Urteil des OLG Düsseldorf vom 28.07.2005

OLG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, rechtliches gehör, vergabeverfahren, mangel, gleichbehandlung, begriff, ausnahme, unternehmen, gemeindeordnung, ausschreibung

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 45/05
Datum:
28.07.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 45/05
Tenor:
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der so-
fortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der
Bezirksregierung Düsseldorf vom 20. Juni 2005 (VK-01/2005-L) zu
verlängern, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, dem Beschwerdegericht bis zum
12. August 2005 mitzuteilen, ob und mit gegebenenfalls wel-chen
Anträgen das Rechtsmittel aufrechterhalten bleibt.
Die Antragsgegnerin wird aufgefordert, eine Auftragserteilung durch
geeignete Unterlagen zu belegen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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A. Die Antragsgegnerin schrieb im Herbst 2004 die Abfuhr von Bioabfall, Rest-Hausmüll
und Sperrmüll (Los 1) sowie von Schadstoffen (Los 2) in ihrem Stadtgebiet vom
1.1.2006 an im offenen Verfahren aus. Verträge sollten auf drei Jahre, alternativ auf fünf
oder acht Jahre abgeschlossen werden. Auf Beanstandungen der Antragstellerin
modifizierte und aktualisierte die Antragsgegnerin in Teilbereichen die
Verdingungsunterlagen. Sie verständigte hiervon die am Auftrag interessierten
Unternehmen. Innerhalb der Angebotsfrist gingen sieben Angebote ein. Gemäß der
Wertung der Antragsgegnerin soll die Beigeladene zu 1 den Zuschlag zu Los 1 erhalten,
die Beigeladene zu 2 den Zuschlag zu Los 2. Auf entsprechende Bieterinformation rügte
die Antragstellerin das Vergabeverfahren und strengte, da die Antragsgegnerin den
angebrachten Rügen nicht abhalf, ein Nachprüfungsverfahren an. Im
Nachprüfungsverfahren beanstandete die Antragstellerin unter anderem den Inhalt der
Verdingungsunterlagen, die Angebote der Beigeladenen und die Angebotswertung. Die
Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag, da die Antragstellerin mit ihrem
Angebot die Verdingungsunterlagen geändert habe. Sie habe ihrem Angebot entgegen
einer unmissverständlichen Anweisung der Antragsgegnerin nicht die modifizierten,
sondern die ursprünglich übersandten Verdingungsunterlagen beigefügt. Infolgedessen
weiche das Angebot der Antragstellerin von den durch die geänderten
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Verdingungsunterlagen vorgegebenen Vertragsinhalten ab. Es sei demnach zwingend
von einer Wertung auszunehmen, zumal anderen Angeboten gleiche Mängel nicht
anhafteten.
Mit ihrer dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde greift die Antragstellerin die von
der Vergabekammer getroffene Feststellung einer Änderung der Verdingungsunterlagen
an. Darüber hinaus beanstandet sie weiterhin vergaberechtlich erhebliche Mängel an
den Angeboten der Beigeladenen. Hilfsweise beruft die Antragstellerin sich auf einen
schwerwiegenden Vergaberechtsverstoß der Antragsgegnerin, der eine Aufhebung des
Verfahrens gebiete. Mit dem Rechtsmittel hat sie den Antrag verbunden, die
aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1 treten dem Eilantrag der Antragstellerin
entgegen. Hierüber ist zunächst allein zu befinden.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und auf
die hiermit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
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B. Der Antrag der Antragstellerin, gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB die aufschiebende
Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern, hat keinen Erfolg.
