Urteil des OLG Frankfurt vom 13.01.2009

OLG Frankfurt: erhöhung des grundkapitals, venire contra factum proprium, anfechtungsklage, kapitalerhöhung, vergleich, geschäftliche tätigkeit, im bewusstsein, squeeze out, widerklage, zeugnis

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 183/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 826 BGB, § 53a
AktG, § 121 AktG, § 186 AktG
(Aktiengesellschaft: Rechtsmissbräuchliche Erhebung einer
Anfechtungsklage; Schadensersatzhaftung des klagenden
Aktionärs)
Leitsatz
Bei einer rechtsmissbräuchlich erhobenen aktienrechtlichen Anfechtungsklage kann der
Kläger gem. § 826 BGB schadensersatzpflichtig sein
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 2.10.2007 verkündete Urteil der 5.
Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main wird auch im
Übrigen zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, soweit nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu
vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I.
Die Beklagte verlangt im Berufungsverfahren jetzt noch die Feststellung der
Schadensersatzpflicht des Klägers aus einer unberechtigten aktienrechtlichen
Anfechtungsklage.
Der Kläger war und ist Aktionär der Beklagten, die 2006 gegründet worden war.
Das Grundkapital von 200.000 Euro war eingeteilt in 200.000 nennwertlose
Stückaktien, von denen die A AG (künftig nur: A) 180.000 Aktien hielt, der
ehemalige Vorstand Z1 1.750, der Kläger 47, und die von ihm in der in der
Hauptversammlung vom 29.5.2007 Vertretenen, B GmbH, Z2, Z3 und Z4, je eine
oder zwei Aktien. Der aktuelle Kurs der im Freiverkehr der Frankfurter Börse
gehandelten Aktie lag bei etwa 12,00 Euro, obwohl die Beklagte 2006 keine
Geschäftstätigkeit hatte und in 2007 erst unter Umfirmierung Immobiliengeschäfte
anstrebte.
Auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 29.5.2007 erschienen neben dem
Aufsichtsrat, dem Alleinvorstand, dem Notar und einigen Beratern vier Aktionäre
bzw. Aktionärsvertreter. Der Kläger widersprach in der vom Versammlungsleiter
angeordneten Generaldebatte der vorgesehenen Kapitalerhöhung um 300.000
Euro. Streitig ist, ob er bei dieser Gelegenheit für sich und die von ihm vertretenen
Aktionäre von der A je 2.000 Aktien bzw. Aktienbezugsrechte unter Androhung von
Anfechtungsklagen verlangte. Der Kläger stimmte mit den eigenen und den von
ihm vertretenen Anteilen gegen die Beschlüsse, die mit den Stimmen der
Mehrheitsaktionärin und des ehemaligen Vorstands angenommen wurden, u.a.
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Mehrheitsaktionärin und des ehemaligen Vorstands angenommen wurden, u.a.
auch zur Kapitalerhöhung um 300.000,00 Euro. Zu den Einzelheiten des Ablaufs
der Hauptversammlung wird auf die Urkunde des Notars N1 verwiesen (Anl. B 5 im
Anlagenordner).
Am Tag der Einreichung der Anfechtungsklage, dem 25.6.2007, die inzwischen
durch Teilentscheidung rechtskräftig abgewiesen ist, kam es zu einem Telefonat
zwischen einem Beauftragten der Beklagten, einem Herrn Z4, und dem Kläger,
dessen Inhalt ebenfalls umstritten ist.
Mit der Klage, auf die insoweit zu den Einzelheiten verwiesen wird, hat der Kläger
die Nichtigerklärung der Entlastung des Aufsichtsrats und die Nichtigerklärung zur
Kapitalerhöhung verlangt. Ob daraufhin am 5.7.2007 nochmals zwischen ihm und
Z4 telefoniert wurde, ist streitig. Jedenfalls übermittelte die damalige
Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten am 12.7.2007 einen mit dem
Kläger abgestimmten Vergleichstext (Bezugnahme auf Anl. B 7 im
Anlagenordner), indem vorgesehen war, dass die Beklagte unter Garantie der A
jedem der Aktionäre, die ablehnend in der Hauptversammlung gestimmt hatten,
je 3.500 Bezugrechte hinsichtlich der Aktien aus der Kapitalerhöhung einräume.
