Urteil des OLG Frankfurt vom 09.04.2002

OLG Frankfurt: markt, beendigung, einstweilige verfügung, rechtliche qualifikation, vertrag eigener art, unternehmen, hauptsache, ordentliche kündigung, fristlose kündigung, bekanntgabe

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 278/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 78 Abs 1 BörsG, § 66a
WPapBörsO HE, § 935 ZPO, §
940 ZPO
(Penny-Stock-Regelung für den sog "Neuen Markt":
Darlegungs- und Beweislast im Eilverfahren für die
Zulässigkeit der Einführung der neuen Ausschlußkriterien)
Leitsatz
1. Zur Wirksamkeit einseitig festgestzter Ausschlussmöglichkeiten vom Neuen Markt
der Frankfurter Wertpapierbörse
2. Die "Penny-Stocks-Regelung" für den Neuen Markt darf auf der Grundlage des
bisherigen Tatsachenvortrages bis zur Entscheidung des erstinstanzlichen
Hauptsacherechtsstreites nicht angewandt werden.
Tenor
Auf die Berufungen der Verfügungsklägerinnen wird das am 19. Dezember 2001
verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt
am Main abgeändert.
Der Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall
der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro,
ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen
an ihren Vorstandsmitgliedern, untersagt,
1. Abschnitt 2 Ziffer 2.1.5 Absatz 2 Nr. 2 des Regelwerks Neuer Markt (Stand:
1.10.2001) mit Wirkung
a) vor dem 30.9.2002 auf die Verfügungsklägerin zu 5),
b) vor der erstinstanzlichen Entscheidung in dem jeweiligen
Hauptsacherechtsstreit auf die übrigen Verfügungsklägerinnen anzuwenden;
2. die zu Lasten der Verfügungsklägerinnen zu 1), 2), 4), 5) und 6) bereits
getroffene Entscheidung über die Beendigung der Zulassung der Aktien zum
Neuen Markt in Vollzug zu setzen. Der weitergehende Antrag und die
weitergehende Berufung der Verfügungsklägerin zu 4) werden zurückgewiesen.
Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
Gründe
Die Verfügungsklägerinnen sind Emittenten, deren Aktien am Neuen Markt
gehandelt werden. Die Verfügungsbeklagte hat den Neuen Markt in
privatrechtlicher Form organisiert und hat hierfür das "Regelwerk Neuer Markt" (im
folgenden nur: Regelwerk) aufgestellt, das sie seit seinem ersten Inkrafttreten im
März 1997 mehrfach geändert hat. In einer Presseerklärung vom 20.7.2001
kündigte die Verfügungsbeklagte an, zum 1.10.2001 das Regelwerk dahin ändern
zu wollen, dass Unternehmen mit zu niedrigem Börsenkurs und zu niedriger
Marktkapitalisierung aus dem Neuen Markt ausgeschlossen werden (sog.Penny-
Stocks-Regelung). In einem Schreiben vom 21.9.2001 gab die Verfügungsbeklagte
den Emittenten die geplanten Änderungen bekannt. Die hier interessierende
Neuregelung, gegen deren Anwendung sich die Verfügungsklägerinnen im
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Neuregelung, gegen deren Anwendung sich die Verfügungsklägerinnen im
Eilverfahren zur Wehr setzen, hat in ihrer endgültigen Fassung, die die
Verfügungsbeklagte zum 1.10.2001 in Kraft setzte, folgenden Wortlaut (Abschnitt
2 des Regelwerks):
2.1.5
Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt
(1) .....
(2) Die DBAG wird die Zulassung zum Neuen Markt beenden,
1......
2.
wenn der börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien für die Dauer
von 30 aufeinanderfolgenden Börsentagen weniger als 1 Euro pro Aktie beträgt
und die Marktkapitalisierung 20 Mio. Euro unterschreitet, es sei denn, daß der
börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien innerhalb weiterer 90
Börsentage an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Börsentagen mindestens 1
Euro und die Marktkapitalisierung mindestens 20 Mio. Euro beträgt. In Ziffer 2.1.5
Abs. 3 ist vorgesehen, daß die Beendigung in den Fällen des Absatz 2 einen Monat
nach Bekanntmachung der Entscheidung der Verfügungsbeklagten wirksam wird.
In der letzten Woche des Monats März 2002 gab die Verfügungsbeklagte die
Beendigung der Zulassung der Aktien der Verfügungsklägerinnen zu 1), 2) und 4)
bis 6) auf der Grundlage der vorstehend zitierten Neuregelung bekannt. Die
Verfügungsklägerinnen haben - überwiegend schon vor dem 1.10.2001 - Anträge
auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gestellt, um der Verfügungsbeklagten die
Anwendung der neuen Ausschlussklausel auf sie - teils zeitlich begrenzt -
untersagen zu lassen. Sie haben die Ansicht vertreten, die neue Regelung sei
unwirksam, weil die Verfügungsbeklagte nicht berechtigt sei, das Regelwerk in
dieser Weise einseitig zu ändern und weil die betreffende Klausel auch inhaltlich
nicht angemessen sei. Die quantitativen Ausschlußkriterien - insbesondere die
Grenze von 20 Mio. Euro für die Marktkapitalisierung - seien willkürlich gewählt.
Außerdem lasse ihnen die kurzfristige Inkraftsetzung zu wenig Spielraum, um
wirksame Maßnahmen gegen einen drohenden Ausschluß zu ergreifen. Die
Verfügungsbeklagte hat gemeint, die Anträge seien unzulässig und auch in der
Sache nicht begründet. Sie sei zur einseitigen Änderung des Regelwerks
berechtigt. Das ergebe sich aus §§ 78 BörsG, 66a BörsO. Außerdem hätten ihr die
Verfügungsklägerinnen bei der Zulassung zum Neuen Markt jeweils durch
gesonderte Erklärungen die Änderungsbefugnis vertraglich eingeräumt. Das habe
im Laufe der Zeit seine Bestätigung dadurch gefunden, daß die
Verfügungsklägerinnen zahlreichen Änderungen nicht widersprochen hätten.
