Urteil des OLG Düsseldorf vom 25.11.2003

OLG Düsseldorf: verkehr, begriff, öffentlich, gemeinschaftspraxis, form, logo, zahnarzt, werbung, internet, klagebefugnis

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-20 U 63/03
Datum:
25.11.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-20 U 63/03
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung
der Klägerin das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf
vom 26. Februar 2003 teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 105 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Be-
klagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Soweit der Senat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat, wird
die Revision zugelassen.
I.
1
Der Beklagte ist Zahnarzt. Er gestaltet den Kopf seines Briefbogens wie aus der Anlage
zum Urteil ersichtlich. Die Klägerin, die für den Beklagten zuständige Zahnärztekammer,
beanstandet die Verwendung des Begriffs "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" sowie
des Wort-Bild-Zeichens "die + Zahnärzte" als berufs- und wettbewerbswidrig. Der Begriff
"Zahnärztliche Praxisgemeinschaft", der lediglich auf eine gemeinsame Benutzung von
Räumen und/oder Geräten bzw. gemeinsames Hilfspersonal hinweist, dürfe nach der
Berufsordnung (BO) auf Briefbögen nicht geführt werden und sei wegen einer
Verwechslungsgefahr mit dem Begriff "Gemeinschaftspraxis" irreführend. Das Wort-Bild-
Zeichen sei reißerisch und weise keinen Informationsgehalt auf. Sie hat daher
beantragt,
2
den Beklagten zu verurteilen,
3
es bei Meidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft,
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,
4
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in im Zusammenhang mit seiner
Berufsausübung bestimmten Briefbögen folgende Zusätze zu führen:
5
a) "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft"
6
b) folgendes Wort-Bild-Zeichen
7
a. Abbildung
8
Der Beklagte hat beantragt,
9
die Klage zurückzuweisen.
10
Er hat die Auffassung vertreten, ein Verstoß gegen die Berufsordnung stelle noch
keinen wettbewerbsrechtlichen Verstoß dar. Die Klägerin dürfe zudem gegen ihn nur auf
Grund der Vorschriften des Heilberufsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom
09. Mai 2000 (HeilBerG NRW) vorgehen. Die Verwendung der beanstandeten Begriffe
bzw. Zeichen sei auch nicht berufswidrig.
11
Das Landgericht, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, hat die
Klagebefugnis der Klägerin bejaht und in der Sache die Klage hinsichtlich der
Benutzung von "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" abgewiesen, die Verwendung des
Wort-Bild-Zeichens demgegenüber untersagt. Das Logo weise keinen
Informationsgehalt auf. Demgegenüber weise der Begriff- zutreffend - auf die
Zusammenarbeit des Beklagten mit anderen Zahnärzten hin; soweit Patienten diesen
Begriff mit dem einer "Gemeinschaftspraxis" verwechselten, sei dies irrelevant, weil für
sie unerheblich sei, mit wem sie den Behandlungsvertrag abschlössen.
12
Gegen diese Entscheidung richtet sich, soweit ihnen ungünstig, die Berufung beider
Parteien.
13
Die Klägerin macht geltend, der Begriff "Praxisgemeinschaft" vermittle dem Patienten
keine sachlichen Informationen. Er lasse nicht zwingend auf die Größe der Praxisräume,
Anzahl der Mitarbeiter oder die Qualität der Leistungen schließen. Zudem führe er über
die haftungsrechtlichen Zusammenhänge in die Irre. Sie beantragt daher,
14
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten des Weiteren zu
verurteilen,
15
es bei Meidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatz- weise Ordnungshaft,
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unter- lassen,
16
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in im Zusammenhang mit seiner
Berufsausübung bestimmten Briefbögen den Zusatz "Zahnärztliche
Praxisgemeinschaft" zu führen, und zwar so, wie in der Anlage zum Urteil
wiedergegeben.
17
Der Beklagte beantragt,
18
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und unter teilweiser Abände- rung des
angefochtenen Urteils die Klage vollständig abzuweisen.
19
Unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens macht er
weiterhin geltend, die Klägerin als für ihn zuständige Kammer sei nicht befugt, wegen
der angeblichen Berufswidrigkeit der beanstandeten Handlungen zivilgerichtlich gegen
ihn vorzugehen. Vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs seien diese Handlungsweisen
auch nicht als berufswidrig zu werten. Die Benutzung des Logos sei nicht reißerisch.
Der Begriff "Praxisgemeinschaft" sei auch nicht irreführend, zumal ihn die Klägerin in
ihren Richtlinien zu § 20a BO ausdrücklich zulasse.