Die Beklagte lehnte dieses Vergleichsangebot aber ab. In einem Freigabeverfahren
hat die Klägerin schließlich die Feststellung erreicht, dass die Klage der Eintragung
des Erhöhungsbeschlusses nicht entgegensteht und Mängel des
Hauptversammlungsbeschlusses die Eintragungswirkungen unberührt lassen.
Der Kläger hat behauptet, es sei in der Hauptversammlung nur darüber
gesprochen worden, die erschienen Aktionäre für ihre Teilnahme mit
Bezugsrechten zu belohnen, die von anderen Aktionären nicht ausgenutzt worden
seien (Beweis: Zeugnis Z1, eigene Parteivernehmung). Am 25.6.2007 habe er bei
Z4 wegen des Protokolls und der Anschriften der Aufsichtsräte angerufen und sei
gefragt worden, wieviel er für den Verzicht auf die Klage haben wolle. Er habe sich
dahin erklärt, nicht in Anspruch genommene Bezugsrechte zu erhalten. Auch am
5.7.2007 habe es ein Telefonat mit Z4 gegeben, bei dem Z4 nach seiner, des
Klägers, Vorstellungen gefragt habe. Im Anschluss daran sei über die Einräumung
von Bezugrechten zu Gunsten der Aktionäre gesprochen worden, die ablehnend
gestimmt hätten (Beweis jeweils: eigene Parteivernehmung).
Der Kläger hat beantragt,
die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten gefassten
Beschlüsse zu TOP 4 über die Entlastung des Aufsichtsrats und zu TOP 5 über die
Erhöhung des Grundkapitals gegen Bareinlagen und Satzungsänderung für nichtig
zu erklären, hilfsweise festzustellen, dass die Beschlüsse nichtig sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
für den Fall der Klageabweisung widerklagend,
festzustellen, dass der Kläger der Beklagten für alle entstandenen und
noch entstehenden Schäden, die auf der durch die streitgegenständige
Anfechtungsklage verursachten verzögerten Durchführung der Kapitalerhöhung
beruhen, schadensersatzpflichtig ist, sowie festzustellen, dass der vorstehende
Schaden auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Klägers beruht.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei ein sogenannter Berufsaktionär. Er
habe in der Hauptversammlung erklärt, er werde Klage erheben, wenn nicht für ihn
und jeden der von ihm vertretenen Aktionäre 2000 Aktien bereits gestellt würden
(Beweis: 10 Zeugen wie Bl. 112 d.A.). Nach der Ablehnung habe er erklärt, dass es
nun ausgeklagt werden müsse. Auch in dem Anruf vom 25.6.2007 habe er 15.000
Aktien gefordert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, weil
die Klage missbräuchlich erhoben worden sei, wie schon aus dem
Vergleichsvorschlag folge. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen
Parteivorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil verwiesen (Bl.
138- 149 d.A.).
Die Berufung des Klägers zur Klage ist vom Senat aus aktienrechtlichen Gründen
durch Teilentscheidung gemäß § 522 Abs.2 ZPO zurückgewiesen worden. Auf das
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durch Teilentscheidung gemäß § 522 Abs.2 ZPO zurückgewiesen worden. Auf das
Anschreiben des Senats vom 20.3.2008 und die Entscheidung vom 16.5.2008 wird
verwiesen (Bl. 328-333 und 346-348 d.A.).
Gegenüber der Widerklage macht der Kläger mit der Berufung geltend, der
Verzicht der Großaktionärin auf Bezugsrechte sei nicht unzulässig erstrebt worden,
jedenfalls habe er auf seine damalige Prozessbevollmächtigte vertraut. Auf den
Vergleichsvorschlag könne sich die Beklagte nicht berufen, weil dieser von Z4
initiiert worden sei. Zu seiner Darstellung des Ablaufs der Hauptversammlung und
zum Inhalt der Telefonate beruft sich der Kläger jetzt neben seiner eigenen
Vernehmung auch auf Zeugenbeweis (Zeugnis Z6 zur Hauptversammlung,
Zeugnis Z4 zu den Telefonaten).
Nach der Teilentscheidung beantragt der Kläger noch,
das angefochtene Urteil im Übrigen abzuändern und die Widerklage
abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil und hält die neuen Verteidigungsmittel für
ausgeschlossen.
