Urteil des OLG Frankfurt vom 29.12.2005

OLG Frankfurt: unterbrechung, gütliche einigung, abfindung, insolvenz, zahlungsunfähigkeit, vertreter, quelle, vergütung, festschrift, verfahrensrecht

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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 250/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 UmwG vom 25.03.1998, §
34 UmwG vom 28.10.1994, §
305 UmwG vom 28.10.1994, §
307 UmwG vom 28.10.1994, §
240 ZPO
(Spruchverfahren nach altem Recht: Unterbrechung des
Verfahrens wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
das Vermögen des Unternehmensträgers)
Leitsatz
Keine Unterbrechung des Spruchverfahrens durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Der Antragsgegner hat dem Vertreter der außenstehenden Aktionäre für die
Tätigkeit im Beschwerdeverfahren eine Vergütung und Auslagen von 300,-- EUR zu
erstatten.
Beschwerdewert: 3.000,-- Euro.
Gründe
Das im Jahre 2002 eingeleitete Spruchverfahren betrifft die Verschmelzung der X
AG mit der von dem Antragsgegner als Insolvenzverwalter vertretenen
Gesellschaft als übernehmendem Rechtsträger, auf welche zeitgleich auch die Y
AG verschmolzen wurde.
Das Amtsgericht Hamburg eröffnete mit Beschluss vom 28. Februar 2005 das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der früheren Antragsgegnerin wegen
Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und bestellte Rechtsanwalt RA1 zum
Insolvenzverwalter.
Daraufhin beschloss des Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 05.
April 2005, dass das Spruchverfahren gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist und
nach sechs Monaten als erledigt behandelt werde.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller zu 4. und 5. mit der sofortigen
Beschwerde, der das Landgericht mit Beschluss vom 04. Mai 2005 nicht
abgeholfen hat.
Da es sich bei der angefochtenen Entscheidung über die Unterbrechung des
Verfahrens um eine Zwischenentscheidung handelt, ist diese nicht mit der für
instanzabschließende Entscheidungen vorgesehenen sofortigen Beschwerde nach
§ 12 SpruchG, sondern mit der einfachen Beschwerde nach §§ 17 Abs. 1 Satz 1
SpruchG, 19 FGG anfechtbar.
Das Rechtsmittel führt auch in der Sache zum Erfolg, da die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin nicht zu einer
Unterbrechung des Spruchverfahrens in entsprechender Anwendung des § 240
ZPO führt.
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Nach herrschender Auffassung findet eine Unterbrechung des Spruchverfahrens
bei Insolvenz des Unternehmensträgers, gegen welchen sich der Anspruch auf
Abfindung oder Ausgleich richtet, nicht statt (vgl. BayObLG DB 1978, 2163; DB
1987, 85; ZIP 98, 1876; BGH ZIP 2000, 2066; Klöcker/Frowein, SpruchG, § 11 Rn.
31; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl., Anh. Zu §
328AktG: § 11 SpruchG Rn. 17; BayObLG DZWIR 2002, 430; Keidel/Kuntze/ Winkler,
FGG, 15. Aufl., vor § 8 Rn. 4 Baumbach/Hartmann, ZPO, 22. Aufl., § 240 Rn. 7;
Uhlenbruck, InsO, § 85 Rn. 8 und 34; anderer Auffassung: Stürmer in Festschrift für
Uhlenbruck 2000, Seite 669 ff und Malitz, EWiR 2003, 71). Der Senat folgt der
herrschenden Auffassung. Zwar wird für echte Streitverfahren der freiwilligen
Gerichtsbarkeit teilweise die entsprechende Anwendung der §§ 239, 240 ZPO in
Erwägung gezogen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 12 Rn. 116 und 230). Für
das Spruchverfahren kommt dies jedoch wegen dessen Besonderheiten nicht in
Betracht. Die gerichtliche Entscheidung in Spruchverfahren, durch die eine höhere
Abfindung oder ein höherer Ausgleich festgesetzt wird, begründet anders als ein
Urteil im Zivilprozess nicht eine unmittelbare Leistungspflicht. Vielmehr führt die
gerichtliche Entscheidung zu einer rückwirkenden Umgestaltung des der jeweiligen
Strukturmaßnahme zugrunde liegenden Unternehmensvertrages bezüglich der
Höhe des festgesetzten Ausgleich und/oder der Abfindung und hat eine inter-
omnes-Wirkung nicht nur für die Verfahrensbeteiligten, sondern für alle betroffenen
Anteilsinhaber (so jetzt ausdrücklich auch §§ 13 und 16 SpruchG). Diese
Besonderheiten des Spruchverfahrens, das den Abfindungs- oder
Ausgleichsanspruch weitergehend als der Zivilprozess der Disposition der
Verfahrensbeteiligten entzieht, stehen der Anwendung des § 240 ZPO über die
Unterbrechung des Verfahrens sowie der hiermit in Verbindung stehenden
Vorschriften der §§ 85, 86 und 179 InsO über die Aufnahme und Fortführung des
Verfahrens sowie die Anmeldung von Ansprüchen zur Insolvenztabelle entgegen.
