Urteil des OLG Frankfurt vom 21.02.2007

OLG Frankfurt: öffentliches kaufangebot, aktie, feststellungsklage, unrichtigkeit, abtretung, geschäftsführer, minderheitsaktionär, gutachter, neubewertung, kaufvertrag

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Gericht:
OLG Frankfurt 23.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
23 U 86/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 317 BGB, § 319 BGB, Art 1 §
1 RBerG, § 4 SpruchG, § 13
SpruchG
(Spruchverfahren: Potentielle Benachteiligung von
Aktionären auf Grund eines öffentlichen Kaufangebotes vor
Durchführung der Verschmelzung; Verweisung auf die
Inanspruchnahme des Spruchverfahrens zur Feststellung
der Ansprüche der Minderheitsaktionäre)
Leitsatz
In Anbetracht bestimmter Tendenzen ist es vorstellbar, dass die Rechtsprechung sich
dahin entwickelt, das Spruchverfahren als adäquaten Weg zur Feststellung der
Ansprüche der Minderheitsaktionäre anzusehen. Eine andere Frage ist es jedoch, ob
der Minderheitsaktionär diesen Weg wählen kann oder muss.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.03.2006 verkündete Urteil der 27.
Zivilkammer des Landgerichts in Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120
% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet oder hinterlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen, § 540 I
ZPO. Auf Seite 4, unterster Absatz, befindet sich ein Schreibfehler (statt 3,41 €
muss es richtig heißen: 30,41 €). Die Rechtsauffassung der Beklagten ist nicht
vollständig dargestellt. Diese hat die Auffassung vertreten, die Klage sei
unzulässig, weil die Klägerin im Spruchstellenverfahren klagen müsse. Weiterhin
hat sie die Auffassung vertreten, dass die (bestrittenen) Abtretungen rechtswidrig
seien, weil die dadurch angestrebte Inkassotätigkeit der Klägerin gegen das
Rechtsberatungsgesetz verstoße.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, es sei ein
wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen. Eine Vertragsanpassung könne nicht
erfolgen. Eine Neubewertung dürfe das Gericht nicht vornehmen.
Die Bestimmung der Leistung aus dem öffentlichen Kaufangebot sei nicht einem
Dritten überlassen worden. Der Rechtsgrund der Nachbesserung habe nicht ein
Schiedsspruch der Gutachter unmittelbar sein sollen, sondern die vertragliche
Zusage der Beklagten, entsprechend dem gutachterlichen Ergebnis zu verfahren.
Auch ein selbst festgelegter Wert von 31,79 € sei unter Berücksichtigung der
Ausführungen der Beklagten zum jeweiligen Stichtag der Bewertungen nicht
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Ausführungen der Beklagten zum jeweiligen Stichtag der Bewertungen nicht
ersichtlich.
Selbst wenn man aber von dem Abschluss eines Schiedsgutachtervertrages und
einem möglichen, von beiden Prüfungsgesellschaften festgestellten höheren Wert
ausgehe, ergebe sich im Ergebnis nichts anderes. Eine offenbare Unbilligkeit der
Festsetzung des Wertes des Unternehmens und damit der Aktie sei bei einer
Abweichung von unter 20 % nicht ersichtlich. Es sei auch nicht so, dass sich einem
sachkundigen und unbefangenem Betrachter – sei es auch erst nach eingehender
Prüfung – offensichtliche Fehler der Leistungsbestimmung aufdrängen würden, die
das Gesamtergebnis verfälschen. Die Beklagte habe umfangreich vorgetragen,
dass die erfolgten Thesaurierungen von Erträgen eine unternehmerische
Entscheidung sei, die wegen des gewissen Beurteilungsspielraums nicht zu
beanstanden und bankaufsichtsrechtlich geboten gewesen sei. Eine Unrichtigkeit
des gemeinsamen Bewertungsgutachtens sei nicht dargetan. Eine Neubewertung
durch einen weiteren vom Gericht bestellten Wirtschaftsprüfer dürfe nicht
vorgenommen werden. Es sei der Klägerin verwehrt, ihre eigenen, möglicherweise
vertretbaren Ansichten über Gewinnverwendung zur Grundlage eines
Klagebegehrens zu machen.
