Urteil des OLG Düsseldorf vom 11.02.2009

OLG Düsseldorf: esa, tee, hersteller, neues tatsächliches vorbringen, software, zivilrechtliche ansprüche, firma, präsidium, unternehmen, zukunft

Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-U (Kart) 13/08
Datum:
11.02.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kartellsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VI-U (Kart) 13/08
Tenor:
I.
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 11. Juli 2008 ver-kündete
Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilwei-se
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Zulassung der von
der Klägerin vertriebenen Geräte mit den Bezeichnungen ESA 4000 und
MC 2100 zur Ermittlung von Flugzeiten und Zeit-erfassung bei
Wettkämpfen im Brieftaubensport davon abhängig zu machen, dass
zuvor die von der Klägerin ebenfalls vertriebe-nen Geräte mit den
Bezeichnungen TEE 400 und MC 2100 auf Kosten der Klägerin für die
Ringe TIPES 600 und TIPES 600+ der „A. I. GmbH“ mit der Custom ID
79 freigeschaltet werden. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Die üb-rigen
Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 3/5 und dem Beklagten
zu 2/5 auferlegt.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin und die Klägerin
die Vollstreckung durch den Beklagten jeweils durch Si-
cherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Be-trages
abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
V.
Wert des Berufungsverfahrens: 20.000,00 €.
Gründe
1
I.
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Die Parteien streiten um die Zulassung elektronischer Zeiterfassungsgeräte im
Taubensport.
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Die Klägerin produziert und vertreibt seit 1994 elektronische Konstatiersysteme (Ringe,
Antennen, Datenerfassungsgeräte) für den Brieftaubensport. Diese elektronischen
Geräte dienen dazu, die Zeitdauer der Rückkehr der an anderem Ort aufgelassenen
Tauben in den heimatlichen Taubenschlag (sogenannte Flüge) festzustellen. Hierbei
wird den Tauben vor Auflassen ein mittels sogenannter Einsatzstellenantennen
codierter elektronischer Fußring angelegt; die dort codierten Daten werden zugleich
durch die Einsatzstellenantenne auf ein Züchterbediengerät übertragen; dieses
Züchterbediengerät wiederum erkennt die auf dem Taubenring codierten Daten bei
Rückkehr der Taube in den heimatlichen Taubenschlag und erfasst den Zeitpunkt der
Rückkehr.
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Neben der Klägerin produzieren und vertreiben noch andere Unternehmen
entsprechende Konstatiersysteme oder ausschließlich Ringe bzw. Antennen und
Datenerfassungsgeräte.
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Der Beklagte ist die - einzige - bundesweite körperschaftliche Organisation der
deutschen Taubenzüchter. Seiner Satzung gemäß obliegt ihm neben der Veranstaltung
von Flügen und der Interessenvertretung für seine Mitglieder unter anderem gegenüber
Einzelpersonen insbesondere die Festlegung einheitlicher Bedingungen für Flüge.
Hierzu hat er eine sogenannte Reiseordnung unter anderem mit folgenden Regelungen
erlassen:
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§ 13 Abs. 1
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"Uhren dürfen zum Konstatieren nur benutzt werden, wenn das Modell allgemein
vom Präsidium zugelassen ist und in jeder Hinsicht einwandfrei funktioniert. ..."
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§ 19 Abs. 1
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"Elektronische Konstatiersysteme können vom Präsidium zugelassen werden.
Über die Zulassung ist ein Protokoll zu fertigen, das die Einzelheiten der
Verwendung des Systems verbindlich regelt. ... Die Zulassung kann widerrufen
werden."
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Die Klägerin produzierte und vertrieb in der Vergangenheit zunächst das
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Einsatzstellengerät mit der Bezeichnung TEE 400 sowie das hierzu notwendige
Züchterbediengerät mit der Bezeichnung MC 2100. Beide Geräte wurden vom
Präsidium des Beklagten für den Taubenwettkampfsport zugelassen. Das
Einsatzstellengerät TEE 400 vermochte und vermag neben von der Klägerin
produzierten Ringen auch solche des Mitbewerbers "A. I. GmbH" (nachfolgend: A.) mit
den Bezeichnungen TIPES 600 und TIPES 600+, soweit diese mit der Custom ID 7 A
codiert sind, zu lesen. Bei einer Custom ID handelt es sich um einen Teil der auf den
Ringen elektronisch codierten Seriennummern; diese Custom ID wird auf dem
deutschen Markt vom Beklagten an bestimmte Hersteller vergeben; pro Custom ID
können etwa 16,5 Millionen Ringe produziert werden.
