Urteil des OLG Frankfurt vom 07.06.2004

OLG Frankfurt: fahrzeug, wagen, beschädigung, kreuzung, parkplatz, betrug, sachverständigenkosten, verkehr, abweisung, gutachter

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Gericht:
OLG Frankfurt 16.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 U 195/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 7 Abs 1
StVG, § 286 ZPO
(Schadensersatz bei Kfz-Unfall: Erweislich unwahrer
Vortrag des Klägers zu Unfallverlauf und –folgen und
Vorschäden)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg vom 12.
November 2003 - 2 O 66/01 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die schadensrechtlichen Folgen eines
Verkehrsunfallereignisses vom 16. September 2000. An diesem Tage war der
Kläger kurz vor 15 Uhr mit seinem PKW im Bereich einer Kreuzung in O1-O2 mit
dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW des Beklagten zu 1)
kollidiert.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger den unfallbedingten Schaden an
seinem PKW, gestützt auf ein von ihm eingeholtes Schadensgutachten, mit
9.348,24 DM beziffert und einschließlich Unfallkostenpauschale und
Sachverständigenkosten insgesamt Zahlung von 10.254,76 DM beansprucht.
Er hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe sein Fahrzeug wohl übersehen, das
„Stoppschild überfahren“, und so sei es zum Zusammenstoß beider Fahrzeuge
gekommen (Klageschrift, S. 2). Der Kläger habe einen Anstoß mit seinem Wagen
„gegen die hintere Tür“ des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) nicht mehr vermeiden
können, er sei „mit seinem Fahrzeug mit der gesamten Front auf das
Beklagtenfahrzeug aufgefahren“ (Schriftsatz vom 6. August 2001, S. 2). Die
erheblichen Beschädigungen seines Fahrzeugs seien sämtlich unfallbedingt.
Die Beklagten haben behauptet, der Kläger habe den Unfall selbst provoziert. Er
sei mit seinem PKW zwar auf das Heck des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) „leicht
aufgefahren“, dies allerdings erst, nachdem der Beklagte zu 1) die Kreuzung
bereits vollständig überquert hatte und etwa „eine Autolänge in der ... Straße in
Richtung O3 gefahren war“; der Beklagte zu 1) und auch seine Beifahrerin, die
Zeugin Z1, hätten vor dem Überqueren der Kreuzung „nach
vorfahrtsberechtigtem Verkehr Ausschau gehalten“ und den PKW des Beklagten
zu 1) nicht gesehen. Er müsse wohl vom Bürgersteig oder einem Parkplatz aus
gezielt in die Straße eingefahren sein. Bei der sofortigen Überprüfung auf Folgen
des Anstoßes habe der Beklagte zu 1) an seinem Wagen, einem A B, der -
unstreitig - einen nur unfachmännisch reparierten Vorschaden am Heck aufwies,
überhaupt keine (neue) Beschädigung feststellen können; auch das Fahrzeug des
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überhaupt keine (neue) Beschädigung feststellen können; auch das Fahrzeug des
Klägers, ein C ..., habe zwar - wie dieser selbst eingeräumt habe - Altschäden
insbes. auch im Frontbereich, jedoch ersichtlich keine neue (weitere)
Beschädigung erkennen lassen.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung u.a. der
Zeugin Z1 und des durch den Kläger selbst mit der Schadensbegutachtung
betrauten Sachverständigen S1 sowie durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Behauptung des Klägers, infolge des Unfalls
seien an seinem PKW Schäden in behaupteter Höhe entstanden, im Umfange von
2.007,06 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beweisaufnahme habe bestätigt, daß es
im Rahmen des Unfallereignisses zu einer Beschädigung des Fahrzeugs des
Klägers gekommen sei; allerdings seien die „Schadenumfänge an den beteiligten
Fahrzeugen von ihrer Intensität nicht kompatibel“, das Schadensausmaß an dem
Wagen des Kläger nämlich „deutlich ausgeprägter“ als der Schaden an dem A B
des Beklagten zu 1). Also hätten die Beklagten lediglich für diejenigen Schäden an
dem Wagen des Klägers aufzukommen, wie sie der Sachverständige in einem
Ergänzungsgutachten (als miteinander kompatibel) festgestellt habe; denn eine
Vorfahrtsverletzung sei jedenfalls erfolgt, und ob der Kläger einen „versuchten
oder vollendeten Betrug begangen“ habe, indem er von den Beklagten Schäden
ersetzt verlangt haben wollte, die nicht auf dem streitgegenständlichen
Unfallereignis beruhen, bleibe „zu prüfen“.
Mit ihrer Berufung wenden sich die Beklagten gegen ihre - teilweise - Verurteilung;
sie erstreben die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und die
vollständige Abweisung der Klage. Sie wiederholen ihre Behauptung, es habe sich
um einen durch den Kläger provozierten Unfall gehandelt; eine Vorfahrtsverletzung
habe nicht vorgelegen. Auch die unwahren Angaben des Klägers zur
Schadenshöhe sprächen für seine Unredlichkeit auch im Übrigen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf das erstinstanzliche Urteil
sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist
begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auch in dem ihm
durch das angefochtene Urteil zuerkannten reduzierten Umfang nicht zu.
