Urteil des OLG Düsseldorf vom 25.09.2008

OLG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, öffentlicher auftrag, auftragsvergabe, vertragsschluss, dringlichkeit, asylbewerber, asylg, ausführung, unterzeichnung, zuschlagserteilung

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 57/08
Datum:
25.09.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 57/08
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den
Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom
25. August 2008, VK 14/08, wird bis zur Entscheidung über die sofortige
Beschwerde verlängert.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der
Vergabekammer Arnsberg ist nach vorläufiger Prüfung bis zur endgültigen
Entscheidung über die sofortige Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zu
verlängern. Bei seiner Entscheidung über den Antrag nach Absatz 1 Satz 3
berücksichtigt das Gericht die Erfolgsaussichten der Beschwerde. Die Beschwerde der
Antragstellerin ist voraussichtlich begründet.
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Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht voraussichtlich nicht entgegen, dass
die Antragsgegnerin und die Beigeladene einen bis zum 30. April 2009 währenden
Vertrag über die Bewirtschaftung der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge
geschlossen haben (§ 114 Abs. 2 GWB). Der Vertragsschluss ist nicht wirksam erfolgt (§
134 BGB). Der auf den Interimsvertrag erteilte Zuschlag ist in entsprechender
Anwendung des § 13 Satz 6 VgV nichtig, denn die Antragsgegnerin hat nach
vorangegangenem aufgehobenen förmlichen Vergabeverfahren eine freihändige
Vergabe nur mit der Beigeladenen durchgeführt, ohne die an dem Auftrag interessierten
Bieter an der freihändigen Vergabe zu beteiligen und diese über den beabsichtigten
Vertragsschluss mit der Beigeladenen nach § 13 Satz 1 VgV 14 Tage vor
Vertragsschluss schriftlich zu unterrichten. § 13 Satz 6 VgV findet nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechende Anwendung auch auf nicht
förmliche Verfahren, an denen mehrere Bieter beteiligt waren. Darüber hinaus findet die
Vorschrift auch entsprechende Anwendung, wenn nach vorgegangenem aufgehobenen
förmlichen Verfahren, an dem mehrere Bieter teilgenommen haben, ein
Verhandlungsverfahren mit nur einem einzigen Bieter durchgeführt wird (vgl. OLG
Dresden, Beschl. v. 25.1.2008, WVerg 0010/07, VergabeR 2008, 567 m. Anm.
Herrmann; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.2.2004, Verg 78/04, VergabeR 2005, 503 und
Verg 85/04, NZBau 2005, 508). Die Antragstellerin hat ihr Interesse an der Vergabe des
Auftrags (und damit auch an einem Interimsvertrag) schon dadurch dokumentiert, dass
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sie im offenen Verfahren die Verdingungsunterlagen angefordert und ein Angebot
abgegeben hat. Der entsprechenden Anwendung des § 13 Satz 6 VgV steht auch nicht
entgegen, dass der Auftrag zeitlich begrenzt ist, nämlich nur bis zum 30. April 2009 von
der Beigeladenen ausgeführt werden soll. Denn es besteht eine Identität zwischen den
jeweils den Auftragsgegenstand bildenden, vom Bieter zu erbringenden
Dienstleistungen nach Art und Umfang. Der zu vergebende Auftrag fällt zudem in den
sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB
(öffentlicher Auftrag, § 99 Abs. 1, 4 GWB; öffentlicher Auftraggeber, § 98 Nr. 2GWB;
Schwellenwert, § 100 GWB) und der Richtlinie 2004/18/EG. Die Richtlinie 2004/18/EG
und das GWB kennen auch keine Bereichsausnahme für sogenannte Interimsaufträge.
Die Antragstellerin wurde wahrscheinlich dadurch in Rechten verletzt, dass eine
freihändige Vergabe ohne ihre Beteiligung und ohne ihre Unterrichtung über die
beabsichtigte Zuschlagerteilung durchgeführt worden ist. Zwar sieht § 3 Nr. 4 f) VOL/A
vor, dass eine freihändige Vergabe erfolgen kann, wenn die Leistung besonders
dringlich ist. Die die Dringlichkeit auslösenden Umstände dürfen auf keinen Fall dem
Verhalten des Auftraggebers zuzurechnen sein oder aus seiner Sphäre stammen. Eine
besondere Dringlichkeit der Auftragsvergabe könnte zwar daraus folgen, dass die
Antragsgegnerin Aufgaben der Daseinsvorsorge für Asylbewerber nach dem AsylG zu
erfüllen hat, auch wenn sie im Übrigen die Eilbedürftigkeit der Auftragsvergabe infolge
eines zu späten Beginns und der Aufhebung des förmlichen Vergabeverfahrens wohl
selbst zu vertreten hat. Gleichwohl kann die besondere Dringlichkeit der
Auftragsvergabe nicht dazu führen, dass der Wettbewerb um den Interimsauftrag
eingeschränkt wird, indem nur ein einziger von mehreren interessierten Bieter in die
Verhandlungen einbezogen wird.
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Nach § 118 Absatz 2 Satz 2 GWB lehnt das Gericht den Antrag ab, wenn unter
Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses
der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen
Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die
damit verbundenen Vorteile überwiegen. Vorrangiges Entscheidungskriterium ist
danach die Erfolgsaussicht der Beschwerde. Das bedeutet, dass auf den Antrag nach
§ 118 GWB die aufschiebende Wirkung zu verlängern ist, wenn die sofortige
Beschwerde des Antragstellers Aussicht auf Erfolg hat. In diesem Fall kann das
öffentliche Interesse an der Zuschlagserteilung die Interessen des Bieters am Erhalt des
Zuschlags nicht überwiegen. Das öffentliche Interesse an der Auftragserteilung kann
jedenfalls im Streitfall nicht damit begründet werden, dass die Antragsgegnerin ihre
gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen hat. Die Antragsgegnerin ist nicht gehindert, die
Leistungen für den noch verbleibenden Zeitraum zumindest ab November 2008 im
Wege der freihändigen Vergabe unter Beteiligung sämtlicher interessierter Bieter zu
vergeben. Das sagt noch nichts darüber aus, welcher der zu beteiligenden Bieter zur
Ausführung der kurzfristig zu übernehmenden Leistungen rechtlich und tatsächlich
geeignet sein wird.
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Bei dieser Sach- und Verfahrenslage ist die einstweilige Verlängerung der
aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde zur Sicherung eines effektiven
Rechtsschutzes für die Antragstellerin geboten.
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Dicks Richter am OLG Schüttpelz ist ortsabwesend und an der
Unterzeichnung verhindert. Dicks
Dieck-
Bogatzke
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