20
Die Klägerin beantragt,
21
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
22
Insoweit verteidigt sie unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens das angefochtene Urteil. Insbesondere bestünden keine Bedenken
dagegen, dass sie neben den Möglichkeiten des HeilBerG auf zivilrechtlichem Wege
gegen wettbewerbsrechtliche Handlungen ihrer Mitglieder vorgehe.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zum
Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze der Parteien verwiesen.
24
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg, während die Berufung des Beklagten zur
vollständigen Abweisung der Klage führt.
25
II.
26
Allerdings sind die Beanstandungen der Klägerin in der Sache teilweise berechtigt.
Soweit sie geltend macht, die Führung des Zusatzes "Zahnärztliche
Praxisgemeinschaft" sei in der konkreten Form gemäß Anlage K 1 zur Klageschrift (=
Anlage zum vorliegenden Urteil) berufswidrig, trifft dies zu (dazu 1.). Demgegenüber ist
die Benutzung des Logos - was insofern allein Gegenstand des Verfahrens ist - nicht
berufswidrig (dazu 2.).
27
1.
28
Die Benutzung des Begriffs "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" ist in der Form, wie dies
durch die Beklagte tatsächlich geschieht, irreführend.
29
a) Allerdings kann - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - die Verwendung von
"Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" auf Briefbögen nicht von vornherein als berufs- und
wettbewerbswidrig beurteilt werden.
30
aa) Zwar dürfen bei wörtlichem Verständnis des § 19 BO auf Briefbögen lediglich die in
§ 18 Abs. 1 BO genannten Angaben aufgedruckt werden. Dazu zählt der Zusatz
"Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" nicht.
31
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2000,
2734 - Werbung für eine Zahnklinik; NJW 2000, 1635 - Sponsoring; NJW 2001, 1331 -
Implantalogie; NJW 2002, 1331 - Spezialisten; NJW 2002, 3091 - Tierarztwerbung; NJW
2003, 2818 - Klinikwerbung; zuletzt Beschlüsse vom 26.08.2003 - 1 BvR 1003/02 - und
vom 26.09.2003 - 1 BvR 1608/02) und des Bundesgerichtshofs (zuletzt GRUR 2003,
798) können jedoch lediglich berufswidrige Werbung, nicht jedoch interessengerechte
und sachangemessene Informationen verboten werden, die keinen Irrtum erregen.
Werbeverbote und -beschrän-kungen sollen eine Verfälschung des (zahn-)ärztlichen
Berufsbildes verhindern, die einträte, wenn der Arzt Werbemethoden verwendete, wie
sie in der gewerblichen Wirtschaft üblich sind (vgl. BVerfG NJW 2000, 2734 - Werbung
für eine Zahnklinik; BVerfG NJW 2001, 2788 - Implantologie; BVerfG NJW 2002, 1331 -
Spezialisten; BVerfG NJW 2002, 3091 - Tierarztwerbung), wobei allerdings aus dem
benutzten Medium nicht von vornherein auf "gewerbliche Werbemethoden" geschlossen
werden darf (vgl. BVerfG NJW 2002, 3091 - Tierarztwerbung; Beschluss vom
26.09.2003 - 1 BvR 1608/02; BGH GRUR 2003, 798 unter II.3.a)). Der Patient soll darauf
vertrauen können, dass sich der Arzt nicht von wirtschaftlichen Interessen, sondern von
medizinischen Notwendigkeiten leiten lässt.
32
cc) Danach ist nicht zu erkennen, gegen welche Gemeinwohlbelange die Verwendung
des Begriffs auf Briefbögen - ohne Rücksicht auf die konkrete Benutzungsform (dazu b))
- verstoßen könnte.
33
Unter einer "Praxisgemeinschaft" wird die in § 33 Abs. 1 Zulassungsverordnung für
Vertragszahnärzte und in § 14 BO angesprochene "gemeinsame Nutzung von
Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von
Hilfspersonal" bzw. die "gemeinschaftliche Nutzung von Praxisräumen, diagnostischen
und therapeutischen Einrichtungen" verstanden. Im Gegensatz dazu steht der Begriff der
"Gemeinschaftspraxis", welcher die "gemeinsame Ausübung" der Tätigkeit
kennzeichnet (vgl. § 14 BO; § 33 Abs. 2 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte;
Abschnitt G. der Bedarfsplanungs-Richtlinien Zahnärzte). Auch wenn der Verkehr diese
Definitionen möglicherweise nicht kennt, insbesondere nicht den Unterschied zwischen
einer "Praxisgemeinschaft" und einer "Gemeinschaftspraxis", so entnimmt er der
ersteren Angabe, dass der betreffende (Zahn-) Arzt mit einem oder mehreren anderen
(Zahn-)Arzt/Ärzten zusammenarbeitet, wobei ihm der Umfang dieser Zusammenarbeit
unklar sein mag. Jedenfalls erkennt der Verkehr, dass der (Zahn-)Arzt nicht allein tätig
ist, sondern bestimmte Räume, möglicherweise auch Geräte, sowie Personal mit einem
oder mehreren anderen (Zahn-)Arzt/Ärzten teilt.