Auf die weiteren Einwände der Beklagten gegen die geltend gemachten Ansprüche
komme es nicht an.
Die Feststellungsklage sei unzulässig, da es für den Leistungsanspruch in diesem
Rechtsstreit auf die Pflichten aus den hier betroffenen Aktienkaufverträgen
ankomme und ein Ergebnis des Spruchstellenverfahrens nur eine Indizwirkung
haben könne, aber in keiner Weise für die Entscheidung in diesem Rechtsstreit
vorgreiflich sei.
Dieses Urteil wurde der Klägerin am 27.03.2006 zugestellt. Sie hat gegen dieses
Urteil am 27.04.2006 Berufung eingelegt und sie innerhalb der bis zum 29.06.2006
verlängerten Frist wie folgt begründet:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts handele es sich bei den beiden
Bewertungsgutachten um eine Drittbestimmung zu Tatsachen, also dass § 317 ff.
BGB zumindest analog zur Anwendung gelangen müßten. Diese Drittbestimmung
sei im vorliegenden Fall falsch, da der Unternehmenswert der X zum 31.12.2000
501 Mio. DM und nicht die angesetzten 418 Mio. DM betragen und somit um
knapp 20 % höher gelegen habe. Das Ausgangsgericht sei fehlerhaft von einer
unternehmerischen Entscheidung ausgegangen, um die es hier nicht gehe.
Tatsächlich gehe es darum, dass die Bewertung der X unbillig gewesen sei, weil
eine Thesaurierung betriebswirtschaftlich nicht plausibel begründet werden könne
und später ja auch nicht vorgenommen worden sei. Das Landgericht habe auch
völlig unberücksichtigt gelassen, dass in missbräuchlicher Weise die Risikovorsorge
für die X erhöht worden sei, während sie bei der Y trotz waghalsiger
Spekulationsgeschäfte gesenkt worden sei. Das Gutachten der beiden
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sei so einseitig auf die Interessen der Beklagten
abgestellt, dass dessen offensichtliche Unrichtigkeit unabhängig von der
Bewertungstoleranz zu Tage trete.
Der Feststellungsantrag sei zulässig, da er sich auf noch nicht bezifferbare
Bereiche beziehe und aus Verjährungsgründen habe rechtshängig gemacht
werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
1. das Endurteil des Landgerichts Frankfurt am Main, Az.: 2-27 0 538/04,
dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin
1.974.887,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz p. a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
2. das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass
die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über die Zahlung gemäß Ziffer 1. hinaus
einen weiteren Wertersatz zu leisten, welcher daraus resultiert, dass der Wert der
einzelnen Aktie der X AG mit Sitz in ... ein höherer war, als im öffentlichen
Kaufangebot für Aktien der X AG durch die Y AG vom 16.01.2001 angenommen,
wobei insoweit für die Bewertung dieser Aktie maßgeblich sind die
Wertfeststellungen im Spruchstellenverfahren, derzeit anhängig vor dem
Landgericht Köln unter dem Az. 82 0 81/03.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Urteil weise keine Rechtsfehler auf. Eine
Leistungsbestimmung durch Dritte im Sinne des § 317 BGB liege nicht vor. Der
„richtige“ Wert sei bereits nach den Regeln des Übernahmekodexes bestimmt
worden. Aufgabe des Gutachtens sei es nur gewesen, zwischenzeitlich
eingetretene Veränderungen zu berücksichtigen. Wenn man aber von der
Anwendbarkeit der §§ 317 ff. BGB ausgehe, ergebe sich, dass im
Planungszeitraum die Thesaurierung aus ex ante Perspektive zwingend geboten
gewesen, auch wenn sie später nicht durchgeführt worden sei, und überdies die
Erheblichkeitsschwelle des § 319 BGB, die mindestens bei 20 % liege, nicht
überschritten worden sei. Auf die Frage, ob die Risikovorsorge bei der X richtig
bewertet worden sei, komme es nicht an.
