Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.06.2003

OLG Düsseldorf: geschäftsführender gesellschafter, zusatzversicherung, berufsbild, stress, lebensversicherung, beratervertrag, klinik, fax, markt, umstrukturierung

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-4 U 200/03
Datum:
10.06.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-4 U 200/03
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 9. August 2002 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter -
wird zurückgewiesen.
Der Urteilstenor wird zur Klarstellung wie folgt neu ge-fasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
1.
aus der Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
(Vers.-Nr. ...) beginnend ab dem 1. Oktober 1998 bis längstens zum 31.
August 2018 eine jährliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von
4.908,40 EUR (= 9.600 DM) in jeweils vierteljährlich im voraus zu
entrichtenden Teilbeträgen von 1.227,10 EUR (= 2.400 DM),
2.
aus der Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
(Vers.-Nr. ...) beginnend ab dem 1. Oktober 1998 bis längstens zum 31.
Juli 2017 eine jährliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 6.135,50
EUR (= 12.000 DM) in jeweils vierteljährlich im voraus zu entrichtenden
Teilbeträgen von 1.533,88 EUR (= 3.000 DM) und
3.
aus der Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
(Vers.-Nr. ...) beginnend ab dem 1. Oktober 1998 bis längstens zum 1.
Dezember 2018 eine jährliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von
9.355,11 EUR (= 18.297 DM) in jeweils vierteljährlich im voraus zu
entrichtenden Teilbeträgen von 2.338,78 EUR (= 4.574,25 DM)
zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die
Berufsunfähigkeitsrenten zuzüglich der sich je-weils ergebenden
Überschussbeteiligungen auszuzahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren
Urteilsbetrags abzuwenden, sofern nicht der Kläger seinerseits
Sicherheit in Höhe von 120 % der jeweils von ihm zu vollstreckenden
Summe lei-stet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten mehrere Lebensversicherungen mit jeweils
einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um
Leistungen aus drei 1982 (GA 62 i)), 1984 (GA 62 b)) und 1986 (GA 62 f))
abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen. In der Parallelsache 11 O
222/99 LG Düsseldorf = 4 U 199/02 OLG Düsseldorf (im folgenden: BA) streiten die
Parteien um Ansprüche aus einer weiteren Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aus
1996.
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Der Kläger hat behauptet, seit September 1998 (vgl. GA 4: "Entlassung aus dem
Krankenhaus in E...", das war der 9.9.1998, Hefter I Bl. 25 d. BA) wegen im Herbst 1997
sowie im Mai 1998 erlittener Hirninfarkte sowie wegen einer Herzerkrankung
berufsunfähig (Versicherungsbedingungen = BUZ vgl. GA 23 ff.) zu sein. Er habe seine
Berufstätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter der d... (= D... C... C...) GmbH
seitdem dauerhaft nicht mehr wahrnehmen können. Gegenstand seiner beruflichen
Tätigkeit in der der d... GmbH - die als persönlich haftende Gesellschafterin der d...
GmbH & Co KG fungierte (vgl. GA 524) - sei die Unternehmensberatung in Fragen
gewesen, welche neuen Medien sinnbringend nutzbar zu machen seien. Qualitatives
Hauptmerkmal seien seine Fähigkeit und sein Bemühen gewesen, immer auf dem
neuesten Stand der Entwicklung zu sein (vgl. Schreiben v. 18.12.1998, BA 159 ff., ferner
"Beschreibung einer willkürlichen Arbeitswoche", BA Bl. 354 ff.). Dem sei er nicht mehr
gewachsen, weil u. a. sein Kurzzeit-Gedächtnis schwer geschädigt sei und er wegen
der Herzerkrankung jegliche Belastungs- und Stress-Situation vermeiden müsse.
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Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von Berufsunfähigkeitsrenten in Höhe
von jeweils jährlich 9.600 DM, 12.000 DM sowie 18.297 DM verurteilt und überdies
festgestellt, dass die Beklagte auch zur Ausschüttung der Überschussanteile verpflichtet
sei. Wegen der Einzelheiten, insbesondere wegen der vom Landgericht getroffenen
Tatsachenfeststellungen, wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
4
Mit ihrer Berufung beanstandet die Beklagte, der Kläger habe seine Berufstätigkeit, wie
er sie zuletzt verrichtet gehabt habe, nach wie vor nicht substantiiert. Es bleibe offen,
womit sich der Kläger für die d... KG - außer der angeblichen und bestrittenen
Beratertätigkeit für die Landesregierung N...-W... und jedenfalls nach dem Auslaufen
dieser Beratertätigkeit (vgl. BA Bl. 463 ff.) - beschäftigt habe. Das Landgericht habe den
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Kläger nicht allein aufgrund von dessen Angaben im Rahmen seiner richterlichen
Anhörung (BA Bl. 514) als Berater in Sachen "neue Technologien" einstufen dürfen. Ihr,
der Beklagten, sei es wegen der jeder Konkretisierung entbehrenden Darstellung des
Klägers nicht möglich gewesen, sich im einzelnen mit den Behauptungen
auseinanderzusetzen. Das Landgericht habe den Kläger überdies zu Unrecht für
uneingeschränkt glaubwürdig gehalten. Auch sei die behauptete Berufsunfähigkeit nicht
bewiesen. Die in der Parallelsache eingeholten Gutachten (BA Bl. 369 ff. u. Bl. 394 ff.)