Ein Anspruch des Klägers auf (vollständigen oder anteiligen) Ersatz ihm durch das
Unfallereignis vom 16. September 2000 entstandenen Schadens setzt voraus, daß
sein PKW dabei überhaupt rechtswidrig beschädigt worden ist (§§ 7 Abs. 1 StVG,
823 BGB, 3 Abs. 1 PflVersG) und die festgestellten Schäden an seinem PKW aus
diesem Unfallereignis resultieren. Davon kann angesichts der erweislich unwahren
Schilderung des Klägers sowohl hinsichtlich des Unfallverlaufs als auch hinsichtlich
der Unfallfolgen nicht ausgegangen werden.
Der Kläger behauptet, er sei mit der „gesamten Front“ seines Wagens in die
„rechte Tür“ des Wagens des Beklagten zu 1) hineingefahren, weil dieser ihm an
der Kreuzung die Vorfahrt genommen und er den Anprall nicht mehr habe
vermeiden können.
Diese Schilderung kann nicht zutreffen.
a. Der gerichtliche Sachverständige S2 hat zwar im rechten hinteren Bereich der
hinteren Tür des A B des Beklagten zu 1) eine „flächige Eindrückung“ festgestellt,
jedoch auch dargelegt, diese sei „von der Intensität relativ gering“ gewesen, da
das Türaußenblech bereits bei niedrigem Kraftniveau eine Verformung erfahre;
wäre diese Beschädigung (überhaupt) durch das Fahrzeug des Klägers
hervorgerufen worden, so müßte es sich nach dessen Unfallschilderung um eine
„streifende Berührung“ gehandelt habe, solche Streifspuren seien aber nicht
vorhanden (S. 7, 8 des Gutachtens vom 16. Mai 2002).
Das Bild des (geringen) Schadens an der rechten hinteren Türe des PKW des
Beklagten zu 1) ist der Anlage zum Gutachten durch Lichtbilder dokumentiert
(Fotos 1 und 2); selbst bei laienhafter Betrachtung liegt ohne weiteres auf der
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(Fotos 1 und 2); selbst bei laienhafter Betrachtung liegt ohne weiteres auf der
Hand, daß die Feststellungen des Sachverständigen zutreffen und diese
Beschädigung mangels Streifspuren nicht durch einen seitlichen Anstoß gegen
den fahrenden Wagen hervorgerufen worden sein können und zudem -
offensichtlich - nicht mit dem ebenfalls dokumentierten Schadensbild an der Front
des PKW des Klägers korrespondieren (Fotos 16 - 24).
b. Die Zeugin Z1 hat in ihrer Vernehmung geschildert, sie habe „das Ereignis“ als
Beifahrerin des Beklagten zu 1) „gar nicht als Unfallereignis erlebt“, es sei nur ein
„leichtes Schütteln“ gewesen.
Das Landgericht hat ausdrücklich keine Bedenken gegen die Überzeugungskraft
ihrer Aussage erhoben (Entscheidungsgründe, S.4, 2. Absatz). Wäre der Kläger mit
seinem - gegenüber dem A B des Beklagten zu 1) zumal größeren und schwereren
- Wagen, wie er behauptet, praktisch unmittelbar neben ihr in die hintere Türe
geprallt, so daß sein eigener Wagen dabei ganz erheblich beschädigt worden sei,
hätte die Zeugin nach aller Lebenserfahrung weder die Annäherung seines dann ja
von rechts herannahenden Wagens übersehen noch den Anprall für eine kaum
wahrzunehmende Bagatelle halten können.
Demgegenüber ist die Darstellung der Beklagten, der (leichte) Anstoß sei nicht in
der Kreuzung, sondern erst in der ... Straße, und im Übrigen nicht gegen die
hintere rechte Tür des A B, sondern auf dessen Heck, erfolgt, plausibel.
a. Der Sachverständige S2 hat eine „mittige Eindrückung des C ...-Stoßfängers“
festgestellt, die nahe legt, daß der C ... mit der Frontpartei gegen die „hintere
rechte Ecke“ des A gestoßen sein kann (S. 8, 9 des Gutachtens). Dieser Anstoß
kann jedoch nach seinen Feststellungen jedenfalls nicht zu einer „stärkeren
Belastung“ geführt haben, weil der Stoßfängerträger des A lediglich eine
Verformung „im Eckbereich“ aufwies, jedoch nicht abgeknickt war; es kann sich
also nur um einen leichten Anstoß aus geringer Geschwindigkeitsdifferenz
gehandelt haben.
b. Dem entspricht auch die Darstellung der Zeugin Z1; ist der C ... des Klägers, wie
es der Sachverständige für möglich gehalten hat, mit geringer
Differenzgeschwindigkeit gegen die rechte hintere Stoßstangenkante des
Fahrzeugs des Klägers gestoßen, so erscheint ihre Schilderung, sie habe den
Eindruck gehabt, sie seien „etwas über den Bürgersteig gefahren“, der Stoß sei
„so leicht“ gewesen, daß es nicht zu einem größeren Schaden gekommen sein
könne, vollständig plausibel.