Nachdem die Klägerin, die inzwischen auch die Ringproduktion aufgenommen hatte,
bereits im Jahr 2000 eine vom Beklagten als Version 2.0 zugelassene Veränderung in
der Software des Gerätes TEE 400 vorgenommen hatte, modifizierte sie das Gerät
erneut, indem es um eine Speicherfunktion zum Schutz gegen Datenverlust erweitert
wurde. Für diesen nunmehr unter der Bezeichnung ESA 4000 vertriebenen Gerätetyp
sowie das dazu kompatible und in der Software an diese Backup-Funktion angepasste
Züchterbediengerät MC 2100 beantragte die Klägerin beim Beklagten im Januar 2005
die Zulassung. Die für die Zulassung vom Beklagten verlangten praktischen Tests
absolvierte das System erfolgreich.
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Zwischenzeitlich stellte die Firma A., die ausschließlich Ringe herstellt und vertreibt, die
Produktion ihrer unter den Bezeichnungen TIPES 600 und TIPES 600+ vertriebenen
Taubenringe von der Custom ID 7 A mit Zustimmung des Beklagten zunächst auf die
Custom ID 7B um. Der Beklagte forderte daher mit Schreiben vom 11. Dezember 2006
die Klägerin sowie die weiteren Systemhersteller G., R., D., B. und W. auf, die
Einsatzfähigkeit des Ringes TIPES 600+ mit der Custom ID 7B auf den jeweiligen
Systemen sicherzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf das als
Anlage 7 zum Schriftsatz des Beklagten vom 08. Oktober 2007 zu den Akten gereichte
Schreiben vom 11. Dezember 2006 (GA 31) Bezug genommen.
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In der Folgezeit stellte die Firma A. die Produktion ihrer Ringe letztlich mit Zustimmung
des Beklagten nochmals, nunmehr auf die Custom ID 79 um. Hierauf wies die Firma A.
mit einer allgemeinen schriftlichen Information hin und führte hierin aus, dass "ohne
zusätzliches Software-Update von den Systemlieferanten D., G., R. und M. die Custom
ID 79 ... nicht verarbeitet werden kann." Wegen der weiteren Einzelheiten dieser
Information wird auf die als Anlage K 16 zu den Akten gereichte Kopie der Unterlage
(GA 207) Bezug genommen.
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Ob das frühere System der Klägerin TEE 400/MC 2100 die Ringe TIPES 600 und
TIPES 600+ mit den ID-Kennziffern 7B und 79 zunächst lesen und verarbeiten konnte,
ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls vermag dieses wie auch das System ESA
4000/MC 2100, dessen Zulassung die Klägerin derzeit betreibt, dies derzeit nicht.
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Mit Schreiben vom 21. Juni 2007 machte der Beklagte die noch ausstehende Zulassung
des neuen klägerischen Systems davon abhängig, dass die Lesbarkeit und
Verarbeitung elektronischer Ringe mit der Bezeichnung TIPES 600 und TIPES 600+
des Mitbewerbers A., auch soweit diese die Custom ID 79 enthalten, generell und
speziell auf der ESA 4000 gewährleistet wird. Wegen der Einzelheiten wird auf das als
Anlage zur Klageschrift zur Akte gereichte Schreiben des Beklagten vom 21. Juni 2007
(GA 8) Bezug genommen. Der Beklagte stützte diese Entscheidung im Verlauf des
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Rechtsstreits auf einen Präsidiumsbeschluss vom 01. Oktober 2005, wonach zukünftige
Zulassungen (u.a.) von der Kompatibilität mit allen Ringen aller Hersteller abhängig sein
sollen.
Die im vorgenannten Schreiben enthaltene Kompatibilitätsanforderung wurde allerdings
(zunächst) nicht gegenüber anderen Herstellern erhoben.
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Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte verlange auch neuerdings nicht allgemein die
umfassende Kompatibilität, sondern nur die Lesbarkeit der Ringe der Fa. A.. Eine
allgemeine Kompatibilität der Produkte untereinander sei weder in der Vergangenheit
noch in der Gegenwart zwingend gewesen. Letztlich wolle der Beklagte einseitig die
Absatzinteressen der Fa. A. fördern.
