Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.04.2006
OLG Düsseldorf: Freitext:, vergabeverfahren, ausschreibung, zuschlagserteilung, wiederaufnahme, beendigung, hersteller, unternehmen, firma, rücknahme
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 8/06
Datum:
05.04.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 8/06
Tenor:
Der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 23.01.2006, Az.
VK 2-168/05, wird aufgehoben, soweit der Antragsgegnerin darin
aufgegeben wor-den ist, das Vergabeverfahren „Öffentliche
Ausschreibung von Unterschrän-ken/Bearb.-Nr.: 9/3A6F/5A257“
bezüglich des Loses 2 aufzuheben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Gegenstandswert beläuft sich auf 1.129,43 €.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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I.
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Die Antragsgegnerin schrieb im Juli 2005 im offenen Verfahren die Beschaffung von
Unterschränken (Bearb.-Nr. : 9/3A6F/5A257) in 4 Losen europaweit aus.
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Die verschiedenen Lose bestehen aus fahrbaren Containern und Unterschränken,
jeweils auszuführen gemäß den Technischen Lieferbedingungen 7110-0102.
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Diese enthalten neben dem Hinweis "an keinen Hersteller gebunden" u.a. folgende
Bestimmung:
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"Einbauteile wie Schubkästen, Materialschalen, Auszugsausführungen,
Zentralverschlüsse usw. sind gemäß Zeichnungssatz und Stücklisten auszuführen.
Alternativ ist das System "Top 2000 Stahl: Stop-Control-Plus" der Firma He...
zugelassen.(...)".
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Zudem wird in den beigefügten Stücklisten bei zahlreichen Positionen auf einen
weiteren Hersteller, die Firma H..., Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 15.09.2005 kündigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin an, ihr
den Zuschlag zum Los 2 mit einem Auftragswert von 22.588,68 € zu erteilen. Dagegen
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könnten die Angebote zu den Losen 1, 3 und 4 aus preislichen Gründen nicht
berücksichtigt werden. Nachdem andere Bieter keine Einwände erhoben hatten, erteilte
sie ihr am 05.10.2005 den Auftrag für Los 2.
Nachdem die Antragsgegnerin am 08.11.2005 gegenüber der Antragstellerin zunächst
erklärt hatte, infolge einer erforderlich gewordenen Neubewertung der Angebote werde
sie voraussichtlich den Zuschlag für die Lose 2 sowie 3 und 4 erhalten, teilte sie ihr mit
Schreiben vom 05.12.2005 mit, dass die angebotene Produktausführung der
Unterschränke den Vorgaben der Technischen Lieferbedingungen nicht entspreche, so
dass die vorgesehene weitere Beauftragung nicht erfolgen und der bereits erteilte
Auftrag zurückgezogen werde. Unter dem 06.12.2005 informierte die Antragsgegnerin
darüber, dass der Zuschlag für das Los 2 an die Beigeladene zu 1) und der Zuschlag für
die Lose 3 und 4 an die Beigeladene zu 2) ergehen solle.
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Mit Schreiben vom 08.12.2005 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte
Auftragsvergabe als vergaberechtsfehlerhaft. Die Antragsgegnerin lehnte es ab, der
Rüge abzuhelfen und berief sich zur Begründung darauf, dass von der Antragsstellerin
nicht die nach den technischen Ausschreibungsvorschriften vorgesehenen Einschübe
eingebaut würden, sondern solche, die von den in den Technischen Lieferbedingungen
aufgeführten und bisher eingeführten Systemen abwichen. Aus logistischen Gründen
und zur Gewährleistung einer kontinuierlich zügigen und kostengünstigen
Instandsetzung der Unterschränke sei aber der Einsatz von Beschlägen der dort
genannten Firmen He... und H... oder baugleicher Qualität erforderlich. Zudem sei eine
Begutachtung des Vorserienmodells nicht möglich, weil dieses erst in Osteuropa
gefertigt werden müsse und nicht vor Ort vorhanden sei.