Zwar ist nach der neuen Regelung des § 11 Abs. 2 SpruchG nunmehr auch ein
Verfahrensabschluss durch eine gütliche Einigung aller Verfahrensbeteiligten, auf
die das Gericht in jeder Lage des Verfahrens hinwirken soll, in entsprechender
Anwendung der Vorschriften für die Niederschrift eines Vergleiches in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten möglich, die dann zur Schaffung eines Vollstreckungstitels
führt (§ 11 Abs. 2 S. 3 SpruchG).
Der Senat lässt dahin stehen, ob aus dieser Regelung geschlossen werden kann,
dass nunmehr für dem neuen SpruchG unterliegende Spruchverfahren eine
Unterbrechung bei Insolvenz des die Abfindung oder den Ausgleich schuldenden
Rechtsträgers und Antragsgegners gemäß § 5 SpruchG in entsprechender
Anwendung des § 240 ZPO in Betracht gezogen werden kann, obwohl das neue
SpruchG hierzu eine ausdrückliche Regelung nicht enthält und die bisherige
herrschende Auffassung auch für den Gesetzgeber bekannt gewesen sein dürfte.
Denn das vorliegende Spruchverfahren vor dem Landgericht hat vor dem 1.
September 2003 begonnen und unterliegt deshalb gemäß § 17 Abs. 2 S. 1
SpruchG weiterhin dem bisherigen Verfahrensrecht, für welches an der
herrschenden Auffassung über die Nichtanwendbarkeit des § 240 ZPO
festzuhalten ist.
Der angefochtene Beschluss des Landgerichts, mit welchem das Verfahren
unterbrochen wurde, war deshalb aufzuheben.
Am hiesigen Beschwerdeverfahren sowie dem weiteren Spruchverfahren ist wegen
der Insolvenzeröffnung nicht mehr die frühere Antragsgegnerin, sondern der
Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes beteiligt. Denn das Spruchverfahren
betrifft mittelbar die Insolvenzmasse, aus der letztlich die Abfindung oder der
Ausgleich geschuldet wird, um deren Höhe in dem Spruchverfahren gestritten wird
(vgl. BayObLG DZWIR 2002, 430).
Von der vorliegenden Entscheidung unberührt bleibt, dass die
Verfahrensbeteiligten in Erwägung zu ziehen haben werden, ob die Fortführung des
vorliegenden Spruchverfahrens im Hinblick auf die Insolvenz der bisherigen
Antragsgegnerin sinnvoll ist und gegebenenfalls durch Erledigungserklärung
beendet werden sollte.
Der Senat hält es für angemessen, von der Anordnung einer Kostenerstattung für
das Beschwerdeverfahren nach § 15 Abs. 4 SpruchG abzusehen.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 15 Abs. 1 Satz 1 SpruchG, 30
14 Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 15 Abs. 1 Satz 1 SpruchG, 30
Abs. 2 KostO. Der Mindestgeschäftswert nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG ist
vorliegend nicht einschlägig, da es sich um eine bloße Zwischenentscheidung
handelt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.