage sei.
Sie werde als junge Frau bemerken, was ihr im Leben alles entgehe: dass sie
gefüttert werden müsse, wegen der Spastik rollstuhlgebunden sei, Schmerzen
wegen der Kontrakturen erleide und auch besonderem seelischen Leidensdruck
ausgesetzt sein werde.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei das Regulierungsverhalten des
Haftpflichtversicherers des Beklagten zu 2) sehr wohl zu berücksichtigen. Auch der
Umstand, dass vorliegend mehrere Beteiligte und mehrere Haftpflichtversicherer
involviert seien, habe den Beklagten nicht dazu veranlassen dürfen, die Klägerin in
einen jahrelangen Prozess zu treiben. Die Frage der Haftung der einzelnen
Beteiligten hätte im Wege des Gesamtschuldnerausgleiches im Innenverhältnis
geklärt werden können.
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II. Die Rechtsmittel der Parteien sind zulässig. In der Sache führt indessen nur die
Berufung des Beklagten zu 2) überwiegend zum Erfolg, während die Berufung der
Klägerin zurückzuweisen war.
1. Die Berufung des Beklagten zu 2) hat Erfolg, soweit er sich gegen die
Zuerkennung eines über 300.000,-- € hinausgehenden Schmerzensgeldes wendet.
Der Senat hält die Zuerkennung eines – unter Berücksichtigung bereits geleisteter
100.000,-- DM weiteren – Schmerzensgeldes von 300.000,-- € für angemessen.
Die Klägerin ist ohne jeden Zweifel körperlich schwerst geschädigt und auch in
geistiger Hinsicht beeinträchtigt. Der Sachverständige SV2 hat zu ihrem Zustand
festgestellt, dass sie sich nur im Knien und über kurze Distanz fortbewegen kann
und das eine selbständige Fortbewegung auch in Zukunft nicht wird erreicht
werden können. Die Funktion der Hände und Arme ist stark beeinträchtigt, so dass
sie sich nicht selbst an- und ausziehen kann. Sie ist auch nicht in der Lage,
selbständig Nahrung zum Mund zu führen. Die geistige Entwicklung sei weniger
beeinträchtigt, was damit zusammenhänge, dass die hypoxiebedingte Schädigung
hauptsächlich tiefere Strukturen des Gehirns betreffe, weniger die Hirnrinde.
Allerdings leidet die Klägerin an einer Sprechstörung, so dass
Kommunikationshilfen erforderlich sind.
Auch wenn die Klägerin infolge ihrer schweren Beeinträchtigungen zeitlebens auf
fremde Hilfe angewiesen sein wird und ohne fremde Hilfe nichts von dem
realisieren kann, was Gleichaltrige zu tun in der Lage sind, erscheint ein
Schmerzensgeldbetrag von insgesamt ca. 350.000,-- € angemessen und
ausreichend. Wenn die Rechtsprechung in Einzelfällen höhere Beträge zuerkannt
hat, so handelte es sich in aller Regel um Fälle, in denen geburts- oder
unfallbedingt ein vollständiger Verlust der gesamten Persönlichkeit eingetreten ist
(vgl. OLG Hamm NJW-RR 2002,1604 und OLG Hamm VersR 2004,386). Dies ist
vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin, die einen Kindergarten besuchen konnte und
jetzt in einer körperbehinderten Schule untergebracht ist, vermag – wenn auch nur
unter Schwierigkeiten und mit Hilfsmitteln – mit ihrer Umwelt zu kommunizieren.
Für den Ausgleich kommt es auf die Höhe und das Maß der
Lebensbeeinträchtigung an, wobei Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen
und Leiden sowie die psychischen Beeinträchtigungen in die Beurteilung einfließen.
Schmerzensgeld wird gewährt zum Ausgleich der gefühlten Verluste und zum
Ausgleich für die Verluste am objektiven Wert des Schutzgutes der Persönlichkeit.
Der Verlust an personaler Qualität stellt einen auszugleichenden immateriellen
Schaden dar, unabhängig davon, ob und inwieweit der Betroffene die
Beeinträchtigung empfindet (BGHZ 120,1 ff).