Der Feststellungsantrag sei unzulässig. Die Klägerin müsse nicht das Ende des
Spruchverfahrens abwarten. Es stehe ihr frei, einen Gutachter mit der Prüfung der
vermeintlichen weiteren Bewertungsfehler zu beauftragen und dieses Gutachten
zur Grundlage ihres Zahlungsantrages zu machen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen, insbesondere die gutachtliche Stellungnahme
der Firmen A GmbH und B-GmbH vom 19.3.2001.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Zahlungsklage:
Die Zahlungsklage ist zulässig und beruht auf einer wirksamen Abtretung. Im
Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der §§ 317 und 319 BGB ergibt sich
jedoch, dass die Bestimmung der Leistung noch billigem Ermessen entspricht.
Die Beklagte hat im ersten Rechtszug zwei Einwendungen gegen die Klage
erhoben, auf die das Landgericht nicht eingeht, die aber aus systematischen
Gründen vor den Fragen zu klären ist, mit denen das Landgericht sich
auseinandergesetzt hat.
a. Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe die Nachzahlung in einem
Spruchverfahren gemäß § 34 UmwG geltend machen müssen. Jetzt sei dies
allerdings nicht mehr möglich, da die Frist des § 4 SpruchG abgelaufen sei (Bl. 288
ff. d. A.).
Nach eingehender Prüfung kommt der Senat zu der Auffassung, dass es sich zwar
nicht ausschließen lässt, dass den Zedenten die Möglichkeit offenstand, das
Spruchverfahren in Anspruch zu nehmen, sie aber wegen der damit verbundenen
Unklarheiten nicht darauf verwiesen werden können.
Die gesetzlichen Regelungen (z.B. §§ 15 und 34 UmwG) enthalten für den
vorliegenden Fall einer potentiellen Benachteiligung von Aktionären auf Grund
eines öffentlichen Kaufangebotes vor Durchführung der Verschmelzung keine
Bestimmung, die das Verfahren nach dem SpruchG eröffnen würde. Es ist
allerdings zutreffend, dass im Zuge der Entscheidung des BGH vom 25.11.2002
(BGHZ 153, 47 ff.) eine eindeutige Tendenz besteht, den Anwendungsbereich des
SpruchG zu erweitern. Wie der BGH in dieser Entscheidung ausführt, muss
Minderheitsaktionären im Fallen eines regulären Delistings ein Pflichtangebot zum
Kauf ihrer Aktien durch die Gesellschaft oder durch den Großaktionär vorgelegt
werden, wobei die „Höhe des Angebotsbetrages in einem dafür geschaffenen
Verfahren (Spruchverfahren) geklärt wird“. Es sei sinnvoll, den zwischen den
Parteien aufgetretenen Konflikt auf diesem Wege zu lösen. Das OLG Düsseldorf
hat unter Bezugnahme auf diese Entscheidung des BGH in einem Beschluss vom
30.12.2004 (NZG 2005, 317 ff.) die Auffassung vertreten, dass auch im Fall des
sogenannten „kalten Delistings“ eine Überprüfung des Abfindungsangebotes
gemäß §§ 29 und 34 UmwG im Wege des Spruchverfahrens zu erfolgen habe (es
ging um einen Fall der Aufspaltung einer börsennotierten AG in zwei nicht
börsennotierte Aktiengesellschaften). In Anbetracht dieser Tendenzen ist es
durchaus vorstellbar, dass die Rechtsprechung sich dahin entwickeln wird, dass
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durchaus vorstellbar, dass die Rechtsprechung sich dahin entwickeln wird, dass
auch in einem Fall wie dem vorliegenden, dessen besonderes Merkmal in dem
öffentlichen Kaufangebot liegt, das Spruchverfahren als adäquater Weg zur
Feststellung der Ansprüche der Minderheitsaktionäre angesehen wird.
Eine ganz andere Frage ist es jedoch, ob der Minderheitsaktionär diesen – im
vorliegenden Fall wegen Fristversäumnis, § 4 SpruchG, ausscheidenden – Weg
wählen kann oder muss. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem ähnlich
liegenden Fall (NJW-RR 2000, 842 ff.) für Recht erkannt, dass der Schutz der
Minderheitsaktionäre nicht notwendig im Spruchverfahren erfolgen müsse,
sondern auch im Wege der Leistungs- und ggf. Feststellungsklage durchgesetzt
werden könne. Die Argumentation der Klägerin, dass eine Leistungs- und
Feststellungsklage aus Gründen der Gewährleistung des Rechtes auf effektiven
Rechtschutz bei Zweifeln über die Zulässigkeit eines Spruchverfahrens gegeben
sein müsse (Bl. 315 d.A.), erscheint dem Senat überzeugend.
Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu, auf den die Klägerin ebenfalls zu
Recht hinweist:
Nach allgemeiner Auffassung (OLG Düsseldorf ZIP 2001, 158 ff., Bilda, Münchener
Kommentar zum Aktiengesetz, 8. Band, 2. Aufl. 2000, § 305 Rn. 115,
Lutter/Grunewald, Umwandlungsgesetz, Band I, 3. Aufl. 2004, § 34 Rn. 3) erlöscht
im Fall der Annahme eines Barabfindungsgebots die Antragsberechtigung des
Anteilsinhabers. Auf diese Lösung kann sich ein Anteilsinhaber auch einlassen, weil
die spätere Entscheidung im Spruchverfahren gem. § 13 S. 2 SpruchG auch zu
seinen Gunsten wirkte. Wenn die Rechtslage aber so ist, dass der ein Angebot
akzeptierende Anteilsinhaber die Antragsberechtigung nach dem Spruchgesetz
verliert, dann ist sicherlich auch die Auffassung vertretbar, dass auf Grund dieses
Arguments derjenige, der ein öffentliches Kaufangebot der Mehrheitsaktionärin
akzeptiert, keine Antragsberechtigung nach dem SpruchG hat.
b. Die Beklagte hält die Abtretungen für unwirksam, da es sich um
Inkassozessionen handele, die gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen
würden. Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen.
Von einer Inkassozession ist im vorliegenden Fall auszugehen. Dass durch die
gemeinsame Geltendmachung der verschiedenen abgetretenen Forderungen eine
Reduzierung der Kosten erreicht wird, spricht nicht gegen die Wirksamkeit der
Abtretungen.
Gemäß Art. 1 § 1 S. 1 RBerG ist die Einziehung fremder oder zur
Einziehungszwecken abgetretener Forderungen aber nur dann erlaubnispflichtig,
wenn sie geschäftsmäßig erfolgt. Fehlt die Erlaubnis, ist die Zession nichtig
(Palandt/Grüneberg, BGB, 65 Auf. 2006, § 398 Rn. 28, BGH ZIP 1993, 1708 f.).
Die Frage, wann jemand geschäftsmäßig im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 des
Rechtsberatungsgesetzes handelt, ist bekanntlich schwierig zu beantworten. Die
Hauptschwierigkeit resultiert daraus, dass die Frage der Geschäftsmäßigkeit auch
eine der inneren Einstellung ist (BGH NJW 2002, 2104 ff., Rennen/Caliebe,
Rechtsberatungsgesetz, 3. Auf. 2001, Art. 1 § 1 Rn. 58), die nur in begrenzter Form
durch nach außen wirkende Handlungen dokumentiert wird. Als gesichert gilt, dass
- „geschäftsmäßig“ nicht mit „gewerbsmäßig“ gleichzusetzen ist, so dass
auch eine unentgeltliche Rechtsbesorgung erlaubnispflichtig sein kann
(Rennen/Caliebe, a. a. O., Art. 1 § 1 Rn. 56),
- selbst eine Einzelhandlung geschäftsmäßig sein kann (Rennen/Caliebe, a. a.
O., Art. 1 § 1, Rn. 58),
- familiäre Beziehungen dem Merkmal der Geschäftsmäßigkeit nicht
entgegenstehen (Chemnitz/Johnigk, Rechtsberatungsgesetz, 11. Auf. 2003, Art. 1
§ 1 Rn. 106).
Positiv formuliert handelt geschäftsmäßig derjenige, der beabsichtigt – sei es auch
nur bei sich bietender Gelegenheit – die Tätigkeit zu wiederholen, um sie dadurch
zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung zu
machen (BGH NJW 2002, 2104 ff.). Eine Abgrenzung ist erforderlich zu demjenigen,
der ausnahmsweise aus besonderen Gründen wie z.B., um eine Gefälligkeit zu
erweisen, eine Forderungseinziehung vornimmt (BGH NJW 2002, 2104 ff.,
Rennen/Caliebe, a. a. O., Art. 1 § 1, Rn. 56).
