Urteil des OLG Düsseldorf vom 29.03.2017

OLG Düsseldorf (unfall, unfallversicherung, sozialversicherung, lfg, bundesrepublik deutschland, betriebsgefahr, verschulden, arbeitsunfähigkeit, geschwindigkeit, höhe)

Oberlandesgericht Düsseldorf, 15 U 133/73
Datum:
03.04.1974
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 U 133/73
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18. Mai 1973 verkündete
Urteil der 9. Zivilkammer des Landgericht Duis-burg teilweise
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
1.916,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 31. Oktober 1972 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges fallen zu 1/4 der Klägerin und zu 3/4
den Beklagten als Gesamtschuldnern zur Last. Die Kosten des
Berufungsrechtszuges hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nach-gelassen,
die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 150,--
DM abzuwenden.
Die Sicherheit kann auch durch die selbstschuldnerische Bürgschaft
einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässi-gen großen Bank oder
Sparkasse erbracht werden.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Am 03.06.1971 gegen 7 Uhr befuhr der in Diensten der Klägerin stehende Arbeiter X.
mit seinem Moped die 7,8 m breite A. Straße in B. in Richtung C., und zwar außerhalb
der geschlossenen Ortschaft. Die Geschwindigkeit war dort durch ein Verkehrszeichen
auf 60 km/h beschränkt. X. hatte Alkohol genossen. Seine Blutalkoholkonzentration
betrug 1,14 ‰. Der Beklagte zu 2 befuhr mit seinem Personenkraftwagen,
haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2, die A. Straße ebenfalls in Richtung C.. Als
X. nach links in ein Gründstück abbog, stießen beide Fahrzeuge zusammen. X. wurde
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verletzt. Für die ersten sechs Wochen seiner Arbeitsunfähigkeit zahlte ihm die Klägerin
2.247,23 DM Lohn und 24,23 DM Sozialzulage. Außerdem führte sie in Höhe von
283,87 DM Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung ab und zahlte in Höhe von 40,43
DM Beiträge zur Berufsgenossenschaft. Mit der Klage verlangt sie von den Beklagten
die Erstattung dieser Aufwendungen.
Die Klägerin hat vorgetragen: X. habe die beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung
rechtzeitig angezeigt und sich dann nach links zur Straßenmitte eingeordnet. Er sei mit
minimaler Geschwindigkeit weitergefahren, weil er einen entgegenkommenden Wagen
habe passieren lassen müssen; dabei habe er weiterhin Zeichen gegeben. Der
Beklagte zu 2, der sich der Unfallstelle mit erheblicher Geschwindigkeit genähert habe,
habe offenbar den Mopedfahrer übersehen, obwohl er ihn bereits aus einer Entfernung
von 100 m bis 130 m in der Straßenmitte hätte wahrnehmen könne.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 2.595,76 DM nebst Zinsen in
Höhe von 3 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank seit dem 10. Juli 1972
zu zahlen.
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Die Beklagten haben gebeten,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben vorgetragen: X. sei infolge seines erheblichen Alkoholgenusses und der
daraus resultierenden absoluten Fahruntüchtigkeit plötzlich nach links gegen das
Fahrzeug des Beklagten zu 2 gefahren. Dieser habe trotz starken Bremsens den Unfall
nicht mehr verhindern können. X. habe kein Handzeichen gegeben. Die kritische
Verkehrslage habe er offensichtlich in einer sehr kurzen Zeit zwischen zwei und drei
Sekunden ausgelöst.
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Das Landgericht hat durch Vernehmung der Zeugen X. und Y. mit dem aus dem
Sitzungsprotokoll vom 15.02.1973 ersichtlichen Ergebnis Beweis erhoben und durch
Urteil vom 18.05.1973 die Klage mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs
zugesprochen. Es hat ausgeführt: Der Beklagte zu 2 habe den Unfall durch
Unaufmerksamkeit verschuldet. Ein Mitverschulden des Zeugen X. könne dagegen nicht
festgestellt werden. Die Betriebsgefahr des Mopeds trete hinter der erheblich größeren
Betriebsgefahr des Personenkraftwagens und dem Verschulden des Beklagten zu 2
völlig zurück. Gemäß § 4 LFG könne die Klägerin auch die Erstattung der an die
Berufsgenossenschaft gezahlten Beiträge verlangen; denn diese Vorschrift erfasse alle
Aufwendungen des Arbeitgebers, mit denen dieser auf Grund der Lohnfortzahlung
belastet sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils verwiesen.