Orientierungsrahmen für den Richter bilden die Urteile in vergleichbaren Fällen,
wobei die besonderen Umstände des Einzelfalles mindernd oder erhöhend mit zu
bewerten sind. Desgleichen ist die seit den Vergleichsentscheidungen
eingetretene wirtschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen sowie geänderte
allgemeine Wertvorstellungen zum Schmerzensgeld.
So hat das OLG Brandenburg im Falle einer durch verzögerten Kaiserschnitt
hervorgerufenen schweren Hirnschädigung 230.000,-- € zuzüglich einer
monatlichen Rente von 360 € zuerkannt, wobei die Fähigkeit, die Umwelt
wahrzunehmen und Gefühlsäußerungen durch Lachen oder Weinen zum Ausdruck
zu bringen, nicht zu einem nennenswerten Abschlag führen (VersR 04,199); das
Landgericht Lübeck hat einem Kind mit einer durch einen ärztlichen Kunstfehler
verursachten geistigen und körperlichen Schwerstbehinderung mit dem
Unvermögen zu sehen, zu hören, zu essen oder zu trinken 250.000,-- € nebst
einer Rente von 500,-- € zugesprochen (Urt. v. 227.2002). 350.000,-- € hat das
OLG München einen bei der Geburt geschädigten Kind zuerkannt, das aufgrund
einer spastischen Tetraplegie alle vier Gliedmaßen nicht bewegen kann,
weitgehend erblindet ist, nicht selbständig essen und nicht sprechen kann (Urt. v.
20.6.2002). Das OLG Bremen hat hat 250.000,-- € zuerkannt für eine hypoxisch-
ischämische Hirnschädigung anlässlich der Geburt. Der dortige Kläger ist in seiner
geistigen Entwicklung in einem frühen Stadium stehen geblieben und in seiner
Mobilität äußerst eingeschränkt.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss vorliegend berücksichtigt
werden, dass die Klägerin neben den massiven körperlichen Beeinträchtigungen
ein hohes Maß an körperlicher und geistiger Empfindungsfähigkeit für ihre Lage
besitzt, die es ihr ermöglicht, ihre Situation auch geistig zu reflektieren und mit
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besitzt, die es ihr ermöglicht, ihre Situation auch geistig zu reflektieren und mit
den Fähigkeiten Gleichaltriger zu vergleichen. Unter Berücksichtigung sämtlicher
maßgebenden Kriterien und vergleichbaren Fällen hält der Senat daher ein
Schmerzensgeld von – weiteren – 300.000,-- € für angemessen.
Ein Schmerzensgeldbetrag von – insgesamt - ca. 350.000,-- € berücksichtigt auch
in
2) stehenden Haftpflichtversicherung. Insoweit ist mit dem Landgericht in
Rechnung zu stellen, dass die Versicherung durch das von ihr in Auftrag gegebene
Privatgutachten über ihre grundsätzliche Einstandspflicht im Bilde sein musste.
Auch wenn es ihr grundsätzlich nicht verwehrt war, den Umfang der Haftung
gerichtlich abklären zu lassen, stellt das Leugnen einer Ersatzpflicht nach der
Rechtsprechung ein bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu
berücksichtigendes Kriterium dar (vgl.Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld,3. Aufl.,
Rdnr. 681 ff m.w.N.).
Die Berufung des Beklagten zu 2) bleibt allerdings ohne Erfolg, soweit er sich
gegen den vom Landgericht erkannten Vorbehalt weiteren immateriellen
Schadens wendet. Mit dem vorgerichtlich geleisteten und dem zuerkannten
Schmerzensgeldbetrag sind sämtliche bis heute erlittenen Schäden und derzeit
absehbaren Beeinträchtigungen abgegolten. Es lässt sich indes nicht
prognostizieren, ob und inwieweit sich der Zustand der Klägerin in Zukunft
nachteilig verändert z.B. in Richtung einer noch weiter gehenden
Pflegebedürftigkeit, Bewegungsunfähigkeit und einem noch größeren Unvermögen
zu kommunizieren. Demzufolge hat es bei dem Erkenntnis zu bleiben, dass der
Beklagte zu 2) auch für weiteren immateriellen Schaden haften muss.
2. Die Berufung der Klägerin führt nicht zum Erfolg. Eine gesamtschuldnerische
Haftung der übrigen Beklagten neben dem Beklagten zu 2) scheitert daran, dass
ihnen ein schadensursächliches behandlungsfehlerhaftes Verhalten nicht
anzulasten ist. Insoweit kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des
Landgerichts Bezug genommen werden.
