Urteil des OLG Düsseldorf vom 12.03.2007
OLG Düsseldorf: eigenes verschulden, sachliche zuständigkeit, schmerzensgeld, reparaturkosten, distorsion, betriebsgefahr, beweiswürdigung, beschädigung, fahrlässigkeit, radfahrer
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-1 U 192/06
Datum:
12.03.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-1 U 192/06
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 03. August 2006 verkündete
Urteil des Amtsgerichts Nettetal unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger
146,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 14.11.2005 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den
Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2005 zu
zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als
Gesamtschuldner. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden
gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
I.
2
Die zulässige Berufung des Klägers hat überwiegend auch in der Sache Erfolg.
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Der Kläger kann von den Beklagten sowohl materiellen Schadensersatz als auch
Schmerzensgeld aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 16.08.2005
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beanspruchen, da sein Mitverschuldensanteil am Zustandekommen des Unfalles nicht
höher als 50 % zu bewerten ist. Ein von dem Amtsgericht angenommenes vollständiges
Zurücktreten der Haftung der Beklagten kommt danach nicht in Betracht.
1.
5
Die sachliche Zuständigkeit des OLG Düsseldorf ergibt sich vorliegend aus § 119 Abs. 1
Ziff. 1b GVG, da der Kläger seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat.
6
2.
7
Rechtliche Grundlage für den geltend gemachten materiellen und immateriellen
Schadensersatzanspruch des Klägers sind die §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, 249, 253 Abs.
2 BGB, 3 Nr. 1 und 2 PflVG.
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Ein Wegfall der Haftung der Beklagten nach § 7 Abs. 2 StVG scheidet vorliegend
mangels höherer Gewalt aus.
9
a)
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Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagten konkret zur Schadensersatz-
und Schmerzensgeldzahlung an den Kläger verpflichtet sind, bestimmt sich nach § 9
StVG i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB auch danach, ob bei der Entstehung des Schadens auch
ein eigenes Verschulden des Klägers mitgewirkt hat.
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Ein solches Verschulden hat das Amtsgericht dem Grunde nach zutreffend darin
gesehen, dass der Kläger zum einen mit seinem Fahrrad neben dem baulich von dem
Fußwegbereich abgetrennten Radweg fuhr und zum anderen infolge Unaufmerksamkeit
nicht auf den vor ihm liegenden Bereich des Gehweges geachtet hat.
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aa) Die zu diesen Feststellungen führende Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist im
Ergebnis nicht zu beanstanden.
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Im Berufungsrechtszug soll die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichtes nach
der Neufassung der ZPO nur darauf überprüft werden, ob sie in sich widersprüchlich ist,
den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderläuft, Teile des
Beweisergebnisses ungewürdigt lässt oder den unterbreiteten Sachverhalt
verfahrensfehlerhaft nicht ausschöpft (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 17.06.2004, I-14 U
154/03, n.v.).
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Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Insbesondere die von dem
Amtsgericht als glaubhaft eingestufte Aussage des Zeugen P. rechtfertigt es –auch vor
dem Hintergrund der dargelegten eingeschränkten Überprüfbarkeit der erstinstanzlichen
Beweiswürdigung-, das vorgenannte Fehlverhalten des Klägers als erwiesen
anzusehen.
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Die von dem Kläger erhobenen Einwände gegen die amtsgerichtliche
Beweiswürdigung vermögen hieran nichts zu ändern.
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Insbesondere die offenkundigen Verwechslungen in dem angefochtenen Urteil
betreffend die Namen der beiden Zeugen und die Bezeichnung des von dem Kläger
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befahrenen Wegteiles sind insoweit unschädlich, da aus dem Zusammenhang
unzweifelhaft erkennbar ist, was der Amtsrichter jeweils gemeint hat.
Der Einwand des Klägers, bei der von dem Beklagten zu 1. und dem Zeugen P.
geschilderten Endposition des Pkw auf dem Gehweg hätte der Anstoß durch das
Fahrrad weiter hinten am Pkw erfolgen müssen, ist nicht stichhaltig. So hat der Kläger
im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst eingeräumt, unmittelbar vor der
Kollision noch eine Ausweichbewegung nach links unternommen zu haben (Bl. 87 GA).
Insofern lässt sich der Anstoßpunkt an der vorderen linken Ecke des Pkw mit der
Angaben des Beklagten zu 1. und der Zeugen ohne weiteres in Einklang bringen.
