Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.01.2007
OLG Düsseldorf: ausländisches recht, internationales privatrecht, unerlaubte handlung, warschauer abkommen, unmittelbarer besitz, frachtführer, rechtswahl, verzollung, frachtbrief, eigentum
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-18 U 98/05
Datum:
17.01.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Senat für Zivilsachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-18 U 98/05
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19.05.2005 verkündete
Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf
abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Beklagte schuldet der Klägerin als
Rechtsnachfolgerin ihres Versicherungsnehmers C. (im folgenden: C.) keinen
Schadensersatz für den Verlust des Paketes Nr. 1... auf dem Weg vom Flughafen K.
nach F..
1
I.
2
Ein Anspruch aus frachtvertraglichen Bestimmungen besteht nicht.
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1.
4
Das Rechtsverhältnis der Parteien bestimmt sich insofern nach deutschem Recht.
Dieses haben sie gewählt, indem sie in erster Instanz übereinstimmend ausschließlich
mit seinen Bestimmungen argumentiert haben, sowohl inhaltlich als auch durch das
Zitieren bestimmter Vorschriften (§§ 437 Abs. 1 und 2, 435 HGB, zudem die Klägerin mit
dem Warschauer Abkommen, welchem jedoch nur Deutschland und nicht der zweite
berührte Staat Taiwan angehört und das unabhängig hiervon keine Passivlegitimation
der mit einem reinen Landtransport betrauten Beklagten begründen könnte).
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Diese Rechtswahl ist wirksam, ohne dass entschieden werden müsste, ob § 437 HGB,
der gegenüber der weder mit der Empfängerin C. noch mit dem taiwanischen Ur-
Absender D., (im folgenden: D.) vertraglich verbundenen Beklagten die einzige
denkbare Anspruchsgrundlage darstellt (Koller, Transportrecht, § 425 Rz. 53), eher
vertrags- oder eher deliktsähnlich ist. Nachträglich ist die Rechtswahl auch in
außervertraglichen Schuldverhältnissen möglich (Art. 42 EGBGB).
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Die Rechtswahl wurde nicht dadurch wieder hinfällig, dass die Beklagte in der Berufung
teilweise mit dem Recht Taiwans argumentiert. Eine einmal getroffene Rechtswahl kann
nur einvernehmlich wieder geändert oder aufgehoben werden. Ein Einverständnis der
Klägerin ist aber nicht vorhanden.
7
2.
8
Der einzige in Frage kommende frachtrechtliche Anspruch, derjenige aus § 437 Abs. 1
i.V.m. §§ 425, 435 HGB, scheitert an § 437 Abs. 2 HGB. Der "Frachtführer" im Sinne der
letztgenannten Bestimmung, der Hauptfrachtführer U. T., schuldet aus seinem Vertrag
mit dem Ur-Absender D. keinen Schadensersatz.
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a)
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Das vertragliche Verhältnis zwischen U. T. und D. ist nach dem Recht Taiwans zu
beurteilen.
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Die Haftung und die Einwendungen des (Haupt-) Frachtführers im Rahmen von § 437
Abs. 2 HGB bilden für die Haftung des ausführenden Frachtführers nach § 437 Abs. 1
HGB eine sog. Vorfrage. Vorfragen sind international-privatrechtlich grundsätzlich
selbständig anzuknüpfen (für alle Palandt-Heldrich, Einl v Art 3 EGBGB Rz. 29 m.w.N.).
Ein Anlass, von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht nicht.
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Die objektive Anknüpfung nach Art. 28 Abs. 4 EGBGB führt für den Vertrag zwischen D.
und U. T. zur Anwendbarkeit des taiwanischen Rechts. Die (Haupt-) Niederlassungen
von U. T. und von D. sowie der V. befinden sich in Taiwan. Für die Wahl eines anderen
Rechts bestehen keine Anhaltspunkte. Die einzige erörterte Rechtswahlerklärung ist die
letzte Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen von U. T. ("Terms and
Conditions of Service", Anl. B 1, Bl. 29 - 32 GA), welche ebenfalls das Recht Taiwans
beruft.
13
b)
14
Nach dem auf den (Haupt-) Frachtvertrag zwischen D. und U. T. anwendbaren
taiwanischen Recht kann letztere einwenden, dass sie für den Verlust der nach
Klägerbehauptung in dem verlorenen Paket enthaltenen "Memory Cards" vom Typ SD
128MB nicht haftet.