Auch das Berufungsvorbringen der Klägerin ist nicht geeignet, zu einer
abweichenden Beurteilung zu führen.
Was zunächst eine Verantwortlichkeit des Beklagten zu 4), des bei der sectio
hinzugezogenen Anästhesisten, angeht, so ist das Landgericht zutreffend den
Ausführungen des Sachverständigen SV1 gefolgt, wonach die Versorgung des
Neugeborenen im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung in der Verantwortung
des Geburtshelfers liegt. Es handelt sich insoweit um klar abgegrenzte
Verantwortungsbereiche. Dies entspricht auch dem Ergebnis der persönlichen
Anhörung des Beklagten zu 4), wonach er die Narkose der Mutter der Klägerin
ausgeleitet habe und nicht wisse, was mit dem Kind passiert sei. Dass das
Operationsprotokoll vermerkt, „es (das Kind) bleibt weiterhin intensiv überwacht
durch den Anästhesisten“, rechtfertigt letztlich keine Verlagerung der
Verantwortung auf den Anästhesisten. Denn zum einen mag es sich insoweit um
einen unzutreffenden Vermerk handeln; zum anderen ist nicht ersichtlich, das der
bei der sectio hinzugezogene Beklagte zu 4) überhaupt über neuropädiatrische
Kenntnisse verfügte, die eine Beurteilung, ob die Klägerin sofort in eine
Spezialklinik hätte verlegt werden müssen, erlaubten. Schließlich ist insoweit
darauf hinweisen, dass nach der Einschätzung des gerichtlichen Gutachters SV2
im Gegensatz zu dem Privatgutachter SV3 die Versorgung der neugeborenen
Klägerin unmittelbar nach der Geburt nicht beanstandet werden könne.
Hinsichtlich der Haftung der Beklagten zu 5) ist dem Landgericht entgegen den
Ausführungen in der Berufung der Klägerin nicht vorzuwerfen, es habe sich nicht
ausreichend mit dem Ergebnis ihrer persönlichen Anhörung auseinandergesetzt,
wonach nicht nur ein, sondern zwei pathologische CTGs vorgelegen hätten. Der
von der Beklagten zu 5) gefertigten schriftlichen Dokumentation lässt sich nur ein
ausdrücklich dokumentiertes CTG entnehmen, nämlich das Aufnahme-CTG mit
dem Ergebnis DIP II. Selbst wenn man aufgrund der für 5.55 Uhr vorgenommenen
Eintragung „Bericht Dr. A wegen schwerer DIP II“ in Verbindung mit der Anhörung
der Beklagten zu 5) von der Fertigung eines zweiten CTG ausgehen wollte, so
ändert sich nichts an der Feststellung des Sachverständigen SV1, dass zu diesem
Zeitpunkt noch keine Situation gegeben war, die zwingend die Hinzuziehung eines
Facharztes erforderte. Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Erläuterung
seines Gutachtens nämlich ausgeführt, das es trotz der offensichtlich immer
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seines Gutachtens nämlich ausgeführt, das es trotz der offensichtlich immer
wieder aufgetretenen Dezelerationen bis 7.20 Uhr nicht erforderlich war, einen
Facharzt hinzuzuziehen. Bis dahin habe es sich um eine Situation gehandelt, die
eine erfahrene Hebamme noch im Griff haben konnte. Ein fehlsames Verhalten
kann der Beklagten zu 5) folglich nicht angelastet werden: sie hat weder das oder
die erhobenen CTG(s) falsch ausgewertet noch in unzureichender Weise auf die
Auswertung reagiert.
