Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.09.2002

OLG Düsseldorf: steuerberater, berufliche tätigkeit, geschäftsführender gesellschafter, firma, beratung, verzicht, anpreisung, berufsausübungsfreiheit, abwerbung, angestellter

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 Ws 184-185/02
26.09.2002
Oberlandesgericht Düsseldorf
Senat für Steuerberater-und Steuerbevollmächtigtensachen
Beschluss
2 Ws 184-185/02
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen der Berufsangehörigen trägt die
Steuerberaterkammer Düssel-dorf.
Mit Anschuldigungsschrift vom 1. Februar 2002 legt die Generalstaatsanwaltschaft den
Berufsangehörigen zur Last, im Jahre 2001 ihre Berufspflichten als Steuerberater dadurch
schuldhaft verletzt zu haben, dass sie den Beruf nicht gewissenhaft und nicht unter Verzicht
auf verbotswidrige Werbung ausgeübt haben, um einen anderen Steuerberater aus einem
Auftrag zu verdrängen.
Der Berufsangehörige zu 1. war bis zum 30. April 2001 bei der T. ... (im folgenden: T.
GmbH) als angestellter Steuerberater tätig. Die letzten Jahre seiner beruflichen Tätigkeit
dort hatte er den Status eines alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers. Am 1. Mai
2001 trat er ein Dienstverhältnis bei der Dr. F. (im folgenden: Dr. F. GmbH) an, deren
Geschäftsführer der Berufsangehörige zu 2. ist.
Unter dem 1. Juni 2001 schrieb der Berufsangehörige zu 1. mit Wissen und Billigung des
Berufsangehörigen zu 2. auf dem Geschäftspapier der Dr. F. GmbH von der T. GmbH
betreute Mandanten an, u.a. die R. ... in M. und die Eheleute H.-J. und U. K.. In den
gleichlautenden Schreiben heißt es nach der Anrede:
Wir haben uns in unserem neuen Wirkungskreis inzwischen "eingelebt" und möchten Ihnen
unseren neuen Dienstsitz nunmehr mitteilen. Unsere Gesellschaft ist - ebenso wie die T.
GmbH - eine mittelständisch ausgerichtete Beratungsgesellschaft.
Mit der Dr. F. und Partner Rechtsanwälte - Wirtschaftsprüfer - Steuerberater ist unsere
Gesellschaft eine wirtschaftsrechtlich orientierte, forensisch und beratend überörtlich tätige
Kanzlei angeschlossen.
Da wir aus der bisherigen Tätigkeit bei T. GmbH für Sie mit Ihren Verhältnissen bestens
vertraut sind, stehen wir Ihnen, sofern Sie dies wünschen, auch künftig gern persönlich - mit
unserem jetzt erweiterten Beratungsangebot - zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Die Schreiben sind von dem Berufsangehörigen zu 1. sowie dem Zeugen F., einem
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ehemaligen Mitarbeiter der T. GmbH, unterzeichnet.
Nachdem am 18. Juni 2001 der Steuerberater M., ehedem geschäftsführender
Gesellschafter der T. GmbH, verstorben war, richteten der Berufsangehörige zu 1. und der
Zeuge F. unter dem 21. Juni 2001 das vorgenannte Schreiben - in optisch und sprachlich
leicht veränderter Gestaltung und mit zusätzlicher Angabe der Internetadresse - mit
Billigung des Berufsangehörigen zu 2. an die Firma V. Fonds. Die Firma war - ebenso wie
die Firma R. und die Eheleute K. - überwiegend von dem verstorbenen Steuerberater M.
betreut worden.
Die Anschuldigungsschrift wirft dem Berufsangehörigen zu 1 vor, er habe die Schreiben in
der Absicht verfasst, neue Mandate für seinen neuen Arbeitgeber zu gewinnen und die T.
GmbH aus dem Auftrag zu verdrängen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht - Kammer für Steuerberater- und
Steuerbevollmächtigtensachen - die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen
Gründen abgelehnt. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der
Generalstaatsanwaltschaft.
II.
