Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.09.2010

OLG Düsseldorf (abstand, stand der technik, anlage, auslieferung, gesetzlicher vertreter, bundesrepublik deutschland, behälter, zustand, anzahl, bezug)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 46/09
Datum:
16.09.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 46/09
Tenor:
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 05.03.2009 verkündete Urteil
der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf – Az.: 4b O 189/08 –
wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten der Berufung haben die Beklagten zu tragen.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt
nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 400.000,- € abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 400.000,- €
festgesetzt.
Gründe
1
I.
2
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten, in englischer Sprache verfassten europäischen Patents 0 979
XXX(Klagepatent), welches eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Streckblasformen
zum Gegenstand hat. Es nimmt japanische Prioritäten vom 16.90.1994 und 21.07.1995
in Anspruch und beruht auf einer am 16.02.2000 veröffentlichten Teilungsanmeldung.
Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 20.03.2002. Das Klagepatent steht
in Kraft. Die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) wurde durch Urteil des
Bundespatentgerichts vom 04.05.2010 abgewiesen.
3
Der allein streitgegenständliche Patentanspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung
(Anlage K-B 2) wie folgt:
4
"Vorrichtung zum Spritzstreckblasformen mit:
5
einer Vorformstation (10) zum Spritzgießen von Vorformlingen (1), wobei die
Vorformstation (10) für ein gleichzeitiges Spritzgießen von N (N ≥ 2) Vorformlingen in
einem ersten Abstand (P1) ausgelegt ist,
6
einer Blasformstation (300) zum Streckblasformen der Vorformlinge in Behälter,
wobei die Blasformstation (300)
7
eine Umlauftransporteinrichtung (302) zum schrittweisen umlaufenden
Transportieren der Vorformlinge entlang einer Transportbahn,
einen Heizabschnitt (306) zum Erwärmen der entlang der Transportbahn
bewegten Vorformlinge und
einen Blasformabschnitt (310) aufweist, der zum gleichzeitigen Blasformen von n
(1 ≤ n < N)= Behälter aus n Vorformlingen dient, und
8
9
einer Übergabestation (200, 500, 600) zum Aufnehmen der Vorformlinge aus der
Vorformstation (10) durch einen Aufnahmemechanismus (210, 502, 602) und zur
Übergabe der Vorformlinge an die Blasformstation (300),
10
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t,
11
dass die Übergabestation (200, 500, 600)
12
einen Abstands-Änderungsmechanismus (254, 522, 606) zum Ändern eines
Anordnungsabstandes der Vorformlinge (1) von dem ersten Abstand (P1) zu
einem zweiten Abstand (P2, P3), der größer ist als der erste Abstand (P1), und
einen Umkehrmechanismus (230, 504, 608) zum Umkehren der Vorformlinge
aufweist, und
13
14
dass die Umlauftransporteinrichtung (302) zum schrittweisen umlaufenden Transport
der Vorformlinge entlang der Transportbahn in dem zweiten Abstand (P2, P3)
ausgelegt ist."
15
Die nachstehend wiedergegebene Figur 1 der Klagepatentschrift erläutert die Erfindung
anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.
16
Sie zeigt neben der Vorformling-Formstation (10), in der die Vorformlinge
spritzgegossen werden, die Übergabestation (200), die die von der Vorformling-
Formstation (10) ausgestoßenen Vorformlinge zur Blasformstation (300) befördert, wo
die Vorformlinge zu einem Behälter blasgeformt werden.
17
Der Beklagte zu 2) war in der Zeit vom 23.04.2001 bis zum 02.09.2003 Geschäftsführer
der zur A Unternehmensgruppe gehörenden, seit dem 15.08.2000 eingetragenen und
ursprünglich als A B GmbH firmierenden Beklagten zu 1).