Gleiches gilt für die Beklagte zu 6): Das um 6.30 Uhr angelegte Dauer CTG zeigte
zunächst keinen auffälligen Befund. Als um 7.20 Uhr die Herztöne abfielen, wurde
der Beklagte zu 3) telefonisch informiert und erschien im Kreißsaal. Der Beklagten
zu 6) kann nicht vorgeworfen werden, dass sie es unterlassen habe, für eine
schnelle und suffiziente fachärztliche Präsenz zu sorgen. Der Vorwurf mangelnder
Weisungsdifferenzierung zwischen dem Beklagten zu 3) und der Beklagten zu 6) ist
nicht zu erheben. Der Sachverständige SV1 hat ausgeführt, dass gemäß den
üblichen Organisationsstrukturen für die Sicherstellung des Facharztstandards der
Assistenzarzt zuständig sei, so dass von einer Weisungsbefugnis der Beklagten zu
6) diesem gegenüber bzw. von einer eigenständigen Verpflichtung der Hebamme
zur Herstellung des Facharztstandards nicht auszugehen ist. Dies gilt auch für den
Fall, dass es sich um einen noch unerfahrenen Assistenzarzt handelt. Im übrigen
bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte zu 6) hinter
dem Beklagten zu 3) „versteckt“ hätte. Es ist vielmehr anzunehmen, dass beide
im Einklang handelten, was die Benachrichtigung des Beklagten zu 2) vom
Geburtsablauf anbelangt. Im übrigen hat die Beklagte zu 6) um 8.05 Uhr den
Beklagten zu 2) benachrichtigt, der dann auch gekommen ist und geäußert habe,
es sei nicht so schlimm und es solle weiter überwacht werden. Was den Vorwurf
anbelangt, man habe sich in den Folgestunden nicht auf nur telefonische
Anordnungen des Beklagten zu 2) verlassen dürfen und diesen gewissermaßen
herbeizitieren müssen, so erscheint dies realitätsfremd. Bis auf die vom
Sachverständigen SV1 monierte erneute Benachrichtigung des Beklagten zu 2)
um 11 Uhr haben die Beklagten zu 3) und 6) den Beklagten zu 2) ab 8.15 Uhr über
den Fortgang der Geburt stets auf dem Laufenden gehalten. Auf seine
fachkundigen Anordnungen telefonischer Art durfte sich die Beklagte zu 6)
verlassen; insbesondere konnte sie sein neuerliches Erscheinen nicht erzwingen.
Es war auch nicht Aufgabe der Beklagten zu 6), die Ursache des
Geburtsstillstandes festzustellen und den Beklagten zu 3) und 2) etwa wegen
eines vermuteten Missverhältnisses zwischen der Kopfgröße des Kindes und dem
mütterlichen Becken eine sofortige sectio nachhaltig anzuraten. Dies steht einer
Hebamme nach den Organisationsstrukturen nicht zu, auch wenn sie über eine
jahrelange Erfahrung verfügt.
Was den Beklagten zu 3) angeht, so hat es das Landgericht aufgrund des
Gutachtens des Sachverständigen SV1 als behandlungsfehlerhaft angesehen, den
Beklagten zu 2) wegen der erneuten Dezeleration DIP II nicht schon um 11 Uhr,
sondern erst um 11.30 Uhr informiert zu habe. Weitere Vorwürfe sind gegenüber
dem Beklagten zu 3) aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu erheben.
Nach der Visite des Beklagten zu 2) um 8.05 Uhr hat der Beklagte zu 3) bzw. die
Beklagte zu 6) den verantwortlichen Beklagten zu 2) telefonisch kontaktiert, wenn
eine Besonderheit im Geburtsablauf eintrat, und dessen Anordnungen befolgt. Der
Beklagte zu 2) hatte, auch wenn er nicht körperlich anwesend war, die
Geburtsleitung. Dem Beklagten zu 3) ist insbesondere kein sog.