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Die Entscheidung über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung eines
Rechtsmittels gegen die Ablehnung des Nachprüfungsantrags durch die
Vergabekammer hängt maßgebend von der Erfolgsaussicht der sofortigen Beschwerde
ab. Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin ist eine Erfolgsaussicht indes nicht
einzuräumen. Die Beschwerde ist nach dem Ergebnis der im Eilverfahren gemäß § 118
GWB gebotenen summarischen Überprüfung anhand des derzeitigen Sach- und
Streitstandes wahrscheinlich unbegründet. Die Vergabekammer hat den
Nachprüfungsantrag – gemessen an diesem Überprüfungsmaßstab – wegen im
Angebot der Antragstellerin vorgenommener Änderungen an den
Verdingungsunterlagen mit Recht abgelehnt. Ob deswegen der Antrag der
Antragstellerin in Ermangelung einer Antragsbefugnis (§ 107 Abs. 2 GWB) – so die
Vergabekammer – als unzulässig zu verwerfen oder unbegründet war, ist im Ergebnis
nicht wichtig. Gemäß dem in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
29.7.2004 (2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597, 599 f.) entwickelten und vom Senat
geteilten Verständnis vom Begriff der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist der
Nachprüfungsantrag der Antragstellerin allerdings nicht unzulässig, sondern
unbegründet. Auf das Entscheidungsergebnis wirkt sich dies freilich nicht aus, zumal
der Antragstellerin hinsichtlich des zugrundeliegenden Rechtsproblems, und zwar eines
Ausschlusses ihres Angebots wegen Änderungen an den Verdingungsunterlagen, im
Verfahren vor der Vergabekammer rechtliches Gehör gewährt worden ist (vgl. insofern
EuGH, Urt. v. 19.6.2003 - Rs. C-249/01, NZBau 2003, 509, 511 = VergabeR 2003, 541,
545, Tz. 29 - Hackermüller). Die Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags ergibt sich
aus Folgendem:
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I. Das Angebot der Antragstellerin änderte die Verdingungsunterlagen unzulässig ab
(§ 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A). Infolgedessen ist es zwingend von der Wertung
auszuschließen (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d) VOL/A). Als eine Änderung der
Verdingungsunterlagen (und zugleich als ein Nebenangebot) ist jede Abweichung vom
geforderten Angebot zu verstehen (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. auch
Eberstein in Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 17 Rn. 44). Dieses Verständnis deckt
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sich mit der Interpretation, die die Verfasser der VOL/A dem Begriff der
Änderungsvorschläge und Nebenangebote in den Erläuterungen zu § 17 Nr. 3 Abs. 5
VOL/A beigelegt haben. Verändert ein Bieter inhaltlich die in den
Verdingungsunterlagen enthaltenen Anforderungen des Auftraggebers, ist sein Angebot
ohne Rücksicht darauf, ob der Auftraggeber diesen Mangel selbst erkannt und
sanktioniert hat, zwingend von der Wertung auszunehmen. Dabei spielt es keine Rolle,
ob die vom Bieter vorgenommene Änderung eine zentrale und wichtige oder eine eher
unwesentliche Forderung des Auftraggebers betrifft und ob die Abweichung irgendeinen
Einfluss auf das Wettbewerbsergebnis haben kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v.
29.11.2000 - Verg 21/00, VergabeR 2001, 38 unter Bezugnahme auf BGH BauR 1998,
1249, 1251). Steht eine Änderung an den Verdingungsunterlagen objektiv fest, darf der
Auftraggeber mit dem betreffenden Bieter auch kein Aufklärungsgespräch mit dem Ziel
führen, die Änderung rückgängig zu machen, da dies ein unstatthaftes Nachverhandeln
wäre (§ 24 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.11.2000, a.a.O., zur
identischen Bestimmung in § 24 Nr. 3 VOB/A).
Das Angebot der Antragstellerin wich von den Vorgaben der Antragsgegnerin ab, weil
die Antragstellerin - wie außer Streit steht - nicht den mit Schreiben der Antragsgegnerin
vom 25.10.2004 übersandten aktualisierten Text der Verdingungsunterlagen (und zwar
die Besonderen Vertragsbedingungen, die technische Leistungsbeschreibung und den
Text des Abfuhrvertrages für Los 1 betreffend), sondern die anders gestalteten
ursprünglichen Verdingungsunterlagen zum Gegenstand ihres Angebots gemacht hatte.
