Urteil des OLG Düsseldorf vom 13.06.2001

OLG Düsseldorf: internationale zuständigkeit, charakteristische leistung, gerichtliche zuständigkeit, erfüllungsort, versteigerung, bezahlung, eugh, gemüse, salat, kaufvertrag

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-15 U 232/00
13.06.2001
Oberlandesgericht Düsseldorf
15. Zivilsenat
Urteil
I-15 U 232/00
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1. Sep-
tember 2000 verkündete Urteil der 2. Kammer für
Handelssachen aufgehoben und der Rechtsstreit zur
erneuten Entscheidung an das Landgericht Kleve
zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die
Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten bleibt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Vermarktungsorganisation für landwirtschaftliche Produkte. Sie führt
unter anderem in Straelen eine Gemüseversteigerung durch. Bei dieser
Gemüseversteigerung pflegte die Beklagte, die zu der Klägerin seit 1994 in ständiger
Geschäftsbeziehung stand, Salat und Gemüse einzukaufen.
Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung eines Betrages in
Höhe von insgesamt 121.082,84 DM aus in der Zeit vom 7. Oktober bis einschließlich 31.
Dezember 1996 erfolgten Gemüsekäufen sowie aus aufgewendeten Kühlhausgebühren
und Telefonkosten in Anspruch.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie die in den Niederlanden ansässige Beklagte nach Art.
5 Nr. 1 EuGVÜ in Deutschland verklagen könne, weil die Gemüsekäufe zu ihren auf der
Rückseite der jeweiligen Einzelrechnungen abgedruckten Geschäftsbedingungen erfolgt
seien und danach der vereinbarte Erfüllungsort in Deutschland läge. Für eine
Gerichtsstandvereinbarung sei zudem keine Form vorgeschrieben; es reiche nach Art. 17
Abs. 1 Nr. 1b a EuGVÜ aus, dass sie den Gepflogenheiten der Parteien und/oder einem im
Geschäftszweig der Parteien üblichen Handelsbrauch entspräche.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 121.082,84 DM nebst 5 % Jahreszinsen seit dem 27.
Februar 2000 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie rügt die örtliche und internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und weist
darauf hin, dass nach ihrer Rechtsauffassung eine Einbeziehung der allgemeinen
Geschäftsbeziehungen der Klägerin in die Kaufverträge durch die bloße Übermittlung der
Warenrechnungen mit den auf der Rückseite abgedruckten allgemeinen
Geschäftsbedingungen nicht erfolgt sei.
Vorsorglich erklärt die Klägerin die Aufrechnung mit einer die Klageforderung
übersteigenden Schadensersatzforderung wegen einer angeblichen sittenwidrigen
Schädigung durch die Klägerin.
Das Landgericht Kleve hat nach durchgeführter Beweisaufnahme die Klage als unzulässig
abgewiesen, weil im Streitfall weder ein inländischer Gerichtsstand nach § 29 ZPO noch
die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Kleve nach Art. 5 Ziff. 1 EuGVÜ oder
nach Art. 17 EuGVÜ begründet sei.
Gegen dieses ihr am 8. September 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Oktober
2000 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Begründungsfrist bis zum 6.
Dezember 2000 begründet.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt,
das Urteil des Landgerichts Kleve vom 1. September 2000 aufzuheben und den
Rechtsstreit an das Landgericht Kleve zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuverweisen,
hilfsweise über die Zulässigkeit der Klage gesondert zu entscheiden.
Sie wiederholt und vertieft ebenfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Das Landgericht hat zum Bestehen eines Handelsbrauchs Beweis durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens erhoben: Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
verwiesen auf das eingeholte Sachverständigengutachten vom 10. April 2000 (Bl. 313 f
GA); bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend
Bezug genommen auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten
Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf
Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
Landgericht Kleve, weil das Landgericht ausschließlich über die Zulässigkeit der Klage
entschieden hat und nach Auffassung des Senats die internationale Zuständigkeit des
Landgerichts Kleve entgegen dessen Rechtsmeinung begründet ist (§ 538 Abs. 1 Nr. 2
ZPO). Von dem Erlass eines Zwischenurteils über die Zulässigkeit der Klage nach § 280
ZPO hat der Senat abgesehen, da dies die weitere Erledigung des Rechtsstreit - je nach
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Ausgang eines etwa durchzuführenden Revisionsverfahrens - nur verzögern würde und
deshalb nicht sachdienlich ist.
Die Frage, ob für den Streitfall eine Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist,
beantwortet sich nach dem EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.
September 1968, das für die Bundesrepublik Deutschland und die Niederladen am 1.
Februar 1973 in Kraft getreten ist (BGBl. II 60). Die Anwendbarkeit dieses
Übereinkommens auf den vorliegenden Fall beruht auf dem Streitgegenstand
(Handelssache) und dem Sitz der Parteien in jeweils einem der Vertragsstaaten des
Übereinkommens.