34
Welcher Gemeinwohlbelang die Untersagung einer Information darüber auf Briefbögen
rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Sie ist weder "marktschreierisch" (vgl. BVerfG
NJW 2003, 2818 - Klinikwerbung) noch übermäßig anpreisend (vgl. BGH GRUR 2003,
798). Diese Angabe ist auch für die tatsächliche Abwicklung in der Praxis von Interesse;
für den Patienten macht es beispielsweise einen Unterschied, ob das Wartezimmer und
die Rezeption lediglich für einen einzigen oder für mehrere (Zahn-)Ärzte bestimmt ist.
Gegen eine unzulässige Herausstellung spricht des Weiteren, dass Schreiben des
(Zahn-)Arztes den Patienten erst dann erreichen, wenn er bereits einen Vertrag mit ihm
abgeschlossen hat (z.B. Rechnung, Mitteilung über Befund) oder er zumindest in
Kontakt mit ihm getreten ist (z.B. Kostenvoranschlag). In jedem Falle ist er hat er die
Praxis des Beklagten bereits zuvor aufgesucht.
35
Als solcher führt der Begriff den Verkehr auch nicht in relevantem Umfange in die Irre.
36
Kennt der Verkehr die zuvor angesprochenen Begrifflichkeiten, kann er von vornherein
nicht getäuscht werden. Hat er lediglich die oben angesprochenen unklaren
Vorstellungen, so verbindet er mit dem Begriff lediglich eine Zusammenarbeit mit einem
oder mehreren anderen (Zahn-)Ärzten; auch dieses Verständnis trifft zu. Da die Begriffe
"Praxisgemeinschaft" und "Gemeinschaftspraxis" sprachlich nahe beieinander liegen,
und dem Verkehr - insoweit anders als bei den Parallelbegriffen bei Rechtsanwälten
"Sozietät" und "Bürogemeinschaft" - mangels einer langandauernden klaren
Sprachpraxis die Unterschiede zwischen einer "Gemeinschaftspraxis" und einer
"Praxisgemeinschaft" vielfach nicht klar sein werden, besteht bei bestimmten
Personenkreisen die Gefahr, dass sie ein sich als "Praxisgemeinschaft" bezeichnendes
"Gebilde" als "Gemeinschaftspraxis" werten und die Verwendung dann zu
Fehlvorstellungen darüber führt, wer ihr Vertragspartner ist. Dies ist abstrakt
hinzunehmen, weil der Zahnarzt lediglich die - sogar durch bestimmte Normen gedeckte
- übliche Terminologie benutzt; zudem hat die Klägerin diesen Begriff ausdrücklich in
ihrer Richtlinie gemäß § 20a BO für die Startseite einer Website eines Zahnarztes - und
zwar ohne das Erfordernis weitergehender Erläuterungen, sogar mit deren Verbot -
zugelassen. Hinsichtlich der Frage einer Irreführungsgefahr des Begriffs spielt es keine
Rolle, ob er im Internet oder auf Briefbögen benutzt wird.
b) Jedoch wird der Begriff "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" in der konkreten Form,
wie sie die Klägerin - im Gegensatz zum landgerichtlichen Verfahren - nunmehr zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, irreführend benutzt.
37
Wie bereits unter a) ausgeführt, ist der Begriff aus sich heraus für den Verkehr
"schillernd". Wird er dann aber in der Form "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft, Graf-
Adolf-Straße 24, 40212 Düsseldorf" (Bl. 5 GA) geführt, so wird nicht lediglich darauf
hingewiesen, dass der Zahnarzt in bestimmter Hinsicht mit anderen Zahnärzten intern
zusammenarbeitet. Vielmehr wird dem Verkehr eine nach außen hin auftretende
"Organisation" vorgespiegelt, die als solche Absender des Schreibens ist. Durch diese
Art der Benutzung wird der Verkehr eine Organisationsform mit all ihren Konsequenzen
annehmen, die richtigerweise nicht als "Praxisgemeinschaft", sondern als
"Gemeinschaftspraxis" zu bezeichnen wäre.