seien nicht aussagekräftig, weil die Gutachter sich nicht an einem zutreffenden und
konkreten Berufsbild des Klägers zu orientieren in der Lage gewesen seien. Schließlich
werde der Einwand der Leistungsfreiheit wegen Verletzung der
Mitteilungsobliegenheiten des § 10 BUZ, gestützt auf unzureichende Beschreibung des
Berufsbilds, aufrechterhalten.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt,
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die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Berufsunfähigkeitsrente
nur längstens bis zu den im angefochtenen Urteil genannten Endterminen begehrt
werde.
9
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
10
II.
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Die Berufung ist unbegründet.
12
Die Beklagte wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass das angefochtene Urteil die
Voraussetzungen für ihre Leistungsverpflichtung aus den streitgegenständlichen
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen für bewiesen gehalten hat. Die Feststellungen
des Landgerichts sind für den Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend. Konkrete
Anhaltspunkte nämlich, die Zweifel an der Richtigkeit insbesondere der Feststellung
erwecken, dass der Kläger ab 1. Oktober 1998 zu mindestens 50 % berufsunfähig ist,
sind nicht ersichtlich.
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Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das maßgebliche Berufsbild des
Klägers für ausreichend dargelegt und bewiesen erachtet hat. Der Kläger hat eine Fülle
von Unterlagen zu den Akten gereicht, die belegen, dass er ab August 1996 (vgl. BA 11
O 222/99 LG D'dorf. = I-4 U 199/02 OLG D'dorf., Hefter II Bl. 1 ff.) geschäftsführendes
Vorstandsmitglied der "T... N... AG" war. Dieses vom Land N...-W... initiierte
Unternehmen bot Beratungen und Qualifizierungsmaßnahmen "rund um Multimedia" an
(erwähnter Hefter Bl. 1 u. Bl. 22). Im Zuge der Umstrukturierung von "T... N... AG" in eine
GmbH übernahmen de facto der Kläger, de jure die vom Kläger betriebene d... GmbH &
Co. KG die Aufgabe, für die Übergangsphase die Kontinuität der Tätigkeiten zu wahren.
Dies ist belegt durch das Angebotsschreiben des Klägers vom 1. Juli 1997 (erwähnte
BA Hefter II Bl. 26) i.V.m. dem Beratervertrag vom 3./17. November 1997 (BA Bl. 464 ff.).
Die von der Beklagten nach wie vor bestrittene Authentizität des Beratervertrags lässt
sich dem Anschreiben der Staatskanzlei vom 25. Februar 2002 (BA Bl. 463) und der
durchlaufenden Fax-Kennung von Anschreiben und übersandtem Beratervertrag
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entnehmen.
Danach kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der Kläger von August
1996 bis zum Auslaufen des Beratervertrages, das auf vier Monate nach
Vertragsunterzeichnung am 3./17. November 1997 festgelegt war (BA Bl. 468), als
Unternehmensberater auf dem Gebiet der Multimedia-Techniken in herausgehobener
Funktion tätig war. Dies ist das Berufsbild, das sich mit gewisser Konstanz in der
Vergangenheit geprägt hatte und das für die Beurteilung der Berufsfähigkeit maßgeblich
ist. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob der Kläger seine
Beratungstätigkeiten im Rahmen des erwähnten Vertrags mit dem Land N...-W... im
wesentlichen bereits Mitte Januar 1998 abgeschlossen hatte, wie das Schreiben der
Staatskanzlei vom 25. Februar 2002 (BA Bl. 463) zu verstehen sein könnte. Für die
Folgezeit mag das Vorbringen des Klägers zu seiner weiteren beruflichen Tätigkeit
Fragen offenlassen. Das Landgericht führt aber zu Recht aus, dass es abwegig wäre
anzunehmen, der Kläger habe nach Abschluss der Arbeiten für die Landesregierung
eine anders geartete Tätigkeit verrichtet, die das Bild des von ihm ausgeübten Berufs zu
prägen geeignet gewesen wäre. Allenfalls hat der Kläger möglicherweise schon nach
dem im Schreiben der Staatskanzlei als Vertragsende genannten 15. Januar 1998,
vielleicht mangels entsprechender Aufträge, im wesentlichen nach außen gar nichts
getan. Dafür, dass sich der 1953 geborene Kläger Anfang 1998 dauerhaft aus nicht
gesundheitsbedingten Gründen zur Ruhe gesetzt haben würde, spricht nichts.