Die Verdingungsunterlagen waren gemäß den dazu angebrachten Vorbemerkungen
(Verdingungsunterlagen S. 1) als Bestandteil des einzureichenden (und als Teil III in
den Text integrierten) Angebots von den Bietern an die Antragsgegnerin
zurückzusenden. Die aktualisierten, teilweise neu gefassten und den interessierten
Unternehmen mit Schreiben vom 25.10.2004 übersandten Blätter der
Verdingungsunterlagen sollten – so die ausdrückliche Forderung der Antragsgegnerin
in jenem Schreiben – von den Bietern gegen die vorhandenen (aber obsolet
gewordenen) Blätter der Verdingungsunterlagen ausgetauscht werden. Daraus ergab
sich für einen verständigen Bieter zwanglos und unmissverständlich die Forderung,
dass mit dem Angebot die aktualisierte Fassung der Verdingungsunterlagen eingereicht
werden sollte. Diese Forderung ist nicht zu beanstanden. Sie diente dazu
sicherzustellen, dass nach aktuellem Stand der Ausschreibungsbedingungen in jeder
Hinsicht identische und miteinander ohne Weiteres vergleichbare Angebote eingingen,
sollte mithin einen fairen Bieterwettbewerb gewährleisten und konnte auch in der Sache
veranlasst erscheinen, weil in den Verdingungsunterlagen zahlreiche Modalitäten der
Vertragsausführung festgelegt worden waren.
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Da die Antragstellerin bei ihrem Angebot veraltete Verdingungsunterlagen benutzt hat,
hat sie die Verdingungsunterlagen in mehreren Punkten geändert. Die Änderungen
betreffen unter anderem die Besonderen Vertragsbedingungen, nämlich den auf S. 8 der
Verdingungsunterlagen unter Gliederungsnummer 4.13 geregelten Auskunfts- und
Beratungsservice. Das Angebot der Antragstellerin wich insoweit von den Vorgaben der
Antragsgegnerin ab. Es umfasste nicht die in der Neufassung der
Verdingungsunterlagen enthaltenen Regelungen über die Einrichtung einer sog.
Servicenummer und die Fernsprechkosten. Des weiteren änderte das Angebot der
Antragstellerin die in der technischen Leistungsbeschreibung (Verdingungsunterlagen
S. 33, Gliederungsnummer 1.1) und im Text des Abfuhrvertrages für Los 1
(Verdingungsunterlagen S. 52 f., § 18 Nr. 2 Satz 2) für den Fall von Veränderungen des
vertraglichen Leistungsumfangs vorgesehenen Regelungen ab. In den aktualisierten
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Fassungen der technischen Leistungsbeschreibung und des Vertragsentwurfs zu Los 1
waren die bei gleich bleibender Vergütung vom Auftragnehmer hinzunehmenden Mehr-
und Mindermengen im Einzelnen bestimmt. Die Antragstellerin hat nicht diese
Regelung, sondern die in der früheren Fassung der Verdingungsunterlagen enthaltene
Generalklausel zum Gegenstand ihres Angebots gemacht.
Als Rechtsfolge der nach den Verdingungsunterlagen nicht zugelassenen Änderungen
ist das Angebot der Antragstellerin aus der Wertung zu nehmen (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d)
VOL/A). Ist das Angebot auszuschließen, kann der weitere Fortgang des
Vergabeverfahrens weder die Interessen der Antragstellerin berühren noch kann die
Antragstellerin durch etwaige Verstöße des Auftraggebers gegen andere
vergaberechtliche Bestimmungen in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein
(BGH, Beschl. v. 18.2.2003 – X ZB 7/04, NZBau 2003, 293 = VergabeR 2003, 313, 318
– Jugendstrafanstalt).
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II. Eine Verletzung des Anspruchs der Antragstellerin auf Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2
GWB) scheidet aus. Allerdings lässt der Senat in den Fällen, in denen das Angebot des
Antragstellers nach § 25 Nr. 1 VOL/A von der Wertung auszuschließen ist, von dem
Grundsatz, dass weitere Vergaberechtsverstöße außer Betracht zu bleiben haben, eine
Ausnahme zu, wenn der öffentliche Auftraggeber bei gebührender Beachtung des
Gleichbehandlungsgebots nicht nur das Angebot des Antragstellers, sondern auch das
allein in der Wertung verbliebene Angebot des Beigeladenen oder alle anderen
tatsächlich in die Wertung gelangten Angebote hätte ausschließen und (zum Beispiel)
unter Aufhebung des laufenden ein neues Vergabeverfahren hätte durchführen müssen.
