Urteil des OLG Düsseldorf vom 17.11.2005
OLG Düsseldorf: fahrzeug, halter, geschwindigkeit, verfügungsgewalt, gewissheit, abend, mangel, eigenschaft, verdacht, tachometer
Oberlandesgericht Düsseldorf, III-5 Ss 64/05 - 67/05 I
Datum:
17.11.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat für Straf- und Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-5 Ss 64/05 - 67/05 I
Tenor:
nach § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Düssel-dorf vom 9. November 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kos-ten der Revisionen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Düsseldorf zu-rückverwiesen.
Gründe
1
Das Amtsgericht hat den Angeklagten H........ wegen vorsätzlichen Fahrens ohne
Fahrerlaubnis und die Angeklagte M........ wegen vorsätzlichen Zulassens des Fah-rens
ohne Fahrerlaubnis zu Geldstrafen verurteilt. Die (Sprung-) Revisionen der Angeklagten
haben mit der Sachrüge vorläufig Erfolg, weil die Feststellungen die Schuldvorwürfe
nicht tragen.
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I.
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Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte H........, der die Fahrerlaubnis der
Klasse M besaß, am Abend des 8. März 2004 mit einem Kleinkraftrad mit
Versicherungskennzeichen die hiesige ............... Mit dem Fahrzeug konnte eine Höchst-
geschwindigkeit von 73 km/h erreicht werden, weil ein Teil (eine "Distanzscheibe")
fehlte, das üblicherweise eingebaut ist, um den Motor zu drosseln oder die Antriebs-
übersetzung zu begrenzen. Versichert war das Fahrzeug über die Angeklagte M.......
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Der Angeklagte H........ hat sich zur Sache nicht eingelassen. Das Amtsgericht hat ihn
schuldig gesprochen, weil er jederzeit von seinem Tacho(meter) habe ablesen können,
dass er mit dem Fahrzeug eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als 50 km/h
erreichen konnte, und das zur Überzeugung des Gerichts auch getan habe.
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Die Angeklagte M......... hat ausgesagt, sie lebe seit 2002 mit dem Angeklagten ......
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zusammen und habe das Fahrzeug - ihr einziges - in dessen Interesse gekauft und
finanziert, aber nie benutzt. Das Amtsgericht hat sie schuldig gesprochen, weil sie als
Halterin für den Zustand des Fahrzeugs verantwortlich gewesen sei und angesichts der
festgestellten Umstände lebensfremd sei, dass die Angeklagten sich über die Leistung
ihres Fahrzeugs nicht ausgetauscht hätten.
II.
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1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts ist richtig. Wer vorsätzlich oder
fahrlässig ein Kraftfahrzeug führt, das technisch so verändert ist, dass die vorhandene
Fahrerlaubnis nicht mehr ausreicht, macht sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG
strafbar (vgl. BVerfGE 51, 60). Der Halter des Fahrzeugs, der das vorsätzlich oder
fahrlässig zulässt, ist nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 StVG zu bestrafen.
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2. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten aber
nicht tragfähig begründet.
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a) Die richterliche Überzeugung setzt neben der persönlichen Gewissheit des Richters
objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss
erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der
Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht
zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die
Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren
Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlußfolgerung nicht etwa
nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als
einen Verdacht begründen kann (BGH StV 2002, 235; NJW 2002, 2190, 2191; NJW
2003, 1748, 1751 f; NJW 2005, 300, 308; jeweils mwN). Diese Tatsachengrundlage
muss in den Urteilsgründen belegt sein. Es reicht nicht aus, nur das Ergebnis der
Schlussfolgerungen, nicht aber die Tatsachen mitzuteilen, die einen solchen Schluss
zulassen können, weil dann eine revisionsrechtliche Nachprüfung der tatrichterlichen
Überzeugungsbildung nicht möglich ist (BGH NJW 2002, 2190, 2191).
