Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.01.2011

OLG Düsseldorf (sachsen, anhalt, ausschreibung, apotheker, antrag, wirkung, vergabeverfahren, umsetzung, gefahr, abschluss)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 3/11
Datum:
17.01.2011
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 3/11
Tenor:
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden
Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 3.
Vergabekammer des Bundes vom 02. Dezember 2010 (VK 3-120/10)
wird zurückgewiesen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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I.
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Die Antragsgegnerinnen, vertreten durch die Antragsgegnerin zu 1., schrieben im
September 2010 den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von
saisonalen Grippeimpfstoffen der Impfsaison 2011/2012 durch Apotheken zwecks
Versorgung von Ärzten im Lande Sachsen-Anhalt europaweit im offenen Verfahren aus.
Der Gesamtauftrag war in 3 Gebietslose aufgeteilt. Die Antragstellerin leitete nach
erfolgloser Rüge ein Vergabenachprüfungsverfahren ein. Die Vergabekammer hat den
Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
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Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, verbunden mit einem
Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB. Die Antragsgegnerinnen sind dem entgegen
getreten.
4
II.
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Der zulässige Antrag der Antragstellerin gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB hat keinen
Erfolg, denn ihre sofortige Beschwerde ist voraussichtlich unbegründet.
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1.
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Die Rüge der Antragstellerin, die öffentlichen Krankenkassen seien nach dem SGB V
nicht berechtigt, über Grippeimpfstoffe mit Apotheken Verträge abzuschließen, auch der
durch das AMNOG mit Wirkung zum 01. Januar 2011 als § 132e Abs. 2 SGB V
eingefügte Regelung sehe lediglich den Abschluss von Verträgen der Krankenkassen
mit pharmazeutischen Unternehmen vor, ist im Vergabenachprüfungsverfahren
unbeachtlich.
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Wie die Vergabekammer zu Recht ausgeführt hat, wird im
Vergabenachprüfungsverfahren nicht überprüft, ob das Beschaffungsvorhaben aus
anderen als vergaberechtlichen Gründen rechtmäßig ist oder nicht. Die Entscheidung
der Vergabestelle, eine bestimmte Beschaffung vorzunehmen, ist dem
Vergabeverfahren vorgelagert. Im Vergabenachprüfungsverfahren wird lediglich die
Umsetzung dieser Entscheidung anhand der vergaberechtlichen Vorgaben kontrolliert.
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Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob ein Vergabenachprüfungsverfahren,
das auf die generelle Unzulässigkeit einer Vergabe der fraglichen Art gestützt wird,
überhaupt zulässig ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.10.2010, Verg W
12/10).
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2.
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Die Ausschreibung verstößt auch nicht gegen § 8 Abs. 1 EG VOL/A. Dabei kann offen
bleiben, ob diese Vorschrift weiterhin das dort nicht mehr ausdrücklich aufgeführte
Verbot der Überwälzung ungewöhnlicher Wagnisse (§ 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006)
enthält oder nicht. Die Wagnisse sind anhand der bisherigen Praxis bei vorherigen
Ausschreibungen nämlich kalkulierbar.
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Bei dieser Frage können – insoweit ist der Antragstellerin im Ansatzpunkt Recht zu
geben – auch Rechtsfragen des SGB V eine Rolle spielen. Dennoch stellen sich die
von ihr angeschnittenen Fragen – soweit es dieses Vergabeverfahren betrifft – letztlich
nicht.
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Von einer "rechtlichen Exklusivität" der obsiegenden Apotheken gehen auch die
Antragsgegnerinnen in der Ausschreibung nicht aus. Auf die Tatsache, dass die
Vereinbarung nur mittelbar über das Gebot der wirtschaftlichen Verordnungsweise und
Hinweisen der Krankenkassen auf preisgünstige Bezugsquellen nach § 73 Abs. 8 S. 1
SGB V durchgesetzt werden kann (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom
30.06.2010 – L 10 KR 38/10 B ER), weist die Ausschreibung ausdrücklich hin. Der
Umsetzungsgrad dieses Hinweises bei den bisherigen Ausschreibungen lässt sich bei
der Kalkulation ohne Weiteres berücksichtigen, zumal nichts dafür ersichtlich ist, dass
während der Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrages Vorstößen zur Verhinderung der
Umsetzung des Vertrages angesichts der bisherigen Rechtsprechung des LSG
Sachsen-Anhalt Erfolg beschieden sein wird (vgl. Scharen, GRUR 2009, 345, 347).
Auch das LSG NRW (Beschluss vom 24.08.2009 – L 21 KR 45/09 SFB) meint unter
Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 13.09.2005 – 2 BvF 2/03),
einer besonderen Ermächtigungsgrundlage für den Abschluss öffentlich-rechtlicher
Verträge bedürfe es nicht.