Ferner lasse sich ihre Änderungsbefugnis aus einem entsprechenden Vorbehalt in
Abschnitt 1 Ziffer 2 des Regelwerks sowie aus einer interessengerechten -
hilfsweise einer ergänzenden - Vertragsauslegung herleiten. Des weiteren sei sie
berechtigt, die mit den Verfügungsklägerinnen abgeschlossenen Verträge über die
Zulassung zur Notierung am Neuen Markt ordentlich zu kündigen oder auch durch
eine fristlose Kündigung zu beenden. In Anbetracht dieses Rechts seien die in der
Neuregelung vorgesehenen Fristen nicht zu kurz.
Auch im übrigen sei die Regelung unter Berücksichtigung der berechtigten
Interessen der Emittenten nicht unbillig. Die Inkraftsetzung bereits zum 1.10.2001
sei erforderlich gewesen, um eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels
und der Geschäftsabwicklung in diesem Handelssegment weiterhin zu
gewährleisten. Das Landgericht hat die Anträge der Verfügungsklägerinnen (nach
Verbindung) zurückgewiesen, weil eine einstweilige Regelung im Eilverfahren nicht
erforderlich sei. Die Verfügungsklägerinnen haben - jeweils gesondert - Berufung
eingelegt und haben diese rechtzeitig begründet. Sie wenden sich insbesondere
gegen die Ansicht, es fehle an einem Verfügungsgrund, und wiederholen zum
Verfügungsanspruch im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Mit ihren
neu formulierten Anträgen begehren sie jetzt überwiegend, der
Verfügungsbeklagten die Anwendung der betreffenden Klausel auf sie bis zur
Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen. Aufgrund der zwischenzeitlichen
Entscheidungen der Verfügungsbeklagten über die Beendigung der Zulassung
beantragen die Verfügungsklägerinnen zu 1), 2) und 4) bis 6) außerdem, der
Verfügungsbeklagten zu untersagen, die getroffene Entscheidung in Vollzug zu
setzen. Die Verfügungsklägerin zu 3) stellt einen entsprechenden Antrag im
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setzen. Die Verfügungsklägerin zu 3) stellt einen entsprechenden Antrag im
Hinblick auf die in ihrem Fall in Kürze zu erwartende Beendigungsentscheidung. Die
Verfügungsbeklagte beantragt, die Berufungen zurückzuweisen. Sie verteidigt das
angefochtene Urteil und vertritt insbesondere die Auffassung, daß ein
Verfügungsgrund für die Eilanträge deshalb nicht bestehe, weil die
Verfügungsklägerinnen das Schiedsgericht (Primary Markets Arbitration Panel) als
Gericht der Hauptsache anrufen könnten und weil Entscheidungen über eine
Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt aufgrund der von ihr "zwar ohne
Rechtspflicht, aber mit verbindlicher Wirkung" abgegebenen Stillhalteverpflichtung
bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Schiedsgerichts nicht vollzogen würden.
Es bestehe somit keine Gefahr, daß durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Verfügungsklägerinnen vor
rechtskräftiger Klärung vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Die Berufungen der Verfügungsklägerinnen sind zulässig. Sie haben auch in der
Sache Erfolg.
A)
Die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung sind zulässig.
I.
Soweit die Verfügungsbeklagte einwendet, die Anträge seien schon deshalb
unzulässig, weil die Verfügungsklägerinnen nicht dargelegt hätten, daß ihnen bei
Versagung der beantragten Unterlassungsverfügungen ein unzumutbarer,
irreparabler Schaden drohe, der schwerer wiege als der Schaden, den sie bei Erlaß
der Maßnahme befürchten müsse, und darüber hinaus hätten sich die
Verfügungsklägerinnen mit der Beantragung zu lange Zeit gelassen, handelt es
sich nicht um Fragen der Zulässigkeit, sondern um solche des für den Erlaß
erforderlichen Verfügungsgrundes, auf den unten näher eingegangen wird.
II.
Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten scheitert die Zulässigkeit auch
nicht daran, daß es hier um schwierige Fragen tatsächlicher Art gehe, die mit den
beschränkten Aufklärungsmitteln, die in einem Eilverfahren zur Verfügung stehen,
nicht bewältigt werden könnten, weil insbesondere eine Sachverständigen-
Befragung nicht möglich sei. Davon wird die Statthaftigkeit der Anträge nicht
berührt, denn die Notwendigkeit, eine Partei vor der Gefährdung ihrer Rechte oder
vor anderen wesentlichen Nachteilen zu schützen, hängt nicht davon ab, wie
schwierig der Entscheidungsprozeß ist.
III.
Was die von der Verfügungsbeklagten vertretene Vorrangigkeit des
Schiedsgerichtsverfahrens betrifft, ist zwischen der Frage nach der Zulässigkeit
und derjenigen nach dem Verfügungsgrund zu unterscheiden. Auch wenn die
Verfügungsklägerinnen wegen des hier geltend gemachten Begehrens das
Schiedsgericht anrufen könnten und wenn für die Hauptsache sogar die
ausschließliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts wirksam vereinbart worden
wäre, würde das an der Zulässigkeit der hier gestellten Anträge nichts ändern, weil
die ordentlichen Gerichte jedenfalls für den Erlaß einer Eilentscheidung angerufen
werden können (§ 1033 ZPO).
IV.
Auch der Antrag der Verfügungsklägerin zu 6) ist zulässig. Zwar hat diese
Verfügungsklägerin bereits am 22.10.2001 eine Eilentscheidung gegen die
Verfügungsbeklagte erwirkt, aber sie hat die rechtzeitige Vollziehung (§ 929 Abs. 2
ZPO) versäumt und ist danach nicht gehindert, eine neue einstweilige Verfügung
zu beantragen, wenn weiterhin ein Verfügungsgrund besteht (vgl.
Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 929 Rn. 23; MüKo/ZPO/ Heinze, 2. Aufl., § 929
Rn. 13; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 929 Rn. 18).
B)
Die Verfügungsanträge sind auch begründet, denn es besteht ein
Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund (§§ 935, 940 ZPO).
I.
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I.
Die Verfügungsklägerinnen haben nach dem Sach- und Streitstand, wie er dem
Senat in diesem Verfahren unterbreitet worden ist, einen Anspruch darauf, daß die
Verfügungsbeklagte Abschnitt 2 Ziffer 2.1.5 Abs. 2 Nr. 2 des Regelwerks in der seit
1.10.2001 geltenden Fassung ihnen gegenüber bis zu einer Klärung im
Hauptsacheverfahren nicht anwendet; denn die Verfügungsbeklagte hat keine
ausreichenden Gründe für eine Beendigung der Zulassung der Aktien der
Verfügungsklägerinnen zum Neuen Markt bei Eintritt der umstrittenen Kriterien
dargelegt. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus der jeweiligen
Vertragsbeziehung der Verfügungsbeklagten zu den einzelnen
Verfügungsklägerinnen. Die Vertragsbeziehungen sind nach dem Schuldrecht des
BGB zu beurteilen (Vertrag eigener Art mit überwiegend dienstvertraglichen
Elementen); denn die Verfügungsbeklagte wird im Handelssegment Neuer Markt
privatrechtlich tätig. Die Verfügungsbeklagte war nach dem gegenwärtigen
Erkenntnisstand des Senats nicht berechtigt, die von den Verfügungsklägerinnen
beanstandete Klausel durch einseitige Änderung des Regelwerks in die
Vertragsbeziehungen einzuführen.
1.
Die Änderungsbefugnis ergibt sich nicht aus den Verpflichtungserklärungen, die die
Verfügungsklägerinnen anläßlich der Zulassung ihrer Aktien zum Handel am
Neuen Markt abgegeben haben. Dabei kann offenbleiben, ob die Erklärungen dem
Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unterfallen (vgl. Wolf, WM
2001/1785, 1787; Römermann/Schröder, BKR 2001/83, 85; Krämer, BKR 2001/131,
133; Bachmann, WM 2001/1793, 1795) oder ob es sich um
Individualvereinbarungen mit der Verfügungsbeklagten handelt, wie verschiedene
Kammern des Landgerichts angenommen haben. Hierauf kommt es nicht an, weil
sich keine der von den Verfügungsklägerinnen abgegebenen Erklärungen auf eine
mögliche Beendigung der Zulassung erstreckt.
a)
Die Verfügungsklägerinnen zu 1) und 3) haben sich nur verpflichtet, die
Zulassungsfolgepflichten in der jeweils gültigen Fassung zu beachten.Zwar sind die
betreffenden Erklärungen nicht vorgelegt worden, aber die Beschränkung auf die
Folgepflichten ist - was den Wortlaut betrifft - unstreitig. Schon nach der
systematischen Stellung ist "Zulassungsfolgepflichten"ein im Regelwerk gezielt
verwendeter Begriff, nämlich als Überschrift für die in Abschnitt 2 Ziffer 7
geregelten Verpflichtungen. Hier paßt der Begriff, denn es geht in Ziffer 7
ausschließlich um Verpflichtungen der Emittenten während ihrer Zugehörigkeit
zum Neuen Markt (Quartalsberichte, Meldepflichten und "sonstige Pflichten").
Schon nach der systematischen Unterteilung des Regelwerks beziehen sich die
Erklärungen der Verfügungsklägerinnen zu 1) und 3) nicht auf Regelungen in
Abschnitt 2 Ziffer 2 (vgl. auch Schiedsspruch des Primary Markets Arbitration
Panel vom 12.2.2002, Seite 7/8). Auch inhaltlich hat die umstrittene
Ausschußklausel nichts mit Folgepflichten zu tun, denn die Emittenten sind
nirgends verpflichtet worden, den Kurswert ihrer Aktien immer auf mindestens 1
Euro zu halten und/oder für eine Marktkapitalisierung von mindestens 20 Mio. Euro
zu sorgen.
b)
Das gleiche gilt für die Verfügungsklägerin zu 4) mit der Besonderheit , daß in
deren Erklärung sogar ausdrücklich auf Abschnitt 7 des Regelwerks Bezug
genommen wird und im übrigen dort nicht von der jeweils gültigen Fassung,
sondern nur von der zukünftigen Beachtung der Zulassungsfolgepflichten die Rede
ist.
c)
Auch die Verfügungsklägerin zu 2) hat das Regelwerk nicht in seiner jeweils
gültigen Fassung anerkannt, sondern ausdrücklich nur "in der Fassung vom
15.9.1999", und sie hat noch hinzugefügt: "Änderungen des Regelwerks werden
uns gegenüber wirksam, wenn wir nicht innerhalb eines Monats nach deren
Bekanntgabe gegenüber der Frankfurter Wertpapierbörse eine gegenteilige
Erklärung abgegeben haben"("Anerkennungserklärung" vom 15.10.1999). Wenn
die Erklärung der Verfügungsklägerin zu 2), die ausdrücklich an die Frankfurter
Wertpapierbörse gerichtet war, im Verhältnis zur Verfügungsbeklagten wirkt, kann
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Wertpapierbörse gerichtet war, im Verhältnis zur Verfügungsbeklagten wirkt, kann
auch die vorbehaltene Ablehnungserklärung der Verfügungsklägerin zu 2)
gegenüber der Verfügungsbeklagten wirksam abgegeben werden. Die Ablehnung
der hier streitigen Änderung ist jedenfalls dadurch erfolgt, daß die
Verfügungsklägerin zu 2) den Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die
Anwendung der betreffenden Klausel beantragt hat. Sie hat dabei die selbst
gesetzte Monatsfrist eingehalten, wobei es nicht darauf ankommt, ob man die
"Bekanntgabe" im Sinne der Erklärung vom 15.10.1999 erst in der Veröffentlichung
des neuen Regelwerks in seiner ab 1.10.2001 geltenden Fassung sieht oder schon
in dem Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 21.9.2001 an die
Verfügungsklägerin zu 2) und andere Emittenten. Auch im letzteren Fall war der
Widerspruch der Verfügungsklägerin zu 2) gegen die Änderung rechtzeitig, denn
der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist der Verfügungsbeklagten am
5.10.2001 zugestellt worden. Warum die Verfügungsbeklagte aus diesen von ihr
selbst bestätigten Daten den Schluß zieht, zwischen der Bekanntgabe und dem
Widerspruch habe mehr als ein Monat gelegen (Schriftsatz vom 4.4.2002), ist nicht
verständlich.
