Urteil des OLG Frankfurt vom 26.07.2004

OLG Frankfurt: verkehrswert, ersteher, erwerb, immobilie, zwangsversteigerung, eigentümer, grundbucheintragung, grundstück, gewährleistung, einfluss

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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 62/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 3 S 2 KostO, § 19 Abs
2 S 1 KostO, § 60 Abs 1 KostO,
§ 74a Abs 5 ZVG
(Geschäftswertbemessung im
Zwangsversteigerungsverfahren: Grundbucheintragung
des Erstehers eines Grundstücks; Einwände des Erstehers
gegen das Verkehrswertgutachten)
Tenor
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
Gründe
Bei dem betroffenen Grundbesitz handelt es sich um ein freistehendes,
zweigeschossiges Mehrfamilienhaus in O 1, Baujahr 1994, mit ausgebautem
Unter- bzw. Dachgeschoss sowie einer Garagenanlage für 4 Pkw-Einstellplätze. Die
Voreigentümer erwarben das Grundstück mit Kaufvertrag vom August 1991/März
1992 mit einem zum Abriss vorgesehenen Gebäude für 400.000,00 DM. Der Wert
nach § 74 a Abs. 5 ZVG war in dem Zwangsversteigerungsverfahren 84 K 259/01 -
AG Frankfurt am Main - mit Beschluss vom 14.12.2001 entsprechend dem mit
Sachverständigengutachten vom 23.08.1999 in dem Verfahren 84 K 153/99
ermittelten Verkehrswert auf 1.350.000,00 DM =690.244,00 € festgesetzt worden.
Da der Ersteher in diesem Verfahren das Meistbargebot von 1.200.000,00 DM
gemäß Zuschlagsbeschluss vom 23.04.2001 nicht erbrachte, kam es zur
Wiederversteigerung. In diesem Verfahren 84 K 259/01 - AG Frankfurt am Main -
erhielt der Kostenschuldner mit Beschluss vom 30.09.2002 auf ein Meistgebot von
470.000,00 € den Zuschlag (Bl. 191 d. A.).
Der Kostenschuldner wurde am 20.10.2003 als Eigentümer im Grundbuch
eingetragen, er hat den Grundbesitz mit Grundschulden von insgesamt
400.000,00 € belastet.
Dem Kostenschuldner wurde durch Kostenrechnung vom 20.10.2003
(Kassenzeichen ..., Bl. 217 d. A.) u. a. für die Eintragung als Eigentümer eine volle
Gebühr in Höhe von 1.107,00 € sowie die Katasterfortschreibungsgebühr in Höhe
von 110,70 € aus einem Geschäftswert von 690.244,00 € gemäß §§ 60 Abs. 1, 10,
20 KostO berechnet. Die gegen den Kostenansatz eingelegte Erinnerung blieb
erfolglos.
Die Erstbeschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 22.01.2004 (Bl. 260-
262) zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Kostenschuldners, die im
wesentlichen damit begründet wird, dass das Meistgebot von 470.000,00 € als
Geschäftswert anzusetzen sei, da der nach § 74 a Abs. 5 ZVG festgesetzte Wert
nicht dem Verkehrswert entspreche.
Bei einem Erwerb im Zwangsversteigerungsverfahren sei der Verkehrswert des
Grundstücks prinzipiell niedriger als der für die Wertfestsetzung nach § 74 a Abs. 5
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Grundstücks prinzipiell niedriger als der für die Wertfestsetzung nach § 74 a Abs. 5
ZVG zu Grunde zu legende, an einem freihändigen Verkauf orientierte
Verkehrswert. Auch sei es mit rechtstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar,
Einwände des Erstehers gegen eine verfehlte Wertfestsetzung auszuschließen,
obwohl dieser nicht gegen die Wertfestsetzung vorgehen konnte. Schließlich sei die
Rechtsprechung widersprüchlich, da sie bei einem höheren Meistgebot für den
Geschäftswert der Eintragung des Erstehers auf dieses abstelle, nicht aber bei
einem Meistgebot unterhalb des nach § 74 a ZVG festgesetzten Wertes.
Die weitere Beschwerde des Kostenschuldners ist kraft Zulassung durch das
Landgericht statthaft (§ 14 Abs. 3 Satz 2 KostO a. F.) und auch sonst zulässig. Da
die angefochtene Entscheidung vor dem 01.07.2004 zur Geschäftsstelle gelangt
ist, finden nach § 163 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom
05.05.2004 (BGBl. 2004 Teil I Nr. 21 Seite 718) noch die vor dem 01.07.2004
geltenden Vorschriften für die Beschwerde weiter Anwendung. Sie hat in der Sache
jedoch keinen Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer
Verletzung des Rechts (§ 14 Abs. 3 Satz 3 KostO a. F. i. V. m. § 546 ZPO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (so z. B. Beschluss vom
23.01.1997 -20 W 169/96-; JurBüro 1980, 1061) ist für die Eintragung eines
Erstehers in das Grundbuch grundsätzlich der gemäß § 74 a Abs. 5 ZVG vom
Vollstreckungsgericht festgesetzte Verkehrswert maßgebend und das Meistgebot
nur dann kostenrechtlich von Bedeutung, wenn es über dem Verkehrswert liegt.