38
Der Senat ist im Übrigen der Auffassung - die Klägerin hat dies allerdings nicht gerügt -,
dass die Fehlvorstellungen des Verkehrs im konkreten Fall noch dadurch gesteigert
werden, dass das Logo, welches an sich nicht zu beanstanden ist (vgl. unter 2.), den
Wortbestandteil "die + zahnärzte" aufweist, wobei der Verkehr den Gebrauch des
Plurals auf die Tatsache zurückführt, dass in der "Praxisgemeinschaft" mehrere
Zahnärzte zusammenarbeiten.
39
Dieser Irrtum ist entgegen den Bedenken des Landgerichts relevant. Die Frage, wer
Vertragspartner ist, mag für den Patienten gleichgültig sein. Dies ändert sich aber, wenn
es zu Streit - etwa über die Berechtigung der Abrechnung oder die Haftung wegen
angeblicher Schlechtbehandlung - kommt. Gerade auch für diese Fälle ist der Patient
schutzbedürftig. Es mag sein, dass in einer allfälligen rechtlichen Auseinandersetzung
dieser Schutz in bestimmten Fällen durch die Regeln über eine "Scheingesellschaft"
letztlich doch gewährleistet wird. Dem Patienten ist aber bereits die Ungewissheit
darüber, wer Vertragspartner ist und ob und inwieweit die angesprochenen rechtlichen
Regeln eingreifen, nicht zuzumuten. Es ist vielmehr insoweit Sache des Zahnarztes, von
vornherein klare Verhältnisse zu schaffen.
40
2.
41
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann die Verwendung des Wort-Bild-
Zeichens abstrakt - insoweit hat die Klägerin im Gegensatz zu 1. einen Antrag auf
Untersagung der konkreten Benutzungsform nicht gestellt - nicht untersagt werden.
42
a) Die Klage ist allerdings zulässig. Soweit sich der Senat im Verfahren 20 U 4/03
zwischen den Parteien mit dem Zeichen befasst hat, betraf es die Verwendung im
Internet, nicht auf Briefbögen. Zudem handelte es sich lediglich um eine nicht in
Rechtskraft erwachsende Vorfrage (vgl. BGH NJW 2003, 3058).
43
b) Jedoch ist die Verwendung nicht berufs- und wettbewerbswidrig.
44
aa) Allerdings trifft auch insoweit zu, was zuvor unter 1.a)aa) zu § 19, § 18 Abs. 1 BO für
den Begriff "Praxisgemeinschaft" ausgeführt worden ist.
45
bb) Ein Verbot lässt sich jedoch nicht durch Gemeinwohlbelange rechtfertigen.
46
Allerdings trifft die Einschätzung des Landgerichts zu, das Zeichen weise für den
Verkehr - wenn überhaupt - nur einen sehr geringen Informationsgehalt auf. Die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 26.08.2003 - 1
BvR 1003/02 unter II.2.b)bb)(1)(b)) und des Bundesgerichtshofs (GRUR 2003, 798 unter
II.3.b)) verstehen das "Sachlichkeitsgebot" jedoch nicht in der Weise, dass nur
"nüchterne Praxisdaten" mitgeteilt werden dürften oder dass Werbesprüche von
vornherein unzulässig wären. Vielmehr ist auch dann in jedem Einzelfall zu prüfen, ob
eine Untersagung vor dem Hintergrund einerseits des Grundrechts der Berufsfreiheit
(Art. 12 GG) und andererseits der mit der Werbebeschränkung verbundenen
Gemeinwohlbelange andererseits sich rechtfertigen lässt.
47
Auch (Zahn-)Ärzten kann die Verwendung von Logos nicht von vornherein untersagt
werden. Das Bundesverfassungsgericht (NJW 1997, 2510) hat bereits 1997 festgestellt,
dass es "heute weithin üblich [sei], dass Verbände, öffentlich-rechtliche Körperschaften
und nachgeordnete Behörden ihre Briefbögen graphisch und farblich gestalten oder mit
einem Logo versehen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass diese Gestaltung Zweifel an
der verantwortlichen Aufgabenerfüllung durch die jeweiligen Verbände, Regierungen
oder Körperschaften des öffentlichen Rechts zu wecken geeignet ist. Es träte dann ein
Effekt ein, der mit Sicherheit vom Verwender dieser Logos nicht beabsichtigt ist.