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Davon auszugehen ist, dass die Klägerin, eine Familien-Holdinggesellschaft, die
sich ausweislich des Handelsregisterauszuges (Bl. 259 d. A.) mit dem „Erwerb von
Beteiligungen und Anlagen aller Art, sowie von Immobilien“ befasst, von fünf
Verwandten, darunter auch ihrem Geschäftsführer, Forderungen gegen die
Beklagte abgetreten bekommen hat. Wie der Geschäftsführer der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert hat, wird die Klägerin
treuhänderisch im Interesse der Familienmitglieder tätig, wobei über eine
Verwendung des erstrittenen Betrages im Falle eines Prozesserfolges noch keine
Entscheidung gefällt worden sei und auch ein Verbleiben bei der Klägerin in
Betracht komme.
Ein Verstoß gegen das RBerG liegt in diesem Verhalten nicht. Auch wenn es sich
um fünf Fälle handelt, ist nach Auffassung des Senats zu berücksichtigen, dass
diese auf einen gemeinsamen Grund zurückgehen (Investitionen der Familie in die
X) und es konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsabsicht nicht gibt (vgl.
Rennen/Caliebe, a. a. O., Art. 1 § 1 Rn. 62). Ausschlaggebend aber ist, dass eine
treuhänderische Tätigkeit im Interesse des Geschäftsführers und Mitglieder seiner
Familie auf Grund einer Abtretung nicht als geschäftsmäßige Tätigkeit angesehen
werden kann, bezüglich der es sinnvoll wäre, die Wirksamkeit der Abtretung von
einer staatlichen Erlaubnis abhängig zu machen. Es liegt im Gegenteil ein eher
positiv zu beurteilender prozessökonomischer Effekt vor.
c. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob die Klausel in dem öffentlichen
Kaufangebot, wonach ein Bewertungsgutachten eingeholt wird, das zu einer
entsprechenden Nachzahlung führt, falls es einen höheren Wert der einzelnen X
Aktie als 30,40 € ausweist, eine Leistungsbestimmung im Sinne des § 317 BGB
darstellt. Das Landgericht ist insoweit der Auffassung der Beklagten gefolgt, es
handele sich dabei lediglich um eine Nebenabrede zum Kaufvertrag, auf die § 317
BGB nicht anwendbar sei. Der Senat ist anderer Auffassung.
Im Rahmen des § 317 BGB unterscheidet man zwischen Gutachten zur
rechtsgestaltenden Vertragsergänzung und solchen zur Vertragsklarstellung
(Jauernig/Stadler, BGB, 11. Auf. 2004, § 317 Rn. 5 f.). Der vorliegende Fall ist ein
Mischfall. Die Bedingungen des Verkaufs standen fest – die Höhe des Preises sollte
aber durch das gemeinsamen Gutachten zweier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften
überprüft und bindend festgestellt werden, falls das Gutachten zu dem Ergebnis
kommt, dass die einzelne Aktie mehr als 30,40 € wert ist. Aus Sicht des Senats ist
dabei aber durchaus die Bestimmung einer Teilleistung einem Dritten überlassen
worden. Dies reicht zur Anwendung des § 317 BGB aus, zumal als Gutachten im
Sinne des § 317 BGB auch das auf Feststellung des Wertes eines
Gesellschaftsanteils anerkannt worden ist (Erman/Hager, BGB, Band I, 11. Aufl.