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Diese war in der Zeit in der Zeit vom 16.10.2000 bis zum 11.04.2003 persönlich
haftende Gesellschafterin der im Handelsregister des AG C eingetragenen, bis zum
12.02.2002 als D GmbH & Co. KH firmierenden A E GmbH & Co. KG, über deren
Vermögen am 01.10.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
19
Außerdem war die Beklagte zu 1) vom 14.12.2000 bis zum 28.03.2003 persönlich
haftende Gesellschafterin der in das Handelsregister F eingetragenen heutigen G
Maschinenbau GmbH, die damals nach einer ersten Umwandlung ebenfalls als A E
GmbH & Co. KG firmierte und – nach einer weiteren Umwandlung – unter ihrer
zwischenzeitlichen Firma H G Maschinenbau GmbH durch Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 27.05.2003 (Az.: 4 O 173/00, Anlage K 5) wegen Verletzung des
Patents EP 0 835 YYY durch Vertrieb von "I"- Spritzstreckblasformmaschinen verurteilt
wurde. Das diesbezügliche Berufungsverfahren ist ausgesetzt.
20
Am 09.10.2007 fanden Beauftragte der Klägerin bei der J GmbH & Co. KG in K folgende
Streckblasmaschinen vor:
21
eine von der in C eingetragenen A E GmbH & Co. KG in der ersten Jahreshälfte
2002 gelieferte Maschine mit der Typenbezeichnung I 10, Nr. 7080200009
(angegriffene Ausführungsform 1)
22
23
und
24
eine von der in C eingetragenen A E GmbH & Co. KG zunächst im Rahmen eines
Mietvertrages vom 04.02.2003 und später im Wege des Verkaufs überlassene
25
Maschine mit der Typenbezeichnung I 10/2 E (angegriffene Ausführungsform 2).
26
Die am 09.10.2007 gefertigten und als Anlage K 15 zur Gerichtsakte gereichten
Lichtbilder zeigen die beiden Maschinen, die zu diesem Zeitpunkt wie in den
nachfolgend eingeblendeten Skizzen (Anlage K 13 und 14) wiedergegeben konstruiert
waren:
27
Wie zu erkennen, weisen die Maschinen eine Spritzgießstation auf, in der die
Vorformlinge in aufrechtem Zustand mit ihrem Hals nach oben spritzgegossen werden.
Im unmittelbaren Anschluss hieran folgt eine Aufnahmeeinrichtung mit zylindrischen,
wassergekühlten Hülsen, die über Führungsschienen unter die Spritzgießform verfahren
werden, so dass die spritzgegossenen Vorformlinge von der Spritzgießstation an die
Aufnahmeeinrichtung übergeben werden. Ist dies geschehen, wird die
Aufnahmeeinrichtung zurückgefahren und sodann um ihre Schwenkachse um 180 Grad
geschwenkt. Die hierdurch gewendeten Vorformlinge werden auf Tragglieder einer
Endlosförderkette abgesetzt, wo sie verbleiben, bis sie von der Blasformstation zur
weiteren Bearbeitung übernommen werden.
28
Die Klägerin hat behauptet, mit diesem Aufbau seien die beiden Maschinen bereits an
die J GmbH & Co. KG ausgeliefert worden, und die Ansicht vertreten, hierdurch sei das
Klagepatent verletzt, wofür die Beklagten einzustehen hätten.
