Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.09.2001
OLG Düsseldorf: letztwillige verfügung, vorerbe, erbschein, urkunde, testament, beweiswürdigung, tod, ergänzung, bauernhof, erblasser
Oberlandesgericht Düsseldorf, 3 Wx 223/01
Datum:
10.09.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Wx 223/01
Vorinstanz:
Landgericht Krefeld, 6 T 374/00
Tenor:
Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 2 bis 6 wird zurückge-wiesen.
Die Beteiligten zu 2 bis 6 haben dem Beteiligten zu 1 die durch ihr
Rechtsmittel im dritten Rechtszug notwendig ent-standenen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Wert des Beschwerdegegenstandes: Bis 1.000.000,- DM.
I.
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Die am 10. Februar 1999 verstorbene Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann
hatten einen bäuerlichen Betrieb mit etwa 50 Morgen Land, der nicht der Höfeordnung
unterfällt. Sie haben einander durch Vertrag vom 26. Januar 1962 zu Alleinerben
eingesetzt. Der Bauernhof stammt aus der Familie des Ehemannes. Nach dessen Tod
lebte die Erblasserin seit 1972 mit dem Beteiligten zu 1 in eheähnlicher
Lebensgemeinschaft auf dem Hof. Der Hof wurde mit Vertrag vom 01. November 1978
auf die Dauer von 18 Jahren verpachtet. Unter dem 24. Juli 1990 wurde der
Pachtvertrag unter bestimmten Bedingungen bis zum 31. Oktober 2014 verlängert
("Zwischen Frau G. T..., Herrn H. W... sowie Herrn D. L... wurde folgendes vereinbart:
...."). Bei den Beteiligten zu 2 bis 7 handelt es sich um die Geschwister der Erblasserin
und Geschwisterkinder.
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Unter dem 16. März 1980 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches, wie folgt
lautendes Testament:
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"Mein letzter Wille ist, dass H.H. W... nach meinem Tode als Erbe eingesetzt wird,
so lange er lebt." Bracht, den 16.03.1980 G... T...."
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Der Beteiligte zu 1 hat die Erteilung eines Erbscheines beantragt, der ihn als
Alleinerben ausweist.
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Die Beteiligten zu 2. bis 7. sind dem entgegen getreten und haben gemeint, nach dem
Testament sei der Beteiligte zu 1 nicht Alleinerbe, sondern nicht befreiter Vorerbe;
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Nacherben seien die gesetzlichen Erben der Erblasserin.
Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme am 17. August 2000 den Antrag des
Beteiligten zu 1 zurückgewiesen, weil dieser lediglich nicht befreiter Vorerbe der
Erblasserin und gemäß § 2104 BGB anzunehmen sei, dass ihre gesetzlichen Erben
Nacherben seien.
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Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt.
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Das Landgericht hat nach weiterer Beweisaufnahme am 09. April 2001 den
amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, dem
Beteiligten zu 1 einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein zu erteilen.
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Letzteres ist am 13. Juni 2001 geschehen.
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Hiergegen richten sich die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 2 bis 6. Sie
beantragen die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses, Kraftloserklärung des
Erbscheins und (im Wege einstweiliger Anordnung) dem Beteiligten zu 1 aufzugeben,
sich jeglicher Verfügung über den Nachlass zu enthalten und den Erbschein
unverzüglich an das Amtsgericht Nettetal zurückzugeben.
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Der Beteiligte zu 1 tritt dem entgegen.
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Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
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II.
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Die gemäß §§ 20, 27, 29 FGG zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet. Denn
die nach Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung vom Landgericht erteilte,
inzwischen vollzogene, Anweisung, dem Beteiligten zu 1 einen ihn als Alleinerben
ausweisenden Erbschein zu erteilen, beruht nicht auf einer Verletzung gesetzlicher
Vorschriften (§§ 27 FGG, 550 ZPO).
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1.