Übernahmeverschulden anzulasten. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich zu
irgendeinem Zeitpunkt Fähigkeiten angemaßt hätte, die er nicht besaß, bzw. seine
Kompetenzen überschritten hätte. Er stand in ständigem Kontakt zum Beklagten
zu 2) und hat dessen Anordnungen Folge geleistet. Als Assistenzarzt durfte der
Beklagte zu 3) darauf vertrauen, dass die fachärztlichen Anordnungen zutreffend
waren. Es lag auch keine Situation vor, in der er sich gegen die Vorgaben des
Beklagten zu 2) hätte stellen bzw. auf eigene Verantwortung hätte tätig werden
müssen. Ein Assistenzarzt darf auf die vom Facharzt angeordneten Maßnahmen
vertrauen, sofern nicht für ihn erkennbare Umstände hervortreten, die ein solches
Vertrauen nicht gerechtfertigt erscheinen lassen (Martis-Winkhart,
Arzthaftungsrecht S. 16; OLG Köln VersR 1993,1157; OLG Zweibrücken VersR
2000,728). Eine solche Ausnahmesituation war vorliegend nicht gegeben. Der
Beklagte zu 2) ist vorliegend nicht in einer Situation untätig geblieben, welche eine
unmittelbare Lebensgefahr für die Mutter des Klägers bedeutete und daher ein
sofortiges Einschreiten des Beklagten zu 3) als vor Ort anwesendem Arzt
erforderte, sondern es ging um Maßnahmen, welche der sich über mehrere
Stunden hinziehende Geburtsablauf erforderlich machte. Gerade diese Art
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Stunden hinziehende Geburtsablauf erforderlich machte. Gerade diese Art
ärztlicher Tätigkeit ist eine solche, für die ein hohes Maß an fachärztlicher
Kompetenz und Erfahrung notwendig ist und bei der übereilte Maßnahmen
kontraindiziert sein können. Wie lange in kritischen Geburtssituationen mit einer
Notsectio bzw. dem Versuch einer Vakuumextraktion oder einer Zangengeburt
zugewartet werden kann, ist in besonderem Maße von der geburtshilflichen
Erfahrung des Gynäkologen abhängig. Gerade in einer Situation wie der
vorliegenden kann von einem unerfahrenen Assistenzarzt nicht erwartet werden,
sich gegen die Anordnungen eines langjährig erfahrenen Facharztes zu stellen.
Auch wenn der Beklagte zu 3) die Situation als kritisch einschätzte, konnte er
weder den Beklagten zu 2) körperlich herbei zitieren noch eigenmächtig Schritte
wie etwa die Verlegung der Mutter der Klägerin o.ä. einleiten.
Zutreffend hat das Landgericht daher nur die Nichtinformation des Beklagten zu 2)
um 11 Uhr als Behandlungsfehler gewertet, welcher aber nicht ursächlich
geworden ist, weil sich nicht feststellen lässt, das die Mehrfachbehinderungen der
Klägerin nicht eingetreten wären, wenn der Beklagte zu 2) 30 Minuten früher
informiert worden wäre.
Da den Beklagten zu 3) bis 6) ein haftungsrelevantes Verhalten nicht vorzuwerfen
ist, kommt auch eine Haftung der Beklagten zu 1) für diese als ihre Erfüllungs-
bzw. Verrichtungsgehilfen nicht in Betracht. Im übrigen wäre ein etwaiges
Fehlverhalten des Beklagten zu 3) lediglich dem Beklagten zu 2) als Belegarzt
zuzurechnen. Der Belegarzt kann sich eigener nachgeordneter ärztlicher
Mitarbeiter sowie der nachgeordneten Ärzte des Krankenhauses bedienen, welche
dann allein Erfüllungs-bzw. Verrichtungsgehilfen des Belegarztes sind. Ein
Gynäkologe ist zur Erbringung der ärztlichen Leistungen bei der Geburtshilfe
verpflichtet, wozu die Überwachung, die Eingangsuntersuchung und die
Anweisungen zur Anlegung des CTG etc. gehören. Das hierfür eingesetzte
Krankenhauspersonal wird dann für den Belegarzt als Erfüllungsgehilfe tätig (OLG
Koblenz VersR 01,897f). Der Belegarzt haftet auch für den ärztlichen
Bereitschaftsdienst – hier des Beklagten zu 3) in den ersten Stunden – für
Belegpatienten.
Die Beklagte zu 1) haftet aber auch nicht aus Organisationsverschulden. Entgegen
der Auffassung der Klägerin mangelt es nicht an vertraglichen Abmachungen
bezüglich der Tätigkeitsfelder der hier involvierten Beklagten. Insoweit ist es
zunächst ohne Bedeutung, ob bereits 1995 ein schriftlicher Belegarztvertrag
zwischen der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2) bestand. Auch wenn ein
solcher schriftlicher Vertrag rückwirkend abgeschlossen worden sein sollte,
bedeutet dies nicht, dass bei der Geburt der Klägerin im Jahre 1995 ein
vertragloser Zustand geherrscht hätte. Zu Unrecht meint die Klägerin auch, dass
der jetzt vorgelegte Vertrag der Klägerin mit dem Beklagten zu 2) unzureichend
sei, was die Organisation anbelange. In den §§ 3 und 4 des Belegarztvertrages sind
die Rechte und Pflichten des Belegarztes allgemein geregelt, z.B. seine fachliche
Weisungsbefugnis gegenüber ärztlichem und nichtärztlichem Personal. Dass
darüber hinaus der Pflichtenkreis der Hebammen, des Anästhesisten sowie des
Assistenzarztes jeweils in Bezug auf den Beklagten zu 2) nicht ausdrücklich
beschrieben und geregelt ist, stellt keinen Organisationsmangel dar.