II.
Die Berufung des Klägers ist im Übrigen unbegründet, weil das angefochtene Urteil
dazu weder auf einem Rechtsfehler beruht, noch nach § 529 ZPO beachtliche
andere Tatsachen eine abweichende Entscheidung rechtfertigen.
Die Berufung ist auch zur Widerklage zulässig, insbesondere gemäß § 520 Abs.3
Ziff.2 ZPO begründet worden. Durch den Einwand, allein aus dem
Vergleichsentwurf sei nicht ausreichend auf eine Missbräuchlichkeit der
Anfechtungsklage zu schließen, hat sich der Kläger mit einem
Begründungselement der Entscheidung des Landgerichts auseinandergesetzt, das
die Widerklage zu beiden Antragsteilen tragen soll.
Die Widerklage, zu der die innerprozessuale Bedingung eingetreten ist, ist zulässig.
Die Beklagte ist nach Beendigung des zur Klage geführten Rechtsstreits durch
ihren Vorstand ausreichend vertreten. § 246 Abs.2 Satz 2 AktG, also die Regelung
über die Gesamtvertretung von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Anfechtungs-
bzw. Nichtigkeitsklage, findet zur Schadensersatzklage der Gesellschaft gegenüber
einem Aktionär keine Anwendung. Insoweit bleibt es bei § 78 Abs.1 AktG, der
Alleinvertretung durch den Vorstand. Der Widerklageantrag bestimmt in seinem
erstem ersten Teil das festzustellende Rechtsverhältnis ausreichend, § 253 Abs.2
Ziff.2 ZPO. Die Dauer der sich aus der Klage ergebende Verzögerung betrifft nur
den Umfang des Schadens.
Die Voraussetzungen des § 256 Abs.1 ZPO sind gegeben.
Das Feststellungsinteresse der Beklagten besteht angesichts des bei
Klageeinreichung noch nicht abgeschlossenen Schadensverlaufs zur Hemmung
der Verjährung. Der Eintritt irgendeines Schadens ist nicht nur wahrscheinlich,
sondern jedenfalls in den der Klägerin bereits entstandenen Kosten des
Freigabeverfahrens gewiss.
Das Interesse besteht auch, soweit festgestellt werden soll, dass der Schaden auf
einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht. Es handelt sich bei der
Feststellung der vorsätzlich unerlaubten Handlung als Rechtgrund der Haftung um
ein Rechtsverhältnis und nicht nur um eine Vorfrage, wie wiederholt entschieden
worden ist (BGH vom 30.11.1989, III ZR 215/88 - BGHZ 109, 275; BGH vom
26.9.2002, IX ZB 180/02 – BGHZ 152, 148; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27.Aufl. 2009,
§ 322 Rz.9). Das rechtliche Interesse an dieser zusätzlichen Feststellung folgt aus
der Zweckdienlichkeit der Feststellung für vollstreckungsrechtliche (§ 850 f Abs.2
ZPO), insolvenzrechtliche (§ 175 Abs.2 InsO) oder materiellrechtliche Folgen (etwa
§ 393 BGB), also aus Vorschriften, die Schadensersatzforderungen aus vorsätzlich
unerlaubten Handlungen bei der Durchsetzung privilegieren. Unschädlich ist in
diesem Zusammenhang, dass die Beklagte in der Hauptsache nur Feststellung
verlangt, wegen der Leistung also ohnehin noch geklagt werden muss. Die schon
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verlangt, wegen der Leistung also ohnehin noch geklagt werden muss. Die schon
jetzt erfolgende Klärung der besonderen Anspruchsqualität als Vorsatztat führt
jedenfalls nicht zu einer Verdoppelung der Befassung, also zu
prozessunökonomischem Vorgehen.
Die Widerklage ist begründet, weil der Kläger der Beklagten aus vorsätzlich
unerlaubter Handlung, nämlich aus § 826 BGB, schadenersatzpflichtig ist. Nach §
826 BGB hat derjenige, der einem anderen vorsätzlich sittenwidrig einen Schaden
zufügt, diesem den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Der Beklagten ist ein haftungsbegründender Schaden entstanden. Schaden in
diesem Sinn ist jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage oder
Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses (Palandt/Sprau, BGB, 68.
