Urteil des OLG Frankfurt vom 15.12.2006

OLG Frankfurt: beweisverfahren, ergänzung, beendigung, zustellung, verwaltungsrecht, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, verfügung, erlass

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 58/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 485 ZPO, § 492 ZPO, § 567
ZPO
(Selbstständiges Beweisverfahren: Statthaftigkeit und
Zulässigkeitsvoraussetzungen einer
Untätigkeitsbeschwerde; Prüfung der
Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverständigengutachtens)
Leitsatz
1. Eine Untätigkeitsbeschwerde ist aus verfassungsrechtlichen Gründen
ausnahmsweise statthaft.
2. Ob eine Nichtbearbeitung oder eine verzögerte Bearbeitung des Verfahrens
anzunehmen ist, ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung.
3. In einem selbstständigen Beweisverfahren ist es Sache des Antragstellers, zu prüfen,
ob das Gutachten seinen Beweisanträgen entspricht.
Tenor
Die Untätigkeitsbeschwerde des Antragstellers vom 27.10.2006 wird als unzulässig
verworfen.
Gründe
In dem vorliegenden selbständigen Beweissicherungsverfahren hat der
Sachverständige A am 24.03.2003 sein Gutachten erstattet, welches dem
Antragsteller auf Verfügung der Vorsitzenden Richterin am 03.04.2003 (Bl. 582
d.A.) zugestellt worden ist. Einen Antrag auf Ergänzung und Erläuterung hat der
Antragsteller zunächst nicht gestellt. Erstmals mit Schriftsatz vom 26.10.2006 (Bl.
586 d.A.), beim Landgericht eingegangen am 27.10.2006, macht der Antragsteller
geltend, das Sachverständigengutachten sei unvollständig, da es nicht die Kosten
der Mängelbeseitigung ermittelt und die erforderlichen Maßnahmen zur
Mängelbeseitigung nicht im Einzelnen beschrieben habe. Gleichzeitig hat der
Antragsteller Untätigkeitsbeschwerde erhoben und mit Schriftsatz vom 06.12.2006
begründet, weshalb das Verfahren nicht beendet sei.
Für die Entscheidung über die Untätigkeitsbeschwerde ist gemäß Teil B, Ziff. 16
Abs. 2 Buchstabe a) der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am
Main der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts aufgrund Sachzusammenhangs mit
dem Beschwerdeverfahren 1 W 53/02 zuständig.
Die Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig; denn das Landgericht hat nicht die
Bearbeitung des Verfahrens verzögert oder verweigert. Das vorliegende
Beweissicherungsverfahren ist nämlich beendet.
Zwar erachtet des Senat mit einer aus verfassungsrechtlichen Gründen im
Vordringen befindlichen Auffassung eine Untätigkeitsbeschwerde bei Vorliegen
besonderer Umstände als an sich statthaft (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl.
2007, § 567 Rn. 21; OLG Naumburg OLGR 2006, 408; KG MDR 2005, 455; OLG
Zweibrücken NJW-RR 2003, 1653). Diese besonderen Voraussetzungen sind hier
aber nicht gegeben. Erforderlich wäre nämlich, dass eine Untätigkeit des
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aber nicht gegeben. Erforderlich wäre nämlich, dass eine Untätigkeit des
Vordergerichts im Sinne einer Nichtbearbeitung oder verzögerten Bearbeitung des
Verfahrens anzunehmen wäre. Hierbei handelt es sich um eine
Zulässigkeitsvoraussetzung.
Denn das Rechtsmittelsystem der ZPO setzt für den Regelfall den Erlass einer
Entscheidung voraus, die angefochten und deren Richtigkeit überprüft werden soll
(KG, a.a.O.; Zöller-Gummer, a.a.O.). Fehlt eine solche vorinstanzliche
Entscheidung, aus welcher sich eine Beschwer des Rechtsmittelführers als
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels (vgl. Zöller-
Gummer/Heßler, a.a.O., vor § 511 Rn. 8 und 10) ergibt, kann die Beschwer
stattdessen darin liegen, dass das Vordergericht in dem genannten Sinn untätig
geblieben ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. Denn das vorliegende selbständige
Beweisverfahren ist seit dem 03.04.2003 beendet.