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Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit der form- und fristgerecht
eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie die volle Abweisung des Anspruchs
auf Erstattung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft und die Begrenzung ihrer Haftung
auf 3/4 der übrigen Schadensposten erstreben.
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Sie tragen vor: X. müsse sich eine Mithaftung von 1/4 anrechnen lassen. Denn er sei
ohne Fahrtrichtungsanzeige und ohne Rückschau nach links abgebogen und
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geradewegs vor das im Überholen befindliche Fahrzeug des Beklagten zu 2 geraten.
Dieser habe das Abbiegemanöver des Mopedfahrers nicht rechtzeitig erkennen können.
Der Zeuge Y. habe den Unfall unter ungünstigen Sichtbedingungen beobachtet und
auch keine zuverlässige Erinnerung mehr an den Unfall gehabt.
Die Beklagten beantragen,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit
die Beklagten verurteilt sind, mehr als 1.916.50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
31.10.1972 zu zahlen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, auch
durch Bank- oder Sparkassenbürgschaft, abzuwenden.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt ihr erstinstanzliches
Vorbringen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der
von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf den Inhalt der zur Information
beigezogenen Akten 3 Cs 385/71 des Amtsgerichts Dinslaken, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
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Auf die Klägerin ist gemäß § 4 LFG der Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls
übergegangen, der dem Arbeiter X. infolge seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit in
den ersten sechs Wochen nach dem Unfall entstanden ist; denn die Klägerin hat ihm
unstreitig sechs Wochen lang das Arbeitsentgelt nach dem Lohnfortzahlungsgesetz
fortgezahlt und die darauf entfallenden Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. X.
kann aber von den Beklagten als Gesamtschuldnern nur 3/4 seines Verdienstausfalls
ersetzt verlangen. Zu den übergangsfähigen Schadensposten, die diesen
Verdienstausfall ausmachen, gehören nicht die von der Klägerin an die
Berufsgenossenschaft gezahlten Beiträge.
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Da X. beim Betriebe des Karftfahrzeuges des Beklagten zu 2 verletzt worden ist, ergibt
sich eine Haftung des Beklagten zu 2 aus § 7 StVG. Die Beklagte zu 1 haftet mit ihm als
Gesamtschuldnerin gemäß § 3 Pflichtversicherungsgesetz.
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Der Unfall war für den Beklagten zu 2 nicht unabwendbar im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG.
Es ist unaufgeklärt geblieben, in welcher Entfernung sich der Beklagte zu 2 von dem
Mopedfahrer befunden hat, als er dessen Abbiegeabsicht erkannt hat oder bei
gebotener Sorgfalt hätte erkennen können. Die Aussagen der Zeugen X. und Y. bieten
keine Anhaltspunkte dafür, dass X. plötzlich und unter Verkürzung des
Sicherheitsabstandes des Beklagten zu 2 von der Normalspur aus zur Straßenmitte
gefahren ist. Die Möglichkeit, dass der Unfall bei sachgerechtem und
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geistesgegenwärtigem Verhalten des Beklagten zu 2 vermeidbar gewesen wäre, ist
unter diesen Umständen nicht auszuschließen.
Die Haftung der Beklagten wird durch eine Mithaftung des Arbeiters X. gemäß den §§ 7,
17 StVG eingeschränkt, weil sein Moped an dem Unfall beteiligt war. Es handelt sich
hierbei, wie die Beklagten ohne Widerspruch der Klägerin vortragen, um ein Fahrzeug,
das eine Geschwindigkeit von 40 kmh erreichen kann (S. 2 des Privatgutachtens des
Sachverständigen Z., Bl. 68 d. A.), so dass es auf sich beruhen kann, ob für die
Ausgleichspflicht § 17 StVG auch auf langsam fahrende, von den Vorschriften des § 7
StVG ausgenommene Kraftfahrzeuge im Sinne von § 8 StVG anwendbar ist (vgl.
Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage, § 17 StVG, Anm. 1). Auch für den
Mopedfahrer war der Unfall kein unabwendbares Ereignis. Es ist nämlich nicht
bewiesen, dass er, wie nach § 9 Abs. 1 StVO geboten, seine Abbiegeabsicht rechtzeitig
und deutlich angekündigt hat. Er selbst hat, wie er glaubhaft bekundet hat, an den
Unfallhergang keine Erinnerung mehr. Auch der Aussage des Zeugen Y. lässt sich nicht
entnehmen, dass X. vor dem Unfall ein Zeichen gegeben hat. Ein Handzeichen des
Mopedfahrers wird zwar in der schriftlichen Äußerung des Beklagten zu 2 vom
01.07.1971 (Bl. 10 BA) erwähnt. Dort heißt es jedoch, X. habe die Hand erst gehoben,
als der Beklagte zu 2 sich ihm bereits bis auf wenige Meter genähert habe.
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Da zwei Kraftfahrzeuge an dem Unfall beteiligt waren und beide Halter grundsätzlich für
die Unfallfolgen einzustehen haben, hängt nacht § 17 StVG die Verpflichtung der
Beklagten zum Schadensersatz und der Umfang der zu leistenden Ersatzes von den
Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden -vorwiegend von dem
einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für die Fragen dieser Abwägung
hat der eine Teil dem anderen die als Verschulden zu wertenden Umstände sowie das
Mitwirken von dessen Fahrzeug-Betriebsgefahr und auch deren Ausmaß zu beweisen
(vgl. Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage, § 17 StVG, Anm. 22 und die dort
zitierte Rechtsprechung).
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Den Beklagten zu 2 trifft ein Verschulden an dem Unfall. Wie der Zeuge Y. am
15.02.1973 auf Grund unmittelbarer Erinnerung glaubhaft bekundet hat, ist der
Mopedfahrer nicht in den Personenkraftwagen des Beklagten zu 2 hineingefahren,
sondern von hinten von dem Personenkraftwagen angefahren worden. Der Beweis des
ersten Anscheins spricht für ein Verschulden des Beklagten zu 2 an diesem
Auffahrunfall. Dieser Anschein ist nicht ausgeräumt. Im Gegenteil lässt sich auf Grund
der weiteren Aussage, die der Zeuge Y. nach Vorhalt seiner schriftlichen Aussagen vom
07.06.1971 und 10.08.1971 (Bl. 13 und 16 BA) gemacht hat, konkret feststellen, dass
der Beklagte zu 2 den Unfall durch Unaufmerksamkeit verschuldet hat. Y. hat nämlich
insoweit bekundet, er erinnere sich jetzt wieder daran, dass der Mopedfahrer zur
Straßenmitte hin eingeordnet gewesen sei und dass zu dieser Zeit der Beklagte zu 2
noch ein ganzes Stück, nach der Schätzung des Zeugen vom 10.08.1971 100 m bis 130
m, hinter dem Mopedfahrer gewesen sei. Kann auch der Entfernungsangabe nicht
gefolgt werden, die der Zeuge selbst als Schätzung bezeichnet und nicht durch konkrete
Einzelbeobachtungen untermauert hat, so ist auf Grund dieser Aussage doch
festzustellen, dass sich X. bereits mehrere Sekunden vor dem Unfall deutlich erkennbar
zur Straßenmitte eingeordnet hat. Denn gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Y. sind
keine Bedenken ersichtlich. Seine Aussage steht auch im Einklang mit dem eigenen
Vorbringen der Beklagten, X. habe die kritische Verkehrslage in einer sehr kurzen Zeit
zwischen zwei und drei Sekunden ausgelöst. Damit steht fest, dass der Beklagte zu 2
bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den zur Straßenmitte
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eingeordneten Mopedfahrer jedenfalls so rechtzeitig hätte erkenne könne, dass er auf
der insgesamt 7,8 m breiten A. Straße noch rechts an ihm hätte vorbeifahren könne. Der
Beklagte zu 2 hat somit den Unfall fahrlässig herbeigeführt.