d)
Die Verpflichtungserklärung der Verfügungsklägerin zu 6) lautet: "Wir erkennen das
Regelwerk Neuer Markt der Deutschen Börse AG an". Auch das schließt zukünftige
Änderungen nicht ein.
e)
Die Verfügungsklägerin zu 5) hat folgende Erklärung abgegeben: "Im
Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren .... erklärt die Gesellschaft
ausdrücklich die Anerkennung des Regelwerks Neuer Markt der Gruppe Deutsche
Börse, jeweils in der aktuellsten Fassung. Die Gesellschaft verpflichtet sich, den in
der jeweils aktuellsten Fassung dieses Regelwerks aufgestellten Verpflichtungen
nachzukommen". Diese Erklärung bedarf einer interessengerechten Auslegung.
Selbst wenn die Verfügungsklägerin zu 5) den zweiten Satz nicht hinzugefügt
hätte, wäre für einen objektiven Erklärungsempfänger in der Rolle der
Verfügungsbeklagten erkennbar gewesen, daß die Verfügungsklägerin zu 5) nur
die im Regelwerk statuierten Pflichten in ihrem jeweiligen Umfang anerkennen
wollte, nicht aber auch die Möglichkeit eines Ausschlusses ohne Pflichtverletzung.
Erst recht gebietet die Klarstellung in Satz 2 der Erklärung diese Auslegung.
2.
Auch aus Abschnitt 1 Ziffer 2 des Regelwerks kann die Verfügungsbeklagte keine
einseitige Änderungsbefugnis herleiten. Dort heißt es:
"Änderungen und Ergänzungen der in Ziffer 1 genannten Bedingungen werden
durch Veröffentlichungen in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder auf
elektronischem Wege bekanntgegeben. Die DBAG bestimmt das elektronische
Medium".
Aus einer Formulierung, die kein Wort zum Umfang eventuell zu erwartender
Änderungen enthält, ein Recht zur Beendigung der Zulassung herleiten zu wollen,
erscheint schon nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen fernliegend. Das
Schiedsgericht weist in seinem Schiedsspruch vom 10.9.2001 (BKR 2001/153, 155)
zutreffend darauf hin, daß der Klausel durch das am Wortlaut orientierte
Verständnis auch nicht etwa ihre eigenständige Funktion genommen wird. Das
ergibt sich schon aus der Feststellung, daß sich die Verfügungsbeklagte in allen
Fassungen des Regelwerks die Möglichkeit vorbehalten hat, das Entgeltverzeichnis
einseitig zu ändern oder zu ergänzen (so auch in der letzten Fassung gemäß
Abschnitt 4 Ziffer 4 Abs. 2 des Regelwerks), worauf sich auch Abschnitt 1 Ziffer 2
beziehen kann. Danach braucht nicht näher darauf eingegangen zu werden, daß
Abschnitt 1 Ziffer 2 wegen seiner Schrankenlosigkeit gegen das Transparenzgebot
und damit gegen § 9 AGB-Gesetz verstieße, wenn man die Klausel im Sinne einer
allgemeinen Änderungsbefugnis der Verfügungsbeklagten auslegen würde (vgl.
auch Wolf a.a.O., S. 1786).
3.
Mit der widerspruchslosen Hinnahme früherer Änderungen haben die
Verfügungsklägerinnen der Verfügungsbeklagten ebenfalls keine einseitige
Änderungsbefugnis (konkludent) eingeräumt. Allein aus unterlassenen
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Änderungsbefugnis (konkludent) eingeräumt. Allein aus unterlassenen
Beanstandungen einer oder mehrerer Vertragsänderungen, die ein
Vertragspartner vornimmt, kann nicht der Schluß gezogen werden, daß der andere
mit der einseitigen Form der Änderung einverstanden sei, sondern nur, daß er
inhaltlich nichts gegen die Änderung einzuwenden habe. Erst recht verbietet sich
die Schlußfolgerung auf ein Einverständnis mit zukünftigen einseitigen
Vertragsänderungen, unabhängig davon, ob spätere Änderungen inhaltlich eine
vergleichbare Bedeutung haben oder schwerer wiegen als die früheren
Änderungen. Besonders gilt das, wenn die spätere Änderung darin besteht, daß
einseitig Gründe für die Beendigung des Vertragsverhältnisses von einer
Vertragspartei eingeführt werden, wie im vorliegenden Fall.
4.
Eine einseitige Änderungsbefugnis bezüglich der streitgegenständlichen
Ausschlußkriterien ergibt sich auch nicht aus §§ 78 Abs. 1 BörsG, 66a BörsO.
a)
In diesen Bestimmungen liegt nach allgemeiner Meinung jedenfalls keine
Ermächtigung zum Erlaß von Handelsrichtlinien mit Satzungsgewalt oder in
sonstiger öffentlich-rechtlicher Form (vgl. u.a. Wolf a.a.O., Seite 1787;
Schiedsspruch des Primary Markets Arbitration Panel vom 12.2.2002. Seite 8 ff.).