Dies entspricht, soweit ersichtlich, der einhelligen veröffentlichten
obergerichtlichen Auffassung, nachdem auch das OLG Düsseldorf mit Beschluss
vom 06.06.2002 (Rpfleger 2002, 592) sich dieser Auffassung angeschlossen hat
(vgl. auch BayObLG Rpfleger 2002, 382 und Rpfleger 1996, 129; OLG Stuttgart
Rpfleger 1991, 30 mit Anmerkung von Meyer-Stolte).
Der Senat sieht auch nach erneuter Überprüfung keine Veranlassung von dieser
Auffassung abzuweichen. Der Entscheidung des AG Titisee-Neustadt (Rpfleger
1995, 183), das Meistgebot oder ein höherer Weiterveräußerungserlös sei
maßgeblich mangels sicherer Anhaltspunkte dafür, dass der nach § 74 a Abs. 5
ZVG festgesetzte höhere Verkehrswert im freien Verkauf hätte erzielt werden
können, ist auch die veröffentlichte amts- und landgerichtliche Rechtsprechung
nicht gefolgt (vgl. Zitate bei Rohs/Wedewer, Kostenordnung, 2. Aufl., Stand April
2004, § 60 Rdnr. 21 b und Fußnote 71). In der Literatur sind die Meinungen
unterschiedlich. Während Rohs/Wedewer (aaO.) der von der Rechtsprechung ganz
überwiegend vertretenen Auffassung zustimmt, werden von Lappe (in
Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann: KostO, 15. Aufl., § 60, Rdnr. 23) und
Assenmacher/Mathias (KostO, 15. Aufl., Stichwort "Ersteher") Einschränkungen
gemacht. Hartmann (Kostengesetze: 34. Aufl., § 60 Rdnr. 12) stellt grundsätzlich
auf das Meistgebot ab.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob beim Erwerb durch Zuschlag der § 19 Abs. 1
oder der § 20 Abs. 1 KostO - die von der ab 01.07.2004 geltenden Neufassung
unberührt geblieben sind - als Wertvorschrift maßgeblich ist, denn sowohl aus § 19
Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz, als auch aus § 20 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz
KostO wird deutlich, dass nach Möglichkeit der "wahre Wert", unbeeinflusst von
ungewöhnlichen oder nur persönlichen Verhältnissen der Geschäftswert sein soll.
Als durch derartige "ungewöhnliche Verhältnisse" beeinflusst ist auch der Erwerb in
der Zwangsversteigerung mittels Zuschlagsbeschluss anzusehen. Das Meistgebot
wird nur in seltenen Ausnahmefällen dem tatsächlichen Wert des Objektes
entsprechen. Davon geht der Kostenschuldner selbst aus, wie aus seiner
Begründung der Erstbeschwerde zu entnehmen ist, zieht daraus aber den
unzutreffenden Schluss, dass das Meistgebot trotzdem als Geschäftswert
anzusetzen sei.
Zu Recht verweist Meyer-Stolte (Rpfleger 1991, 30, 31) darauf, dass jeder mit der
Versteigerungspraxis Vertraute weiß, dass die Höhe eines Meistgebotes von ganz
anderen Faktoren bestimmt wird als dem "wahren Wert" des
Versteigerungsobjektes. So spielen taktische Erwägungen eine Rolle, z. B. die
Spekulation darauf, dass in einem zweiten Termin nach § 74 a Abs. 4 ZVG die 7/10
bzw. nach § 85 a Abs. 1 ZVG die Hälfte des festgesetzten Verkehrswertes
unterschritten werden können. Ebenso von Bedeutung für die Höhe des
Meistgebotes, ist die Person des Bietenden und seine Stellung im Verfahren. Für
einen Gläubiger als Bieter stellt sich die Situation in Folge des Bestehenbleibens
von Rechten oder einer Befriedigungsfunktion als Folgen des Zuschlags ganz
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von Rechten oder einer Befriedigungsfunktion als Folgen des Zuschlags ganz
anders dar als für einen nicht verfahrensbeteiligten Dritten. Wie das BayObLG in
seinem bereits zitierten Beschluss vom 24.01.2002 (Rpfleger 2002, 382, 383)
zutreffend ausgeführt hat, ist die Mehrzahl der an dem
Zwangsversteigerungsverfahren Beteiligten häufig nicht daran interessiert, dass
der höchstmögliche Erlös erzielt wird. Die beteiligten Gläubiger haben in der Regel
nur ein durch die Höhe und die Rangstelle ihres Grundpfandrechts begrenztes
Interesse an der Höhe des Erlöses. Dass am Verfahren nicht beteiligte Bieter trotz
der Risiken des Verfahrens in Folge fehlender Besichtigungsmöglichkeiten,
fehlender Gewährleistung und Verzögerungen durch Rechtsmittelmöglichkeiten ein
Gebot entsprechend dem marktgerechten Preis abgeben, kann nicht erwartet
werden. Der an einem höchstmöglichen Erlös interessierte Schuldner hat anders
als bei einem freihändigen Verkauf nur wenig Einfluss auf den Kreis der Bieter, der
zudem durch das Erfordernis sofortiger Sicherheitsleistung (§§ 67 bis 70 ZVG)
begrenzt wird. Das Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren ist mithin
ebenso wenig wie der Kaufpreis bei einem Notverkauf geeignet, das
Verkehrswertgutachten und die darauf beruhende Verkehrswertfestsetzung
hinsichtlich des erzielbaren Kaufpreises der Immobilie zu widerlegen.