Abweichend von Art. 2 EuGVÜ, wonach grundsätzlich jeder vor dem für seinen Wohnsitz
zuständigen Gericht zu verklagen ist, können nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ Personen, die ihren
Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, in einem anderen Vertragsstaat
verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens
bilden und der Erfüllungsort in diesem Staat liegt. Maßgebend für die Bestimmung dieses
internationalen Gerichtsstandes des Erfüllungsortes ist dabei diejenige Verpflichtung, die
den Gegenstand der Klage bildet (EuGH NJW 1977, 491). Das sind hier die
Kaufpreiszahlungsansprüche für die von der Beklagten auf der von der Klägerin in Straelen
durchgeführten Gemüseversteigerung ersteigerten landwirtschaftlichen Produkte. Wo zu
erfüllen ist, richtet sich nach dem materiellen Recht, das nach der Kollisionsnorm des mit
dem Rechtsstreit befassten Gerichts maßgebend ist (EuGH, a.a.O.). Diese Ermittlung führt
hier zur Anwendung des deutschen Rechts nach Art. 28 II EGBGB, weil Versteigerungen,
worauf die Beklagte selbst hinweist, Platzgeschäfte sind, und die charakteristische
Leistung bei der Versteigerung vom Versteigerer, als der in Deutschland an ihrem
Versteigerungsort in Straelen ansässigen Klägerin erbracht wird.
Zu dem danach anwendbaren deutschen Recht gehört im Streitfall nicht das
Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen
Warenkauf, weil dieses Übereinkommen nach Art. 2 Buchstabe b) auf Versteigerungen
keine Anwendung findet.
Zur Bestimmung des Erfüllungsortes ist damit auf § 269 BGB zurückzugreifen, wonach die
Leistung an dem Ort zu erfolgen hat, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung
des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte, sofern ein anderer Ort für die Leistung
weder bestimmt, noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des
Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist. Die Frage, wo zu leisten ist, muss grundsätzlich für
jede Verpflichtung gesondert beantwortet werden. Denn die Einheitlichkeit eines
Schuldverhältnisses indiziert nicht zugleich die Einheit des Leistungsortes. Zwar sind in der
Regel bei Kaufverträgen getrennte Leistungsorte anzunehmen (vergl. hierzu Palandt, 60.
Aufl. RdNr. 15 zu § 269 BGB m.w.N.). Ein einheitlicher Leistungsort am Ort der
Versteigerung ist jedoch dann anzunehmen, wenn der Kauf wie hier durch Bieten und
Zuschlagserteilung in einer Versteigerung zustande kommt. In diesem Fall besteht nämlich
eine den klassischen "Ladengeschäften des täglichen Lebens" (hierzu: Palandt, a.a.O.
Rdnr. 12) vergleichbare Situation, bei dem auch für den Anspruch des Verkäufers auf
Zahlung des Kaufpreises der Sitz des Verkäufers als Ort des Geschäftsabschlusses
Erfüllungsort ist (Zöller, ZPO, 21. Aufl., Rdnr. 25 "Kaufvertrag" zu § 29 ZPO).
Soweit der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in seiner Entscheidung vom
15. März 1990 (abgedruckt in NJW 1991, 1492) für einen Kunstauktionskauf einen
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einheitlichen Leistungsort am Sitz des Auktionators verneint hatte, bedeutet dies keine
Abweichung gegenüber der vorliegenden Entscheidung, weil in dem von dem 6. Zivilsenat
entschiedenen Fall der in der Schweiz ansässige Ersteigerer sein Gebot fernmündlich
abgegeben hatte und von Anfang an vorgesehen war, dass dem Ersteigerer im Falle des
Zuschlags eine Rechnung erteilt würde. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte jedoch durch
ihren Bieter selbst auf der Gemüseversteigerung erschienen und hat nach Erteilung des
Zuschlags das ersteigerte Gemüse sofort mitgenommen. Wenn die Klägerin der Beklagten
die ersteigerten Waren ausgehändigt hat, ohne - mit Rücksicht auf die leichte
Verderblichkeit der Waren - auf eine vorherige Bezahlung des Kaufpreises zu drängen,
bedeutet dies nicht, dass sie auch auf das Recht verzichtet hat, die Bezahlung des
Kaufpreises, wie dies auch sonst bei einer Versteigerung üblich ist, am Versteigerungsort
zu verlangen. Daran ändert sich auch nichts, wenn man berücksichtigt, dass die Parteien
jahrelang in ständiger Geschäftsverbindung einverständlich Gemüsekäufe nicht durch
Sofortzahlung sondern durch Zahlung nach Rechnungsstellung praktiziert haben. Denn
ausgehend davon, dass die Parteien eine Zahlung nach Rechnungserteilung nicht
ausdrücklich vereinbart hatten (dies wird von keiner Partei behauptet) ist es gerechtfertigt,
der Natur des Schuldverhältnisses als Platzgeschäft den für den Zahlungsort prägenden
Vorrang einzuräumen.
Bei dieser Sachlage kommt es auf die vom Landgericht verneinte Frage, ob bei
Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbeziehungen der Klägerin Straelen wirksam als
Erfüllungsort vereinbart wurde nicht mehr an. Ebenso kann dahinstehen, ob sich die
Zuständigkeit des Landgerichts nicht auch aus Art. 17 EuGÜV ergäbe.
Das Urteil gemäß § 708 Nr. 3 ZPO ist für vorläufig vollstreckbar zu erklären (vgl. Hierzu:
BGH JZ 1977, 232, 233). Eine Sicherheitsleistung entfällt, weil das Urteil keinen
vollstreckungsfähigen Inhalt hat.
Streitwert und Beschwer der Beklagten: 121.082,84 DM