Erblasserin vom 16. März 1980 Alleinerbe geworden. Die Formulierung "...so lange er
lebt" könne als Beschränkung der Erbenstellung des Beteiligten zu 1 im Sinne der
Anordnung einer Nacherbschaft verstanden werden, jedoch müsse ihr eine solche
Bedeutung nicht beigemessen werden. Liege daher eine mehrdeutige und
auslegungsfähige letztwillige Verfügung vor, so seien bei der gebotenen Ermittlung des
wirklichen Willens der Erblasserin alle auch außerhalb der Urkunde liegenden
Umstände heranzuziehen, soweit sie Rückschlüsse auf den Willen der Erblasserin zum
Zeitpunkt der Niederlegung der Verfügung zulassen. Hiernach sei der Formulierung
nicht zu entnehmen, dass die Erblasserin nach der Einsetzung des Beteiligten zu 1 als
Alleinerben die Weitergabe des Erbes an dritte Personen angeordnet und zu deren
Sicherung die für den Vorerben gesetzlich vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen
der §§ 2113 ff. BGB dem Beteiligten zu 1 habe auferlegen wollen. Dem Wortlaut lasse
sich eine derartige Einschränkung nicht eindeutig entnehmen. Die Umstände legten
vielmehr die Annahme nahe, dass die Erblasserin mit der Formulierung "so lange er
lebt" die wirtschaftliche Absicherung ihres Lebensgefährten im Auge gehabt habe. So
decke sich der von dem Beteiligten zu 1 im Schriftsatz vom 24.09.1999 bekundete Wille
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der Erblasserin, durch den Zusatz "so lange er lebt" die Alleinerbenstellung des
Beteiligten zu 1 zu unterstreichen, mit dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, das
auf eine Ergänzung der Urkunde durch die Erblasserin um diesen Zusatz schließen
lasse. Weder dem Testament noch der schriftlichen Äußerung des Beteiligten zu 1 im
Schreiben vom 10.05.1999 ("Ich sollte auf jedenfall hier weiter leben und arbeiten, und
den Hof nicht verkaufen, sondern an einen Verwandten weiter vererben.") lasse sich
entnehmen, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die
Vorstellung gehabt habe, dass ihr damals nicht bekannte Personen (gesetzliche Erben
zum Zeitpunkt des Nacherbfalls, § 2104 BGB) Nacherben werden sollten. Wie die
Beweisaufnahme (Zeugen C..., H... und O...) ergeben habe, habe die Erblasserin stets
erklärt, dass der Beteiligte zu 1 Alleinerbe sein sollte ("der H... bekommt sowieso alles").
Soweit aber der Erblasser von "Alleinerbe" spreche, sei in der Regel – so auch hier -
davon auszugehen, dass die Erbschaft dem eingesetzten Erben endgültig verbleiben
soll. Vor diesem Hintergrund habe die Kammer keinen Zweifel daran, dass der
Beteiligte zu 1 Alleinerbe und nicht lediglich Vorerbe oder gar nicht befreiter Vorerbe
habe werden sollen.
Diese Erwägungen halten der dem Senat obliegenden rechtlichen Nachprüfung stand.
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2.
ist, ausschließlich Sache des Tatrichters. Die tatrichterliche Auslegung von
Willenserklärungen bindet das Rechtsbeschwerdegericht, solange sie nach den
Denkgesetzen und der feststehenden Erfahrung möglich ist – sie muss nicht zwingend
sein - , mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht und alle wesentlichen
Tatsachen berücksichtigt (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG 14. Auflage 1999 § 27 Rdz. 48
mit Nachw.). Diese Grundsätze gelten auch und insbesondere für die Auslegung von
Testamenten, bei denen die speziellen gesetzlichen Auslegungsregeln zu beachten
sind und deren Anwendung nachzuprüfen ist.
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3.
könnte, ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführer haben derartige
entscheidungsrelevante Rechtsverletzungen nicht aufgezeigt.
