Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.02.2010

OLG Düsseldorf (bisherige nutzung, zpo, beweisaufnahme, unterlassungspflicht, angebot, auslegung, festsetzung, gebrauchtwagen, zwangsvollstreckung, fahrzeug)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-W (Kart) 4/09
Datum:
17.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kartellsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VI-W (Kart) 4/09
Tenor:
I. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der
II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund vom 18. Juni
2009 aufgehoben und der Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines
Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft zurückgewiesen.
II. Die Gläubigerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Beschwerdewert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
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Die nach § 793 ZPO statthafte und auch im Übrigen gemäß § 569 ZPO zulässige
sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist begründet. Dem Antrag der Gläubigerin auf
Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 ZPO ist schon nach dem Ergebnis
der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu entsprechen.
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Nach dem am 28. Juli 2008 verkündeten Anerkenntnisurteil des Landgerichts Dortmund
– 13 O 60/08 Kart. – ist es der Schuldnerin untersagt, in ihrer E. Betriebsstätte
Neuwagen der Marke H. zum Verkauf anzubieten. Die Gläubigerin stützt ihren
Vollstreckungsantrag auf die – bestrittene - Behauptung, dass die Schuldnerin durch
ihren Angestellten, den Zeugen B., am 28. November 2008 in ihrer E. Betriebsstätte dem
Zeugen K. einen Pkw der Marke H. mit einer Tageszulassung zum Kauf angeboten
habe, worin ihrer Auffassung nach ein Neuwagenangebot, zumindest aber eine vom
Titel umfasste Umgehung der Unterlassungspflicht zu sehen sei. Nach dem Ergebnis
der hierzu vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist jedoch davon
auszugehen, dass sich das durch den Zeugen B. dem Zeugen K. unterbreitete
Verkaufsangebot nicht auf einen Neuwagen bezog, so dass es an einer nach § 890 Abs.
1 ZPO für die beantragte Festsetzung von Ordnungsmitteln erforderlichen
Zuwiderhandlung gegen das zu vollstreckende Anerkenntnisurteil fehlt.
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Der titulierte Unterlassungsausspruch bedarf hinsichtlich des unbestimmten Begriffs
"Neuwagen" zunächst der Auslegung, zu der im Rahmen der Zwangsvollstreckung
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"Neuwagen" zunächst der Auslegung, zu der im Rahmen der Zwangsvollstreckung
neben den gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich nur solche Umstände herangezogen
werden dürfen, die sich aus dem Titel selbst ergeben (vgl. hierzu: Stöber in Zöller, ZPO,
27. Aufl., § 704 Rn. 5 m.w.N.). Im Streitfall gibt das Anerkenntnisurteil, aus dem die
Zwangsvollstreckung betrieben wird, mangels einer Entscheidungsbegründung aber
nichts für die Auslegung her, so dass letztlich auf den allgemeinen Wortsinn abzustellen
ist. Hiernach umfasst der Begriff des Neuwagens jedenfalls, dass das Fahrzeug
unbenutzt ist, d.h. unabhängig davon, ob das Fahrzeug auf einen Vorbesitzer
zugelassen war oder nicht, darf es jedenfalls nicht zu Fahrzwecken im öffentlichen
Straßenverkehr genutzt worden sein.
Von diesem Verständnis ausgehend hat die Schuldnerin dem titulierten Verbot zum
Angebot von H.-Neuwagen in E. nicht zuwider gehandelt. Denn die vor dem Landgericht
durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass dem Zeugen K. ein Pkw angeboten
wurde, welcher bei Auslieferung eine Laufleistung von zirka 400 km aufweisen sollte.
Dies haben beide Zeugen übereinstimmend bekundet und ist vom Landgericht in der
angefochtenen Entscheidung als Beweisergebnis auch so festgestellt worden. Es
bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen ein
Pkw mit einer nur ganz geringen Laufleistung noch als Neuwagen angesehen werden
kann. Mit dem hier in Rede stehenden Angebot eines über etwa 400 Kilometer
benutzten Fahrzeugs war Gegenstand des Angebots aus verständiger Sicht eines
durchschnittlichen Kaufinteressenten in jedem Fall ein Gebrauchtwagen.
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Dieses Gebrauchtwagenangebot wird auch nicht unter Umgehungsgesichtspunkten von
der tenorierten Unterlassungspflicht umfasst.
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Der dem gesamten Zwangsvollstreckungsverfahren zugrunde liegende Grundsatz der
strengen Formalisierung beschränkt die Auslegung des Titels durch das
Vollstreckungsorgan dahin, dass der Titel – unter weiterer Berücksichtigung nur der
gesetzlichen Vorschriften - aus sich selbst heraus erkennen lassen muss, was der
Schuldner zu leisten, unterlassen oder dulden hat. Der Gläubiger hat daher selbst im
Erkenntnisverfahren durch die Formulierung seines Antrages dafür Sorge zu tragen,
dass – im Falle des im Streitfall nur interessierenden Unterlassungstitels – die
Reichweite der begehrten Unterlassungspflicht möglichst umfassend tenoriert wird. Es
ist nicht zu verkennen, dass dies angesichts der im Geschäftsverkehr vielfältig
denkbaren Formen einer Umgehung regelmäßig nur lückenhaft gelingen kann und
gerade für wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzungen von der Rechtsprechung
verlangt wird, ein Unterlassungsbegehren an der bereits konkret geschehenen
Verletzungsform auszurichten (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, WRP 1993, 487 – 490). Vor
diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung den Schutzumfang eines
Unterlassungstitels nicht auf Handlungen beschränkt, die mit der tenorierten
Verpflichtung identisch sind, sondern auf alle Verletzungshandlungen erstreckt, die der
Verkehr als gleichwertig ansieht und bei denen die Abweichungen den Kern des
Unterlassungsgebots unberührt lassen (Stöber in Zöller, ZPO, 27. Aufl., Rn. 3a m.w.N.).
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Eine lediglich als unwesentlich zu bewertende (OLG Düsseldorf, OLG Düsseldorf,
Beschluss v. 10.12.1992, 2 U 149/92, WRP 1993, 487 – 490, zitiert nach juris Rz. 29)
bzw. kerngleiche (BGH, NJW-RR 2006, 1118, 1120) Abweichung von dem ausdrücklich
titulierten Verbot, Neuwagen zum Verkauf anzubieten, kann in dem Angebot eines
Gebrauchtwagens – auch wenn dieser nur eine Laufleistung von 400 Kilometern
aufweisen soll – nicht gesehen werden. Neuwagen einerseits und Gebrauchtwagen
andererseits sind nach der allgemeinen Verkehrsauffassung verschiedene
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Wirtschaftsgüter, mit denen gerade auf die bisherige Nutzung des Fahrzeugs bezogen
verschiedene Erwartungen und Risikoeinschätzungen der am Rechtsverkehr Beteiligten
verbunden werden. Daher ist das Angebot eines 400 Kilometer gelaufenen
Gebrauchtwagens selbst dann nicht eine vom hier zugrunde liegenden
Unterlassungstitel umfasste Handlung, wenn – dies hier einmal unterstellt – die
Gebrauchtwageneigenschaft gezielt herbeigeführt wurde, um das Verbot eines
Neuwagenverkaufs zu umgehen.
Dass die Beweisaufnahme den Nachweis einer Zuwiderhandlung gegen die tenorierte
Unterlassungspflicht nicht erbracht hat, geht hier zu Lasten der Gläubigerin, welche die
Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen nachzuweisen hat (vgl. Stöber in Zöller, ZPO,
27. Aufl., § 890 Rn. 13).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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