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b) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte H........., sei es selbst oder durch
Dritte, das Kleinkraftrad technisch verändert ("frisiert") hatte, sind dem angefochtenen
Urteil nicht zu entnehmen. Das mag nahe gelegen haben, wenn die Angeklagte Mörsch
das Fahrzeug neu gekauft hatte, aber das ist nicht festgestellt. Ebenso wenig ist
festgestellt, dass die Abweichung von der Bauart äußerlich sichtbar war und der
Angeklagte H..... sie erkannt hatte. Nach den Feststellungen konnte er den "Mangel"
(aus straßenverkehrsrechtlicher Sicht) des Fahrzeugs nur erkannt (oder fahrlässig nicht
erkannt) haben, wenn der Tachometer schon einmal oder gar mehrfach eine deutlich
höhere Geschwindigkeit als 45 km/h (§ 18 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a, b StVZO) angezeigt
hatte. Auch das ist weder festgestellt noch dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe zu entnehmen. Ob H....... dem Polizeibeamten, der ihn am Abend des 8.
März 2004 angehalten hatte, wegen einer zu hohen Geschwindigkeit aufgefallen war, ist
offen geblieben. Ob er vorher schon so oft und so viele Kilometer mit dem Fahrzeug
gefahren war, dass der Tatrichter mit praktischer Gewissheit davon ausgehen durfte,
dass der Angeklagte die unzulässige Leistung des Fahrzeugs kannte, weil sie ihm nicht
verborgen geblieben sein konnte, ist unklar, weil weder der Zeitpunkt der Anschaffung
noch die Fahrleistung des Angeklagten H......festgestellt sind. Die Erklärung der
Angeklagten M........, sie habe das Fahrzeug "nie" benutzt, bietet insoweit keinen
hinreichend konkreten Anhaltspunkt.
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b) Bei der Angeklagten M........ ist schon fraglich, ob sie Halterin des Fahrzeugs war.
Halter eines Fahrzeug ist, wer es für eigene Rechnung gebraucht, das heißt die Kos-ten
trägt und die "Verfügungsgewalt" besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt
(Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. [2005], § 7 StVG Rdnr. 14 ff mwN). Die
"Eigenschaft als Halter" (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 StVG) folgt demnach nicht ohne weiteres
daraus, dass der (die) Betreffende im Fahrzeugregister als Halter eingetragen ist oder,
wie hier, das Fahrzeug finanziert und versichert hat. Die Feststellungen legen nahe,
dass allein der Angeklagte H........ die "Verfügungsgewalt" über das Fahrzeug hatte.
Damit ist die Haltereigenschaft der Angeklagten M...... zumindest unklar.
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Wird unterstellt, dass die Angeklagte M...... Halterin des Fahrzeugs war und der
Angeklagte H...... es technisch verändert ("frisiert") hatte, so bieten die Feststellungen
jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte M......... die
technische Veränderung gekannt (oder fahrlässig nicht erkannt) hat. Die Begründung
des Amtsgerichts, es sei lebensfremd, dass die Angeklagten sich über die Leistung
ihres Fahrzeugs nicht ausgetauscht hätten, ist eine bloße Vermutung ohne jede
Tatsachengrundlage. Sie ist nicht einmal wahrscheinlich, denn genauso gut ist möglich,
dass der Angeklagte H......... das Fahrzeug heimlich "frisiert" und das der Angeklagten
M......... verschwiegen hatte.
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III.
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Der Senat kann nicht ausschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung zusätzliche
Feststellungen getroffen werden, die eine Verurteilung rechtfertigen. Deswegen ist das
angefochtene Urteil nach §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den Feststellungen
aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Düsseldorf
zurückzuverweisen.
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Für den Fall eines erneuten Schuldspruchs weist der Senat darauf hin, dass
"Kleinkraftrad" kein Rechtsbegriff des täglichen Lebens ist, der in den Feststellungen
ohne weiteres verwendet werden kann (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Urteile in Strafsachen,
27. Aufl. [2002] Rdnr. 286). Das zeigt schon der Blick auf § 18 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a, b
StVZO. Eine präzisere und anschaulichere Bezeichnung (etwa: Motorroller) war dem
Senat verwehrt, weil auch das sich nicht aus den Feststellungen ergibt.
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