Gestaltungselemente, die im Rahmen der öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung
von Landesregierungen oder sonstigen Behörden verbreitet sind, können nur unter
außergewöhnlichen Umständen Bedenken erregen". Die Verbreitung der Benutzung
von Logos hat seitdem - wie allgemein bekannt - noch zugenommen und ist daher kein
Kennzeichen einer gewerblichen Tätigkeit mehr. Auch die Klägerin selbst benutzt -
zumindest in einzelnen Publikationen (Bl. 84 ff. GA) - ein eigenes Logo. Im Internet hat
die Klägerin in ihrer "Richtlinie zu § 20a BO" die Verwendung eines Logos auf der
Startseite der Website sogar ausdrücklich zugelassen. Die vom Landgericht
herangezogenen Gesichtspunkte sind zwar nicht von der Hand zu weisen, sind aber
jedem Logo, auch dem inzwischen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften benutzten
Logos, immanent.
48
Das Logo kann auch nicht - unabhängig von der Platzierung usw. - als
"marktschreierisch" (vgl. BVerfG NJW 2003, 2818 - Klinikwerbung) oder "übermäßig
49
anpreisend" (vgl. BGH GRUR 2003, 798) angesehen werden. Dass es auf die Werbung
von Patienten ausgerichtet ist und vom Zahnarzt ein positives Bild zeichnet, ist als
solches unschädlich (vgl. BVerfG Beschluss vom 26.09.2003 - 1 BvR 1608/02).
Im Streitfall ist es auch - abstrakt - bei einer Verwendung durch den Beklagten nicht
irreführend. Es hat nicht den Inhalt, dass die fraglichen Zahnärzte eine Alleinstellung
geltend machten. Ein Verständnis des Wortbestandteils "die Kinderzahnärzte" in dem
Sinne, der Beklagte sei - gegebenenfalls nur im Düsseldorfer Raum - der einzige für
Kinder geeignete oder besonders ausgestattete Zahnarzt, hat der Senat bereits in seiner
Entscheidung vom 25.02.2003 (20 U 4/03) als fernliegend bezeichnet. Als solche weist
die Benutzung des Plurals im angegriffenen Zeichen auch nicht darauf hin, dass der
Beklagte mit anderen Zahnärzten in Form einer "Gemeinschaftspraxis" im oben
genannten Sinne zusammenarbeitet. Der Verkehr achtet vielmehr in dieser Hinsicht auf
den Briefkopf. Die konkrete Form der Benutzung, die durch die Kumulierung des Logos
und der Absenderangabe "Zahnärztliche Praxisgemeinschaft" zu einer Irreführung über
die Organisationsform führt (vgl. oben unter 1.b), ist nicht Gegenstand des
Klageantrages.
50
III.
51
Auch soweit die Beanstandung der Klägerin nach dem unter II. Gesagten an sich
berechtigt wäre, hat die Klage keinen Erfolg. Denn die Klägerin als zuständige
Zahnärztekammer ist gegenüber dem Beklagten als ihrem Mitglied nicht als klagebefugt
anzusehen.
52
1.
53
Der Bundesgerichtshof ist allerdings bisher in ständiger Rechtsprechung davon
ausgegangen, dass die gesetzlich errichteten Kammern als "Verbände zur Förderung
gewerblicher Interessen" ihrer Mitglieder im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG
anzusehen seien und sie auch sonst grundsätzlich nicht gehindert seien,
wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend zu machen (vgl. BGH NJW 1999, 3416 -
Ärztlicher Hotelservice).
54
2.
55
Dagegen werden in der Literatur erhebliche Einwände erhoben (s. zuletzt Grunewald
NJW 2002, 1369; s. auch die Nachweise in Kohler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 13 Rdnr. 13).
Diese Stimmen gehen davon aus, dass das Verhältnis zwischen Kammer und ihren
Kammerangehörigen in den jeweils maßgeblichen Rechtsvorschriften abschließend
geregelt sei und dass das UWG nicht zur Füllung etwaiger Lücken dienen könne.
56
Der Bundesgerichtshof (NJW 2002, 2039 unter II.1. - Zweigstelle) hat - ersichtlich in
Reaktion auf diese Literaturstimmen und das schwebende Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht (1 BvR 981/00) - auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
verwiesen und es aus diesem Grunde zumindest für möglich gehalten, dass eine
klagende Kammer in Fällen, in denen sie nach dem jeweils maßgeblichen Recht gegen
ihre Angehörigen im Wege der Unterlassungsverfügung vorgehen könne, auf diesen
öffentlich-rechtlichen Weg zu verweisen sei.
57
3.
58
Fraglich ist, ob nicht bereits kompetentielle Gründe eine Auslegung des § 13 Abs. 2 Nr.
2 UWG als bundesrechtlicher Vorschrift in dem Sinne verhindern, dass auf
landesrechtlicher Grundlage gebildete Kammern wie die (Zahn-)Ärztekammern
gegenüber ihren Mitgliedern als "Wettbewerbsverband" anzusehen sind.
