Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.03.2007
OLG Düsseldorf: rechtskraft, haftbefehl, untersuchungshaft, fortdauer, anfechtung, erlass, rücknahme, vollstreckbarkeit, vollzug, datum
Oberlandesgericht Düsseldorf, III-4 Ws 84/07
Datum:
02.03.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-4 Ws 84/07
Tenor:
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Die Verurteilte befindet sich seit dem 18. Februar 2006 in Haft. Grundlage für die
Inhaftierung war der Haftbefehl des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 18. Februar
2006 – 59 Gs 164/06 – . Durch Urteil vom 15. August 2006 erkannte das Amtsgericht
gegen die Beschwerdeführerin auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
sechs Monaten, wogegen sie fristgerecht Berufung einlegte. Mit Schreiben vom 28.
August 2006 (Bl. 413 GA) – eingegangen bei Gericht am 1. September 2006 – sowie
durch weitere Schreiben vom 30. August 2006 (Bl. 414 GA) und 6. Oktober 2006 (Bl.
431a GA) nahm die Verurteilte die Berufung zurück. Durch Schriftsatz vom 8. Dezember
2006 (Bl. 446 f GA) erklärte der Verteidiger namens und im Auftrag der Verurteilten die
Anfechtung der Berufungsrücknahme. Zur Begründung wird ausgeführt, die des Lesens
und Schreibens unkundige Beschwerdeführerin habe die Berufungsrücknahme
unterzeichnet, ohne den Inhalt zu kennen. Sie habe geglaubt, sie komme nach
Unterschriftsleistung in den offenen Vollzug.
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Das Berufungsgericht prüft zurzeit die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme.
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Die Landgericht hat durch die angefochtene Entscheidung die Fortdauer der
Untersuchungshaft aus den Gründen ihrer Anordnung beschlossen. Der dagegen
gerichteten Beschwerde der Verurteilten hat die Strafkammer nicht abgeholfen.
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II.
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Die Beschwerde der Verurteilten ist verfahrensrechtlich überholt und somit
gegenstandslos. Die Untersuchungshaft, gegen deren Fortdauer sich die Verurteilte mit
der Beschwerde wehrt, ist mit Rechtskraft des Urteils am 1. September 2006 in Strafhaft
übergegangen, ohne dass es einer förmlichen Einleitung der Strafvollstreckung bedurfte
(Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 120 Rn. 15 mit Nachw.).
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Zwar ist die Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils zunächst durch die rechtzeitige
Berufungseinlegung gemäß § 316 Abs. 1 StPO gehemmt worden. Durch Eingang der
Berufungsrücknahmeerklärung am 1. September 2006 ist das Urteil des Amtsgerichts
Mönchengladbach vom 15. August 2006 aber in Rechtskraft erwachsen. Die Verurteilte
hat nach ihrem eigenen Vorbringen die vorliegenden Rücknahmeerklärungen
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unterzeichnet, was darauf schließen lässt, dass sie sich diese inhaltlich zu eigen
gemacht hat.
Durch die Anfechtungserklärung der Verurteilten vom 8. Dezember 2006 konnte die
bereits am 1. September 2006 eingetretene Rechtskraft des Urteils nicht wieder
entfallen. Zum einen ist eine Anfechtung der Rechtsmittelrücknahme regelmäßig nicht
möglich. Zum anderen führte eine gegenteilige Auffassung zur völligen
Rechtsunsicherheit über die Frage des Rechtskrafteintritts und der Vollstreckbarkeit (vgl.
OLG Karlsruhe NStZ 1997, 301; OLG München NJW 1968, 1001). Der Verurteilte hätte
es in der Hand, durch entsprechende Anträge die Vollstreckung eines rechtskräftigen
Urteils zu hemmen. Dies wäre indessen systemwidrig, wie ein Blick auf § 47 Abs. 1
StPO oder § 360 Abs. 1 StPO beweist. Denn auch im Wiedereinsetzungs- und
Wiederaufnahmeverfahren wird die Vollstreckung grundsätzlich nicht gehemmt.
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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass nicht der Senat, sondern das
Landgericht als Berufungsgericht über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme zu
befinden hat. Solange die Strafkammer keine gegenteilige Entscheidung getroffenen
hat, ist von dem Eintritt der Rechtskraft auszugehen. Sollte das Landgericht die
Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung(en) bejahen, hätte ein entsprechender
Feststellungsbeschluss nur deklaratorischen Charakter (BGH NStZ-RR 2001, 267).
Lediglich wenn die Strafkammer zu der Beurteilung gelangte, dass die Rücknahme der
Berufung nicht wirksam war, wäre über die Haftbeschwerde zu befinden (vgl. OLG
Karlsruhe a.a.O.). Denn dann würde der Haftbefehl wieder Wirksamkeit entfalten (vgl.
§ 47 Abs. 3 StPO, der ggf. entsprechend anzuwenden wäre). Aus dem angefochtenen
Beschluss kann entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft aber nicht
zwingend geschlossen werden, dass die Strafkammer die Berufungsrücknahme für
unwirksam hält und aus diesem Grunde von einer Fortdauer der Untersuchungshaft
(und nicht von einem Übergang in Strafhaft) ausgeht. Dagegen spricht insbesondere,
dass das Landgericht seine Ermittlungen betreffend die Modalitäten des
Zustandekommens der Rücknahmeerklärung noch nicht vollständig abgeschlossen hat.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Strafkammer zwischenzeitlich einen
neuen Haftbefehl erlassen hat. Auch aus dem Erlass eines neuen Haftbefehl kann nicht
gefolgert werden, die Rechtsmittelrücknahme sei wirksam. Überdies bewirkt der Erlass
des neuen Haftbefehls, dass auch aus diesem Grund die anhängige, sich gegen eine
frühere Haftentscheidung richtende Beschwerde aufgrund prozessualer Überholung
gegenstandslos wird.
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