Aufl. 2009, § 826 Rz. 3; MüKo/Wagner, BGB, 4. Aufl. 2004, § 826 Rz.6). Dazu gehört
auch die Vereitelung einer Erwerbsaussicht. Die Verzögerung der Eintragung der
Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten ist in diesem Sinn ein Schaden, denn
dadurch wurde nachteilig auf die Vermögenslage des Unternehmens eingewirkt.
Ein vorgesehener Kapitalzufluss verzögerte sich. In welchem Umfang sich
tatsächlich Zeichner für die Kapitalerhöhung gefunden hätten, kann offen bleiben.
Denn es genügt, dass jedenfalls einzelne Zeichner bereitstanden, wofür aber die
Durchführung des Freigabeverfahrens überzeugungskräftig spricht.
Dieser Schaden beruhte auf einer Handlung des Klägers, nämlich auf der Erteilung
des Klageauftrags an die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin
RA1. Dieser Klageauftrag wurde nach den Umständen am 25.6.2007 erteilt, denn
nach dem Vortrag des Klägers ermittelte er noch an diesem Tag telefonisch die
Anschrift des Aufsichtsrats und am gleichen Tag ging die Klageschrift um 21.06
Uhr bei dem Landgericht per FAX ein.
Es liegt Ursächlichkeit vor, denn infolge der Erhebung der Anfechtungsklage
wurden die Anmeldung der Kapitalerhöhung und damit ihre Durchführung
verzögert. Bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung ist zwar keine Negativerklärung
erforderlich, wie bei Verschmelzung, Eingliederung oder Squeeze-Out (§ 16 Abs.2
UmWG, § 327e Abs.2 AktG, etc.). Aus der späteren Einleitung des
Freigabeverfahrens ergibt sich aber ausreichend, dass die Beklagte eine
Anmeldung angesichts der angekündigten und dann eingereichten Klage unterließ.
Durch diese Entscheidung des Vorstands der Beklagten wurde der
Ursachenzusammenhang zwischen dem Klageauftrag und der Verzögerung der
Kapitalerhöhung nicht gestört. Denn das Zuwarten der Anmeldung wurde durch
die Anfechtungsklage des Klägers herausgefordert (vgl. Palandt/Heinrichs, wie
oben, vor § 249 Rz.77). Infolge der Anfechtungsklage war zu erwarten, dass das
Registergericht von der Möglichkeit der Aussetzung der Eintragung nach § 127
FGG Gebrauch machen würde, wie dies regelmäßig bei Anfechtungen der Fall ist
und zu einer sogenannten faktischen Registersperre führt (vgl. Hüffer, AktG, 8.
Aufl. 2008, § 243 Rz.53).
Das Verhalten des Klägers war sittenwidrig. Sittenwidrig ist in diesem Sinn ein
Verhalten, das entweder nach seinem Inhalt, das kommt hier nicht zum Tragen,
oder nach seinem Gesamtcharakter mit grundlegenden Wertungen der Rechts-
und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. Palandt/Sprau, wie oben, § 826 Rz. 4).
Das war der Fall, weil die Klage von dem Kläger missbräuchlich erhoben wurde.
Missbräuchlichkeit einer aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage ist
höchstrichterlich angenommen worden, wenn der Kläger die Klage mit dem Ziel
führt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu
veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben
kann (BGH vom 22.5.1989, II ZR 206/88 – BGHZ 109, 296, 311; BGH vom
14.10.1991, II ZR 249/90 – ZIP 1991, 1577; Senat vom 6.11.1990, 5 U 191/84 – AG
1991, 206; Hüffer, wie oben, § 245 Rz.22 bis 26). Daran hat sich durch die
inzwischen geschaffene gesetzliche Möglichkeit, eine Freigabe in einem
Eilverfahren zu erreichen, nichts geändert. Eine missbräuchliche Klage ist nicht
deshalb erlaubt, weil der Geschädigte die Möglichkeit erlangt hat, sich einer
missbräuchlichen Klage – mit zeitlicher Verzögerung – teilweise zu erwehren.