29
Sie hat beantragt,
30
I. die Beklagten zu verurteilen,
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1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes
bis 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im
Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren zu unterlassen,
32
33
Vorrichtungen zum Spritzstreckblasformen mit:
34
einer Vorformstation zum Spritzgießen von Vorformlingen, wobei die Vorformstation
für ein gleichzeitiges Spritzgießen von N (N ≥ 2) Vorformlingen in einem ersten
Abstand (P1) ausgelegt ist,
35
einer Blasformstation zum Streckblasformen der Vorformlinge in Behälter, wobei die
Blasformstation
36
eine Umlauftransporteinrichtung zum schrittweisen umlaufenden Transportieren
37
der Vorformlinge entlang einer Transportbahn,
einen Heizabschnitt zum Erwärmen der entlang der Transportbahn bewegten
Vorformlinge und
einen Blasformabschnitt aufweist, der zum gleichzeitigen Blasformen von n (1 ≤ n
< N)= Behälter aus n Vorformlingen dient;
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einer Übergabestation zum Aufnehmen der Vorformlinge aus der Vorformstation
durch einen Aufnahmemechanismus und zur Übergabe der Vorformlinge an die
Blasformstation
39
in Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den
genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
40
bei denen die Übergabestation
41
einen Abstands-Änderungsmechanismus zum Ändern eines
Anordnungsabstandes der Vorformlinge von dem ersten Abstand (P1) zu einem
zweiten Abstand (P2, P3), der größer ist als der erste Abstand (P1), und
einen Umkehrmechanismus zum Umkehren der Vorformlinge aufweist, und
42
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bei denen die Umlauftransporteinrichtung zum schrittweisen umlaufenden Transport
der Vorformlinge entlang der Transportbahn in dem zweiten Abstand (P2, P3)
ausgelegt ist;
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2. der Klägerin Rechnung darüber zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die
zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 20.04.2002 begangen haben, jeweils
unter Vorlage eines Verzeichnisses, aus dem ersichtlich sind
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a. die einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –
preisen, den Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der
Abnehmer,
b. die einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach den Angebotsmengen, -zeiten und
–preisen, den Typenbezeichnungen sowie unter Angabe der Namen und
Anschriften der Angebotsempfänger,
c. die betriebene Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, Auflagenhöhe,
Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d. sowie der erzielte Gewinn,
46
47
48
wobei den Beklagten nachgelassen wird, die Namen und Anschriften der nicht
gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von
ihr bezeichneten und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten
Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten übernehmen und
ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob
ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
49
II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin
allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I. 1. bezeichneten Handlungen in den
unter I. 2. genannten Zeitraum entstanden ist.
50
Die Beklagten, die um Klageabweisung, hilfsweise um Aussetzung gebeten haben,
haben bestritten, dass die streitbefangenen Maschinen bei Auslieferung bereits den
Aufbau wie am 09.10.2007 vorgefunden aufgewiesen haben, und dazu ausgeführt, sie
hätten keine Kenntnis über den Zustand bei Auslieferung. Es sprächen jedoch
Umstände dafür, dass die Maschinen bei der J GmbH & Co. KG in unbekanntem
Ausmaß baulich verändert worden seien. Sie haben außerdem die Ansicht vertreten,
etwaige Ansprüche der Klägerin seien verjährt und verwirkt, da diese seit dem Jahr
2000 Kenntnis von den vermeintlichen Verletzungshandlungen gehabt habe. Jedenfalls
sei hinreichend wahrscheinlich, dass der deutsche Teil des Klagepatents mangels
zugrunde liegender erfinderischer Tätigkeit im anhängigen Nichtigkeitsverfahren
vernichtet werde.
51
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und sie lediglich abgewiesen,
soweit die Klägerin Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der
Schadensersatzpflicht der Beklagten über den 11.04.2003 hinaus begehrt hatte.
52
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die angegriffenen Ausführungsformen in dem
am 09.10.2007 vorgefundenen Zustand von der technischen Lehre des Klagepatents
Gebrauch machten, hätten die Beklagten zu Recht nicht in Abrede gestellt. Vor diesem