59
a) Der Bundesgesetzgeber ist - anders als bei Rechtsanwälten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG,
s. der ausdrückliche Hinweis in BVerfG NJW 2003,41, 47 unter C.I.1.b)aa)) - nicht
berechtigt, die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen der (Zahn-) Ärztekammer
und ihren Angehörigen, soweit sie die allgemeinen Berufspflichten betreffen, zu regeln.
Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG eröffnet ihm - von den hier nicht maßgeblichen Vorschriften
über die soziale Krankenversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) abgesehen - nur die
Möglichkeit der Regelung der "Zulassung" zu den Heilberufen, nicht dagegen der
Berufspflichten (zur Abgrenzung ausführlich BVerfG NJW 2003, 41, 47 unter C.I.1.b) -
Altenpflege).
60
b) In dieses Verhältnis griffe der Bundesgesetzgeber ein, wenn er statt eines öffentlich-
rechtlichen Anspruchs der Kammer (zu dessen Regelung er unstreitig nicht befugt ist)
dieser ausdrücklich einen von ihm als bürgerlich-rechtlich (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG),
genauer gesagt: wettbewerbsrechtlich definierten Anspruch zuwiese. Ob der
Bundesgesetzgeber durch eine bloße "Umqualifizierung" seine Kompetenzgrenzen
erweitern kann, ist fraglich. Das Bundesverfassungsgericht hat - in anderem
Zusammenhang - (NJW 2003, 41, 49 unter C.I.2.) ausgeführt, die "Entscheidung der
Verfassung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, dem Bund für das Gesundheitswesen nur
eingeschränkte Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen, [dürfe] nicht durch eine
erweiternde Auslegung anderer Kompetenztitel unterlaufen werden. Dies widerspräche
der Entstehungsgeschichte der Norm sowie ihrem Zweck, Bundes- und
Länderkompetenzen möglichst eindeutig voneinander abzugrenzen."
61
Es ist allgemein anerkannt, dass auch die Gerichte dem Bundesrecht nicht durch
Auslegung Rechtssätze entnehmen dürfen, die dem Bundesgesetzgeber als explizite
Regelung aus Kompetenzgründen verwehrt wäre.
62
c) Dementsprechend hat die Literatur in anderem Zusammenhang gegenüber der
früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendung der Regeln über die
Geschäftsführung eines Hoheitsträgers ohne Auftrag (BGHZ 40, 28; BGHZ 63, 167)
eingewandt, dass eine derartige Auslegung - bei Fehlen eines anderen Kompetenztitels
für den Bund - einen Eingriff in die Landesgesetzgebungskompetenz darstellen würde
(Medicus, Bürgerliches Recht, 10. Aufl., Rdnr. 412 m.w.N.; Staudinger/Wittmann, BGB
(1995), Vorbem. zu §§ 677 ff., Rdnr. 62).
63
4.
64
Jedenfalls scheitert eine Klagebefugnis der Klägerin daran, dass ihr das HeilBerG NRW
in § 6 Abs. 1 Nr. 6 die Befugnis zubilligt, dem von ihr beanstandeten berufswidrigen
Verhalten eines Kammermitgliedes durch Erlass einer Untersagungsverfügung ohne die
Einschaltung von Gerichten selbst zu begegnen.
65
a) Die Frage, ob öffentlich-rechtlich organisierte Kammern gegen Kammerangehörige
nicht nur auf Grund der jeweiligen Fachgesetze, sondern auch auf Grund allgemeiner
bürgerlich- bzw. wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vorgehen können, bedarf hier
66
keiner Entscheidung.
aa) Der Bundesgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung (NJW 2002, 2039 -
Zweigstelle) grundsätzlich davon aus, dass das jeweilige Fachgesetz die Möglichkeiten
für ein Einschreiten der Kammer gegen Kammerangehörige nicht abschließend regelt,
sondern daneben die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften für ein zivilrechtliches
Vorgehen treten.