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Des weiteren ist die Klägerin der Ansicht gewesen, dass eine Kompatibilität mit
Produkten anderer Hersteller vom Beklagten nicht zur Zulassungsvoraussetzung
gemacht werden könne. Der Beklagte verstoße unter Ausnutzung seiner den
Nachfragemarkt beherrschenden Stellung mit seiner Weigerung gegen Kartellrecht.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, die von ihr unter den Namen ESA 4000 und MC
2100 vertriebenen Zeiterfassungssysteme zu Flugzeiten und Wettkämpfen
zuzulassen,
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hilfsweise,
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die Zulassung der von ihr angebotenen Geräte ESA 4000 und MC 2100 zur
Ermittlung von Flugzeiten und Zeiterfassung bei Wettkämpfen nicht mit der
Begründung abzulehnen, die Zulassung stehe unter dem Vorbehalt der
Kompatibilität mit den Taubenringen der Fa. A. "TIPES 600" und "TIPES 600+",
sowie
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der
durch die Nichtzulassung der Geräte ESA 4000 und MC 2100 in der Saison 2007
zur Ermittlung von Reisezeiten und Teilnahme an Wettkämpfen entstanden ist.
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26
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat behauptet, dass die früher genehmigten Gerätetypen der Klägerin TEE 400 und
MC 2100 zunächst mit den Ringen TIPES 600 und TIPES 600+ des Herstellers A.
kompatibel gewesen seien. Diese Kompatibilität habe die Klägerin aber eigenmächtig
im Zuge von Wartungsarbeiten durch Software-Manipulationen der einzelnen Geräte
wieder unterbunden, so dass gewartete Altgeräte fortan die benannten Ringe des
Herstellers A. jedenfalls dann nicht mehr hätten lesen und verarbeiten können, soweit
diese mit der Custom ID 7B oder 79 codiert seien. Der Beklagte hat die Ansicht
vorgetragen, ihm obliege im Sinne einer Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitgliedern
die Aufgabe, die Wettbewerbssituation auf dem elektronischen Markt mit der Gestaltung
von Zulassungsvoraussetzungen aufrecht zu erhalten und zu beeinflussen. Dies sei hier
geboten, weil die Klägerin unter Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung selbst
gegen Kartellrecht verstoße, indem sie die Kompatibilität ihrer Antennen mit Ringen des
Herstellers A. ausschließe. Daher sei auch die Kopplung der Zulassung der
streitgegenständlichen Geräte an die Kompatibilität der klägerischen Altgeräte mit den
benannten Ringen der Fa. A. keine Willkürmaßnahme, zumal durch die Kopplung der
status quo ante wieder herbeigeführt werden solle.
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In der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2008 hat das Landgericht den
Geschäftsführer der Klägerin und die Vorstandsmitglieder des Beklagten M. und B.
persönlich angehört. Herr M. hat hierbei u.a. erklärt, es sei richtig, dass A. mit der ID 79
produziert habe, ohne den Beklagten zu fragen; der Beklagte habe der A. dann zunächst
die ID 7B zugeteilt, dies sei aber auf sämtlichen Geräten sämtlicher Hersteller nicht
gelaufen; deshalb habe man aus der Not heraus der A. doch die ID 79 vergeben. Des
weiteren hat er erklärt, der Beklagte wolle mit der Ablehnung des ESA 4000 nur den
status quo ante wiederherstellen; eine Zeit lang hätten die Ringe ID 79 mit den
Antennen der Klägerin funktioniert, nur nach Rückkehr aus der Wartung hätten die
Antennen die ID 79 nicht mehr lesen können. Herr B. hat erklärt, eine Einigung wäre
möglich, wenn die Klägerin die ID 79 freischalte. Wegen der weiteren Einzelheiten zur
persönlichen Anhörung der Herren M. und M. wird auf das Protokoll zur mündlichen
Verhandlung vom 13. Juni 2008 (GA 107 – 112) verwiesen.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht unter Klageabweisung des
Feststellungsantrages den Beklagten verurteilt, die von der Klägerin unter dem Namen
ESA 4000 und MC 2100 vertriebenen Zeiterfassungssysteme zur Ermittlung von
Flugzeiten und zur Teilnahme an Wettkämpfen zuzulassen. Nach Auffassung des
Landgerichts ergibt sich ein Zulassungsanspruch der Klägerin aus §§ 311, 280 BGB.