Hintergrund könne die Frage, ob die Konstruktionsweise der angegriffenen
Ausführungsformen am 09.10.2007 derjenigen bei Auslieferung entspräche,
dahinstehen. Die Beklagte zu 1) hafte, da sie zum Zeitpunkt der Auslieferung der
angegriffenen Ausführungsform und bei Vermietung der angegriffenen Ausführungsform
2 durch die in C eingetragene A E GmbH & Co. KG persönlich haftende Gesellschafterin
derselben gewesen sei. Der Beklagte zu 2) hafte gem. § 31 BGB als gesetzlicher
Vertreter der Beklagten zu 1). Das spätere Ausscheiden der Beklagten zu 1) als
Komplementärin der in Ceingetragenen A E GmbH & Co. KG führe zwar nicht zu einem
Wegfall der durch die Patentverletzungen jeweils begründeten Wiederholungsgefahr,
aber zu einer Begrenzung des Schadensersatzzeitraumes und damit auch der Auskunft-
und Rechnungslegungspflicht. Die Ansprüche der Klägerin seien weder verjährt noch
verwirkt. Für die Annahme einer Verwirkung fehle es an der Darlegung etwaiger
wirtschaftlicher Dispositionen der Beklagten bzw. geschaffener wertvoller Besitzstände
im Hinblick auf den behaupteten Duldungsschein. Für eine Verjährung habe die
Klägerin die Patentverletzung spätestens im Laufe des Jahres 2004 kennen oder grob
fahrlässig nicht kennen müssen. Dass sie bereits zum Zeitpunkt der aus Anlass des
53
Rechtsstreits 4b O 273/00 LG Düsseldorf geführten Vergleichsspräche wusste oder
hätte wissen müssen, dass die angegriffenen Ausführungsformen auch an die J &
GmbH & Co. KG geliefert worden waren, ergebe sich aus dem Vortrag der Beklagten
jedoch nicht. Zwar habe die Klägerin selber am 07.10.2004 auf den Inhalt des im Mai
2004 erschienenen Fachartikels Anlage B 8, 8a hingewiesen, der von neu bei der J
GmbH & Co. KG aufgestellten Maschinen des Typs I 10-2 E berichtet. Die Beklagten
seien jedoch dem Vorbringen der Klägerin nicht entgegengetreten, die Gegenseite habe
dazu anlässlich der Vergleichsverhandlungen betont, die Maschinen seien mit einer
veränderten, Drehteller aufweisenden Übergabestation geliefert worden. Danach habe
die Klägerin lediglich über einen Verletzungsverdacht verfügt, der noch nicht einmal
ausgereicht habe, um ein Besichtigungsverfahren im Betrieb der J GmbH & Co. KG zu
erzwingen. Unstreitig habe diese der Klägerin die Besichtigung im Jahr 2007 erst nach
monatelangen Verhandlungen und nach der Zusicherung, keine Ansprüche wegen
Patentverletzung geltend zu mache, gestattet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Sie machen zum einen geltend,
das Landgericht habe den Zustand der streitgegenständlichen Maschinen bei
Auslieferung nicht dahinstehen lassen dürfen. Wenn die streitgegenständlichen
Maschinen bei Auslieferung nicht patentverletzend gewesen seien, wovon jedenfalls
aufgrund des Artikels Anlage B 8, 8a und der dortigen Lichtbilder, die eine
Übergabestation mit Drehtellern zeige, auszugehen sei, sei eine Haftung ihrerseits nicht
begründet. Zum anderen habe das Landgericht zu Unrecht eine Verjährung der
eingeklagten Ansprüche verneint.
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Die Beklagten beantragen,
55
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 05.03.2009 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
58
Sie hält die Entscheidung des Landgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens für jedenfalls im Ergebnis zutreffend.
59
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
60
II.
61
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
62
Die Klage ist im vom Landgericht ausgeurteilten Umfang begründet. Zutreffend hat
dieses eine Verletzung des Klageschutzrechts bejaht.
63
1.
64
Nach der einleitenden Erläuterung der Klagepatentschrift betrifft die Erfindung u.a. eine
Vorrichtung zum Spritzstreckblasformen. Solche Vorrichtungen werden bei der
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Herstellung von Kunststoffflaschen benutzt. Dabei wird zunächst ein
Flaschenvorformling spritzgegossen und sodann durch Druckluft streckgeblasen,
wodurch er seine endgültige Form erhält. Ein solches Verfahren war nach dem Stand
der Technik bekannt und zwar sowohl als solches mit kaltem Vorformling (Zwei-Stufen-
Verfahren) als auch als solches mit heißem Vorformling (Einstufen-Verfahren). Beim
Zwei-Stufen-Verfahren ist die Spritzgießtaktzeit lang und die Produktivität damit niedrig,
allerdings wirkt sich die Spritzgieß-Taktzeit nicht auf die Blasform-Taktzeit aus. Beim
Einstufen-Verfahren wird die Taktzeit der Gesamtvorrichtung durch den Spritzgießtakt
bestimmt, so dass der Durchsatz der gesamten Vorrichtung niedrig ist. Außerdem
ergeben sich hier – so die Klagepatentschrift – diverse weitere Probleme.