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bb) Die rechtliche Frage, ob dem Kläger das Fahren neben dem Radweg als Verstoß
gegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO zugerechnet werden kann, oder ob der Beklagte zu 1. als
Grundstücksausfahrer von dem Schutzbereich dieser Vorschrift gar nicht erfasst wird
(vgl. insofern die Rechtsprechungshinweise in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. A.,
§ 2 StVO Rn. 29, hier insbesondere OLG Düsseldorf NZV 1996, 119; 1997, 37), bedarf
keiner eingehenden Vertiefung.
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Jedenfalls verstößt nämlich ein solches Fahren neben dem Radweg gegen die
allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 2 StVO, die auch gegenüber
Grundstücksausfahrern gilt (so auch OLG Hamm NZV 1995, 152). Der auf dem Gehweg
fahrende Radfahrer muss an Grundstücksausfahrten grundsätzlich damit rechnen, dass
dort Kfz herauskommen und dass deren Fahrer bei Beginn des Ausfahrvorganges den
Radfahrer (wegen dessen höherer Geschwindigkeit gegenüber Fußgängern) nicht bzw.
nicht rechtzeitig wahrnehmen könnte. Dies gilt vor allem in Fällen wie dem
vorliegenden, in denen der Radfahrer – nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme –
relativ nah neben der Häuserwand fährt und damit der Sichtwinkel für den
Grundstücksausfahrer nochmals verschlechtert wird.
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An der Unfallursächlichkeit dieses Pflichtverstoßes bestehen keine Zweifel vor dem
Hintergrund, dass es nach der auch insoweit nur eingeschränkt überprüfbaren
amtsgerichtlichen Würdigung des Beweisergebnisses als erwiesen anzusehen ist, dass
das Fahrzeug des Beklagten zu 1. noch vor dem Radwegbereich zum Stehen
gekommen ist.
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cc) Ebenfalls einen Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 2 StVO
stellt die Unaufmerksamkeit des Klägers unmittelbar vor der Kollision dar.
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Auch insoweit ist der Umstand, dass das Amtsgericht hinsichtlich dieses Punktes
ebenfalls der Aussage des Zeugen P. gefolgt ist, wonach der Kläger vor dem
Zusammenstoß nicht geradeaus, sondern nach links geschaut hat, berufungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Beide Zeugen haben zudem übereinstimmend bekundet, dass
der Kläger dies vor Ort auch selbst eingeräumt hat.
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Berücksichtigt man den Umstand, dass es dem Kläger trotz dieser Unaufmerksamkeit
nach eigenen Angaben noch möglich war, mit seinem Rad eine Ausweichbewegung
nach links einzuleiten und dass der Anstoß gegen den Pkw sodann gegen dessen linke
vordere Ecke erfolgte, muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Unfall
hätte vermeiden können, wenn er von Anfang an seinen Blick in Fahrtrichtung gewendet
hätte.
24
b)
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Demgegenüber steht auf Beklagtenseite in jedem Fall die Betriebsgefahr des Pkw.
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Diese hat sich – unabhängig von der Frage eines schuldhaften Verstoßes des
Beklagten zu 1. gegen etwaige Verkehrsvorschriften – jedenfalls durch das besonders
gefahrenträchtige und risikobehaftete Ausfahren aus einer Grundstückszufahrt mit
Überquerung eines Geh- und Radweges sowie nur eingeschränkter Einsehbarkeit des
Gehweges nicht unerheblich erhöht.
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Die Frage, ob vorliegend eine weitere Erhöhung der Betriebsgefahr durch einen
etwaigen schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. –insbesondere eine
Verletzung des § 10 StVO- anzunehmen ist, kann im Hinblick auf die vom Kläger
ausdrücklich vorgenommene Beschränkung seiner Berufung auf eine hälftige
Haftungsquote im Ergebnis dahinstehen. Bereits die auf Beklagtenseite zu
berücksichtigende, durch die dargelegten objektiven Merkmale erhöhte Betriebsgefahr
führt bei zutreffender Abwägung der beiderseitigen Verantwortungsbeiträge zu einer
anteiligen Haftung der Beklagten von nicht unter 50%.
28
c)
29
Der von dem Amtsgericht angenommene völlige Haftungsausschluss zugunsten der
Beklagten wird dem Gewicht der beiderseitigen Verursachungs- und
Verschuldensbeiträge nicht gerecht.