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aa)
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Das vom Senat eingeholte Gutachten des M. für ausländisches und internationales
Privatrecht ("Rechtsauskunft", Bl. 152 ff. GA) hat ergeben, dass gem. § 639 des
taiwanischen Zivilgesetzes (TZG) der Frachtführer für den Verlust wertvoller Güter
("valuables" in der englischen Übersetzung) nur haftet, wenn ihm Art und Wert der Güter
bei der Übergabe mitgeteilt werden.
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bb)
18
Memory Cards mit den hier vorliegenden Merkmalen von Größe und Gewicht einerseits,
Preis/Wert andererseits sind "wertvolle Güter" i.S.d. § 639 TZG. Die diesbezüglichen
Ausführungen auf S. 5 - 9 des Gutachtens (Bl. 156 - 160 GA), auf die zur Vermeidung
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von Wiederholungen Bezug genommen wird, sind überzeugend, insbesondere auch
angesichts der zitierten Beispiele für "wertvolle Güter" aus der taiwanischen
Rechtsprechung.
Die Klägerin wendet hiergegen nichts Erhebliches ein. Sie macht sich zum einen die
Auffassung des LG Köln aus dessen Urteil vom 19.08.2004 - 86 O 28/01 - zu eigen,
Computerteile mit einem Wert von 43,80 bis 90,50 $ stellten entgegen der Einordnung
durch das MPI "sicherlich" keine Wertsachen dar. Weshalb das sicher sein soll, wird
aber nicht deutlich. Die Auffassung wird im übrigen vom OLG Köln nicht geteilt, wie
dessen Beweisbeschluss in dem Berufungsverfahren 3 U 157/04 zeigt (Bl. 113/114 GA).
Zum anderen rügt die Klägerin, dass das Gutachten nicht hinreichend auf Quellen des
taiwanischen Rechts gestützt sei. Ob dies für das vom LG Köln eingeholte Gutachten
gilt, ist hier nicht zu entscheiden. Für das vom Senat veranlasste Gutachten wurden vier
verschiedene bezirksgerichtliche Urteile ausgewertet, davon drei vom Obersten Gericht
bestätigt, und Anhaltspunkte für eine abweichende Rechtsprechung anderer
taiwanischer Gerichte sind nicht ersichtlich.
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cc)
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Der Beklagten wurden Art und Wert der Güter nicht mitgeteilt i.S.d. § 639 TZG.
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Was die Handelsrechnung mit ihren Preisangaben angeht, so verneint das M. die Frage
überzeugend. Es zitiert wiederum das Bezirksgericht Shilin, jedenfalls im Ergebnis
bestätigt vom Obersten Gericht, welches in der Übergabe der Handelsrechnung an den
Frachtführer zum Zwecke der Verzollung - insofern wie hier - keine Mitteilung i.S.d. §
639 TZG sah, weil es sich um eine rein praktische "Übertragung von Daten" gehandelt
und der Versender nicht den Willen zu einer Angabe nach § 639 TZG gehabt habe.
Nach zwei anderen rechtskräftigen Urteilen des Bezirksgerichts Shilin genügten ein
"Auftrag zur Verzollung" und "Exportbelege" mit Angaben zum Warenwert nicht, weil §
639 TZG leerlaufen würde, sähe man in den zollrechtlich vorgeschriebenen Unterlagen
bereits die Mitteilung an den Frachtführer im Sinne der Vorschrift.
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Auch die Eintragung "Memory Cards" im Frachtbrief sieht das M. in überzeugender
Weise nicht als ausreichende "Mitteilung" an. Zwar konnte es taiwanesische
Literaturstimmen hierzu oder Gerichtsentscheidungen, in denen es speziell um
Eintragungen im Frachtbrief ging, nicht ermitteln. Seine allgemeine Einschätzung, dass
die taiwanische Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Angabe des Wertes der zu
transportierenden Gegenstände anlegt, ist jedoch durch die vorliegenden
Entscheidungen belegt und stützt seine Schlussfolgerung. Zudem spricht schon der
Wortlaut des § 639 TZG dafür, dass die Frachtbriefeintragung allein nicht ausreicht.