Dagegen ist nicht bewiesen, dass er die an der Unfallstelle vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit von 60 kmh überschritten hat. Der Zeuge Y. hat zwar in seiner
schriftlichen Aussage vom 23.06.1971 angegeben, der Personenkraftwagen sei dem
Moped mit "scheinbar erhöhter Geschwindigkeit" näher gekommen (Bl. 13 Rs. BA). Er
hat jedoch in der schriftlich Aussage vom 10.08.1971 ausdrücklich davon abgesehen,
sich auf eine Geschwindigkeitsangabe festzulegen, und in seiner gerichtlichen Aussage
die Geschwindigkeit des Wagens des Beklagten zu 2 nicht mehr erwähnt. Somit fehlen
zuverlässige Anhaltspunkte für die Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung.
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Ein unfallursächliches Verschulden des Arbeiters X. liegt nicht vor. Das bedarf keiner
näheren Begründung. Denn im zweiten Rechtszuge ist - abgesehen von der
Erstattungsfähigkeit der Beiträge zur Berufsgenossenschaft - nur eine Mithaftungsquote
des Arbeiters X. von 1/4 streitig. Eine Mithaftung des Genannten in dieser Höhe ergibt
sich jedoch bereits aus der Betriebsgefahr seines Mopeds. Sie war durch das Abbiegen
in ein Grundstück, das ein besonders gefährliches Fahrmanöver darstellt, erheblich
gegenüber dem Durchschnitt erhöht. Deshalb kann im vorliegenden Falle die
Betriebsgefahr des Mopeds gegenüber der Betriebsgefahr des Personenkraftwagens
des Beklagten zu 2 nicht als geringfügig angesehen werden. Sie behält vielmehr sowohl
gegenüber der Betriebsgefahr des bedeutend schnelleren und schwereren
Personenkraftwagens als auch gegenüber dem nicht besonders schwer wiegenden
Verschulden des Beklagten zu 2 ein erhebliches Gewicht und rechtfertigt es, die
Haftung der Beklagten auf 3/4 zu beschränken.
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Die Klägerin kann die Beiträge, die sie während der ersten sechs Wochen der
unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters X. für diesen an die
Berufsgenossenschaft entrichtet hat, nicht von den Beklagten ersetzt verlangen. Ob ein
derartiger Anspruch des Arbeitnehmers gemäß § 4 LFG auf den Arbeitgeber übergeht,
ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Frage wird zum Beispiel bejaht von
Doetsch-Schnabel-Paulsdorf, Kommentar zum Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Auflage, § 4
Anm. 2; Schmidt, VersR 1972, 28 ff., Betr. 1972 190 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen;
LG Berlin VersR 1973, 570, und verneint von Kehrmann-Pelikan, Kommentar zum
Lohnfortzahlungsgesetz, § 4 Anm. 4; Lange, VersR 1970, 486, 493; Marburger, BB
1972, 320 ff.; AG Duisburg-Hamborn VersR 1973, 477. Der Senat schließt sich im
Ergebnis der verneinenden Ansicht an.