Die Voraussetzungen für die Annahme missbräuchlichen Verhaltens gelten auch,
obwohl das Verlangen des Klägers wirtschaftlich nicht gegen die Gesellschaft,
sondern gegen einen Mitaktionär gerichtet war, hier gegen die Hauptaktionärin A,
die Bezugsrechte nicht ausüben sollte. Der individuelle Rechtsmissbrauch hat
nämlich seine Grundlage in einem Verstoß gegen § 242 BGB (vgl.
Palandt/Heinrichs, wie oben, § 242 Rz.30, insbs. Rz.49) und Treuebindungen
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Palandt/Heinrichs, wie oben, § 242 Rz.30, insbs. Rz.49) und Treuebindungen
bestehen auch zwischen den Aktionären (Hüffer, wie oben, § 53a Rz.20). Aus der
Sonderrechtsbeziehung der Aktionäre untereinander ergibt sich wegen § 705 BGB
(vgl. Marsch/Barner ZHR 157 (193) 172, 173 mit weiteren Nachweisen in Fußnote
2) die Pflicht, auf die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitaktionäre
Rücksicht zu nehmen (BGH vom 1.2.1988, II ZR 87 – BGHZ 103, 184, 194 ff.). Dass
die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs in der Regel nicht von
gesellschafterlichen Treuepflichten bestimmt werden (BGH, wie vor, S. 195), befreit
den Kleinaktionär nicht von besonderen Rücksichten bei der Erhebung einer
aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage. Der Kleinaktionär ist zur
Treue gegenüber einem Großaktionär regelmäßig nicht angehalten, weil er
ohnehin keinen ausreichenden Einfluss nehmen kann. Anders verhält es sich
jedoch im Bereich der Hauptversammlungsklagen, denn hierfür spielt der Umfang
des Aktienbesitzes keine Rolle. Der Kleinaktionär hat die Möglichkeit,
gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Aktionäre, auch der
Großaktionäre, zuwider zu handeln und diese trotz seines geringen Anteilsbesitzes
wirtschaftlich zu beschädigen.
Es gibt keinen sachlichen Grund, höhere Anforderungen an die Annahme eines
Klagemissbrauchs zu stellen, sofern die Leistung nicht von der Gesellschaft,
sondern von einem Mitaktionär gefordert wird. Ob – nur - eine erlaubte
wirtschaftliche Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung vorliegt, richtet sich
nämlich in erster Linie nach der Rechtsstellung selbst, hier also der
Rechtsbeziehung des Klägers zur Beklagten, nicht aber danach, wer unmittelbar
oder nur mittelbar betroffen wird und deshalb zu einer wirtschaftlich
selbstschädigenden Maßnahme genötigt sein könnte.
Der Kläger wollte die Hauptaktionärin A in grob eigennütziger Weise zu einer
Leistung veranlassen wollte, auf die er keinen Anspruch hatte und billigerweise
auch nicht erheben konnte.
Das ergibt sich für die Zeit ab dem 12.7.2007 aus dem Vergleichsangebot der
Klägers, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Der Kläger erstrebte mit dem
durch seine damalige Prozessbevollmächtigte vorgeschlagen Vergleich den
Verzicht der A auf die Ausnutzung von Bezugsrechten zu den neuen Aktien. Nach
§ 186 Abs.1 Satz 1 war die Zuteilung der insgesamt jeweils 3.500 Bezugsrechte für
die sechs Aktionäre, die zu TOP mit Nein gestimmt hatten, also von 21.000
Aktienbezugsrechten, nur möglich, wenn die A oder die Aktionäre im Streubesitz
die ihnen zustehenden Bezugsrechte nicht ausüben würden. Einen Anspruch
hierauf hatten die zu begünstigenden Aktionäre um den Kläger nicht, auch nicht
als Prämie für ein Erscheinen in der Hauptversammlung.
Sie konnten auch nicht billigerweise beanspruchen, dass die A Bezugsrechte zu
ihren Gunsten nicht ausüben würde. Dass ein Verkauf der übernommenen neuen
Aktien durch die A dazu führen konnte, dass der Börsenkurs von ca. 12,00 Euro
ohne Gegenmaßnahmen nachgeben würde, rechtfertigte jedenfalls nicht die
Zuteilung von Bezugsrechten in dem konkreten, die eigenen Aktien um ein
Vielfaches übersteigenden Umfang.