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Auch der Abschlag nach § 130a Abs. 2 SGB V n.F. kann einkalkuliert werden.
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3.
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Die Ausschreibung verstößt auch nicht gegen das in Art. 32 Abs. 2 UA 5 der Richtlinie
2004/18/EG enthaltene Missbrauchsverbot.
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a) Allerdings gilt die Bestimmung weiterhin, auch wenn eine ausdrückliche Umsetzung
der Vorschrift in § 4 EG VOL/A – anders als früher in § 3a Nr. 4 Abs. 2 VOL/A 2006 –
nunmehr fehlt (vgl. Zeise, in Kulartz/Marx/Prieß, VOL/A, 2. Aufl., § 4 EG Rdnr. 24).
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b) Ein Missbrauch kann auch in der kartellrechtlich unzulässigen Nachfragebündelung
liegen (vgl. Zeise, a.a.O., Rdnr. 28). Eine solche liegt aber letztlich noch nicht vor (zu
den besonderen Problemen bei der kartellrechtlichen Überprüfung von Nachfragemacht
s. Hintergrundpapier des Bundeskartellamts zur Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht
am 18. September 2008, abrufbar über www.bundeskartellamt.de/veranstaltungen).
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Im Ansatzpunkt zu Recht weist die Antragstellerin zwar auf die durch die
Nachfragebündelung jedenfalls längerfristig grundsätzlich bestehende Gefahr der
erheblichen Marktverengung hin. Da der weit überwiegende Teil der Bevölkerung
Sachsen-Anhalts bei den Antragsgegnerinnen versichert ist, wird die Ausschreibung
dazu führen, dass der Bedarf an Grippeimpfstoffen in Sachsen-Anhalt in erheblichem
Umfange bei den Gewinnern der Ausschreibung gedeckt werden wird. Eine Chance,
Grippeimpfstoffe liefern zu können, werden andere Apotheken in Sachsen-Anhalt nur
dann noch haben, wenn Ärzte in Sachsen-Anhalt sich von den Hinweisen der
Antragsgegnerinnen auf eine fehlende Wirtschaftlichkeit anderer Bezugsquellen mit
höheren Preisen nicht beeindrucken lassen oder wenn es um Impfstoffe für
Privatpatienten oder gegebenenfalls von Kassenpatienten, die nicht bei den
Antragsgegnerinnen versichert sind (z.B. wegen Wohnsitzes in benachbarten Ländern),
sowie um Patienten von Ärzten mit Sitz außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt geht.
Außerdem kann ein Apotheker zu den Vertragspreisen liefern, da dann die von den
Antragsgegnerinnen geltend gemachten Gründe für eine Unwirtschaftlichkeit eines
anderweitigen Bezuges nicht gelten; allerdings werden derartige Apotheken
Mengenrabatte wie die Ausschreibungsgewinner nicht erzielen können. Je nach der Art
der geforderten Eignungsnachweise besteht grundsätzlich auch die Gefahr der
Entstehung eines Hoflieferantentums, weil bei längerfristigen oder wiederholten
Verträgen dieser Art andere Apotheken als die bisher erfolgreichen Bieter nicht mehr in
der Lage sein werden, die notwendigen Erfahrungen und Referenzen vorzuweisen. Das
birgt nicht nur Gefahren für die Marktstrukturen in sich, sondern ist auch langfristig nicht
im Interesse der Antragsgegnerinnen, die dann auf wenige Anbieter angewiesen sind.
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Unzulässige kartellrechtliche Wirkungen sind gegenwärtig aber noch nicht
anzunehmen.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Markt auch ohne die beanstandeten Verträge
massiv gestört ist, und zwar zu Lasten der Antragsgegnerinnen. Die Entscheidung,
welcher Impfstoff welchen Unternehmens bei welcher Apotheke zu welchem Preis
erworben wird, wird nicht von den Antragsgegnerinnen, sondern von den Ärzten
getroffen. Die Ärzte wiederum haben grundsätzlich kein Interesse daran, die
Angemessenheit des Preises zu prüfen, weil sie ihn nicht zu bezahlen haben.
Preisvergleiche werden zudem durch – tatsächlich vorhandene oder auch nur geltend
gemachte – Unterschiede zwischen den einzelnen Mitteln erschwert. Da die Kosten –
von unwirtschaftlichen Verschreibungen abgesehen – auf Dritte übergewälzt werden
können, besteht für die Nachfrager grundsätzlich kein Anreiz für echte
Preisverhandlungen (vgl. BGH NJW 2005, 51, 53 zum insoweit parallelen Problem der
Unfallersatztarife nach Verkehrsunfällen). Die Ermittlung fiktiver Marktpreise stößt – wie
der Senat in seiner Eigenschaft als Kartellsenat weiß – auf erhebliche Schwierigkeiten.