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Der geschädigte Arbeitnehmer kann nach § 249 BGB die Herstellung desjenigen
Zustandes verlangen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende
Umstand, in aller Regel ein Unfall, nicht eingetreten wäre. Gemäß den §§ 842, 843 BGB
hat er auch Anspruch auf Ersatz der Nachteile, die für seinen Erwerb oder sein
Fortkommen eintreten oder die in einer Vermehrung seiner Bedürfnisse bestehen. Nach
keiner dieser Vorschriften kann der Geschädigte vom Schädiger die Zahlung von
Beiträgen zur Unfallversicherung verlange. Denn ihm entsteht durch den Unfall kein
Nachteil, der durch Zahlung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft ausgeglichen
werden könnte. Der Schaden, der durch Weiterentrichtung der Beiträge zur
Berufgenossenschaft verursacht wird, entsteht nicht in seiner Person, stellt vielmehr
einen nicht erstattungsfähigen Drittschaden des Arbeitgerbers dar. Der
Bundesgerichtshof hat das für Beiträge zur Berufsgenossenschaft, die nach den
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Bestimmungen des Bundesangestelltentarifs (BAT) während einer unfallbedingten
Arbeitsunfähigkeit weiterentrichtet werden, überzeugend damit begründet, dass diese
Lasten nicht zugunsten des Arbeitnehmers getragen werden (VersR 1966, 89). An
dieser Entscheidung ist jedenfalls insoweit festzuhalten, als es sich um die Auslegung
der bürgerlichrechtlichen Vorschriften über den Umfang des zu leistenden Ersatzes
handelt.
Der Senat hält es nicht für ausschlaggebend, dass einer der Hauptzwecke der
Unfallversicherung die Freistellung des Unternehmers von Ersatzpflichten gegenüber
dem Arbeitsnehmer (§§ 636 ff. RVO) ist. Denn die Unfallversicherung löst nicht nur
Ersatzpflichten des Arbeitgebers ab, sichert den Arbeitnehmer vielmehr überhaupt
gegen Arbeitsunfälle und Unfälle auf dem Wege zwischen Wohnung und Arbeitstätte.
Deshalb kann zwar allgemein gesagt werde, dass die gesetzliche Unfallversicherung
schlechthin und auch die zu ihrer Aufrechterhaltung notwendige Beitragszahlung der
Unternehmer den Arbeitnehmer zugute kommen. Für die Frage, in welchem Umfang der
einzelne Arbeitnehmer durch einen Unfall geschädigt worden ist, kommt es jedoch
darauf an, ob ihm die Fortzahlung der Beiträge während seiner Arbeitsunfähigkeit in
irgendeiner Form zugute kommt. Diese Frage ist zu verneinen. Denn der Arbeitnehmer
hat weder sofort noch in der Zukunft einen Vorteil davon, dass sein Arbeitgeber die
Beiträge zur Berufsgenossenschaft für ihn weiterentrichtet. Umgekehrt würde er weder
während seiner Arbeitsunfähigkeit noch später einen Nachteil erleiden, wenn die
Beiträge während dieser Zeit nicht weitergezahlt würden. Das Bestehen des
Unfallversicherungsschutzes hängt ohnehin nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung nicht davon ab, dass innerhalb bestimmter Zeiten
bestimmte Beiträge entrichtet werden sondern nur davon, dass eine unter die
Unfallversicherung fallende Tätigkeit ausgeübt wird. Auch die konkrete Ausgestaltung
des Versicherungsverhältnisses, insbesondere die Höhe der Leistungen, welche die
Unfallversicherung im Versicherungsfall zu gewähren hat, ist unabhängig von der Dauer
der Unfallversicherung und der Gesamthöhe der für den einzelnen Versicherten
entrichteten Beiträge.
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Da die Beiträge zur Berufsgenossenschaft ausschließlich von den Unternehmern
aufgebracht werden (§ 723 RVO), kann man einen eigenen Schaden und
dementsprechend einen übergangsfähigen Schadensersatzanspruch des
Arbeitnehmers auch nicht mit der Begründung bejahen, dass infolge des Unfalls
Aufwendungen des Arbeitnehmers weitergehend nutzlos geworden sind.