Das Rechtsmittel ist nach §§ 118 Abs. 3 Satz 2, 153 StBerG, 311 StPO zulässig, hat in der
Sache aber keinen Erfolg
Das Gericht beschließt in entsprechender Anwendung des § 203 StPO die Eröffnung des
Hauptverfahrens, wenn ein Berufsangehöriger nach den Ergebnissen des vorbereitenden
Verfahrens der ihm zur Last gelegter Berufspflichtverletzung hinreichend verdächtig
erscheint. Das ist der Fall, wenn bei einer vorläufigen Bewertung (vgl. BGHSt 23, 304, 306)
seine Verurteilung wahrscheinlich ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 203
Rn. 2). Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht im vorliegenden Fall den hinreichenden
Verdacht einer Berufspflichtverletzung verneint.
1.
Das beanstandete Rundschreiben verstößt nicht gegen § 57 Abs.1 StBerG, wonach
Steuerberater und - bevollmächtigte ihren Beruf unter Verzicht auf berufswidrige Werbung
auszuüben haben. Seit dem 6. StBerÄG vom 24 Juni 1994 (BGBl. I S. 1744) ist das Verbot
in § 57 a StBerG, der § 43 b BRAO und § 52 WPO entspricht, näher bestimmt. Werbung ist
danach erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich
unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfalls gerichtet ist. Mit
Einführung dieser Norm hat der Gesetzgeber die Vorgaben der verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 57, 121, 133; 76, 196, 205 ff: 82, 18, 28) aufgegriffen, um die
durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit für Steuerberater zu
gewährleisten. Dazu gehört nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern jede Tätigkeit,
die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient. Sie umfasst daher auch die
Außendarstellung von selbstständig Berufstätigen einschließlich der Werbung für die
Inanspruchnahme ihrer Dienste (BVerfGE 85, 248, 256; 94, 372, 389 und NJW 2000, 3195).
Ebenso wie § 43 b BRAO eröffnet § 57 a StBerG nicht etwa eine ansonsten nicht
bestehende Werbemöglichkeit, sondern konkretisiert lediglich die verfassungsrechtlich
garantierte Werbefreiheit (BGH NJW 2001, 2087, 2089 und 2886, 2888). Dementsprechend
bedarf nicht die Gestattung der Steuerberaterwerbung der Rechtfertigung, sondern deren
Einschränkung (Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 43 b Rn. 2, Hartung/Holl, Anwaltliche
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Berufsordnung, 2. Aufl., Vor § 6 Rn. 31). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber dem
gestiegenen Bedürfnis des Steuerbürgers an steuerberatenden Dienstleistungen durch
Einführung des § 57 a StBerG Rechnung tragen wollen und dabei in der sachlichen
Informationswerbung einen wichtigen Faktor gesehen. Eine gewisse Erweiterung der
Werbebefugnis ist auch deswegen für notwendig angesehen worden, um die
Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Bereich zu verbessern (vgl. BT-
DR. 12/6753 S.17/18).
Bei der Beurteilung, ob die Werbung gegen § 57 a StBerG verstößt, sind regelmäßig auch
die Standesrichtlinien zu berücksichtigen. Der Bundessteuerberaterkammer ist durch § 86
Abs. 2 Nr.2 StBerG insoweit Satzungskompetenz eingeräumt worden, von der sie durch
Erlass der Berufsordnung (im folgenden: BOStB) vom 2. Juni 1997/14.Oktober 1998
Gebrauch gemacht hat. Die BOStB setzt Recht im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG, das auch
die Gerichte grundsätzlich bindet (Gehre, Steuerberatungsgesetz, 4. Aufl., § 86 Rn. 7). Sie
kann jedoch keine neuen Berufspflichten schaffen, sondern nur die im Gesetz festgelegten
Pflichten näher regeln (vgl. § 86 Abs. 4 StBerG). Dabei ist es unzulässig, die
Berufspflichten über das im Steuerberatergesetz vorgeschriebene Maß auszudehnen. Auch
die Berufsordnung muss sich an Art. 12 GG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
ausrichten (Gehre, a.a.O.). Die in der BOStB niedergelegten Regelungen können
Aufschluss darüber geben, was in der Berufsgruppe als zulässige bzw. unzulässige
Werbung anzusehen ist (vgl. OLG Naumburg NJW-RR 2001, 332-334). Allerdings ist dabei
auch zu beachten, dass sich die Beurteilung, welche Werbeformen als üblich, angemessen
oder übertrieben gelten, zeitbedingten Veränderungen unterliegen (vgl. BVerfGE 94, 372,
398 f. und NJW 2000, 3195), denen die Regelungen in den Berufsordnungen nicht
unbedingt angepasst sind.