2004, § 317 Rn. 8).
d. Die in dem Gutachten erfolgte Festlegung ist aber nicht offenbar unbillig im
Sinne des § 319 BGB. Die Wesentlichkeitsgrenze ist nicht verletzt.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, der (erhöhte) Preis
von 31,41 € müsse bereits deshalb fehlerhaft sein, weil die Beklagte selbst von
einem angemessenen Preis von 31,79 € ausgehe, ist darauf hinzuweisen, dass
ausweislich des Verschmelzungsberichtes der Betrag von 31,79 € auf Grund einer
Aufzinsung des Unternehmenswertes in Höhe von 5,5 % p.a. für die Zeit vom
31.12.2000 bis zum 09.05.2001 ermittelt worden (Bl. 142 f. d. A.) und insoweit
nicht geeignet sei, einen höheren Wert zum Zeitpunkt des Verkaufs der Aktien im
Mai 2001 zu belegen. Im Übrigen ist die Differenz von 0,38 € (1,2 %) so gering,
dass zweifelsfrei keine offensichtliche Unbilligkeit vorliegt.
§ 319 BGB regelt den Maßstab für die gerichtliche Kontrolle der
Leistungsbestimmung (Erman/Hager, a. a. O., § 319 Rn. 1). Grundgedanke dieser
Vorschrift ist es, dass die Parteien Zweifel am Gutachten und kleinere
Ungenauigkeiten oder Fehler hinzunehmen haben (Erman/Hager, a. a. O., § 319
Rn. 3, Gottwald in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 2, 4. Aufl. 2001, § 319
Rn. 6). Nur erhebliche Abweichungen, deren Unbilligkeit sich dem unbefangenen
Sachkundigen aufdrängen, rechtfertigen eine gerichtliche Intervention. In
quantitativer Hinsicht wird teils angenommen, dass ab Abweichungen etwa um 20
% eine offensichtliche Unbilligkeit vorliege (Erman/Hager, a. a. O., § 319 Rn. 6,
Gottwald a. a. O., § 319 Rn. 6), teils wird die Meinung vertreten, dass
Abweichungen bis zu 25 % im Allgemeinen zu tolerieren seien (Sörgel/Wolf, BGB,
Band 2, 12. Aufl. 1990, § 319 Rn. 8, Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB Band 1 2003, §
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Band 2, 12. Aufl. 1990, § 319 Rn. 8, Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB Band 1 2003, §
319 Rn. 2). Der BGH (NJW 1991, 2761 ff.) hat die Auffassung vertreten, es sei
Sache der tatrichterlichen Beurteilung, wo im Einzelfall die Toleranzgrenze zu
ziehen sei, die vorliegende Ergebnisdifferenz von nur 16,79 % sei so geringfügig,
dass sie kein erhebliches Ausmaß habe und das Schiedsgutachten daher im
Ergebnis nicht offenbar unbillig sei. Überdies darf die Bestimmung nicht willkürlich
sein und einseitig die Interessen einer Partei berücksichtigen (BGHZ 62, 314ff.).
Im vorliegenden Fall begründet die Klägerin die Unrichtigkeit des Gutachtens im
Grunde nur mit einem intensiv diskutierten betriebswirtschaftlichen Argument aus
dem Bereich der Thesaurierung, das nach ihren Berechnungen dazu führt, dass
der Wert der Aktie um fast 20 % zu niedrig angesetzt worden sei. Der Senat kann
unter diesen Umständen keine offensichtliche Unbilligkeit erkennen. Eine
Unternehmensbewertung (die Voraussetzungen für die Ermittlung des Wertes der
Aktien dieses Unternehmens sind) ist wegen der Vielzahl der Einflussfaktoren eine
schwierige, komplexe Aufgabe, die – anders als in der Mathematik – nicht zu
einem völlig objektiven, unbestreitbaren Ergebnis führt. Zur Bewältigung dieser
Aufgabe wurde die dem Senat vorliegende gutachtliche Stellungnahme zweier
internationaler renommierter Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eingeholt und
entsprechend deren Empfehlungen verfahren. Wenn unter diesen Umständen dem
Vortrag der Klägerin nach die Ergebnisdifferenz sich – wenn auch nur knapp – im
von der Lehre angegebenen Toleranzbereich hält, ist eine gerichtliche Korrektur
nicht angebracht, zumal der Senat dem Vorbringen der Klägerin auch keine
einseitige Berücksichtigung von Interessen der Beklagten entnehmen kann. Das
Gutachten vom 19.3.2001 berücksichtigt ebenso wie der Verschmelzungsbericht
eine Vielzahl von Faktoren. Der Umstand, dass nach Darstellung der Klägerin die
Thesaurierung die prognostizierten Erträge der X minderte (Bl.11), kann allein nicht
belegen, dass eine einseitige Bevorzugung von Interessen vorliegt.