Das Klageschutzrecht beschäftigt sich allein mit dem Einstufen-Verfahren und greift
insofern zunächst die EP-A-0 173 818 und die EP-A 0 266 804 auf, die ein
gattungsgemäßes Verfahren und eine entsprechende Vorrichtung beschreiben, welche
durch eine Umlauftransporteinrichtung für einen schrittweisen Transport der
Vorformlinge von der Spritzgießstation zur Blasformstation eine wirtschaftliche
Anpassung des langen Spritzgießzyklus an den kurzen Blasformzyklus ermöglichen.
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Sodann bezieht sich das Klagepatent auf die im Dokument GB-A 2 093 396 offenbarte
Vorrichtung zum Spritzblasformen von Behältern, die ebenfalls eine Vorformstation und
eine Blasformstation sowie zwei dazwischen angeordnete, drehbare Platten umfasst.
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Die von ihm weiterhin aufgegriffene, in dem Dokument US-A-4 239 475 beschriebene
Streckblasformeinrichtung mit ähnlichem Aufbau – Zwischenmechanismus zwischen
Umlauftransporteinrichtung der Vorformstation und Umlauftransporteinrichtung der
Blasformstation – wird hingegen als nicht gattungsgemäß bezeichnet, da die Anzahl der
spritzgegossenen Vorformlinge der Anzahl der blaszuformenden Behälter entspricht.
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Gleiches gilt für die in dem Dokument FR-A-2 389 580 offenbarte Einrichtung.
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Sodann werden vom Klagepatent noch die Vorrichtungen nach der EP-A-0 534 367 und
der GB-A-1 602 055 aufgegriffen, die beide eine Änderung des Abstandes zwischen
den Vorformlingen auf dem Weg von der Vorformstation zur Blasformstation
ermöglichen.
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Als Aufgabe der Erfindung stellt die Klagepatentschrift vor diesem Hintergrund heraus,
u.a. eine Vorrichtung zum Spritzstreckblasformen bereitzustellen, mit der bei möglicher
kompakter Anordnung der Formstation eine wirtschaftliche Produktion von Behältern
möglich ist. Erfindungsgemäß ist hierzu die Anzahl N der gleichzeitig spritzgegossenen
Vorformlinge größer als die Anzahl n der gleichzeitig blasgeformten, was eine
Reduzierung der kostenintensiven Blaskernformen ermöglicht. Da die Anzahl N
gleichzeitig spritzgegossener Vorformlinge indes in einer Vielzahl von Blasformzyklen
mit verkürzter Blasformtaktzeit blasgeformt werden, ist der Durchsatz der gesamten
Vorrichtung hoch.
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In seinem allein streitgegenständlichen Anspruch 1 sieht das Klagepatent deshalb die
Kombination folgender Merkmale vor, wobei der Senat, nachdem beide Parteien
entsprechend verfahren sind, ausnahmsweise von der deutschen Übersetzung des
Klagepatents (Anlage K-B 2) ausgeht:
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73
a) Vorrichtung zum Spritzstreckblasformen mit
b) einer Vorformstation (10) zum Spritzgießen von Vorformlingen (1), wobei die
Vorformstation (10) für ein gleichzeitiges Spritzgießen von N (N ≥ 2) Vorformlingen
(1) in einem ersten Abstand (P1) ausgelegt ist,
c) einer Blasformstation (300) zum Streckblasformen der Vorformlinge in Behälter,
wobei die Blasformstation (300)
73
c1) eine Umlauftransporteinrichtung (302) zum schrittweisen umlaufenden
Transportieren der Vorformlinge (1) entlang einer Transportbahn,
c2) einen Heizabschnitt (306) zum Erwärmen der entlang der Transportbahn
bewegten Vorformlinge (1) und
c3) einen Blasformabschnitt (310) aufweist, der zum gleichzeitigen Blasformen von n
(1 ≤ n
74
d) einer Übergabestation (200, 500, 600) zum Aufnehmen der Vorformlinge (1) aus der
Vorformstation durch einen Aufnahmemechanismus (210, 502, 602) und zur
Übergabe der Vorformlinge (1) an die Blasformstation (310).
e) Die Übergabestation (200, 500, 600) weist auf
75
e1) einen Abstands-Änderungsmechanismus (254, 522, 606) zum Ändern eines
Anordnungsabstandes der Vorformlinge (1) von dem ersten Abstand (P1) zu
einem zweiten Abstand (P2, P3), der größer ist als der erste Abstand (P1), und
e2) einen Umkehrmechanismus (230, 504, 608) zum Umkehren der Vorformlinge (1).