Der Kläger handelte, bezogen auf die Zeit nach dem 12.7.2007, vorsätzlich. Er
wusste und wollte die Klageerhebung und wusste auch von ihrer aufschiebenden
Wirkung hinsichtlich der Eintragung. Da er mit seiner Klage die Umsetzung der für
rechtswidrig gehaltenen Beschlüsse verhindern wollte, wollte er auch die
Verzögerung der Eintragung. Hinsichtlich der Sittenwidrigkeit genügt es, wenn sich
der Vorsatz auf die tatsächlichen Umstände bezieht, die dem
Sittenwidrigkeitsurteil zugrunde liegen (BGH vom 26.3.1962, II ZR 151/60 - NJW
1962, 1099; BGH vom 13.9.2004, II ZR 276/02 - NJW 2004, 3706). Das ist mit dem
von ihm autorisierten Vergleichsvorschlag und der Kenntnis der darin
angestrebten Vorteile gegeben. Ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit ist nicht
erforderlich, sodass es den Kläger nicht entlastet, wenn er insoweit dem Rat seiner
Anwältin gefolgt wäre, wie er behauptet (BGH vom 15.5.1979, VI ZR 230/76 -
BGHZ 74, 281; Palandt/Sprau, wie oben, § 826 Rz.11).
Der eingetretene Schaden aus der Verzögerung der Eintragung liegt im
Schutzbereich der Verhaltensnorm, nämlich einer Treuepflicht gegenüber der
Gesellschaft und den Gesellschafterinteressen. Diese sollen gerade nicht zum
Eigennutz eines einzelnen Aktionärs beeinträchtigt werden.
Der Schadensersatzpflicht kann der Kläger mit dem Einwand unzulässiger
Rechtsausübung (venire contra factum proprium, § 242 BGB) nicht
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Rechtsausübung (venire contra factum proprium, § 242 BGB) nicht
entgegentreten. Ob solches grundsätzlich anzunehmen ist, wenn eine
vorgetäuschte Initiative zum Abkauf der Klage von der Gesellschaft ausgeht und
sie einen zunächst gutwilligen Kläger schließlich zum Vergleich geneigt macht
(Senat vom 6.11.1990, 5 U 191/84 – AG 1991, 206), muss aus tatsächlichen
Gründen nicht neu entschieden werden. Dazu hat der Kläger zwar behauptet, dass
die Initiative am 25.6.2007 und am 5.7.2007 jeweils ihm gegenüber als Gutwilligem
von einem Beauftragten der Beklagten, einem Herrn Z4, ausgegangen sei. Er hat
dies aber nicht zulässig unter Beweis gestellt. Der erstinstanzliche Beweisantritt
auf Parteivernehmung des Klägers ist unzulässig, weil die Beklagte ihm nicht
zugestimmt hat und eine Anfangswahrscheinlichkeit iSd. § 448 ZPO nicht gegeben
ist. Es mag zwar wahrscheinlich sein, dass Z4 mit dem bekannten Aktionärskläger
über die Möglichkeit einer Abfindung für die Klage sprach. Dafür dass Z4 die
Initiative ergriffen hatte, sind Hilfstatsachen nicht vorgetragen, die jedenfalls ein
Wahrscheinlichkeitsurteil erlauben würden. Unabhängig von einer
Wahrscheinlichkeit anfänglich guten Willens bei dem Kläger liegt es nämlich
mindestens genauso nahe, dass der Kläger das Gespräch auf eine Abgeltung
brachte.
Der im Berufungsverfahren neue Beweisantritt des Klägers auf Vernehmung des
Zeugen Z4 zum Inhalt der Telefonate ist nach § 531 Abs.2 ZPO nicht zuzulassen.
Zulassungstatsachen sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Dass das Landgericht den Inhalt der Telefonate für unerheblich angesehen hat
(LGU S.9, Bl. 146 d.A.), trägt eine Zulassung des Beweisangebots nach § 531
Abs.2 Ziff.2 ZPO nicht, denn ein Hinweis auf den fehlenden Beweisantritt wäre
nicht geboten gewesen, sodass diese Rechtsansicht des Landgerichts nicht für das
Unterlassen des Beweisangebots ursächlich wurde (vgl. Zöller/Heßler, wie oben, §
531 Rz.28 mwN.). Der Inhalt der Telefonate war, auch ohne rechtliche Einordnung,
wesentliches Thema zwischen den Parteien. Nachdem die Beklagte eine
schriftliche Erklärung des Z4 ("eidestattliche Versicherung", vgl. vor Anl. B 1 im
Anlagenordner) zu den Akten gereicht hatte, die der Darstellung des Klägers
widersprach, durfte das Landgericht davon ausgehen, dass der Kläger sich
bewusst nicht auf dessen Zeugnis beziehen wollte.