Die Grundsätze der zulässigen Werbung sind in § 10 BOStB näher geregelt. Gem. § 10
Abs. 2 BOStB muss die Werbung sachlich zutreffend und objektiv nachprüfbar sein. Die
Darstellung darf nicht reklamehaft sein. In § 10 Abs. 3 BOStB ist ausgeführt, was dem
Begriff der Einzelfallwerbung unterfällt, nämlich ein Verhalten, das bei verständiger
Würdigung als direkte Anregung oder Aufforderung zur Auftragsanbahnung verstanden
werden kann. Das Anbieten der eigenen Dienste ist zulässig, wenn hierzu eine
Aufforderung des möglichen Auftraggebers vorliegt.
2. Die von den Berufsangehörigen versandten Formschreiben begegnen nach § 57 a
StBerG keinen Bedenken.
a)
Bei dem von dem Berufsangehörigen zu 1. mit Wissen und Wollen des Berufsangehörigen
zu 2. verfassten Schreiben handelt es sich um Werbung. Als solche ist ein Verhalten zu
verstehen, das darauf angelegt ist, andere dafür zu gewinnen, die Leistung des Werbenden
in Anspruch zu nehmen (BGH NJW 2001, 2087 f. und 2886 f. sowie NJW 1992, 45). Die
Berufsangehörigen bezweckten mit dem Anschreiben, ihre Dienste potentiellen Klienten
anzubieten, zu denen Mandatsverhältnisse bislang nicht bestanden. Verträge waren
lediglich zwischen den Angeschriebenen und der T. GmbH zustande gekommen, auch
wenn der Berufsangehörige zu 1. die Mandanten bereits als Angestellter dieses
Steuerberatungsunternehmens betreut hatte.
b)
Die Werbung ist berufsbezogen und sachlich gehalten. Sie informiert über den neuen
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Wirkungskreis des ehemaligen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers der T.
GmbH. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die darin enthaltenen Angaben
objektiv nicht den Tatsachen entsprechen. Soweit der Berufsangehörige zu 1. in dem
Formschreiben behauptet, er sei mit den Verhältnissen des Angeschriebenen bestens
vertraut, kann hierin keine reklamehafte Anpreisung gesehen werden. Wie sich aus den
Ermittlungsakten ergibt, hatte der Berufsangehörige sämtliche in der Anschuldigungsschrift
aufgeführten Mandanten zumindest während der Urlaubsabwesenheit des an sich
zuständigen Steuerberaters betreut. Schon aufgrund dieser beruflichen Verbindung hatte
der Berufsangehörige zu 1. das Recht, die Mandanten der T. GmbH über seinen neuen
Wirkungskreis zu informieren. Allerdings wurde in der früheren höchstrichterlichen
Rechtsprechung eine Anpreisung darin gesehen, dass ein Rechtsanwalt unaufgefordert
einem Dritten, mit dem er in keiner Mandatsbeziehung stand oder gestanden hatte, seine
anwaltliche Tätigkeit nachzubringen versuchte (BGHZ 115, 105, 110). Die vorgenannte
Rechtsprechung bezog sich jedoch auf eine seit Einführung des § 43 b BRAO nicht mehr
bestehende Rechtslage (vgl. BGH NJW 2001, 2087 f. und 2886 f.). Entsprechend muss
auch dem Steuerberater das Herantreten an Interessenten aufgrund § 57 a StBerG erlaubt
sein. Deshalb verbietet es sich auch, im Umkehrschluss zu § 10 Abs. 3 S. 3 BOStB,
wonach das Anbieten der eigenen Dienste auf Aufforderung des möglichen Auftraggebers
zulässig ist, jedwedes unaufgeforderte Herantreten als unzulässig zu erachten.
c) Es handelt sich auch nicht um eine Werbung, die auf die Erteilung von Aufträgen im
Einzelfall gerichtet ist.