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Grundsätzlich gilt, dass die Gefährdungshaftung durch lediglich leichte oder normale
Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht ausgeschlossen wird, während ein grob
verkehrswidriges Verhalten zu einem vollständigen Haftungsausschluss führen kann
(BGH NJW 1990, 1483).
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Vorliegend ist das Fehlverhalten des Klägers als einfache Fahrlässigkeit i.S.d. § 276
Abs. 2 BGB zu qualifizieren, welches einen Haftungsausschluss nicht rechtfertigt.
Insofern ist auch in Betracht zu ziehen, dass der Kläger nicht vollkommen abseits des für
ihn vorgeschriebenen Radweges fuhr, sondern lediglich seitlich versetzt neben diesem.
Zudem kann dem Kläger mangels anders lautender Anhaltspunkte auch lediglich
vorgeworfen werden, den Blick nur für kurze Zeit von dem vor ihm liegenden
Wegbereich abgewendet zu haben.
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In der Summe wiegen diese Verstöße des Klägers bei weitem nicht so schwer, dass sie
den Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit rechtfertigen könnten.
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Auf die umstrittene Frage, ob nach der Gesetzesänderung des § 7 Abs. 2 StVG vom
01.08.2002 die alte Rechtsprechung zum vollständigen Zurücktreten der Kfz-
Betriebsgefahr gegenüber einem grob verkehrswidrigen Eigenverschulden (BGH VersR
1966, 877) auch bei nicht motorisierten Geschädigten überhaupt noch volle Gültigkeit
beanspruchen kann, kommt es danach nicht an.
34
3.
35
Hinsichtlich der Schadenshöhe gilt Folgendes:
36
a)
37
Die Reparaturkosten für sein Fahrrad kann der Kläger nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB
entsprechend seiner Mithaftungsquote zur Hälfte erstattet verlangen.
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Dass das Rad bei dem streitgegenständlichen Unfall überhaupt beschädigt wurde,
haben die Beklagten nicht hinreichend deutlich in Abrede gestellt. Die im Schriftsatz
vom 14.03.2006 diesbezüglich angedeuteten Zweifel (Bl. 34 GA) können nicht als
konkretes Bestreiten jedweder Beschädigung des Rades ausgelegt werden. Zudem
setzt auch eine starke Beschädigung nicht zwingend eine Fahruntauglichkeit voraus.
39
Den zunächst pauschal gehaltenen Sachvortrag des Klägers hinsichtlich des erlittenen
Schadens hat dieser jedenfalls durch die Vorlage des Schadensgutachtens des
Sachverständigenbüros B, hinreichend substantiiert.
40
Dass der Kläger vorliegend den Weg einer Abrechnung fiktiver Reparaturkosten auf
Gutachtenbasis beschreitet, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings kann er
mangels tatsächlichen Anfalls entsprechender Mehrwertsteuer nach § 249 Abs. 2 S. 2
BGB lediglich den Nettobetrag in Höhe von 210,08 € geltend machen.
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Eine Beschränkung des Klägers auf eine Abrechnung nach den Grundsätzen des
wirtschaftlichen Totalschadens kommt hier nicht in Betracht, da die Reparaturkosten
ausweislich des Gutachtens ebenso hoch sind wie der Wiederbeschaffungswert (250,- €
brutto) und ihn damit nicht übersteigen. Die vom Sachverständigen geschätzten
Reparaturkosten kann der Geschädigte bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes
ohne Abzug des Restwertes auch dann ersetzt verlangen, wenn er keine Reparatur
durchführen lässt und das Fahrzeug zumindest 6 Monate nach dem Unfall weiter nutzt
(BGH VersR 2006, 989).
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Die durch die Beklagten erhobenen Einwände gegen den von dem Sachverständigen
ermittelten Wiederbeschaffungswert stehen der Zuerkennung eines entsprechenden
Schadensersatzanspruches zugunsten des Klägers nicht entgegen. Die in dem
Gutachten enthaltene Festsetzung des Wiederbeschaffungswertes durch den
Sachverständigen hängt – ebenso wie bei Kfz-Schadensgutachten - nicht von dem von
dem Kläger seinerzeit tatsächlich entrichteten Anschaffungspreis ab. Bei dem
Wiederbeschaffungswert handelt es sich vielmehr um die Kosten, die für die
Wiederbeschaffung einer wirtschaftlich gleichwertigen Ersatzsache aufzubringen sind,
hier also den Preis eines gleichwertigen gebrauchten Fahrrades. Dass dem
Sachverständigen bei der Ermittlung dieses Wertes ein irgendwie gearteter Fehler
unterlaufen wäre, lässt sich weder dem Vortrag der Beklagten noch dem sonstigen
Akteninhalt, insbesondere auch nicht dem Gutachten selbst entnehmen.