Zwar erwägen Bauer/Pleyer/Hirche in ihrem Rechtsgutachten für die
Verfügungsbeklagte, inwiefern öffentlich-rechtliche Elemente in den nach § 78 Abs.
1 BörsG zu erlassenden Handelsrichtlinien enthalten sind und sehen
"facettenreiche Verschränkungen" von öffentlichem und privatem Recht (BKR
2002/102, 106 ff.). Sie halten die Einordnung des Regelwerks in den
Rechtsquellenkanon des öffentlichen Rechts nicht von vornherein für
ausgeschlossen, weil weder dem Wortlaut noch den Materialien zu § 78 BörsG die
rechtliche Qualifikation eindeutig zu entnehmen sei (a.a.O., Seite 113). Aber
letztlich kommen auch diese Autoren zu dem Ergebnis, daß derzeit die
überwiegenden Gründe gegen eine öffentlich-rechtliche Qualifikation der
Freiverkehrsrichtlinien und damit auch des Regelwerks sprächen und daß die
historische Entwicklung sowie der gesetzgeberische Wille zu einer privatrechtlichen
Qualifikation führten (a.a.O., Seite 114 mit Hinweis auf die herrschende Meinung in
Fußnote 181).
b)
Ob den weiteren Gedankengängen in dem Rechtsgutachten zu folgen ist, wonach
sich aus § 78 BörsG in Verbindung mit § 66a BörsO eine einseitige
Änderungsbefugnis der Verfügungsbeklagten herleiten lasse, die im Bereich des
Privatrechts mit Hilfe privater Rechtsnormen ausgeübt werden könne, um die
gesetzliche Zielsetzung zu erreichen, bedarf hier keiner vertiefenden Betrachtung.
Denn eine Ausdehnung des "staatlichen Geltungsbefehls", den Bauer/Pleyer/Hirche
der Vorschrift des § 78 Abs. 1 BörsG entnehmen, auf die in der Neuregelung
enthaltenen Beendigungskriterien würde wegen der fehlenden Konkretisierung im
Gesetzestext angesichts des schwerwiegenden Eingriffs in die Rechtsposition der
Verfügungsklägerinnen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Das gleiche
gilt in Bezug auf § 66a BörsO (vgl. auch Wolf a.a.O., S. 1787 unter Hinweis auf Art.
12 und 14 GG).
5.
Auch ohne vertragliche oder gesetzliche Änderungsbefugnis der
Verfügungsbeklagten kommt die Anwendbarkeit des geänderten Regelwerks auf
die Verfügungsklägerinnen in Betracht, wenn sich die streitgegenständliche
Ausschlußklausel als Ausformung gesetzlicher Kündigungsgründe darstellt und die
Verfügungsbeklagte unter diesen Voraussetzungen schon nach dem Schuldrecht
des BGB zur Kündigung der Vertragsbeziehungen mit den Verfügungsklägerinnen
berechtigt ist.
a)
Eine ordentliche Kündigung scheidet von vornherein aus, denn die
Verfügungsklägerinnen haben anläßlich der Zulassung ihrer Aktien zum Neuen
Markt mit der Verfügungsbeklagten jeweils sinngemäß vereinbart, daß das dabei
zustande gekommene Dauerschuldverhältnis von Seiten der Verfügungsbeklagten
nicht ordentlich gekündigt werden kann. Das ergibt sich aus der Festlegung
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nicht ordentlich gekündigt werden kann. Das ergibt sich aus der Festlegung
einzelner konkreter Beendigungsgründe im Regelwerk, die es auch schon vor der
angegriffenen Erweiterung gab, in Verbindung mit den erkennbaren Erwartungen
der Verfügungsklägerinnen bei der Zulassung ihrer Aktien zum Handel am Neuen
Markt. Bei Abschluß des jeweiligen Vertrages mit den Verfügungsklägerinnen war
für die Verfügungsbeklagte klar erkennbar, daß jeder Emittent darauf vertraut, nur
unter den im Regelwerk präzise angegebenen Voraussetzungen von der weiteren
Teilnahme seiner Aktien am Handel in diesem Marktsegment ausgeschlossen
werden zu können. Die Verfügungsklägerin zu 2) beziffert n ihrer
Berufungsbegründung allein die Kosten im Zusammenhang mit dem
Zulassungsverfahren und für den Segmentwechsel vom Freiverkehr zum Neuen
Markt mit über 2,5 Mio. Euro, was die Verfügungsbeklagte nicht bestreitet. Es kann
davon ausgegangen werden, daß bei den anderen Verfügungsklägerinnen ähnlich
hohe Kosten entstanden sind. Hinzu kommen erhebliche laufende Kosten, die im
Falle einer Beendigung der Zulassung ebenfalls weitgehend nutzlos entstanden
wären.
In Anbetracht dieses Aufwandes, den die Emittenten betreiben, um überhaupt am
Neuen Markt teilnehmen zu können, wäre die Annahme, die Verfügungsbeklagte
sei bei Vertragsabschluß davon ausgegangen, das Dauerschuldverhältnis ohne
konkreten Anlaß kündigen zu können, lebensfremd. Die Frage nach einer
angemessenen Kündigungsfrist stellt sich dabei nicht (vgl. hierzu Wolf, a.a.O.,
Seite 1788 ff.), denn keine - auch keine lange - Frist kann den konkludent
vereinbarten Ausschluß einer ordentlichen Kündigung beseitigen.