67
bb) Diese Auffassung ist in der Literatur auf grundsätzlichen Widerspruch gestoßen, weil
danach der Hoheitsträger die für ihn geltenden öffentlich-rechtlichen Begrenzungen
durch ein Ausweichen auf bürgerlich-rechtliche Anspruchsnormen "überspielen" könne
(vgl. 2.; für eine andere Fallgestaltung Medicus, a.a.O.; Staudinger/Wittmann, a.a.O.,
Vorbem. zu §§ 677 ff., Rdnrn. 35, 39, 62; Seiler in Münchener Kommentar, 3. Aufl., vor §
677 Rdnr. 23 ff., 31; unklar Palandt/Sprau, BGB, 62. Aufl., vor § 667, Rdnr. 16 einerseits,
Rdnr. 17 andererseits). Hinzu kommt, dass die nach den allgemeinen Regeln des
Verwaltungsprivatrechts (vgl. BGH NJW 2003, 888 m.w.N.) bei der Durchführung
öffentlicher Aufgaben durch Hoheitsträger (hier des § 6 Abs. 1 Nr. 6 1. Hs. HeilBerG
NRW) in zivilrechtlichen Formen an sich notwendige Prüfung, ob die Kammer
ermessensfehlerfrei nach Form und Inhalt für ein wettbewerbsrechtliches Vorgehen
gegen ein Kammermitglied entschieden hat (§ 40 VwVfG, § 114 VwGO; zur Anwendung
des § 40 VwVfG bei privatrechtlichem Handeln eines Verwaltungsträgers zur Verfolgung
öffentlicher Zwecke s. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 40 Rdnr. 3), in der Praxis
kaum stattfindet.
68
Diese Bedenken gelten um so mehr, wenn der Hoheitsträger bei Anwendung der
bürgerlich-rechtlichen Vorschriften Kosten auf den Bürger "überwälzen" kann, während
die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften derartiges nicht vorsehen (vgl.
Medicus, a.a.O.; Wittmann, a.a.O., Seiler, a.a.O.). In einem derartigen Falle könnte der
Hoheitsträger durch sein "Ausweichen" auf bürgerlich-rechtliche Vorschriften die
Begrenzungen öffentlich-rechtlicher Gebühren umgehen. Nach diesen Grundsätzen ist
es allein Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob in einem bestimmten Fall, und
wenn ja, in welcher Höhe Gebühren zu erheben sind, oder ob - etwa aus
sozialstaatlichen Gründen - davon ganz oder teilweise abgesehen wird; dabei bedarf es
einer fallspezifischen klaren gesetzgeberischen Entscheidung auch zum
Gebührenzweck (vgl. dazu näher BVerfG DVBl. 2003, 993). - Nach der ständigen
Rechtsprechung und Praxis kann der klagebefugte Abmahnende von dem Verletzer den
Ersatz seiner Abmahnkosten verlangen. Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin im
Streitfall in ihrem Abmahnschreiben vom 22. April 2002 (Bl. 6 - 10 GA) auch Gebrauch
gemacht. Die einschlägige wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung und die zugrunde
gelegten bürgerlich-rechtlichen Rechtsvorschriften genügen den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Fixierung von Gebührentatbeständen nicht. Zudem sieht das
HeilBerG im Streitfall gerade keine Gebühren vor; zumindest das Verwaltungsverfahren
bis zum Erlass einer Untersagungsverfügung ist kostenfrei. Diese Schranke darf die
Klägerin nicht durch die Wahl des zivilrechtlichen Weges "umgehen".
69
Schließlich führt ein Nebeneinander von bürgerlich-rechtlichem und öffentlich-
rechtlichem Anspruch dazu, dass der Rechtsweg sich nach dem von der Kammer
gewählten Weg richten würde.
70
b) Für ein klageweises Vorgehen der Klägerin vor den Zivilgerichten fehlt es jedenfalls
an einem Rechtsschutzbedürfnis, zumindest ist das Vorgehen unverhältnismäßig und
71
ermessensfehlerhaft.
aa) Das Heilberufsgesetz NRW vom 09. Mai 2000 - im Gegensatz etwa zum
Heilberufsgesetz vom 30. Juli 1975 - zählt es in § 6 Abs. 1 Nr. 6 zu den Aufgaben der
Kammern, "die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu überwachen
sowie die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände zu
treffen; hierzu können sie auch belastende Verwaltungsakte erlassen". Somit hätte die
Klägerin - wie im Termin vom 21. Oktober 2003 erörtert - selbst eine mit Zwangsmitteln
durchsetzbare Untersagungsverfügung erlassen können, und zwar ohne Anrufung eines
Gerichts. Der Einwand der Klägerin, auf Grund dieser Vorschrift könne sie nur gegen
berufsrechtswidrige Zustände vorgehen, sie könne damit jedoch nicht
wettbewerbsrechtliche Ansprüche durchsetzen, trifft dann nicht zu, wenn - wie hier - die
Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens des Kammerangehörigen gerade mit der
Verletzung von Berufspflichten begründet wird.
72
bb) Diese Möglichkeit schließt ein zivilrechtliches Vorgehen aus.