Demzufolge bleibt das bisherige Berufsbild maßgeblich.
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Nicht von der Hand zu weisen ist an sich die weitere Beanstandung der Beklagten, das
Bild, das der Kläger von seinen konkret ausgeübten Tätigkeiten gezeichnet habe, sei -
trotz vielfältiger Nachfrage - verschwommen und wenig fassbar geblieben. Dies ist
jedoch im vorliegenden Fall unschädlich, obgleich nach ständiger Rechtsprechung zur
zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit grundsätzlich ganz konkrete und detaillierte Angaben
zu machen sind (vgl. BGH VersR 1992, 1386 u. r+s 1996, 116; OLG Frankfurt NVersZ
1999, 419). Erst vor dem Hintergrund der konkreten Berufstätigkeiten kann
normalerweise der Stellenwert gesundheitlicher Beeinträchtigungen beurteilt werden.
Dies ist hier deshalb anders, weil - wie das Landgericht zu Recht und für den Senat
bindend (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) angenommen hat - die gesundheitlichen Defizite des
Klägers so gravierend sind, dass er keinerlei leitende Managerfunktion mehr auszuüben
in der Lage ist. Ist der Kläger jedweder Managertätigkeit schon ganz allgemein nicht
mehr gewachsen, bedarf es keiner Klärung der Verästelungen seines früheren
Tätigkeitsfelds. Dann scheiden nämlich auch Verweisungen auf sonstige adäquate, auf
gleichrangiger Ebene liegende Betätigungen aus, die der Versicherer im allgemeinen
nur auffinden kann, wenn er das genaue Berufsspektrum kennt. Hier käme eine anders
geartete Verweisung als eine solche auf Managerebene nicht in Betracht.
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Das Landgericht hat bindend festgestellt, dass der Kläger als Folge der von der
Neurologischen Klinik der Universität E... diagnostizierten (erwähnte BA Bl. 64 ff.) und
vom gerichtlichen Sachverständigen bestätigten (erwähnte BA Bl. 369/391) - vor
September 1998 erlittenen - Hirninfarkte nichts mehr tun kann, was in besonderem
Maße Gedächnis, Konzentration und Aufmerksamkeit sowie schnelle Reaktionen
erfordert. All das sind für hochrangige Managerfunktionen unabdingbare
Voraussetzungen. Ebensowenig kann ernstlich bezweifelt werden, dass der Kläger
jedenfalls ab September 1998 (erwähnte BA Hefter I Bl. 25) dauerhaft an einer
Belastungsinsuffizienz des Herzens leidet, wie das von der Beklagten selbst eingeholte
Gutachten der Medizinischen Klinik der Universtität M... vom 30. September 1999 (BA
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Hefter I Bl. 11 ff.) bestätigt. Wegen der Herzprobleme kann der Kläger Arbeiten mit
hohem Leistungsdruck, hohen Stresssituationen und ungeregelten, häufig wechselnden
Arbeitszeiten nicht mehr ausüben (BA Hefter I Bl. 23).
Diese dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen schränken die Fähigkeit zu
jedweder freiberuflich ausgeübten Beratungstätigkeit, bei der man es mit dem
Führungspersonal von Wirtschaftsunternehmen zu tun hat, entscheidend ein. Ein
Unternehmensberater, der auch akquirieren muss, ist zwangsläufig Stress und
unregelmäßigen Lebensverhältnissen ausgesetzt. Ein Unternehmensberater mit
verlangsamter Reaktion, Konzentrationsstörungen und Gedächtnislücken - Zustände,
die den inneren Stress noch zu steigern geeignet sind - hat auf dem Markt keine
Chance. Deshalb ist das auch von den gerichtlichen Gutachtern gezogene Fazit
einleuchtend, dass der Kläger keinerlei "Management-Aufgaben" mehr wahrnehmen
kann.
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Nach alledem ist die Beklagte auch nicht leistungsfrei wegen Verletzung der
Mitwirkungsobliegenheiten, welche die Beklagte darin sieht, dass der Kläger sein
früheres Tätigkeitsfeld nur unzulänglich geschildert und unbelegt gelassen habe. Wie
sich aus der Vereinbarung nur temporärer Leistungsfreiheit (§ 14 BUZ, GA 62 d) und GA
62 h); § 8 BUZ GA 62 k) R) im Falle der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten
ergibt, soll zugunsten des Versicherers dadurch nur gewährleistet sein, dass er erst zur
Leistung verpflichtet ist, sobald ihm die erforderlichen Beurteilungsgrundlagen zur
Verfügung stehen. Hier hätte auch die Beklagte weitergehenderer Informationen über
das Tätigkeitsfeld des Klägers aus den oben genannten Gründen nicht bedurft.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
20
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
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Berufungsstreitwert: 114.894,48 EUR (vgl. vorläufige Festsetzung des Senats vom 3.
Dezember 2002, GA 288).
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Dr. S... Dr. W... Dr. R...
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