Im Regelfall bietet der auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nach
§ 74 a Abs. 5 ZVG festgesetzte Verkehrswert, der zudem im Beschwerdeverfahren
überprüft werden kann, die wesentlich größere Gewähr, dem "wahren Wert" der
Immobilie zu entsprechen, da dieses in aller Regel nach einer Besichtigung bzw.
auf der Grundlage von Bauunterlagen durch unabhängige Sachverständige erstellt
wird und sowohl die gängigen Bewertungsmethoden als auch die jeweilige
Marktlage berücksichtigt.
Besondere Umstände können nach der Senatsrechtsprechung zwar ein Abweichen
vom festgesetzten Verkehrswert auch nach unten rechtfertigen, so wenn das
Meistgebot erheblich von dem festgesetzten Verkehrswert abweicht und der
Bewertung durch das Vollstreckungsgericht kein zeitnahes Gutachten zu Grunde
lag.
Der Kostenschuldner verkennt aber den Umfang, den diese besonderen
Umstände erreicht haben müssen. Der Senat hat beispielsweise - neben anderen
Kriterien- eine Differenz von 8.300.000,00 DM als dem nach § 74 a Abs. 5 ZVG
festgesetzten Wert und dem Meistgebot von 2.000.000,00 DM als derartigen
besonderen Umstand bewertet (Beschluss vom 31.07.1979 -20 W 391/79-).
Vorliegend beruft sich der Kostenschuldner auf eine Abweichung von ca. 32 %. In
dem bereits zitierten Senatsbeschluss von 1997 hat der Senat das Vorliegen
derartiger besonderer Umstände verneint, obwohl das Meistgebot im
Zwangsversteigerungsverfahren um über 35 % von dem festgesetzten
Verkehrswert abwich und der Sachverständige im Januar 1994 bereits beauftragt,
die Eigentumsumschreibung aber erst im Januar 1996 erfolgt war. Das
Sachverständigengutachten, auf dem die Wertfestsetzung beruht, datiert zwar
vom 23.08.1999, während die Eigentumsumschreibung im Oktober 2003 erfolgte.
Im Fall von Anhaltspunkten für das Vollstreckungsgericht dafür, dass der
festgesetzte Wert nicht mehr zutrifft, besteht aber ohnedies die Verpflichtung zur
neuen Wertfestsetzung (Gerhardt in Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth: Gesetz
über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 12. Aufl., § 74 a, Rdnr. 33,
36). Vorliegend sind derartige Anhaltspunkte trotz des durch die
Wiederversteigerung längeren Zeitablaufs offensichtlich nicht gegeben gewesen.
Auch der Kostenschuldner hat konkret für das Objekt geltende, gerade in der
Zeitspanne zwischen der Erstellung des Sachverständigengutachtens und der
Eigentumsumschreibung aufgetretene wertmindernde Umstände nicht
vorgetragen. Vielmehr hat er geltend gemacht, das Sachverständigengutachten
sei mangelhaft, da keine Innenbesichtigung erfolgte und deshalb Mängel im
Innenbereich nicht berücksichtigt worden seien, auch sei das Grundstück nicht
lagetypisch und die Außenanlagen verwildert. Insbesondere aber sei der als
maßgeblich zugrunde gelegte Ertragswert unzutreffend, weil die Basis-
Nettomieten gemäß Mietspiegel nicht herangezogen werden könnten, soweit der
Ersteher an die auf Grund eines (erloschenen) Belegungsrechts der Stadt
niedrigeren Ist-Mieten gebunden sei.
Diese Einwände gegen das Sachverständigengutachten können im vorliegenden
Verfahren nicht erfolgreich sein. Dies ergibt sich daraus, dass nach § 19 Abs. 2
Satz 1 2. Halbsatz KostO eine förmliche Beweisaufnahme, insbesondere die
Einholung eines Sachverständigengutachtens, zur Feststellung des
Verkehrswertes von Grundbesitz unzulässig ist (vgl.
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Verkehrswertes von Grundbesitz unzulässig ist (vgl.
Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann: KostO, 15. Aufl., § 19, Rdnr. 10). Zur
Entkräftung des im Zwangsversteigerungsverfahren eingeholten
Sachverständigengutachtens wäre aber eine erneute Begutachtung durch einen
Sachverständigen erforderlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 7 KostO a. F.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.