Andere Anhaltspunkte für eine unbillige Bewertung gibt es nicht. Soweit die
Klägerin im Übrigen die unterschiedliche Handhabung bei den beiden Banken im
Bereich der Risikovorsorge rügt, ist damit ein Bewertungsmangel nicht dargetan.
Zwar ist eine Risikobewertung zwangsläufig Teil einer Unternehmensbewertung
(vgl. Theysohn-Wadle in: Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, 4.Aufl. 2003,
Kapitel 3, Rn. 20ff.). Das fragliche Gutachten enthält aber entsprechende
Kalkulationen (vgl. S. 13), deren Unrichtigkeit nicht behauptet wird. Der Umstand
der unterschiedlichen Behandlung der Risikovorsorge mag für das Verfahren nach
dem SpruchG von Bedeutung sein. Eine sich daraus für das vorliegende Verfahren
ergebende Erhöhung des Unternehmenswertes und des Wertes der Aktien der X
ist aber nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht beziffert. Auf Grund der ex
ante vorzunehmenden Beurteilung ist auch die spätere Praxis ohne Bedeutung.
2. Feststellungsklage:
Das Landgericht hält die Feststellungsklage für unzulässig. Dem ist zuzustimmen.
Es mag zwar sein, dass der Klägerin nicht vorgehalten werden kann, dass sie
Leistungsklage erheben könne, da ihr Feststellungsantrag in der Zukunft liegende
Umstände einbezieht. Eine Feststellungsklage kann jedoch nur erhoben werden
bei einem bestehenden Feststellungsinteresse und wenn die Feststellung die
Klägerin zum Ziel führen kann (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 64. Auf.
2006, § 256 Rn. 21, 34). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die zu erwartende
Entscheidung des Landgerichts in Köln im Spruchstellenverfahren beeinflusst das
vorliegende Verfahren nicht. Diese Entscheidung wirkt gemäß § 13 SpruchG nicht
auf vor der Verschmelzung verkaufte Aktien. Etwaige Wertfeststellungen im
Spruchstellenverfahren mag die Klägerin – im Rahmen einer Leistungsklage –
vorbringen, wobei diese allerdings nur eingeschränkten Wert hätten, weil es bei
den Spruchstellenverfahren betreffend Verschmelzungen weniger auf die exakte
Berechnung der jeweiligen Unternehmenswertes als auf die richtige Ermittlung der
Relation der Unternehmenswerte ankommt (Lutter/Drygala, a. a. O., § 5 Rn. 19)
und die Klägerin überdies nicht erwarten kann, dass die rechtliche Beurteilung von
Vorgängen aus den Jahren 2000 und 2001 aufgeschoben wird, bis sie vielleicht
weitere Erkenntnisse erwirbt, die ihre Klage unterfüttern könnten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708
Nr.10, 711 und 709 S.2 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision, § 543 ZPO, liegen nicht vor.
Die vorliegende Entscheidung widerspricht nicht anderen. Es handelt sich auch
nicht um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung. Die für die
Entscheidung ausschlaggebende Frage des Umfangs der Toleranzgrenze ist eine
Sache tatrichterlicher Beurteilung im Einzelfall (BGH NJW 1991, 2761ff.).
IV.
Bei der Abfassung dieses Urteils hat der Senat den nicht nachgelassenen
Schriftsatz vom 13.2.2007 nicht berücksichtigt. Die Klägerin hat in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat nicht beantragt, ihr eine Schriftsatzfrist zu gewähren.
Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 ZPO,
bestehen nicht. Der Senat sieht weder eine Veranlassung zur Aussetzung des
Verfahrens, noch eine Veranlassung zur Berücksichtigung weiterer Bedenken
gegen die Richtigkeit des Gutachtens, die sich überwiegend erst noch ergeben
sollen aus dem in Köln anhängigen Spruchstellenverfahren, zumal nicht
vorgetragen ist, in welchem Umfang die Unternehmensbewertung dadurch
beeinflusst werden soll.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.