Das Gebot, die Bieter gleich zu behandeln, verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber,
solche Angebote, die an demselben Mangel leiden, vergaberechtlich gleich zu
behandeln, d.h. aus dem übereinstimmend vorliegenden Mangel jener Angebote
vergaberechtlich dieselben Konsequenzen zu ziehen (vgl. aus jüngerer Zeit OLG
Düsseldorf, Beschl. v. 15.12.2004 - VII-Verg 47/04, VergabeR 2005, 195, 198 m.w.N.).
Jedoch ist nach Lage des Streitfalles von dem Grundsatz, wonach ein
auszuschließender Bieter in Bezug auf das weitere Vergabeverfahren nicht in seinen
Rechten verletzt sein kann, hier keine Ausnahme veranlasst. Durch den Ausschluss
ihres Angebots ist die Antragstellerin in ihrem Recht auf Gleichbehandlung nämlich
selbst dann nicht verletzt, wenn das Angebot eines beigeladenen Unternehmens
denselben Fehler aufweisen sollte wie ihr eigenes Angebot, es nämlich ohne die an den
Verdingungsunterlagen vorgenommenen Aktualisierungen eingereicht worden ist. Die
Antragsgegnerin ist - auch wenn der Fall so läge, was im Ergebnis offen bleiben kann -
nicht gehalten, das Vergabeverfahren aufzuheben und der Antragstellerin in einem
neuen Vergabeverfahren zu ermöglichen, ein weiteres Angebot abzugeben. Denn – wie
unbestritten ist – liegen, auch wenn das Angebot eines Beigeladenen aus der Wertung
genommen wird, im gegenwärtigen Vergabeverfahren von vier anderen Bietern
Angebote vor, die sich auf die aktuellen Verdingungsunterlagen beziehen. Von daher
muss es bei der Anwendung des oben (a.E. von Abschnitt I.) dargestellten Grundsatzes
bleiben, dass die Antragstellerin durch eine Verletzung anderer vergaberechtlicher
Bestimmungen nicht in ihren Rechten verletzt ist. Infolgedessen erübrigt es sich, auf die
von der Beschwerde vorgebrachten weiteren Beanstandungen einzugehen, die ein
Fehlen geforderter Eignungsnachweise im Angebot der Beigeladenen zu 1, sog.
Unauskömmlichkeit der Angebote beider Beigeladenen und einen Verstoß der
Beigeladenen zu 2 gegen die kommunalrechtlichen Beschränkungen wirtschaftlicher
Betätigung in § 107 Gemeindeordnung NRW betreffen.
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III. Der Antragstellerin ist im rechtlichen Ansatz zwar darin zuzustimmen, dass sich der
Mangel ihres Angebots nicht auswirkte, sollte die Antragsgegnerin die Ausschreibung
für vergabefremde Zwecke, namentlich zu dem allein behaupteten Zweck einer bloßen
Markterkundung, eingesetzt haben (vgl. § 16 Nr. 2 VOL/A). Die Antragstellerin schließt
aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin Alternativangebote für eine dreijährige,
fünfjährige und achtjährige Vertragsdauer abgefordert hat, auf eine Absicht zu bloßer
Erkundung der Marktverhältnisse. Diese Schlussfolgerung ist indes ungerechtfertigt. Der
Vergabevermerk vom 30.11.2004 weist aus, dass das Vergabeverfahren nach
Beteiligung der kommunalen Vertretungsorgane darauf angelegt ist, durch einen
Zuschlag und Vertragsabschluss mit dem Auftragnehmer abgeschlossen zu werden. Im
Rahmen der Vorbereitung der Zuschlagsentscheidung diente die Abfrage von Preisen
bei zeitlich gestaffelter Vertragsdauer ersichtlich dem Zweck, in Abhängigkeit von der
Laufzeit der Verträge das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln.
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Die Kostenentscheidung ist einheitlich mit der Entscheidung über die Beschwerde zu
treffen.
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Richterin am OLG
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Dr. M. ist ortsab-
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wesend und an der Unter-
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zeichnung verhindert.
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D. W. D.
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