Der Feststellungsantrag ist auch begründet, soweit er die Verzögerung zwischen
Klageeinreichung und Vergleichsvorschlag betrifft, also die durch die
Anfechtungsklage vom 25.6.2007 bis zum 12.7.2007 eingetretene Verzögerung.
Nur für die Zulässigkeit einer missbräuchlichen Klage kommt es – ausreichend -
auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an (BGH vom 14.10.1991, II ZR
249/90 – NJW 1992, 569).
Die verwerfliche innere Gesinnung, also das grob eigennützige Klagemotiv, das
sich am 12.7.2007 offenbart hat, lag bereits bei Klageeinreichung am 25.6.2007
vor. Hiervon ist der Senat überzeugt, ohne dass die Erklärungen des Klägers in der
Hauptversammlung oder der Inhalt der Telefonate aufgeklärt werden müssten.
Einen Anscheinsbeweis kann man dabei freilich nicht einsetzen. Es gibt keinen
Satz der Lebenserfahrung und keinen typischen Verlauf dahin, dass jeder
Aktionärsvergleich von einem schon anfänglich böswilligen Aktionär abgeschlossen
wird. Der Senat kann auch nicht aus der Häufung von Vergleichen bei einzelnen
immer wieder auftretenden Aktionärsklägern einen solchen Erfahrungssatz
annehmen.
Die innere Einstellung folgt aus vier individuellen Beweiszeichen, von denen zwar
jedes für sich nicht allein tragfähig sein mag, die aber in ihrer Gesamtschau ein
überzeugendes Bild ergeben, nämlich aus der Bereitwilligkeit zum Vergleich, aus
den geltend gemachten Klagegründen, aus seinem geringem Aktienbesitz und aus
den zahlreichen früheren durch Vergleich beendeten aktienrechtlichen
Anfechtungsverfahren des Klägers, ohne dass persönliche Beweggründe und die
Lebensstellung des Klägers dem entgegenstünden. Im Einzelnen:
Auf der Grundlage des eigenen Vortrags ging der Kläger allzu bereitwillig auf den
Vorschlag Z4 vom 5.7.2007 ein, die Klage durch einen Vergleich mit einer Leistung
an den Kläger zu beenden, sodass der Eindruck nahe liegt, der Kläger habe – im
Bewusstsein um die Problematik der Initiative - nur darauf gewartet, dass Z4 ihm
ein Angebot unterbreite. Nach dem vom Kläger behaupteten Inhalt des Telefonats
wurde die Grundsatzfrage, ob er nämlich den Rechtsstreit führen oder durch
Vergleich beenden wollte, von ihm nicht mehr angesprochen und schon gar nicht
in eine Überlegung einbezogen. Entscheidend waren vielmehr der Umfang und die
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in eine Überlegung einbezogen. Entscheidend waren vielmehr der Umfang und die
Ausgestaltung der Gegenleistung, also das "Wieviel". Auch soweit der Kläger - auf
der Grundlage eigenen Vortrags - am 25.6.2007 bereits mit Z4 telefoniert hatte,
hatte er nur eine Gegenleistung in Geld von sich gewiesen.
Die Anfechtungsgründe, die der Kläger mit der Klage geltend gemacht hat, sind
zwar nicht unvertretbar, sind aber im Wesentlichen formaler Natur und jedenfalls
für die Wahrung seiner Interessen ohne Belang geblieben. Mögliche Verletzungen
sind auch für die Gesamtheit der Aktionäre von geringer Relevanz. Der gerügte
Versammlungsort berührt die Teilnahmerechte nur am Rande, weil der gewählte
Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln leichter zu erreichen war und die Beklagte
mangels Betriebsstätte oder Hauptverwaltungssitzes in Freigericht dort keine
nennenswerten Anbindungen hat. Die geltend gemachte Unrichtigkeit der
Auslegung der Abschlussunterlagen gemäß § 175 Abs.2 AktG hat ebenfalls keine
große Bedeutung, nachdem die Beklagte bislang keine geschäftliche Tätigkeit
entwickelt hatte und in der Einladung auf den Ort der Auslegung hingewiesen
wurde. Ähnliches gilt auch für die vermisste Regelung zu Bezugsrechtsspitzen.
