Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.01.2006

OLG Düsseldorf: kaufpreis, verkehrswert, zustand, zwangsversteigerung, gebühr, sachverständiger, ersteher, beendigung, marktpreis, fälligkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-10 W 100/05
Datum:
26.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-10 W 100/05
Leitsätze:
§ 74 a Abs. 5 ZVG
§§ 60 Abs. 1, 18 Abs. 1, § 19 Abs. 1, 2 KostO
Der Geschäftswert für die Eigentumseintragung des Erstehers eines
Grund-stücks im Zwangsversteigerungsverfahren ist ausnahmsweise
abweichend von dem im Zwangsversteigerungsverfahren ermittelten
Verkehrswert zu bemes-sen, wenn erheblich Umstände dafür sprechen,
dass der ermittelte Verkehrs-wert den Wert des Grundstücks im
Zeitpunkt der Eintragung nicht mehr zutref-fend wiedergibt – hier:
erheblicher Zeitablauf zwischen sachverständiger Wert-ermittlung im
Zwangsversteigerungsverfahren und Eigentumseintragung des
Erstehers; erhebliches Abweichen des Meistgebotes vom festgesetzten
Ver-kehrswert; zeitnaher Verkauf durch den Ersteher zu einem
wesentlich geringe-ren Kaufpreis, ohne dass Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass dieser weit un-terhalb des unter den konkreten
Marktgegebenheiten erzielbaren Preises liegt.
Tenor:
Die weitere Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss der 6.
Zi-vilkammer des Landgerichts Krefeld vom 28.07.2005 wird
zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
I.
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Die Kostenschuldnerin erwarb Grundbesitz im Wege des Zuschlags im
Zwangsversteigerungsverfahren aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Krefeld vom
19.10.2004 (Bl. 17 ff GA). Mit Kostenansatz nebst Kostenrechnung des Amtsgerichts
Krefeld vom 22.04.2005 (Kassenzeichen 70024769 252 5, Bl. 23 a GA) wurde ihr nach §
60 Abs. 1 KostO die Gebühr für die Eigentumseintragung im Grundbuch in Rechnung
gestellt. Der Geschäftswert wurde bemessen nach dem im
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Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 74 a Abs. 5 ZVG aufgrund eines
Sachverständigengutachtens vom 22.07.2002 durch Beschluss vom 15.08.2002
festgesetzten Verkehrswert in Höhe von 4 Mio EUR.
Auf die Beschwerde der Kostenschuldnerin hat das Landgericht mit dem angefochtenen
Beschluss den Kostenansatz nebst Kostenrechnung aufgehoben, weil der Zuschlag erst
im 4. Versteigerungstermin zu einem Meistgebot von lediglich 710.000,- EUR erteilt und
der Grundbesitz durch Kaufvertrag vom 27.12.2004/30.06.2005 nur für einen Kaufpreis
von 1,3 Mio EUR veräußert werden konnte. Hierin hat das Landgericht besondere
Umstände gesehen, die es rechtfertigten, den zugrunde liegenden Geschäftswert nicht
nach der im Zwangsversteigerungsverfahren vorgenommenen und nach den
Ausführungen des Senats im Beschluss vom 06.06.2002 – 10 W 50/02, Rpfleger 2002,
592 grundsätzlich maßgeblichen Verkehrswertfestsetzung zu bemessen.
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Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Landeskasse, nach deren
Auffassung der Geschäftswert trotz der vom Landgericht angeführten Gründe – wie im
ursprünglichen Kostenansatz erfolgt – nach dem im Zwangsversteigerungsverfahren
festgesetzten Verkehrswert zu bemessen sei.
4
II.
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Die unter dem 09.08.2005 eingelegte weitere Beschwerde der Landeskasse (Bl. 99, 101
f GA) gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom
28.07.2005 (Bl. 95 f GA) ist gemäß § 14 Abs. 5 KostO kraft Zulassung im angefochtenen
Beschluss zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Es kann nicht festgestellt werden,
dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht.
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Der für die Grundbucheintragung des Erstehers eines Grundstücks in der
Zwangsversteigerung zugrunde zu legende Geschäftswert bemisst sich nach den
Vorschriften der §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KostO und ist - soweit sich
wie hier ausreichende Anhaltspunkte für einen den Einheitswert übersteigenden Wert
vorliegen – ein Ermessenswert (vgl. Senat, Rpfleger 2002, 592; OLG München, Rpfleger
2002, 282f; OLG Frankfurt, OLGR 2005, 108). Dieser kann im Rahmen der weiteren
Beschwerde als Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüft werden, ob die zugrunde
liegenden Tatsachen ausreichend ermittelt und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt
worden sind. Die Ausführungen des Landgerichts lassen insoweit keine Rechtsfehler
erkennen.
7
1.