b)
Dagegen können die neu eingeführten Beendigungskriterien als Konkretisierung
eines Grundes zur außerordentlichen Kündigung der Dauerschuldverhältnisse
angesehen werden. Grundsätzlich bestehen keine Bedenken dagegen, daß die
Verfügungsbeklagte auf diese Weise für die Emittenten, sonstige Marktteilnehmer
und andere Interessenten zu erkennen gibt, unter welchen Voraussetzungen sie
meint, ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu haben. Es fördert auch die
Transparenz, wenn die Verfügungsbeklagte festlegt, welche Frist sie bei einer
außerordentlichen Kündigung aus den genannten Gründen einhalten wird (hier ein
Monat gemäß Abschnitt 2 Ziffer 2.1.5 Abs. 3 des geänderten Regelwerks). Aber die
neu eingeführten Beendigungskriterien können nur dann Grundlage einer
wirksamen außerordentlichen Kündigung sein, wenn der Verfügungsbeklagten bei
ihrem Vorliegen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zuzumuten
ist. Nach allgemeiner Meinung kann ein Dauerschuldverhältnis außerordentlich
gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller
Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des
Vertrages für den Kündigenden unzumutbar machen (vgl. nur Palandt/Heinrichs,
BGB, 61. Aufl., Einl. vor § 241 Rn. 19 mit Rechtsprechungsnachweisen). Der aus
den §§ 554a a.F., 626, 723 BGB, 89a HGB abgeleitete Rechtsgrundsatz muß im
vorliegenden Fall noch dahin erweitert werden, daß auch die Interessen Dritter -
insbesondere der potentiellen oder bereits engagierten Anleger - zu
berücksichtigen sind. Die Verfügungsbeklagte hat jedoch in diesem Verfahren
keine Tatsachen vorgetragen, aus denen der Senat schließen könnte, daß ihr die
Fortsetzung der Vertragsbeziehungen bei Eintritt der umstrittenen
Voraussetzungen - unter Berücksichtigung der erwähnten Drittinteressen -
unzumutbar sei. Ihr Vortrag beschränkt sich auf abstrakte, schlagwortartige
Formulierungen wie z.B. "Anpassung an die dynamische Entwicklung der
nationalen und internationalen Kapitalmärkte; Funktionsfähigkeit des Neuen
Marktes; Steigerung der Konkurrenzfähigkeit; Verbesserung des Anlegerschutzes"
u.ä.
Ein berechtigtes Interesse der Verfügungsbeklagten an den genannten
Zielsetzungen steht außer Frage, aber es ist nicht erkennbar, inwiefern
Schwellenwerte von 1 Euro Kurswert und 20 Mio. Euro Marktkapitalisierung hierbei
eine entscheidende Rolle spielen sollen. Zwar deutet die Verfügungsbeklagte
angebliche Auswirkungen an bestimmten Stellen wenigstens an, wenn sie u.a.
behauptet, auch bei Unternehmen, die von ihrer Struktur her in den Neuen Markt
passen, zeige sich die Tendenz, dieses Marktsegment zu verlassen oder von
vornherein zu meiden. Aber auch insoweit fehlt jegliche Erläuterung, warum die
Zurückhaltung solcher Unternehmen und das im gleichen Zusammenhang
beklagte Ausbleiben neuer Börsengänge etwas mit den Kursen und der
Marktkapitalisierung anderer Unternehmen zu tun haben soll anstatt mit der
augenblicklichen gesamtwirtschaftlichen Lage und dem ungünstigen
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augenblicklichen gesamtwirtschaftlichen Lage und dem ungünstigen
Börsenumfeld. In anderem Zusammenhang lobt die Verfügungsbeklagte sogar die
wirtschaftliche Vernunft derjenigen Unternehmen, die aus Kostengründen freiwillig
den Neuen Markt verlassen. Unverständlich ist insbesondere die Hürde einer
Marktkapitalisierung von 20 Mio. Euro, die die Verfügungsbeklagte im geänderten
Regelwerk aufgebaut hat. Damit trifft sie nur Unternehmen, deren Aktien am
Neuen Markt bereits gehandelt werden, denn bei der Neuzulassung muß kein
Unternehmen diesen Schwellenwert erreichen. Die im Schreiben an die Emittenten
vom 21.9.2001 angeführte und in der mündlichen Verhandlung wiederholte
Begründung, eine Marktkapitalisierung von 20 Mio. Euro stelle allgemein eine
untere Grenze für das Engagement institutioneller Investoren dar, ist wenig
überzeugend, wenn dieser Wert bei der Neuzulassung keine Rolle spielt. Zwar führt
in der ersten Phase der von der Verfügungsbeklagten jetzt eingeführten Fristen
(30 Börsentage) die Unterschreitung einer Marktkapitalisierung von 20 Mio. Euro
für sich allein nicht zum Ausschluß, aber wenn der Aktienkurs erst einmal 30
Börsentage lang unter 1 Euro gelegen hat, kann das Unternehmen dem Ausschluß
nicht mehr entgehen, sofern es seine Marktkapitalisierung nicht auf mindestens 20
Mio. Euro hochschraubt; denn in der zweiten Phase müssen an mindestens 15
aufeinanderfolgenden Börsentagen beide Schwellenwerte nebeneinander erreicht
werden. Das bedeutet: Ein Unternehmen, das gerade erst zugelassen worden ist,
kann nach einem vorübergehenden Absinken seines Aktienkurses unter 1 Euro
schon wieder die Voraussetzungen für einen Ausschluß erfüllen, obwohl die
Marktkapitalisierung von Anfang an immer weit unter 20 Mio. Euro gelegen hat.