Eine für sich genommene zulässige Werbung kann sich jedoch als eine unzulässig auf die
Erteilung von Aufträgen im Einzelfall gerichtete Werbung darstellen, wenn der Umworbene
in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder der Vertretung bedarf und der Werbende
dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt (BGH NJW 2001,
2886, 2889).
Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich, dass die Angeschriebenen eine steuerliche Beratung
in einer bestimmten Angelegenheit benötigten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang,
dass der Berufsangehörige davon ausging, dass allgemein Interesse an seinen Leistungen
bestand, da bei den Angeschriebenen steuerlicher Beratungsbedarf zu vermuten war. Dies
ist rechtlich nicht zu beanstanden (BGH NJW 2001, 2087, 2089 und 2886, 2888).
Eine gezielte, als aufdringlich erscheinende Kontaktaufnahme liegt nicht vor. Dies ergibt
sich schon daraus, dass der Berufsangehörige zu 1. ausdrücklich seine Leistung nur für
den Fall anbot, dass die Mandanten dies wünschten. In diesem Zusammenhang darf ferner
nicht völlig unberücksichtigt bleiben, dass der Berufsangehörige zu 1. als
alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der T. GmbH bereits in Kontakt mit den
Angeschriebenen gestanden hatte und diesen somit bekannt war.
Auch soweit der Berufsangehörige die Mandantin V. drei Tage nach dem Tode des
Steuerberaters M. angeschrieben hat, ist kein verbotswidriges Werben zu erkennen. Wie
sich aus dem Akteninhalt ergibt, hat der Berufsangehörige ab Juni 2001 die von ihm (mit-
)betreuten Mandanten über seinen neuen beruflichen Wirkungskreis durch ein
Standardanschreiben informiert. Ein beabsichtigter Zusammenhang zwischen dem
Ableben des Steuerberaters M. und den Werbeschreiben ist nicht ersichtlich. Seiner
unwiderlegten Einlassung zufolge hat der Berufsangehörige zu 1. auch nach dem 21. Juni
2001 keine Informationsschreiben mehr versandt, weil er unabhängig von berufsrechtlichen
Aspekten negative Eindrücke aufgrund der zeitlichen Parallelität der Ereignisse vermeiden
wollte.
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d)
Schließlich ist das Werbeverhalten des Berufsangehörigen auch nicht unter dem
Gesichtspunkt unlauterer Abwerbung von Mandanten zu beanstanden. Wenn in §§ 32 Abs.
2 Satz 1 und 33 Abs. 1 BOStB jede Maßnahme, die darauf gerichtet ist, einen anderen
Steuerberater aus dem Auftrag zu verdängen, für berufswidrig erklärt wird, kann dies mit
Blick auf die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit verfassungskonform nur
so ausgelegt werden, dass das Abwerben durch unlautere Methoden geschieht (vgl. auch
Gehre. a.a.O., § 57 Rn. 86 und § 86 Rn. 7). Grundsätzlich ist es zulässig, dass ein
ausscheidender Mitarbeiter Mandanten seines früheren Arbeitgebers "mitnimmt". Im freien
Wettbewerb hat niemand Anspruch auf Erhaltung seines Mandantenstammes. Erst durch
Hinzutreten besondere Umstände - etwa Diffamierung des früheren Steuerberaters oder
unbefugte Mitnahme der Mandantendaten - ist die Grenze zur berufswidrigen Abwerbung
überschritten. Der Berufsangehörige zu 1. ist zwar unaufgefordert an Mandanten seines
früheren Arbeitgebers, der T. GmbH, herangetreten, um sie zu einem Steuerberaterwechsel
zu veranlassen. Dabei ist er jedoch - wie bereits dargelegt - im Rahmen des Erlaubten
geblieben.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 150 StBerG. Die Steuerberaterkammer hat nicht nur
die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, sondern darüber hinaus auch die
notwendigen Auslagen der Berufsangehörigen (Gehre, a.a.O. § 150 Rn. 5).