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Für den Fall, dass die Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch auf einem
Zuschlag in der Zwangsversteigerung beruht, hat der Senat in seinem Beschluss vom
06.06.2002 - 10 W 50/02 -, Rpfleger 2002, 592 ausgeführt, dass sich der Wert des
Grundstücks im Sinne des § 19 Abs. 1 KostO im Grundsatz nicht aus dem Meistgebot
ergebe, sondern dass als Wert der gemäß § 74 a Abs. 5 ZVG festgesetzte Verkehrswert
maßgeblich sei; auf einem Sachverständigengutachten beruhende Wertfestsetzungen
gemäß § 74 a Abs. 5 ZVG seien grundsätzlich als Grundlage für die Wertermittlung nach
Maßgabe des § 19 KostO geeignet; der vom Sachverständigen ermittelte Verkehrswert
entspreche regelmäßig dem jeweiligen Betrag, der in der konkreten Situation auf dem
Grundstücksmarkt als Kaufpreis zu erzielen sei. Der Senat hat seinerzeit ausdrücklich
offengelassen, ob von diesem Grundsatz in bestimmten, klar umrissenen
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Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Andere Oberlandesgerichte lassen ein
Abweichen von diesem Grundsatz zu (vgl. OLG München, Rpfleger 2002, 282f; OLG
Frankfurt, OLGR 2005, 108).
2.
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Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in dem angefochtenen
Beschluss das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles bejaht hat, weil erhebliche
Umstände dafür sprechen, dass der vom Sachverständigen im
Zwangsversteigerungsverfahren ermittelte Verkehrswert den Wert des Grundbesitzes im
Zeitpunkt der Eintragung nicht mehr zutreffend wiedergibt.
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Maßgeblich für die Gebührenberechnungen ist der Wert des Gegenstandes zur Zeit der
Fälligkeit der Gebühren, § 18 Abs. 1 KostO; dies ist der Zeitpunkt der Beendigung des
gebührenpflichtigen Geschäfts, § 7 KostO, hier also der Zeitpunkt der Eintragung im
April 2005. Das Gutachten datiert vom 22.07.2002, die Feststellungen des Gutachters
lagen mithin im Zeitpunkt der Eigentumseintragung ca. 2 ¾ Jahre zurück. In dieser
Zeitspanne haben sich offensichtlich der Zustand des Objekts und die Marktsituation
erheblich verschlechtert. Ein Indiz hierfür ist die Veräußerung des Grundbesitzes zu
einem Kaufpreis von nur 1,3 Mio EUR aufgrund des bindenden notariellen
Kaufangebotes der Kostenschuldnerin vom 27.12.2004 und dessen Annahme durch die
Erwerberin vom 30.06.2005. Der vereinbarte Kaufpreis legt nahe, dass bei einem
Verkauf auf dem freien Grundstücksmarkt kein höherer Preis zu erzielen war;
Anhaltspunkte dafür, dass der Kaufpreis erheblich unter dem erzielbaren Marktpreis lag,
gibt es nicht. Vielmehr wird der anzunehmende Wertverlust noch untermauert durch die
Tatsache, dass das Objekt erst im 4. Versteigerungstermin am 19.10.2004 zum
Meistgebot von lediglich 710.000,- EUR zugeschlagen werden konnte, nachdem "im
Hinblick auf die Ergebnisse der vorangegangenen Versteigerungstermine vom
16.12.2002, 17.03.2003, 01.10.2003 und den Zustand des Objektes" nicht zu erwarten
war, "dass in einem weiteren Termin ein höherer Versteigerungserlös erzielt werden
kann" (vgl. Zuschlagsbeschluss des Amtsgericht Krefeld vom 19.10.2004, Bl. 17 ff GA).
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In Fällen wie dem hier vorliegenden – erheblicher Zeitablauf zwischen sachverständiger
Wertermittlung im Zwangsversteigerungsverfahren und Eigentumseintragung des
Erstehers; erhebliches Abweichen des Meistgebotes vom festgesetzten Verkehrswert;
zeitnaher Verkauf durch den Ersteher zu einem wesentlich geringeren Kaufpreis, ohne
dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser weit unterhalb des unter den konkreten
Marktgegebenheiten erzielbaren Preises liegt – ist es daher gerechtfertigt, den
Geschäftswert für die Eigentumseintragung des Erstehers abweichend von dem im
Zwangsversteigerungsverfahren ermittelten Wert zu bemessen (vgl. auch OLG
München, Rpfleger 2002, 282f; OLG Frankfurt, OLGR 2005, 108) und am zeitnah
erzielten Kaufpreis zu orientieren. Dies wird im vorliegenden Fall besonders deutlich,
wenn man die Gebühr für die im Juli 2005 erfolgte Eintragung der Erwerberin des
Grundbesitzes aufgrund Kaufvertrages mit der Kostenschuldnerin vom
27.12.2004/30.06.2005 berücksichtigt. Diese bemisst sich gemäß § 20 Abs. 1 KostO
nach dem Kaufpreis von 1,3 Mio EUR (vgl. Kostenrechnung vom 13.07.2005 zu
Kassenzeichen 70028348 252 0, Bl. 82 a GA), weil Anhaltspunkte für einen höheren
Wert im Zeitpunkt der Eintragung nicht ersichtlich sind. Vor diesem Hintergrund besteht
kein nachvollziehbarer Grund, die kurz zuvor, im April 2005 erfolgte Eintragung der
Kostenschuldnerin nach der im Zwangsversteigerungsverfahren am 15.08.2002
erfolgten Wertfestsetzung von 4 Mio EUR zu bemessen. Das Wertgutachten allein kann
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dies nicht rechtfertigen, weil die zugrunde liegenden Ermittlungen sich auf einen ca. 2 ¾
Jahre zurückliegenden Zeitpunkt bezogen.
3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 9 KostO.
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