Nach dieser Vorschrift müssen Art und Wert der Güter dem Frachtführer mitgeteilt
werden, um eine Haftung zu begründen. "Memory cards" ist aber nur die Bezeichnung
einer Art und keine Angabe eines bestimmten Wertes. Der Begriff ruft außerhalb der
Computerbranche nicht einmal zwingend die allgemeine Vorstellung einer besonderen
Werthaltigkeit hervor. Ob bei Gattungsbegriffen, die per se für einen besonders hohen
Wert pro Volumeneinheit stehen, die Angabe dieses Gattungsbegriffs ausreichen würde,
braucht daher hier nicht entschieden zu werden. Eine insoweit nicht eindeutige
Bezeichnung wie "memory cards" trägt die Wertangabe jedenfalls nicht in sich. Die
Information über den Wert ergibt sich in diesem Fall erst aus weiteren Papieren,
insbesondere der Handelsrechnung, welche im Rahmen von § 639 TZG aber ohne
Belang sind, wie im vorigen Absatz ausgeführt.
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c)
25
Der Berücksichtigung des taiwanischen Rechts steht nicht entgegen, dass die Beklagte
erst in der Berufungsinstanz auf den Inhalt des § 639 TZG hingewiesen hat. Ein durch
das deutsche internationale Privatrecht berufenes ausländisches Recht hat das Gericht
von sich aus und auch in Abwesenheit einer darauf gestützten Argumentation der
Parteien anzuwenden (BGH 06.03.1995, NJW 1995, 2097, 2098; Stein/Jonas-Leipold, §
293 Rz. 31). Dass eine Partei sich erst im Berufungsrechtszug darauf beruft, das
anwendbare ausländische Recht enthalte eine ihr günstige Regelung, entbindet das
Berufungsgericht nicht von seiner aus § 293 ZPO fließenden Pflicht zur Ermittlung und
Anwendung dieses Rechts (BGH 10.05.1984, RIW 1984, 644, 646).
26
II.
27
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus unerlaubter Handlung.
28
1.
29
Für einen deliktischen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte gilt deutsches Recht.
Das folgt aus Art. 40 Abs. 1, 2 EGBGB, denn das Paket kam unstreitig in Deutschland
abhanden, und hier haben sowohl die behauptetermaßen geschädigte C. als auch die
Beklagte ihren Sitz. Eine anderweitige Rechtswahl wurde nicht getroffen.
30
2.
31
Es lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu Lasten von C. eine unerlaubte
Handlung beging. In Betracht kommt allein eine Verletzung des Eigentums (§ 823 Abs.
1 BGB). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass C. im Zeitpunkt des Verlustes Eigentümerin
des Paketinhalts war.
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Die Klägerin ist in diesem Punkt selbst unschlüssig. Sie meint alternativ, dass die
Beklagte "das Eigentum, jedenfalls aber den Besitz der Empfängerin an der beförderten
Ware verletzt" habe (Schriftsatz vom 10.08.2006, S. 5, Bl. 180 GA). Es ist auch nicht
selbstverständlich, dass bei einem internationalen Versendungskauf der deutsche
Käufer/Empfänger das Eigentum an der Ware vor deren Eintreffen bei ihm erwirbt.
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Der etwaige Besitz von C. (für den ebenfalls keine tatsächliche Grundlage vorgetragen
wird; unmittelbarer Besitz im Sinne der deutschen Begriffsbildung war jedenfalls noch
nicht gegeben) berechtigt nicht zur Erhebung von Ansprüchen aus unerlaubter
Handlung. Solche Ansprüche kann nur der Eigentümer geltend machen (Senat,
12.01.1984, TranspR 1984, 106, 109; Koller, Transportrecht, § 421 HGB Rz. 19).
34
III.
35
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht
gegeben. Das Urteil beruht auf der Auslegung individueller Rechtswahlerklärungen
(oben I. 1.), der Anwendung anerkannter Sätze des deutschen Rechts auf den Einzelfall
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(oben I. 2. a), II.), der Anwendung mit sachverständiger Hilfe ermittelten ausländischen
Rechts (oben I. 2. b)) sowie der mit Rechtsmitteln nicht angreifbaren Zulassung von
nach Ansicht der Gegenpartei verspätetem Vorbringen (oben I. 2. c)).
Streitwert für die Berufungsinstanz: 17.838,03 €
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