Der Kläger sowie die von ihm vertreten Aktionäre verfügten nur in ganz geringem
Umfang über Aktien der Beklagten, nämlich der Kläger über 47 Stück und die von
ihm vertretenen vier Aktionäre über zusammen fünf Aktien, jeweils mit einem
Kurswert von ca. 12,00 Euro. Das deutet jedenfalls darauf hin, dass der Kläger mit
der Teilnahme an der Hauptversammlung nicht nur wirtschaftliche
Aktionärsinteressen verband, schließt freilich aber nicht aus, dass es ihm um
sonstige legitime Belange ging, wie etwa Zeitvertreib, Aktionärsverpflegung oder
auch nur Selbstdarstellung.
Der Kläger führte in der Vergangenheit schon eine Vielzahl aktienrechtlicher
Verfahren, allein beim Senat in den letzten Jahren sind – gerichtbekannt und
mündlich erörtert - sieben Verfahren geführt worden, in denen er als Kläger oder
Streithelfer beteiligt war. In der Baums-Studie (Baums/Keinath/Gajek, Fortschritte
bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse, 2007, S. 16) ist der Kläger als
Mehrfachkläger für den Zeitraum 1.11.2005 bis Mitte 2007 mit 15 Klagen und drei
Nebeninterventionen erfasst. Von den 15 Klagen erfassten 13 Klagen
eintragungsbedürftige Beschlussfassungen und in 11 Fällen hiervon kam es zu
einem Vergleich (Baums, wie vor, S.38). Die B GmbH, an der der Kläger zu 45%
beteiligt ist, hatte im gleichen Zeitraum 17 Klagen und 6 Nebeninterventionen
(Baums, S. 18), von denen in 16 Fällen eine sogenannte Hebelwirkung bestand
und 15 durch Vergleich beendet wurden. Diese in der Berufungsverhandlung
offengelegten Zahlen deuten dahin, dass der Kläger planmäßig Einkünfte aus
aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren bezieht, selbst wenn, was zu unterstellen
ist, seine Klagen in allen diesen Rechtstreitigkeiten begründet gewesen wären.
Dass der Kläger nach seiner unwiderlegten Darstellung mit den zahlreichen
früheren Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, politisch motiviert, zur
Verbesserung der Rechte der Kleinaktionäre gegenüber wirtschaftlich mächtigeren
Aktiengesellschaften beitragen will, kann als mitschwingendes Motiv unterstellt
werden. Das schließt es nicht ausreichend aus, dass der Kläger zugleich in der
Absicht der Bereicherung handelte. Es bestehen angesichts der hohen Zahl von
Verfahren mit Hebelwirkung erhebliche Zweifel, dass aus dem Allgemeinwohl oder
dem Aktionärswohl motivierte Beweggründe im Vordergrund stehen.
Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen
wohlhabenden Unternehmer – "Z4" – handelt. Einen Grundsatz, wonach einer
wohlhabenden Person unredliches Verhalten nicht oder nicht so leicht zuzutrauen
ist wie einer bedürftigen, gibt es nicht.
In der Gesamtabwägung lässt der Senat sich leiten von dem raschen Zugriff des
Klägers auf den ihm angebotenen Vergleich, der auf der Grundlage der vielfachen
Prozesstätigkeit des Klägers einem plangemäßem Vorgehen entspricht, während
die in der mündlichen Verhandlung betonten edlen Motive vorgeschoben sind oder
nur beiläufig erscheinen. Dass durch solcherlei Aktionärsverhalten beträchtlicher
Schaden nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch für den
Wirtschaftsstandort entsteht, hat das Beweismaß nicht beeinflusst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidungen zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr.10 und 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO
nicht gegeben sind. Die Voraussetzungen einer missbräuchlichen
nicht gegeben sind. Die Voraussetzungen einer missbräuchlichen
Anfechtungsklage sind höchstrichterlich geklärt. Im Übrigen geht es um eine
einzelfallbezogene Beweiswürdigung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.