73
(1) Der Bundesgerichtshof hat diese Frage noch nicht endgültig entschieden. Die
Erörterungen in seiner Entscheidung NJW 2002, 2039 (unter II.1. - Zweigstelle) legen es
jedoch nahe, dass die Kammer in den Fällen, in denen sie nach dem jeweils
maßgeblichen Recht gegen ihre Angehörigen im Wege der Unterlassungsverfügung
vorgehen kann, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auf diesen öffentlich-
rechtlichen Weg zu verweisen ist.
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(2) Das Ergebnis lässt sich mit dem Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses begründen.
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Nach der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur (vgl. Kopp/ Schenke,
VwGO, 13. Aufl., Vorb. § 40 Rdnr. 50; Rennert in; Eyermann, VwGO, 10. Aufl., vor § 40
Rdnrn. 12, 13, jeweils m.w.N. auch zu den Ausnahmen) ist grundsätzlich die
Leistungsklage eines Hoheitsträgers gegen einen Bürger mangels eines
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn ihm durch die Möglichkeit eines
Verwaltungsakts ein einfacherer Weg zur Erlangung eines vollstreckungsfähigen Titels
zur Verfügung steht.
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Diesem Gedankengang folgt auch die Zivilprozesslehre; danach kann z.B. der
Gläubiger eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs ihn nicht klageweise
durchsetzen, wenn er den damit deckungsgleichen prozessrechtlichen
Erstattungsanspruch einfacher im Wege der §§ 103 ff. ZPO festsetzen lassen kann (vgl.
BGHZ 111, 168, 171; Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., Vorbem. § 91 Rdnr. 15).
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(3) Jedenfalls ist das Vorgehen der Klägerin unverhältnismäßig. Dieser Gesichtspunkt
ist nach den Regeln des Verwaltungsprivatrechts (vgl. oben unter a)bb)) auch von den
Zivilgerichten zu überprüfen.
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Der Erlass eines Verwaltungsaktes hätte den Beklagten weniger belastet.
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Die Geltendmachung des bürgerlich-rechtlichen Anspruchs - anstelle des Erlasses
eines Verwaltungsakts - durch die Klägerin führt dazu, dass das erheblich
kostengünstigere Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO, §§ 79, 80 VwVfG NRW)
entfällt und zugunsten der Klägerin ein Aufwendungsersatzanspruch nach den
Grundsätzen der Geschäftsführung entsteht. Die Klägerin trägt keine Gründe dazu vor,
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warum diese Nachteile für das Kammermitglied zur Erreichung des angestrebten
Zwecks unabdingbar sind.
(4) Geht man zugunsten der Klägerin davon aus, dass sie grundsätzlich zivilrechtlich
gegen den Beklagten vorgehen kann, ist ihr Vorgehen jedenfalls ermessensfehlerhaft.
Auch dies ist vom Zivilgericht zu überprüfen (vgl. oben unter a)bb)).
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Die Begründung der Klägerin lässt nicht erkennen, auf Grund welcher Erwägungen -
abgesehen davon, dass sie das Verhalten des Beklagten für berufswidrig hält - sie
gegen den Beklagten eingeschritten ist, sie also ihr sogenanntes
Entschließungsermessen ausgeübt hat.
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Das Gleiche gilt hinsichtlich ihrer Entscheidung, auf welchem Wege sie gegen den
Beklagten vorgehen wollte (sogenanntes Auswahlermessen). Nach der ständigen
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte stellt es bereits einen Ermessensfehler dar,
der zur Rechtswidrigkeit des Handelns des Hoheitsträgers führt, wenn er sich gar nicht
bewusst war, dass er auf einem anderen Wege gegen den Betroffenen hätte vorgehen
können und dass ihm bei der Wahl des Mittels ein Ermessen zustand (vgl.
Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 40 Rdnr. 59 m.w.N.). Der Klägerin war im Streitfall - soweit
ersichtlich - nicht bewusst, dass sie eine Unterlassungsverfügung hätte erlassen
können, da sie selbst im Rahmen des vorliegenden Verfahrens als Alternative nur eine
Rüge und ein berufsgerichtliches Verfahren anspricht und sogar nach Erörterung des
Problems den Erlass eines Verwaltungsakts unzutreffenderweise (vgl. unter (3) aus
Rechtsgründen ausschließt.
83
IV.
84
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1, § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, §
711 ZPO.
85
Soweit der Senat die Klage allein im Hinblick auf die fehlende Klagebefugnis der
Klägerin abgewiesen hat, ist die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser
Rechtsfrage zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Im Übrigen sind Gründe
für die Zulassung der Revision angesichts der zitierten Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs nicht ersichtlich, § 543 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 2 ZPO.
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Berufungsstreitwert: 25.000,00 Euro
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a. Sch. F.
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