In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein selbständiges
Beweisverfahren wie das vorliegende mit dem Zugang des
Sachverständigengutachtens an die Parteien endet, sofern weder das Gericht in
Ausübung des ihm nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eingeräumten Ermessens eine
Frist zur Stellungnahme gesetzt hat, noch die Parteien innerhalb eines
angemessenen Zeitraums nach Erhalt des Gutachtens Einwendungen dagegen
oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitgeteilt haben
(BGH, Urt. v. 20.02.2002 - VII ZR 228/00 -, BGHZ 150, 55 unter II.1.b der Gründe;
Zöller-Herget, a.a.O., § 492 Rn. 4; Palandt-Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 204
Rn. 39). Da hier eine Fristsetzung nicht erfolgt ist, kommt es darauf an, welcher
Zeitraum als angemessen anzusehen ist, innerhalb dessen von den Parteien des
Verfahrens zu erwarten war, dass sie Ergänzungsfragen etc. mitteilen. Da der
Zeitpunkt der Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens von maßgeblicher
Bedeutung ist für das Ende der Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1
BGB, welche gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB durch den Antrag auf Einleitung eines
selbständigen Beweisverfahrens erfolgt ist, hat ein Antrag auf Ergänzung oder
Erläuterung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Zustellung des
Gutachtens zu erfolgen (Zöller-Herget, a.a.O.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11.
Aufl. 2005, Rn. 113). Dieser Zeitraum wird üblicherweise je nach Umfang und
Komplexität des Gutachtens auf einen bis sechs Monate angesetzt (vgl. nur Zöller-
Herget, a.a.O.).
Die danach anzulegende wertende Betrachtung führt zu dem Ergebnis, dass hier
die als angemessen anzusehende Frist im Laufe des Jahres 2003 abgelaufen ist,
ohne dass es angesichts der erstmals mit Schriftsatz vom 26.10.2006 begehrten
Ergänzung des Gutachtens auf den genauen Zeitpunkt innerhalb dieses Jahres
ankommt. Da ein Ergänzungs- oder Erläuterungsantrag nicht gestellt wurde, steht
fest, dass das Verfahren am 03.04.2003 mit Zustellung des Gutachtens an den
Antragsteller beendet war. Entgegen seiner Annahme kommt es rechtlich nicht
darauf an, ob die Kammer über eine Beendigung des Verfahrens beraten hat oder
nicht. Das Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens hat auch keine rechtliche
Veranlassung, von sich aus im Einzelnen zu prüfen, inwieweit das Gutachten die
Beweisfragen vollständig abgearbeitet hat oder nicht. Entsprechend dem Zweck
des selbständigen Beweisverfahrens zur Sicherung von Beweisen im Interesse
allein des Antragstellers war es dessen Sache, zu prüfen, ob sich für ihn im
Zeitpunkt des Erhalts des Sachverständigengutachtens eine Ergänzung des
vorgelegten Gutachtens als geboten darstellte. Denn anders als in Rahmen der
Beweiserhebung in einem Klageverfahren hat das Gericht, welches mit einem
Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens angegangen wird,
keine Beweiswürdigung anhand dieses Gutachtens vorzunehmen; dies ist vielmehr
ggf. Sache des Prozessgerichts im Rahmen eines Rechtsstreits, bei dem das
Gutachten aus dem selbständigen Beweisverfahren herangezogen wird. Das
Gericht des selbständigen Beweisverfahrens hat daher nicht darüber zu befinden,
ob das Gutachten als hinreichend oder aber ergänzungsbedürftig anzusehen ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.