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In dem darauf hin eingeleiteten Nachprüfungsverfahren begehrte die Antragstellerin, die
Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschreibung gemäß der schriftlichen
Ankündigung vom 08.11.2005 zu den Losen 2, 3 und 4 an sie zu vergeben.
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Mit Beschluss vom 23.Januar 2006 (VK 2 – 168/05) gab die Vergabekammer der
Antragsgegnerin auf, das in Rede stehende Vergabeverfahren aufzuheben.
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Der Nachprüfungsantrag sei begründet. Indem in den Zeichnungssätzen auf die
Systeme der Hersteller "He..." und "H..." abgestellt werde, habe die Antragsgegnerin in
den von ihr verwandten Technischen Lieferbedingungen die vergaberechtlich
erforderliche Produktneutralität der Verdingungsunterlagen nicht gewahrt.
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Das Angebot der Antragstellerin habe auch nicht deswegen von der weiteren Wertung
ausgeschlossen werden dürfen, weil sie zum Zeitpunkt des Beginns der Güteprüfung
noch kein Prüfmuster habe vorstellen können. Die Vorlage eines Erstmusters während
der Wertungsphase sei kein Wertungskriterium gewesen, so dass für einen Ausschluss
des Angebotes zu den Losen 3 und 4 keine Rechtsgrundlage bestanden habe. Die
Rücknahme des Zuschlags in Los 2 sei ungerechtfertigt, da die Antragstellerin
angesichts des Liefertermins frühestens am 31.03.2006 Anfang Dezember 2005 noch
nicht zur Vorstellung eines Erstmusters verpflichtet gewesen sei.
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Zur Beseitigung des festgestellten Vergaberechtsfehlers sei die Verpflichtung der
Antragsgegnerin zur Aufhebung der Ausschreibung erforderlich, da das
Vergabeverfahren bereits von Beginn an durch den Rechtsverstoß geprägt sei.
Insbesondere sei eine vergaberechtskonforme Wertung der Angebote und ein
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entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung nicht
möglich.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin dagegen, dass die
Antragsgegnerin durch den angefochtenen Beschluss angewiesen worden ist, auch das
Vergabeverfahren zu Los 2 aufzuheben. Durch die Aufhebung des gesamten
Vergabeverfahrens habe die Vergabekammer entgegen der Vorschrift des § 114 Abs. 2
S. 1 GWB den bereits erteilten Zuschlag aufgehoben.
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Sie beantragt, den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben, soweit der
Antragsgegnerin aufgegeben worden ist, die Ausschreibung Nr. 9/3A6F/5A257 auch
zum Los 2 aufzuheben.
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Die Antragsgegnerin beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie hält das Nachprüfungsverfahren für unzulässig, soweit bereits ein Zuschlag erteilt
worden sei.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
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1.
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Das Rechtsmittel ist zulässig.
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Die Antragstellerin ist durch den angefochtenen Beschluss formell und materiell
beschwert.
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Mit dem Nachprüfungsantrag wollte sie erreichen, dass die von der Antragsgegnerin mit
Schreiben vom 05.12.2005 erklärte Rücknahme des Auftrages sowie die mit Schreiben
vom 06.12.2005 erteilte Bieterinformation, wonach die Beigeladenen die 1) und 2) die
Zuschläge zu den Losen 2 bis 4 erhalten sollten, revidiert werden und die
Antragsgegnerin zur Vergabe dieser Lose 2 bis 4 an sie verpflichtet wird.
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Hinter diesem Rechtsschutzziel bleibt die Entscheidung der Vergabekammer zurück, da
- nur - die Aufhebung des gesamten Vergabeverfahrens angeordnet worden und
aufgrund der Ankündigung der Antragsgegnerin vom 06.12.2005 eine Berücksichtigung
der Antragstellerin bei einer erneuten Durchführung des Vergabeverfahrens ungewiss
ist.