Ist der Kläger jedoch - völlig abweichend von seiner Darstellung - mit seinem
Wagen nur leicht gegen die rechte hintere Stoßstangenkante des A B geprallt,
dann konnte es dazu überhaupt nur kommen, wenn er seinerseits erst (von der
vorfahrtsberechtigten Straße aus nach rechts) hinter dem Fahrzeug des
Beklagten, das die Kreuzung zuvor (vollständig) überquert hatte, ebenfalls nach
rechts in die ... Straße abgebogen war. Dann aber wäre vollends unverständlich,
weshalb der Kläger den Anprall nicht ohne weiteres hätte vermeiden können, etwa
indem er - statt in die ... Straße einzubiegen - einfach geradeaus gefahren oder
ausgewichen wäre oder notfalls angehalten hätte.
Auf der Grundlage - insbesondere - des Gutachtens des Sachverständigen S2
steht zudem fest, daß die Beschädigungen an dem Fahrzeug des Klägers, wie sie
der von ihm beauftragte Gutachter S1 besichtigt und mit einem
Reparaturkostenaufwand von 9.348,24 DM bewertet hatte, bei weitem nicht durch
den geringfügigen Anprall gegen die Stoßstangenkante des A B verursacht worden
sein können; dem ist nun auch der Kläger nicht mehr entgegengetreten. Damit
aber steht auch fest, daß der Kläger im vorliegenden Verfahren von den Beklagten
Ersatz von (Alt-) Schäden beansprucht hat, die nicht aus dem Unfallereignis vom
16. September 2000 resultieren, daß er also insoweit unredlich gehandelt hat.
Erweisen sich damit sowohl die Behauptung des Klägers über den Unfallhergang
als auch über die hieraus resultierende Schadenshöhe als unwahr und unredlich,
und sprechen die Umstände zudem dafür, daß der Kläger den Anprall jedenfalls
ohne Schwierigkeiten hätte vermeiden können, so liegt zugleich auch nahe, daß er
ihn in Wahrheit nicht vermeiden wollte, sondern gezielt herbeigeführt hat, um auf
diese Weise Ersatzansprüche für bereits vorhandene Beschädigungen seines
Fahrzeuges begründen zu können.
Dann aber war die dabei - möglicherweise - verursachte weitere (geringfügige)
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Dann aber war die dabei - möglicherweise - verursachte weitere (geringfügige)
Beschädigung seines eigenen Fahrzeuges nicht rechtswidrig (vgl. OLG Köln, Urteil
vom 20. Oktober 2000 - 19 U 207/99 = VersR 2002, 253), so daß er auch dafür
von den Beklagten keinen Schadensersatz verlangen kann.
Unabhängig davon ist entgegen der Auffassung des Landgerichts auch - nach wie
vor - nicht einmal bewiesen, daß durch den Anprall an seinem Fahrzeug (weitere)
Schäden entstanden seien, für deren Behebung ein Betrag in zuerkannter Höhe
aufzuwenden sei.
Steht fest, daß nicht sämtliche Schäden, die das Unfallfahrzeug aufweist, auf das
Unfallereignis zurückzuführen sind, und macht der Geschädigte zu den nicht
kompatiblen Schäden keine Angaben bzw. bestreitet er das Vorliegen solcher
Vorschäden, so ist ihm auch für diejenigen Schäden, die dem Unfallereignis
zugeordnet werden könnten, kein Ersatz zu leisten; denn aufgrund des
Vorschadens läßt sich nicht ausschließen, daß auch die kompatiblen Schäden
durch das frühere Ereignis verursacht worden sind (OLG Köln, Urteil vom 22.
Februar 1999 - 16 U 33/98 = VersR 1999, 865; ebenso Hanseatisches OLG
Hamburg, Urteil vom 17. April 2002 - 14 U 78/01 = Schaden-Praxis 2002, 385;
Hanseatisches OLG Hamburg, Urteil vom 28. März 2001 - 14 U 87/00 = OLGR
Hamburg 2001, 261).
Der Kläger hat zum Umfang der Vorschäden nichts vorgetragen; auch das durch
das Landgericht eingeholte Ergänzungsgutachten des Sachverständigen S2 vom
4. August 2003 bezeichnet Kosten der Schadensbehebung hinsichtlich kompatibler
Schäden - ausdrücklich - lediglich auf Grundlage der „Unterstellung“, daß die
dokumentierten Schäden im hinteren Eckbereich des Fahrzeug des Beklagten zu
1) auf das gegenständliche Unfallereignis zurückzuführen seien (S.2). Diese
Aussage des Gutachters entsprach der gerichtlichen Fragestellung, sie führt
jedoch nicht weiter; denn auch aufgrund dessen läßt sich nach wie vor nicht
ausschließen, daß dennoch auch die kompatiblen Schäden an dem Fahrzeug des
Klägers - ganz oder teilweise - durch das frühere Schadensereignis verursacht
worden sein können.
Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterlegenen Klägers folgt aus § 91 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung, und die Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch
zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.