Von daher ist das Ansinnen der Antragsgegnerinnen, den durch derartige
Marktstörungen verursachten überhöhten Preisen entgegen zu treten, nicht zu
beanstanden.
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Zudem ist der Markt für den Absatz von Grippeimpfmitteln in Sachsen-Anhalt
verhältnismäßig klein (lediglich etwa 17 bis 18 Mio. € je Jahr) und macht auch nur einen
geringen Umsatzanteil der dortigen Apotheken (etwa 1 %) aus. Wegen der
Kleinräumigkeit Sachsen-Anhalts und des guten Verkehrsnetzes besteht auch die
Chance für die anderen Apotheker, Lieferungen in benachbarte Bundesländer
vornehmen zu können. Die Gefahr einer Marktverengung haben die
Antragsgegnerinnen dadurch abgemildert, dass die Laufzeit des Rahmenvertrages nur 1
Jahr beträgt und 3 Gebietslose gebildet wurden. Angesichts der geringen
Bevölkerungszahl Sachsen-Anhalts und seiner Kleinräumigkeit sowie der geringen
Umsätze ist dies zunächst ausreichend, zumal die Apotheken – wie bereits die Bildung
von nur 3 Gebietslosen zeigt – ersichtlich nicht nur im engeren räumlichen Bereich um
den Apothekensitz, sondern auch weiträumiger zu liefern in der Lage sind. Für eine
Verkrustung der Marktstrukturen durch das Ausschreibungsverhalten der
Antragsgegnerinnen ist bisher nichts ersichtlich.
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Der Senat weist vorsorglich für zukünftige Ausschreibungen dieser Art darauf hin, dass
die Antragsgegnerinnen die wettbewerblichen Folgen ihrer bisherigen Ausschreibungen
zu beobachten haben. Insbesondere ist zu untersuchen, ob die bisherigen
Vertragspartner einen derartigen Erfahrungsvorsprung erhalten, der von Dritten kaum
wieder eingeholt werden kann und ob andere Apotheken, auch solche außerhalb
Sachsen-Anhalts, sich noch realistischerweise langfristig an solchen Ausschreibungen
beteiligen können. Gegebenenfalls ist zu erwägen, ob sich nicht ähnliche
Einsparsummen zukünftig auf dem Wege des nunmehr geltenden § 132e Abs. 2 SGB V
und entsprechender Anpassung der Apothekenabgabepreise erzielen lassen. Derartige
Verträge, auch wenn sie wiederum von den Antragsgegnerinnen gemeinsam
abgeschlossen werden sollten, könnten möglicherweise deshalb kartellrechtlichen
Bedenken nicht so stark ausgesetzt sein, weil der Herstellermarkt bundesweit
abzugrenzen ist, auf dem die Antragsgegnerinnen nicht marktbeherrschend sind,
während der Bereich, in dem Apotheken zu liefern in der Lage sind, wohl enger
abzugrenzen sein dürfte.
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4.
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Die Vergabebedingungen sind auch nicht deswegen zu beanstanden, weil die
bietenden Apotheken ihrerseits gezwungen wären, ein Vergabeverfahren
durchzuführen. Unabhängig davon, welche vergaberechtlichen Folgen dies für die
angegriffene Ausschreibung hätte, ist dies nämlich nicht der Fall.
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Der Apotheker ist kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB. Er handelt
auch nicht als mittelbarer Stellvertreter der Antragsgegnerinnen. Die Verträge, die der
Apotheker mit den pharmazeutischen Unternehmen bzw. dem Großhandel schließen
muss, schließt er nicht auf Rechnung der Antragsgegnerinnen ab. Welche Preise der
Apotheker mit seinem Lieferanten vereinbart, ist für die Antragsgegnerinnen
unerheblich. Anders wäre es nur dann, wenn der Bieter die Lieferantenpreise zuzüglich
eines – absolut oder relativ bestimmten Zuschlages – an die Antragsgegnerin
weitergeben dürfte; das ist nach den Ausschreibungsunterlagen nicht der Fall.
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5.
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Damit kommt es auf die Frage, ob den Antragsgegnerinnen bei einer Verlängerung der
aufschiebenden Wirkung Einsparpotential entging und ob dies in eine Abwägung
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einzustellen wäre, nicht mehr an.
III.
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Eine Kostenentscheidung ist in diesem Verfahrensstadium nicht veranlasst.
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Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, eine etwaige Auftragserteilung unverzüglich
mitzuteilen.
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Der Antragstellerin wird aufgegeben, anschließend mitzuteilen, ob – und wenn ja – mit
welchem Antrag das Beschwerdeverfahren fortgeführt werden soll.
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Schüttpelz Frister Rubel
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