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f) Die Umlauftransporteinrichtung (302) ist zum schrittweisen umlaufenden Transport
der Vorformlinge (1) entlang der Transportbahn in dem zweiten Abstand (P2, P3)
ausgelegt.
77
2.
78
Dass die streitgegenständlichen Maschinen am 09.10.2007 von der technischen Lehre
des Klagepatents in vollem Umfang wortsinngemäßen Gebrauch gemacht haben,
stellen die Beklagten – zu Recht – seit Beginn des Verfahrens nicht in Abrede.
79
Soweit sie bestreiten, dass diese Maschinen mit dem nunmehrigen Aufbau bereits
ausgeliefert worden sind, ist dies unsubstantiiert und geschieht ins Blaue hinein. Die
80
Beklagten räumen ein, dass sie keine eigenen Kenntnisse über den Zustand bei
Auslieferung haben, und berufen sich allein auf mehrere Umstände, die ihrer Ansicht
nach einen ausreichend sicheren Rückschluss auf eine relevante
Konstruktionsveränderung zulassen. Dies genügt selbst dann nicht, wenn man
zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass sie die Konstruktionsveränderung an
sich (Drehteller anstatt Kette) und ihre Relevanz in Bezug auf das Klagepatent konkret
dargelegt haben. Denn die Beklagten hätten sich die ihnen fehlenden Kenntnisse über
den Zustand der an die J GmbH & Co. gelieferten Maschinen bei Auslieferung durch
Einholung von Erkundigungen beschaffen müssen. Eine solche Erkundigungspflicht
wird in ständiger Rechtsprechung angenommen, wenn es sich bei dem
entgegnungsbedürftigen Sachverhalt um Vorgänge im Bereich von Personen – nicht nur
der eigenen, sondern auch einer fremden Firma – handelt, die unter Anleitung, Aufsicht
oder Verantwortung derjenigen Partei tätig geworden ist, die sich im Prozess zu den
Behauptungen des Gegners zu erklären hat (vgl. BGH NJW 1999, 1965; OLG Köln NZG
2002, 870). Für den vorliegenden Streitfall bedeutet dies, dass die Beklagten zunächst
bei der in C eingetragenen A E GmbH & Co. KG Erkundigungen einholen mussten.
Dass dieses – so ihr Vortrag – wegen der Umstrukturierungen und nachfolgenden
Insolvenz der A E GmbH & Co. KG nicht zum Erfolg geführt hat, entlastet sie nicht. Denn
sie hätten bei dieser Sachlage sodann an die J GmbH & Co. KG herantreten und von
dort Erkundigungen über den Auslieferungszustand der Maschinen einholen müssen,
was – wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung am 09.07.2010 auf
Nachfrage eingeräumt hat – nicht geschehen ist. Ein nachvollziehbarer Grund, weshalb
eine solche Erkundigung, die sich spätestens während des hiesigen Verfahrens
aufgedrängt hätte, unterblieben ist, ist weder ersichtlich noch dargelegt. Der J GmbH &
Co. KG ist seitens der Klägerin zugesichert, dass gegen sie keine Ansprüche wegen
Patentverletzung geltend gemacht werden. Jedenfalls seit Erhalt dieser
Verzichtserklärung kann sie deshalb kein schützenswertes Interesse mehr geltend
machen, Auskünfte über den Gegenstand der Lieferung gegenüber dem zum Zeitpunkt
der Lieferung verantwortlichen Gesellschafter ihres Lieferanten zu verweigern.