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Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin folgt daraus, dass der angefochtene
Beschluss, obgleich er eine der Vorschrift des § 114 Abs. 2 S. 1 GWB widersprechende
Rechtsfolge anordnet, nicht nichtig oder unwirksam ist, sondern in Bestandskraft
erwachsen konnte und die daran gebundene Antragsgegnerin das gesamte
Vergabeverfahren wiederholen muss. Der Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition infolge
des durch ein erneutes Vergabeverfahren drohenden faktischen Verlustes des ihr
bereits erteilten Zuschlags zu Los 2 kann die Antragstellerin nur durch die Einlegung der
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sofortigen Beschwerde begegnen.
2.
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Die Beschwerde ist auch begründet.
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a.
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Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin ist der Nachprüfungsantrag
zulässig. Auch nach der Erteilung des Zuschlages zu Los 2 bestand die
Antragsbefugnis fort.
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Gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen im Vergabeverfahren antragsbefugt,
wenn es ein Interesse am Auftrag hat, eine Verletzung in seinem Recht auf Einhaltung
der Vergabebestimmungen geltend macht (§ 97 Abs. 7 GWB) und darlegen kann, dass
ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden zu entstehen
droht. § 107 Abs. 2 GWB normiert insoweit für das Vergabenachprüfungsverfahren das
Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses. Zur Darlegung der Antragsbefugnis ist ein
Sachvortrag erforderlich, aus dem sich schlüssig und nachvollziehbar ergibt, dass durch
die gerügten Verstöße gegen die Vergabebestimmungen die Aussichten des
Antragstellers auf den Zuschlag beeinträchtigt worden sind oder sich die
Zuschlagschancen zumindest verschlechtert haben (vgl. Senat, Beschluss vom
05.07.2000, - Verg 5/99 - ,NZBau 2001, 106, 111; Beschluss vom 05.03.2001 – Verg
2/01 -, VergabeR 2001, 234, 235).
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Danach ist ein Nachprüfungsantrag grundsätzlich unzulässig, sobald das
Vergabeverfahren durch wirksame Erteilung des Zuschlags an einen Bieter
abgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 19.12.2000 – X ZB 14/00 - NZBau 2001, 151,
152; Senat, Beschluss vom 24.09.2002 - Verg 48/02 -; Umdruck S. 5; Beschluss vom
13.04.1999 – Verg 1/99 – WuW/E Verg 223; BayObLG, Beschluss vom 07.10.1999 -
Verg 3/99 –NZBau 2000, 92; Byok in Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl.
2005, § 107 Rdnr. 958). Denn das in §§ 97 ff. GWB geregelte Vergabeverfahren soll
sicherstellen, dass Aufträge öffentlicher Auftraggeber nur in einem förmlichen,
transparenten Verfahren einem Bieter erteilt werden. Während des Vergabeverfahrens
haben die sich hieran beteiligenden Unternehmen deshalb Anspruch darauf, dass der
öffentliche Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Dieser
Anspruch kann vor den Vergabekammern und Senaten verfolgt werden, deren Aufgabe
es gemäß § 114 Abs. 1 GWB ist, auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens
einzuwirken und die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung zu
beseitigen und die Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern (vgl. Byok,
aaO, Rdnr 958 aE). Auch ohne eine dies ausdrücklich regelnde Bestimmung ist die in
§§ 102, 107 GWB vorgesehene Möglichkeit der Anrufung der Vergabekammer demnach
auf die Zeit beschränkt, in der noch auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens
eingewirkt werden kann.
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Obgleich im Streitfall von einer wirksamen Erteilung des Zuschlages und damit von
einer materiellen Beendigung des Vergabeverfahrens zu Los 2 auszugehen ist, hat die
Antragstellerin dadurch ihre Antragsbefugnis nicht verloren. Die in der Zurücknahme
des Auftrages und Ankündigung der anderweitigen Vergabe liegende – rechtswidrige -
Wiederaufnahme des Vergabeverfahrens durch die Antragsgegnerin beeinträchtigte sie
zwar nicht in ihrer Chance auf Erteilung des Zuschlags, aber in ihrem Recht auf
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Einhaltung der Vergabebestimmungen. Die Wiederaufnahme eines durch wirksame
Zuschlagserteilung bereits abgeschlossenen Vergabeverfahrens stellt nicht nur eine
zivilrechtliche Erfüllungsverweigerung, sondern auch einen Vergaberechtsverstoß dar.