Eine solche Konsequenz ergäbe selbst dann keinen Sinn, wenn die
Verfügungsbeklagte überzeugend dargelegt hätte, warum eine
Marktkapitalisierung von 20 Mio. Euro zur Erreichung der von ihr aufgezählten
Zielsetzungen geeignet und erforderlich sei. Darüber hinaus fehlt eine Darlegung
der Verfügungsbeklagten, warum die Notwendigkeit der eingeführten Grenzwerte
erst jetzt erkannt worden ist. Wenn die Werte für die Erreichung der abstrakt
formulierten Ziele (Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit des Neuen Marktes,
Anlegerschutz, internationale Verflechtung usw.) von so großer Bedeutung sind,
daß sie eine Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt rechtfertigen, müßten
sie schon bei Schaffung dieses Marktsegments im Frühjahr 1997 und erst recht
anläßlich früherer Regelwerksänderungen erkannt worden sein, die sich nach
Darstellung der Verfügungsbeklagten vornehmlich auf die Zulassungsbedingungen
bezogen haben. Da nach alledem die vermeintliche Unzumutbarkeit der
Fortsetzung der Dauerschuldverhältnisse mit den Verfügungsklägerinnen nicht
ausreichend vorgetragen ist, braucht nicht erörtert zu werden, ob die Beendigung
der Zulassung durch die Möglichkeit, ohne weitere Formalien in den Geregelten
Markt wechseln zu können, abgemildert wird; denn zu einer solchen Abwägung
käme man erst nach schlüssiger Darlegung der Unzumutbarkeit.
6.
Der Senat hat auch erwogen, ob der Verfügungsbeklagten im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung ein Recht zur Einfügung von Vertragsklauseln
zusteht, aufgrund dessen sie vertragliche Kündigungsgründe in das Regelwerk
aufnehmen kann. Ein solches besonderes Kündigungsrecht könnte in Betracht
kommen, wenn die Verfügungsbeklagte beabsichtigen würde, das Konzept des
Neuen Marktes grundlegend neu zu gestalten; denn sie ist nicht verpflichtet, für
alle Zeiten an dem bisherigen Konzept festzuhalten. In einem solchen Fall wäre die
entscheidende Frage, welchen zeitlichen Vorlauf sie den Emittenten geben müßte,
um sich auf eine solche Veränderung einzustellen. Das bedarf aber hier keiner
weiteren Erörterung, weil die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung
ausdrücklich erklärt hat, mit der Einführung der streitgegenständlichen
Beendigungsklausel keine Änderung des Konzepts anzustreben, sondern nur das
bereits bestehende verwirklichen zu wollen.
7.
Ob und inwieweit der Verfügungsbeklagten bei unverändertem Konzept eine
Befugnis zur einseitigen Änderung des Regelwerks aufgrund ergänzender
Vertragsauslegung zusteht, braucht in diesem Verfahren ebenfalls nicht
entschieden zu werden. Wenn man die Verfügungsbeklagte unter diesem
rechtlichen Gesichtspunkt grundsätzlich für änderungsbefugt hält und wenn man
ihr im Interesse einer dauerhaften Funktionsfähigkeit des Neuen Marktes einen
weiten Gestaltungsspielraum einräumt, ändert dies nichts daran, dass sie in einem
Rechtsstreit über die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt konkret
darlegen und ggf. glaubhaft machen oder beweisen muß, dass beim Eintritt der
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darlegen und ggf. glaubhaft machen oder beweisen muß, dass beim Eintritt der
Ausschlußkriterien, die sie neu in das Regelwerk aufgenommen hat, die
Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt erforderlich ist, um die mit dem
Handelssegment Neuer Markt verfolgten Ziele nicht zu gefährden oder um
drohenden Schaden oder andere konkrete Nachteile vom Neuen Markt
abzuwenden. Dafür ist nicht eine Rechtfertigung im Einzelfall - bezogen auf das
betreffende Unternehmen - notwendig, wohl aber eine generalisierende
Rechtfertigung der Ausschlußkriterien im Hinblick auf den angestrebten Zweck. An
einer solchen Darlegung fehlt es. Insoweit gelten die Ausführungen oben zu Ziffer
5. b) entsprechend. Das dort behandelte Vorbringen der Verfügungsbeklagten ist
auch dann unzureichend, wenn man an die Darlegung der "Erforderlichkeit" im
Sinne der vorstehenden Ausführungen geringere Anforderungen stellt als an die
Darlegung der "Unzumutbarkeit" im Sinne der Ausführungen zu Ziffer 5. b).
II.
Für den Erlaß der beantragten einstweiligen Verfügungen besteht auch ein
Verfügungsgrund.
1.
Er ergibt sich für die Verfügungsklägerinnen zu 1), 2) und 4) bis 6) daraus, daß die
Verfügungsbeklagte für diese Emittenten die Beendigung der Zulassung bereits
beschlossen und bekanntgegeben hat. Da die Bekanntgabe auch den Hinweis
enthielt, daß die Beendigung nach Ablauf eines Monats wirksam wird, ist der Erlaß
der beantragten einstweiligen Verfügungen jedenfalls zur Abwendung wesentlicher
Nachteile erforderlich (§ 940 ZPO); denn anderenfalls beendet die
Verfügungsbeklagte den Handel der jeweiligen Aktien am Neuen Markt mit Ablauf
eines Monats nach ihrer Beendigungsentscheidung. Auch für die
Verfügungsklägerin zu 3) liegt ein Verfügungsgrund vor, denn die Entscheidung der
Verfügungsbeklagten über die Beendigung der Zulassung der Aktien dieser
Verfügungsklägerin steht kurz bevor, nachdem der größte Teil der zweiten Frist der
streitgegenständlichen Klausel bereits abgelaufen ist. Der Umstand, daß die
Verfügungsklägerin zu 6) bereits am 22.10.2001eine einstweilige Verfügung
erwirkt, aber die Vollziehungsfrist nicht eingehalten hat, ändert schon deshalb
nichts, weil die Verfügungsbeklagte durch die Entscheidung über die Beendigung
des Handels der Aktien der Verfügungsklägerin zu 6) einen neuen
Verfügungsgrund geschaffen hat.
2.