Verhaltensmaßregeln für den Einzelfall, so wie die Klägerin sie zu fordern scheint,
müssen nicht im Detail fixiert werden. Es genügt die Festlegung der
Weisungsbefugnis und grundsätzlichen Verantwortlichkeit für die Pflichtenkreise
des einzelnen, während Verhaltensmaßregeln im Detail nicht Gegenstand
allgemeiner Anordnungen sein müssen. Wer sich in welcher Situation grundsätzlich
wie zu verhalten hat, ergibt sich aus der Struktur der Arbeitsteilung und der
Verantwortungsübernahme. So ist es selbstverständlich, dass beispielsweise die
Hebamme den Arzt und der Assistenzarzt den Facharzt zu rufen hat, wenn zur
Beherrschung der Situation die eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen und die
eigenen Kompetenzen überschritten würden. Die Frage, ob dann im konkreten
Einzelfall eine solche Situation gegeben war und korrekt gehandelt worden ist, ist
für diesen Einzelfall zu beantworten. Dass es hier für die Beklagte zu 1)
organisatorischen Regelungsbedarf gegeben hätte, der sich kausal auf die
Schädigung der Klägerin ausgewirkt hätte, ist nicht ersichtlich. Die Einschätzung
des Sachverständigen Prof. Dr. SV1, dass vorliegend viele Systemfehler ineinander
gegriffen hätten und eine Klinik mit nur etwa 300 Geburten im Jahr
Problemsituationen wie der vorliegenden nicht Stand halten könne, vermag der
Senat in dieser Schärfe nicht zu teilen. Das System des Belegkrankenhauses
bringt es mit sich, dass der Standard einer Universitätsklinik jedenfalls nicht
gewährleistet werden kann. Dass die personelle Ausstattung gemessen an den
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gewährleistet werden kann. Dass die personelle Ausstattung gemessen an den
üblichen Vorgaben für ein Belegkrankenhaus vorliegend nicht ausreichend
gewesen wäre, ist nicht dargetan. Was die personelle Ausstattung eines
Krankenhauses anbelangt, so hat der Krankenhausträger sicherzustellen, dass in
jeder Phase der Behandlung ein Facharzt bereit steht, der die erforderlichen
Anweisungen überwacht und die fehlerfreie Behandlung des Patienten sicherstellt
(BGH NJW 91,1539). Ein Belegkrankenhaus hat im Rahmen seiner
Organisationspflicht gegen eine Handhabung einzuschreiten, durch welche der
Belegarzt dem Pflegepersonal des Belegkrankenhauses Aufgaben überlässt, die
die pflegerische Kompetenz überschreiten. So reicht die Rufbereitschaft des
Belegarztes jedenfalls dann nicht aus, wenn die Auslösung derselben von der
Auswertung eines CTG durch die fachlich nicht kompetente Nachtschwester
abhängt (BGH NJW 1996,2429). Selbstverständlich muss auch dafür Sorge
getragen werden, dass eine Hebamme bei Auftreten von Regelwidrigkeiten unter
der Geburt den Arzt hinzuzieht (BGHZ 161,255). Derartige organisatorische
Versäumnisse sind vorliegend indessen nicht gegeben; die Schädigung der
Klägerin ist nicht auf eine nicht rechtzeitige Information der Verantwortlichen in der
Nacht oder am Morgen zurückzuführen, sondern ganz überwiegend und in
haftungsrelevanter Weise nur auf das Verhalten des Beklagten zu 2).
Nach allem war das angefochtene Grund- und Teilurteil auf die Berufung des
Beklagten zu 2) bezüglich der Höhe des Schmerzensgeldausspruches teilweise
abzuändern.
Die Kostenentscheidung – soweit sie hier zu treffen war – beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da die
Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO nicht erfüllt sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.