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Danach hat der Kläger einen entsprechenden Schadensersatzanspruch in Höhe von
105,04 €.
44
b)
45
Auch die Kosten des Sachverständigengutachtens kann der Kläger zur Hälfte in Höhe
von 41,65 € erstattet verlangen.
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Sachverständigenkosten können zu dem nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen
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Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur Durchführung der
Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist. Dabei ist auf die Sicht des
Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf
an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen
Erkenntnissen und Möglichkeiten die Beauftragung eines Sachverständigen für geboten
erachten durfte. Die Schadenshöhe laut Gutachten ist dabei nicht allein maßgebend,
auch nicht ihr Verhältnis zu den Sachverständigenkosten. Auf der anderen Seite kann
der später ermittelte Schadensumfang ein Gesichtspunkt sein, den der Richter im
Rahmen des § 287 ZPO berücksichtigen kann (BGH NJW 2005, 356).
Übertragen auf den vorliegenden Fall ist die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der
Gutachterbeauftragung durch den Kläger (noch) zu bejahen. Wenn auch der
Schadensumfang betragsmäßig gering ist, so ist doch zu berücksichtigen, dass die
Beschädigung des Rades nahe am wirtschaftlichen Totalschaden lag und damit
jedenfalls relativ hoch war. Eine Übertragung der bei Pkw-Schadensfällen in der
Rechtsprechung in unterschiedlicher Höhe angenommenen Bagatellgrenzen auf einen
Fahrradschaden verbietet sich von vorneherein angesichts des deutlich höheren Wertes
eines Pkw, zumal hier auch die Gutachterkosten in einer anderen Dimension liegen.
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c)
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Dem Kläger steht zudem für die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen ein
Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- € zu.
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Unstreitig hat der Kläger durch den Unfall eine Gehirnerschütterung, eine Schwellung
am rechten Fuß und eine Distorsion beider Handgelenke erlitten.
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aa) Zu Recht weisen die Beklagten allerdings hinsichtlich der Handgelenke auf die sich
aus den vorgelegten ärztlichen Berichten (Bl. 20, 66, 69 GA) ergebende Vorschädigung
der Handgelenke hin, ohne allerdings die unfallbedingte Distorsion selbst zu bestreiten.
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Insofern ist zugunsten des Klägers in diesem Punkt der Weg der Schadensschätzung
nach § 287 ZPO eröffnet.
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Steht - wie hier - eine unfallbedingte Körperverletzung fest (Distorsion der
Handgelenke), so ist damit der Haftungsgrund (die haftungsbegründende Kausalität)
gegeben. Ob der Verkehrsunfall über diese Verletzung hinaus auch entsprechende
Beschwerden und Schmerzen zur Folge hatte, ist eine Frage des Ausmaßes der
Schädigung, d. h. der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BGHZ 58, 48 ff. = NJW
1972, 1126; BGH, NJW-RR 1987, 339 m. w. Nachw.). Nur der Nachweis des
Haftungsgrundes unterliegt den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, während im
Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität der Tatrichter nach Maßgabe des § 287
ZPO freier gestellt ist (BGH, NJW-RR 1987, 339). Hier genügt, je nach den Umständen
des Einzelfalles, bereits eine erhebliche Wahrscheinlichkeit (BGH NJW-RR 1987, 339;
BGH NJW 1976, 1145).
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Aus den zu den Akten gereichten ärztlichen Berichten ergibt sich insoweit hinreichend
deutlich, dass der unfallbedingte Sturz des Klägers jedenfalls zu einer Verschlechterung
des Zustandes an den Handgelenken geführt hat, insbesondere zu einer Zunahme
entsprechender Schmerzen. Eine solche unfallbedingte Verschlechterung des
Vorzustandes reicht aber, um die volle Haftung des Schädigers auszulösen, selbst
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wenn die dokumentierten Vorschäden sich in irgendeiner Weise mitursächlich auf das
Beschwerdebild ausgewirkt haben sollten.