Die von den Beklagten zur Begründung ihrer Vermutung einer nachträglichen
Veränderung der ausgelieferten Maschinen in Bezug genommenen Indizien sind nicht
stichhaltig, so dass auch sie es nicht rechtfertigten, von einer Nachfrage bei der J GmbH
& Co. KG abzusehen. Das Bestehen einer eigenen Patentanmeldung der in C
eingetragenen A E GmbH & Co. KG zur Übergabe von spritzgegossenen Vorformlingen
von einem Spritzgießmodul zu einem Blasmodul (Offenlegungsschrift DE 101 50 780
A1, auszugsweise als Anlage B 7 zur Gerichtsakte gereicht) lässt alleine keine
Rückschlüsse darauf zu, dass die in der Patentanmeldung beschriebene technische
Lehre von der Anmelderin auch tatsächlich benutzt worden ist. Der Artikel Anlage B 8,
8a belegt dies ebenfalls nicht. Im Text des Artikels wird auf die konkrete Gestaltung der
Übergabestation des beschriebenen I 10-2 E nicht eingegangen. Wo die dem Artikel
beigefügten Lichtbilder gefertigt worden sind und welche konkrete Maschine sie zeigen,
ist offen. Entgegen der Ansicht der Beklagten gibt es keine "hohe Wahrscheinlichkeit",
dass alle diese Bilder tatsächlich bei der J GmbH & Co. KG gefertigt worden sind.
Konkrete Erkenntnisse zur Entstehungsgeschichte der Fotografien haben die Beklagten
nicht. Auch insoweit haben sie keinerlei Erkundigungen eingeholt.
81
3.
82
Die gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Beurteilung zugrunde zu legenden tatsächlichen
Feststellungen des Landgerichts zu den im Rahmen der Verwirkung maßgeblichen
83
Tatsachen rechtfertigen keine vom Landgericht abweichenden Schlüsse.
Einwendungen werden in diesem Zusammenhang von den Beklagten auch weder in
tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht erhoben.
Die streitgegenständlichen Ansprüche sind auch nicht verjährt. Zutreffend ist das
Landgericht davon ausgegangen, dass aufgrund des Artikels Anlage B 8, 8a weder eine
positive Kenntnis der Klägerin von der Verletzung des Klagepatents durch die
angegriffenen Ausführungsformen vorlag noch eine grob fahrlässige Unkenntnis
hiervon. Auch in der Berufung bestreiten die Beklagten nicht, dass der Klägerin
anlässlich der Vergleichsgespräche mitgeteilt wurde, die an die J GmbH & Co. KG
gelieferten Maschinen verfügten über eine veränderte Übergabestation, nämlich eine
solche mit Drehteller/n. Weshalb diese Angabe keinerlei Bezug zum vorliegend
streitgegenständlichen Klagepatent haben soll, wie die Beklagten in der mündlichen
Verhandlung am 09.07.2010 geltend gemacht haben, ist nicht nachvollziehbar, da eben
diese Gestaltung es sein soll, die – so die Verteidigung der Beklagten in tatsächlicher
Hinsicht – bei Auslieferung vorgelegen haben und aus der – ansonsten zweifelsohne
gegebenen – Klagepatentverletzung herausführen soll. Auch ohne diese Erklärung
lagen konkrete Anhaltspunkte für eine Patentverletzung durch Belieferung der J GmbH
& Co. KG nicht vor. Sowohl aufgrund der im Artikel Anlage B 8, 8a genannten
geänderten Produktbezeichnung als auch aufgrund des allgemeinen Hinweises auf
"eine Vielzahl neuer Eigenschaften" musste sich der Klägerin nicht aufdrängen, dass
mit den an die J GmbH & Co. KG gelieferten Maschinen weiter von der technischen
Lehre des Klagepatents Gebrauch gemacht worden war.
84
4.
85
Aus der vorstehend dargelegten Schutzrechtsverletzung bzw. –benutzung ergeben sich
die vom Landgericht zutreffend ausgeurteilten Rechtsfolgen, so dass zur Vermeidung
von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil
verwiesen wird. Hierauf bezogene Einwendungen werden von den Beklagten nicht
erhoben.
86
III.
87
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
88
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 711
ZPO.
89
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Es handelt sich um eine
Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, die keine
entscheidungserheblichen Rechtsfragen aufwirft, deren Beantwortung durch den
Bundesgerichtshof zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich wäre.
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X Y Z
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