Dass neben die zivilrechtliche auch eine vergaberechtliche Bindung tritt, ergibt sich aus
§ 114 Abs. 2 S. 1 GWB, der die Bindungswirkung des erteilten Zuschlags anordnet.
Durch das Verhalten der Antragsgegnerin drohte der Antragstellerin zudem auch ein
Schaden in Form des – faktischen - Verlustes des ihr bereits erteilten Zuschlags.
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Entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin ist die Antragstellerin zur Wahrung
ihres rechtlichen Interesses am Bestand des Zuschlages und der Durchführung des
Vertrages nicht auf den Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu verweisen.
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Zwar kann sich nach Beendigung des Vergabeverfahrens durch wirksame Erteilung des
Zuschlages an einen Bieter das Interesse der nicht berücksichtigten Bieter nur noch auf
– vor den Zivilgerichten zu verfolgenden - Schadensersatz richten, weil die
Vergabekammer gemäß § 114 Abs. 2 S. 1 GWB gehindert ist, die Zuschlagserteilung
rückgängig zu machen und dadurch das Vergabeverfahren wieder zu eröffnen.
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Hingegen richtet sich das Interesse der Antragstellerin darauf, den faktischen Verlust
des Zuschlages durch das Nachprüfungsverfahren noch abzuwenden. Insoweit
unterscheidet sich der Streitfall maßgeblich von dem Sachverhalt, der der Entscheidung
des Senates vom 5. März 2001 (Verg 2/01, VergR 2001, 234, 235) zugrunde lag. Dort
hatte der Senat die Antragsbefugnis der Antragstellerin mit der Begründung verneint,
eine Beeinträchtigung ihrer Zuschlagschancen sei infolge des an sie ergangenen
Zuschlags ausgeschlossen. Während in der zitierten Entscheidung aber die
Bindungswirkung der Zuschlagserteilung vom Auftraggeber nicht in Frage gestellt
wurde und eine Beeinträchtigung der Antragstellerin unter diesem Gesichtspunkt
ausschied, hat die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren als nicht abgeschlossen
behandelt und der Antragstellerin den Zuschlag streitig gemacht.
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Die in der damaligen Entscheidung ausdrücklich offengelassene Frage, ob die
Antragsbefugnis überhaupt aus jenseits der Zuschlagschancen liegenden
Beeinträchtigungen rechtlicher und wirtschaftlicher Art hergeleitet werden kann, ist
demnach jedenfalls für den Fall zu bejahen, dass infolge des Verhaltens des
öffentlichen Auftraggebers der faktische Verlust eines bereits erteilten Zuschlages droht.
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Zur Wahrung seines Interesses auf den Erhalt des Zuschlages ist der betroffene Bieter
auf vergaberechtlichen Primärrechtsschutz angewiesen.
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Infolge der Struktur und Ausgestaltung des Zivilrechtsschutzes, insbesondere des
vorgesehenen Instanzenzuges und der damit zwangsläufig verbundenen möglichen
Dauer eines zivilrechtlichen Rechtsstreits besteht, wenn der Zivilrechtsweg beschritten
wird, die Gefahr, dass der erste Zuschlag durch eine spätere anderweitige
Bezuschlagung überlagert und der Vertrag im Zeitpunkt der Entscheidung schon
ausgeführt ist. In diesem Fall könnte nur noch Sekundärrechtsschutz erlangt werden.
