Urteil des OLG Frankfurt vom 08.12.2010

OLG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, beweis des gegenteils, beweiskraft, postsendung, zustellung, form, urkunde, gegenbeweis, quelle, aserbaidschan

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 1152/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 37 StPO, § 182 ZPO, § 416
ZPO, § 418 ZPO
Leitsatz
1. Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erstreckt sich darauf, dass die
Postsendung dem in der Urkunde bezeichneten Empfänger übergeben wurde.
2. Durch eine Berichtigung, welche in Form eines in unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang mit der Zustellung vom Postzusteller gefertigten und von ihm
unterzeichneten Randvermerks erfolgt, wird die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde
nicht beeinträchtigt.
Tenor
Die Beschwerde wird aus den im Ergebnis zutreffenden Gründen der
angefochtenen Entscheidung auf Kosten des Angeklagten (§ 473 I StPO)
verworfen.
Gründe
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Die Kammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Schreiben des
Angeklagten vom 14.10.2010 als Berufung auszulegen ist. Das Amtsgericht ist
nach § 231 II StPO verfahren. Gegen das in Abwesenheit des Angeklagten
verkündete Urteil vom 04.8.2010 waren deshalb nur die Berufung und die Revision
gegeben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend § 235 StPO,
die im Begehren des Verurteilten nach einer „Chance zur Äußerung“ auch noch
erblickt werden könnte, ist hingegen ausgeschlossen (vgl. BGHSt 10, 304; Meyer-
Goßner, StPO, 53. Aufl., § 235 Rn 10; Gmel, in: KK-StPO, 6. Aufl., § 231 Rn 14;
Becker, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn 37).
Die Kammer ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass die Berufungsfrist
versäumt wurde. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde
wurde das Urteil dem Angeklagten am 10.09.2010 durch Übergabe an ihn
zugestellt, so dass die einwöchige Frist (§ 314 II StPO) mit Ablauf des 17.09.2010
verstrichen und das erst am 18.10.2010 bei Gericht eingegangene Rechtsmittel
vom 14.10.2010 verspätet ist.
Soweit dem Schreiben des Angeklagten vom 14.10.2010 in Verbindung mit den in
den Vermerken vom 22.09.2010 und 14.10.2010 niedergelegten Äußerungen
seiner Ehefrau zu entnehmen sein sollte, dass er geltend machen will, er sei am
Zustellungstag in Aserbaidschan gewesen, so dass entgegen der
Postzustellungsurkunde eine Übergabe der Postsendung nicht an ihn, sondern
(allenfalls) an seine Ehefrau erfolgt sei, er habe vielmehr erst bei seiner Rückkehr
am 11.10.2010 von deren Inhalt Kenntnis genommen, kann er hiermit keinen
Erfolg haben. Träfe diese Behauptung zu, wäre zwar von der Unwirksamkeit der
Zustellung auszugehen (vgl. OLG Karlsruhe, MDR 1976, 161; Maul. in: KK-StPO, 6.
Aufl., § 37 Rn 26; Meyer-Goßner, § 37 Rn 26) und der Mangel gem. §§ 37 StPO, 189
ZPO erst am 11.10.2010 geheilt worden, so dass Berufungseinlegung rechtzeitig
wäre. Von der Richtigkeit der Behauptung kann indes nicht ausgegangen werden.
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Die Beweiskraft der ordnungsgemäß ausgefüllten und vom Zusteller
unterzeichneten Zustellungsurkunde (§§ 415, 418 I StPO) erstreckt darauf, dass
die Postsendung dem Adressaten übergeben wurde (vgl. Senat, Beschl. v.
16.02.2009 – 3 Ws 141/09 mwN). Durch die ebenfalls am 19.10.2010, also noch in
unmittelbar zeitlichem Zusammenhang mit der Zustellung und vor Rückleitung
der Urkunde an das Gericht (vgl. BGH, NJW 1990, 176 [177]) in Form eines vom
Zusteller unterzeichneten Randvermerks und damit formgerecht erfolgte (vgl.
Roth, in: Stein/Jonas ZPO, 22. Aufl. § 182 Rn 3; Häublein, in: MüKo-ZPO, 3. Aufl., §
182 Rn 3; Stöber, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 182 Rn 20 – jew. mwN) Berichtigung
wird die Beweiskraft nicht beeinträchtigt (vgl. BGH, DNotZ 1956, 643; NJW 1994,
2768; Geimer, in Zöller aaO, § 419 Rn ; Leipold, in: Stein/Jonas aaO § 419 Rn 2 –
jew. mwN). Der Gegenbeweis ist zwar zulässig (§ 418 II ZPO). Hierzu ist indes der
Beweis des , d.h. der Unrichtigkeit der dem Gericht vorliegenden
Zustellungsurkunde erforderlich (BVerfG, NJW-RR 2002, 1008; Meyer-Goßner, § 37
Rn 27; Maul, § 37 Rn 26 a.E. – jew. mwN.). Dieser kann nur dadurch geführt
werden, dass ein Sachverhalt vorgetragen und bewiesen wird, der zur
Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten
Tatsache ausschließt (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 20.1.1997 – 3 Ws
27/97 und v. 18.8.2000 –3 Ws 780/00).
Vorliegend erscheint bereits zweifelhaft, ob ein der Zustellungsurkunde
widersprechender Sachverhalt bestimmt genug behauptet wird. Jedenfalls fehlt es
am substantiierten Antritt des Gegenbeweises (vgl. hierzu BVerfG und Senat jew.
aaO). Allein durch die schlichte Erklärung des Verurteilten, er habe die Sendung
erst am 11.10.2010 erhalten, ist dieser Gegenbeweis jedenfalls nicht geführt (vgl.
Senat, Beschl. v. 15.02.2000 –3 Ws 153/00 und v. 08.06.2000 –3 Ws 243/00; s.
auch Senat, NJW 1996, 3159).
Das Wiedereinsetzungsgesuch kann ebenfalls keinen Erfolg haben. Denn es wird
auf den nämlichen Sachverhalt gestützt, namentlich die (dem Vorbringen des
Angeklagtem und seiner Ehefrau allenfalls zu entnehmenden) Behauptung, der
Angeklagte sei am Zustellungstage ortsabwesend gewesen und habe das Urteil
erst am 11.10.2010 erhalten, wofür – was zur Unzulässigkeit des Gesuchs führt -
keine Mittel zur Glaubhaftmachung angeboten werden und was überdies durch die
Zustellungsurkunde widerlegt wird.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.