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Schließlich lässt sich ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Beiträge zur
Berufsgenossenschaft auch nicht unmittelbar aus § 4 LFG herleiten. Allerdings kann
man in dieser Vorschrift eine Regelung der früher umstrittenen Frage erblicken, ob auch
die auf das weiter zu entrichtende Arbeitsentgelt entfallenden Beiträge zur
Sozialversicherung übergangsfähige Schadensposten darstellen. Die Wortauslegung
der so verstandenen Vorschrift führt zu dem Ergebnis, dass sie zwar die
Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, nicht aber die
Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung umfasst. Denn die ersteren Aufwendungen
sind "Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung". Hierunter können jedoch
bei unbefangener Betrachtung die allein von den Arbeitgeber aufzubringenden Beiträge
zur gesetzlichen Unfallversicherung nicht mitverstanden werden. Dieses Ergebnis
entspricht genau der Rechtslage, wie sie bei Erlass des Lohnfortzahlungsgesetzes nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beurteilen war. Nach Aufgabe der in
BGHZ 7, 30 [53] begründeten Rechtsprechung waren nämlich die " Arbeitgeberbeiträge
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zur Sozialversicherung" (VersR 1965, 620, 622) unter Ausschluss der Beiträge zur
Berufsgenossenschaft (VersR 1966, 89) übergangsfähige Schadensposten. Eben diese
Aufwendungen werden präzise durch den in § 4 LFG verwandten Ausdruck
"Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung" getroffen. Dass sich der
Gesetzgeber der Unterschiede zwischen den verschiedenen Beiträgen zur
Sozialversicherung bewusst war, ergibt sich eindeutig aus § 10 LFG, denn dort sind
neben den Beiträgen zur Bundesanstalt für Arbeit die "Arbeitgeberanteile an Beiträgen
zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung" aufgeführt. Hat somit der
Gesetzgeber im Lohnfortzahlungsgesetz Wert auf eine rechtstechnische Bezeichnung
der verschiedenen Beiträge zur Sozialversicherung gelegt und in § 4 LFG genau die bei
Erlas des Gesetztes geltende Rechtslage umrissen, so liegt die Annahme fern, dass er
mit dieser Vorschrift erstmalig die Erstattungsfähigkeit der Beiträge zur
Berufsgenossenschaft habe anordnen wollen.
Eine solche Auslegung des § 4 LFG ist auch nicht ein unabweisbares Gebot der
Gerechtigkeit. Zwar können, wie der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen BGHZ
21, 112 [119] und VersR 1965, 620 [621] ausgeführt hat, vom Gesamtergebnis her die
Auswirkungen der erheblichen Arbeitsausfälle, die vor allem durch Verkehrsunfälle
herbeigeführt werden, billigerweise nur den Schädigern und nicht den
Beschäftigungsbetrieben zur Last gelegt werden. Dieser Gesichtspunkt hat aber für die
in Rede stehende Frage keine unmittelbare, sonder nur rechtspolitische Bedeutung. Zu
den schädlichen Auswirkungen, die ein unfallbedingter Arbeitsausfall für den
Arbeitgeber hat, gehört zwar die Fortzahlung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft.
Diesen Beiträgen steht aber für die Zeit der Lohnfortzahlung nur ein sehr stark
vermindertes Unfallrisiko gegenüber. Es beschränkt sich auf Ausnahmefälle wie zum
Beispiel den von Schmidt (VersR 1972, 28, 30) erwähnten Fall, dass der
arbeitsunfähige Arbeitnehmer bei der Abholung des Lohns auf dem Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte verunglückt. Andererseits bestehen die Risiken der
gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung auch während der Zeit der
Lohnfortzahlung unvermindert weiter. Angesichts dieser Unterschiede zwischen den
einzelnen Arten der Sozialversicherung geht es nicht an, eine für die Beiträge zur
gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sinnvoller weise geltende Regelung auf
den Fall der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu übertragen, in welchem die
Notwendigkeit dieser Regelung nicht ohne weiteres einleuchtet.
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Die übrigen Schadensposten belaufen sich unstreitig auf 2.555,33 DM. 3/4 dieses
Betrages ergeben 1.916,50 DM.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 7 ZPO, die
über den Vollstreckungsnachlass aus § 713 Abs. 2 ZPO.
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Die Revision war zuzulassen, weil mit der Frage, ob der Arbeitgeber nach § 4 LFG von
einem schadensersatzpflichtigen Dritten die Erstattung der während der Dauer der
Lohnfortzahlung an die Berufsgenossenschaft entrichteten Beiträge verlangen kann,
eine Rechtsfrage vorn grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden war (§ 546 Abs. 2
ZPO).
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