Der Umstand, daß die Verfügungsklägerinnen gegen die Entscheidungen der
Verfügungsbeklagten das Schiedsgericht anrufen und dort - möglicherweise -
relativ kurzfristig eine Entscheidung in der Hauptsache erhalten können und daß
die Verfügungsbeklagte erklärt hat, bis zur Entscheidung durch das Schiedsgericht
keine weiteren Maßnahmen zu treffen, ändert ebenfalls nichts am
Verfügungsgrund. Die Verfügungsklägerinnen können nicht auf diese Weise
indirekt gezwungen werden, sich in der Hauptsache der Schiedsgerichtsbarkeit zu
unterwerfen, die im Regelwerk nicht zwingend vereinbart ist. Schon der Umstand,
daß in der neuen Bestimmung gemäß Abschnitt 2 Ziffer 2.1.6 des Regelwerks, die
sich mit der Zuständigkeit des Schiedsgerichts für Streitigkeiten über oder aus der
Zulassung zum Neuen Markt befaßt, die Fälle der Ziffer 2.1.5 und damit auch die
hier streitige Beendigungsklausel nicht mit aufgezählt sind, begründet erhebliche
Bedenken gegen die Annahme einer ausschließlichen Zuständigkeit des
Schiedsgerichts. Aber selbst wenn man die Textfassung als redaktionell fehlerhaft
ansieht und auf Ziffer 2.1.5 Abs. 6 in Verbindung mit Ziffer 2.1.4 Abs. 4 abstellt,
ergibt sich eine ausschließliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts für die
Hauptsache nicht mit der notwendigen Klarheit. In Ziffer 2.1.4 Abs. 4 heißt es:
"Gegen Maßnahmen .... kann der Emittent .... das Primary Markets Arbitration
Panel anrufen". Das bedeutet nicht, dass nur das Schiedsgericht angerufen
werden kann. Zur Auslegung dieser Klausel kann die Verfügungsbeklagte nicht auf
frühere Regelungen zurückgreifen, aus denen sich seit Bestehen des Neuen
Marktes ein bestimmtes Verständnis der Beteiligten ergeben haben oll. In ihrem
Schriftsatz vom 4.4.2002 weist sie auf die frühere Fassung der Ziffer 2 des
Abschnitts 5 hin, wonach über Streitigkeiten aus der Geschäftsverbindung
zwischen ihr und dem Emittenten ein Schiedsgericht entscheiden und § 48 der
BörsO für die Frankfurter Wertpapierbörse entsprechend gelten sollte. Selbst wenn
man diese frühere Regelung zum heutigen Verständnis heranziehen wollte, würde
sich daraus nicht mit der nötigen Klarheit die Zuständigkeit des Schiedsgerichts
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sich daraus nicht mit der nötigen Klarheit die Zuständigkeit des Schiedsgerichts
für den hier zu beurteilenden Streitgegenstand ergeben. Denn die damalige
Verweisung auf § 48 BörsO führt zu einem eingeschränkten Anwendungsbereich.
Nach § 48 BörsO entscheidet ein Schiedsgericht über Streitigkeiten aus
Geschäften, die in die Börsengeschäftsabwicklung der Frankfurter Wertpapierbörse
eingegeben wurden oder einzugeben waren, einschließlich der Frage, ob zwischen
den Parteien ein Geschäft zustande gekommen ist. Dazu gehört die vorliegende
Streitigkeit nicht.
3.
Der Verfügungsgrund ist auch nicht für diejenigen Verfügungsklägerinnen
entfallen, die in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, sie hätten kurz zuvor
das Schiedsgericht angerufen oder sie beabsichtigten dies bis zum Ablauf der
Zweiwochen-Frist gemäß Abschnitt 2 Ziffer 2.1.4 Abs. 4 des Regelwerks. In diesem
Vorgehen ist kein Einverständnis der betreffenden Verfügungsklägerinnen mit der
Zuständigkeit des Schiedsgerichts in der Hauptsache zu erblicken. Teilweise ging
es den Verfügungsklägerinnen darum, vorsorglich die Zweiwochen-Frist nach der
Beendigungsentscheidung der Verfügungsbeklagten zu wahren; teilweise soll die
Anrufung des Schiedsgerichts nur dazu dienen, dessen Unzuständigkeit feststellen
zu lassen. Alle Verfügungsklägerinnen haben sich in der mündlichen Verhandlung
eindeutig dahin geäußert, daß sie sich für die Klärung des hier in Rede stehenden
Streitstoffs nicht auf die Zuständigkeit des Schiedsgerichts einlassen wollen.
III.
Für die Verfügungsklägerinnen zu 1) bis 4) und 6) war die Wirkung der einstweiligen
Verfügungen auf die Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache
zu begrenzen, wozu auch eine Entscheidung des Schiedsgerichts gehört. Denn es
ist denkbar, daß bis dahin Erkenntnisse vorliegen, die eine weitere
Aufrechterhaltung des jetzigen Urteils bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in
der Hauptsache nicht mehr rechtfertigen. Die abweichende Tenorierung für die
Verfügungsklägerin zu 5) beruht auf deren Antrag. Das Verbot der Anwendung
bedeutet, daß die in Abschnitt 2 Ziffer 2.1.5 Abs. 2 Nr. 2 des geänderten
Regelwerks genannten Fristen nicht vor denim Urteilstenor genannten Zeitpunkten
zu laufen beginnen. Der Verfügungsbeklagten brauchte nicht gesondert untersagt
zu werden, eine eventuelle noch beabsichtigte Beendigungs-Entscheidung
bezüglich der Aktien der Verfügungsklägerin zu3) in Vollzug zu setzen, denn
aufgrund des Verbots in Ziffer 1. des Urteilstenors darf die Verfügungsbeklagte
schon die Beendigung nicht aussprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO.
Die teilweise Zurückweisung des Antrags der Verfügungsklägerin zu 4) betrifft nur
die beantragte Wirkungsdauer der einstweiligen Verfügung. Die Differenz ist
unbedeutend und hat keine besonderen Kosten verursacht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.