Die Reduzierung der Rechtsschutzmöglichkeiten desjenigen Antragstellers, der den
drohenden Verlust des bereits erteilten Zuschlages abwenden möchte, im Vergleich zu
dem Bieter, der seine Chancen auf Erteilung des Zuschlages zu wahren sucht und dem
für dieses Rechtsschutzziel Primärrechtsschutz zur Verfügung steht, ist mit Blick auf das
in beiden Fällen bestehenden Schutzbedürfnis aber nicht gerechtfertigt. Dies gilt
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insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der in Rede stehenden Konstellation die
Beeinträchtigung einer bereits gefestigten Rechtsposition droht, während in einem
laufenden Vergabeverfahren schon die bloße Zuschlagschance eines Bieters durch die
Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz gewahrt werden kann.
Die Erteilung des Zuschlages und die damit eingetretene Beendigung des
Vergabeverfahrens zu Los 2 hat auch nicht dazu geführt, dass der angerufenen
Vergabekammer eine Einwirkung auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht mehr
möglich gewesen wäre. Da die Antragsgegnerin durch die Zurücknahme des Auftrages
und die Ankündigung der anderweitigen Vergabe das Vergabeverfahren
wiederaufgenommen und damit als nicht abgeschlossen behandelt hat, wäre eine
Klarstellung oder Feststellung der Rechtslage durch die Vergabekammer veranlasst
gewesen, die dazu geführt hätte, dass die daran gebundene Antragsgegnerin die
Wiederaufnahme unterlassen und das Verfahren rechtmäßig als abgeschlossen
behandelt hätte. Der im Nachprüfungsverfahren gestellte Antrag der Antragstellerin, die
Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschreibung zu den Losen 2, 3 und 4 an sie zu
vergeben, stand einer solchen Entscheidung nicht entgegen. Die Antragstellerin
begehrte ersichtlich eine Entscheidung, mit der klargestellt werden sollte, dass der
Zuschlag zu Los 2 bereits wirksam erteilt worden war und eine Rückgängigmachung
sowie eine anderweitige Vergabe zu unterblieben habe. Eine Vergabe im eigentlichen
Sinne war von der Antragstellerin nur im Hinblick auf die Lose 3 und 4 angestrebt.
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Die Antragstellerin ist ihrer Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 S. 1 GWB) nachgekommen.
Mit Schreiben vom 08.12.2005 hat sie sich unverzüglich gegen die "Zurücknahme" des
Zuschlages zu Los 2 sowie dagegen gewandt, dass entgegen der ursprünglichen
Ankündigung der Antragsgegnerin vom 08.11.1005 die Lose zu 3 und 4 nunmehr an die
Beigeladenen vergeben werden sollten.
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b.
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Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
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Die Antragsgegnerin war an den von ihr wirksam erteilten Zuschlag gebunden. Soweit
sie geltend macht, dass die von der Antragsstellerin angebotene und vorgesehene
Ausführung den technischen Vorgaben und Anforderungen nicht entspreche,
berechtigte sie dieser Umstand – ihr Vorbringen als zutreffend unterstellt - nicht zur
Entziehung des Auftrages. Einen Anfechtungsgrund im Sinne der §§ 119, 123 BGB hat
die Antragsgegnerin nicht. Bei Zugrundelegung ihres Sachvortrages ist davon
auszugehen, dass sie sich bei Erteilung des Zuschlages weder über den
Erklärungsinhalt noch in der Erklärungshandlung geirrt hat und von der Antragstellerin
auch nicht getäuscht worden ist. Die gegebenenfalls anzunehmende Fehlbewertung
des Angebotes der Antragstellerin stellt einen in rechtlicher Hinsicht unbeachtlichen
Irrtum im Motiv dar.
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Der durch den angefochtenen Beschluss angeordneten Aufhebung des
Vergabeverfahrens stand im Hinblick auf das Los 2 somit § 114 Abs. 2 S.1 GWB
entgegen. Den wirksam erteilten Zuschlag und den dadurch geschlossenen Vertrag
zwischen den Parteien durfte die Vergabekammer nicht aufheben. Die Anordnung der
Vergabekammer, das Vergabeverfahren im übrigen, und zwar hinsichtlich der Lose 1, 3
und 4 aufzuheben, ist nicht angegriffen worden. Über diesen Teil der Entscheidung hat
der Senat daher nicht zu befinden.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
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D. D.-B. F.
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