War der vorherige Zustand – trotz einer schon seinerzeit gegebenen Verletzung oder
Verschleißerscheinung – überhaupt nicht mit Beschwerden verbunden, war also die
Vorschädigung "klinisch stumm” oder "symptomlos”, so sind sogar alle vom
Geschädigten vorgebrachten und bewiesenen Beeinträchtigungen seines Körpers oder
seiner Gesundheit auf den fraglichen Unfall zurückzuführen. Der Schädiger hat keinen
Anspruch dahingehend, auf ein Unfallopfer zu treffen, das in dem verletzten
Körperbereich in jeder Hinsicht frei von Verletzungen oder Verschleißerscheinungen ist
(Senatsurteil vom 19.07.2004, I-1 U 1/04).
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Von einer solchen Konstellation kann vorliegend allerdings nicht ausgegangen werden.
Die ärztlichen Berichte belegen vielmehr eine schon vor dem Unfall bestehende
schmerzhafte Symptomatik mit erheblichen Beschwerden bei dem Kläger. Damit ist
auch nur dieser "überschiessende" Bereich der Beschwerdesymptomatik bei der
Bemessung des Schmerzensgeldes zugrunde zu legen.
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bb) Nicht erwiesen ist dagegen die von dem Kläger behauptete und von den Beklagten
bestrittene auf den Unfall zurückzuführende HWS-Distorsion.
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Insofern fehlt es an einer entsprechenden (unbestrittenen oder erwiesenen)
Primärverletzung, die einen Rückschluss nach § 287 ZPO möglicherweise zuließe. Der
vielmehr von dem Kläger zu führenden Vollbeweis nach § 286 ZPO ist insofern mangels
geeigneten Beweisangebotes seitens des Klägers nicht als geführt anzusehen. Allein
die zu den Akten gereichten Arztberichte sind insoweit nicht hinreichend aussagekräftig,
zumal auch hierin teilweise eine Vorschädigung der HWS beim Kläger dokumentiert ist
(Bl. 20 GA).
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cc) Ebenfalls keine Berücksichtigung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes findet
die von dem Kläger behauptete Beeinträchtigung infolge einer vermeintlichen
Eingipsung seines rechten Handgelenkes.
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Zwar gilt auch insoweit angesichts der unstreitigen Handgelenksdistorsion der
Beweismaßstab des § 287 ZPO; dem Akteninhalt lassen sich aber keinerlei Hinweise
darauf entnehmen, dass das Handgelenk tatsächlich eingegipst wurde. Es wäre
eigentlich zu erwarten gewesen, dass eine solche medizinische
Behandlungsmaßnahme in einem der vorgelegten ärztlichen Berichte Erwähnung
gefunden hätte.
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dd) Dagegen ist die von dem Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit zumindest bis Ende
Oktober 2006 angesichts des ärztlichen Berichtes vom 26.10.2006 (Bl. 66 GA)
ausreichend belegt. Auch hier gilt der Beweismaßstab des § 287 ZPO.
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ee) Bei der konkreten Bemessung des Schmerzensgeldes ist neben den vorgenannten
unstreitigen oder als erwiesen anzusehenden Beeinträchtigungen und Beschwerden
auch das von dem Kläger selbst zugrunde gelegte hälftige Mitverschulden zu
berücksichtigen.
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Insgesamt erachtet der Senat danach ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- € für
angemessen aber auch ausreichend, um den von dem Kläger erlittenen immateriellen
64
Schaden gebührend auszugleichen.
4.
65
Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
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Einer Mahnung bedurfte es angesichts der in den vorprozessualen Schreiben vom
14.11.2005 und 13.12.2005 zum Ausdruck kommenden endgültigen und ernsthaften
Zahlungsverweigerung seitens der Beklagten zu 2. gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB
nicht.
67
II.
68
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, § 100 Abs. 4 ZPO hinsichtlich
der Kosten des Berufungsrechtszuges. Bezüglich der erstinstanzlich angefallenen
Kosten folgt die Entscheidung aus § 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in
§§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 1.166,65 €.
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Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543
Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
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Dr. Eggert Ernst Dahm
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Vors. Richter am OLG Richter am OLG Richter am AG
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