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a)
Beteiligten zu 1 lediglich als nicht befreiten Vorerben einsetzen und den weiteren
Beteiligten bzw. ihren Rechtsnachfolgern die Stellung von Nacherben einräumen wollte,
sprechen weder zwingend der Wortlaut noch eine auf festgestellten Umständen
basierende Sinngebung. Der Zusatz "so lange er lebt" in der testamentarischen
Verfügung der Erblasserin sollte nach den rechtsfehlerfreien Ausführungen des
Landgerichts die Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 unterstreichen, nicht aber
durch Einsetzung weiterer Personen, insbesondere der übrigen Beteiligten,
einschränken. Für eine Willensinterpretation im Sinne der Kammer spricht zudem -
worauf der Beteiligte zu 1 zutreffend hinweist – die Altersstruktur der Beteiligten. Zur Zeit
der Testamentserrichtung am 13.03.1980 waren die Erblasserin nämlich 58 Jahre, der
Beteiligte zu 1 48 Jahre, der Beteiligte zu 2 etwa 66 Jahre, der Beteiligte zu 3 etwa 52
Jahre, der Beteiligte zu 4 etwa 62 Jahre, die Beteiligte zu 5 etwa 56 Jahre und der
Beteiligte zu 6 etwa 53 Jahre alt. Hiernach hätte die Erblasserin – folgt man den
Beschwerdeführern - den jüngsten Beteiligten zum Vorerben und die bei dessen Tod
noch lebenden älteren Beteiligten bzw. deren Kinder, ohne diese im Einzelnen
namentlich zu bezeichnen, zu Nacherben zu gleichen Anteilen einsetzen wollen. Dies
aber wäre in der Tat eine durchaus atypische Regelung. Hinzu kommt, dass die
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aber wäre in der Tat eine durchaus atypische Regelung. Hinzu kommt, dass die
Erblasserin in ihrer letztwilligen Verfügung nicht nach Hof- und Barvermögen
unterschieden hat. Dies hätte bei Annahme einer lediglich nicht befreiten Vorerbschaft
des Beteiligten zu 1 zur Folge, dass er z.B. verpflichtet wäre, das Geld für die zum
Zeitpunkt seines Todes noch lebenden (gesetzlichen) Nacherben mündelsicher
anzulegen, § 2119 BGB. Dass dies aber nicht der Wille der Erblasserin zum Zeitpunkt
der Testamentserrichtung war, ergibt sich indiziell zumindest auch aus der glaubhaften
Bekundung des unbeteiligten Zeugen C..., wonach der Beteiligte zu 1 nach dem
verlautbarten Willen der Erblasserin nicht nur als Alleinerbe, sondern auch über
"Verträge zugunsten Dritter" uneingeschränkt in den Genuss des auf den Konten bei der
Volksbank vorhandenen Geldvermögens der Erblasserin kommen sollte ("doppelt
gemoppelt").
b)
Beschwerdeführer mit Blick auf die von ihnen aufgezeigten Umstände, nicht zuletzt den
Inhalt des Schreibens des Beteiligten zu 1 vom 10.05.1999 ("Es war ihr Wunsch, das ich
ihr Erbe in ihrem Sinne weiterführen soll. Ich sollte auf jeden Fall hier weiter leben und
arbeiten, und den Hof nicht verkaufen, sondern an einen Verwandten weiter vererben.")
befürworten – möglicherweise zu einem den Beschwerdeführern günstigeren Ergebnis
hätte führen können. Insoweit ersetzen diese allerdings lediglich in unzulässiger Weise
die Beweiswürdigung der Kammer durch ihre eigene, ohne dass in diesem
Zusammenhang objektiviert ist, inwiefern die Vorinstanz die Beweise rechtsfehlerhaft
gewürdigt habe.
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Nach alledem kann die am Wortlaut und den erhobenen Beweisen orientierte mögliche
Auslegung der vorgenannten letztwilligen Verfügung durch das Landgericht, selbst
wenn sie nicht zwingend sein sollte, jedenfalls nicht aus Rechtsgründen beanstandet
werden.
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Der weiteren Beschwerde war hiernach der Erfolg zu versagen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.
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Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.
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