Aufgrund der früheren Zulassung klägerischer Geräte bestehe zwischen den Parteien
ein vertragsähnliches Schuldverhältnis mit der nachwirkenden Treuepflicht, über die
Zulassung von Produktaktualisierungen bereits zugelassener Geräte nur nach
sachlichen Erwägungen zu entscheiden. Hiergegen habe der Beklagte schuldhaft
verstoßen. Hierbei hat das Landgericht ausdrücklich offen gelassen, ob die
Zulassungsvoraussetzung einer allgemeinen Kompatibilität gemäß
Präsidiumsbeschluss des Beklagten vom 01. Oktober 2005 eine sachliche
Zulassungserwägung darstellt; denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung
sei davon auszugehen, dass die Verweigerung einer Zulassung der
streitgegenständlichen Geräte gerade nicht der Umsetzung dieses
Präsidiumsbeschlusses, sondern dazu gedient habe, die Klägerin zu veranlassen, ihre
Altgeräte (wieder) für die Ringe TIPES 600 und TIPES 600+ freizuschalten. Dies sei
sowohl für sich genommen als auch gerade in der Kopplung an die Zulassung neuer
Geräte unsachlich. Denn die Altgeräte entsprächen dem zum Zeitpunkt ihrer damaligen
Zulassung geltenden Zulassungsvoraussetzungen, selbst wenn man die vom Beklagten
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behauptete Manipulation als wahr unterstelle. Zum damaligen Zulassungszeitpunkt sei
eine Kompatibilität mit Produkten anderer Hersteller nicht gefordert worden; eine
eventuelle Rechtswidrigkeit einer unterstellten Manipulation im Verhältnis zwischen
Klägerin und jeweiligem Eigentümer berühre nicht das Verhältnis zwischen den
Parteien. Da unstreitig alle übrigen Zulassungsvoraussetzungen vorlägen, sei der
Schadensersatzanspruch der Klägerin auf Erteilung der Zulassung gegeben
("Kontrahierungszwang"). Dieselbe Rechtsfolge ergebe sich auch aus § 826 BGB.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten
und begründeten Berufung.
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Der Beklagte meint, das angefochtene Urteil sei bereits fehlerhaft, soweit das
Landgericht ihn in Bezug auf das Gerät mit der Bezeichnung MC 2100 verurteilt habe.
Insoweit mangele es sowohl an substantiiertem Vortrag der Klägerin als auch an
Feststellungen des Landgerichts, die den erkannten Anspruch hinreichend stützen
würden.
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Des weiteren ist der Beklagte der Ansicht, dass in der Vergangenheit erfolgte
Zulassungen der damaligen Geräte der Klägerin kein vertragsähnliches
Schuldverhältnis mit Pflichten in Bezug auf spätere Produkte zu begründen vermögen.
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Selbst wenn ein solches vorliege, könne es wegen des ihm (dem Beklagten)
zukommenden Ermessensspielraumes allenfalls einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Zulassungsentscheidung begründen. Ein solcher Anspruch sei
hier nicht verletzt, weil die von ihm – dem Beklagten – vorgebrachten Gründe, die einer
Zulassung der streitgegenständlichen Geräte noch entgegenstünden, sachlich
begründet seien. Hierzu behauptet der Beklagte nunmehr unwidersprochen, nach
Erlass des landgerichtlichen Urteils seine Zulassungspraxis umgestellt zu haben und
inzwischen allen Herstellern, die um Zulassung nachsuchen, die Forderung nach einer
allgemeinen Kompatibilität mit allen Ringen aller Hersteller gemäß dem
Präsidiumsbeschluss vom 01. Oktober 2005 entgegenzuhalten. Des weiteren meint er,
dass die Kopplung der Zulassung an das Verlangen auf Wiederherstellung der
Lesbarkeit der benannten Ringe der Fa. A. mit der Custom ID 79 durch die Altgeräte der
Klägerin sachlich gerechtfertigt sei. Gegenstand der Zulassungsprüfung sei neben der
Prüfung technischer Anforderungen an das zu prüfende Gerät auch die Zuverlässigkeit
des Geräteherstellers. Sie fehle, wenn - wie hier - ein wettbewerbswidriges Verhalten
des Geräteherstellers vorliege. In diesem Zusammenhang behauptet der Beklagte
weiterhin, dass die Geräte der Klägerin des bereits zugelassenen Typs TEE 400 in der
Vergangenheit die benannten Ringe der Fa. A. - auch soweit sie die Custom ID 79
ausgewiesen hätten - unproblematisch hätten lesen und verarbeiten können. Vor
diesem Hintergrund wiederholt der Beklagte die Manipulationsvorwürfe gegen die
Klägerin und behauptet, die Klägerin habe zunächst nach Änderung der ID-Kennung auf
7B und sodann erneut nach Änderung der ID-Kennung auf 79 die Lesbarkeit heimlich im
Zuge von Wartungsarbeiten beseitigt, um die Firma A. als konkurrierenden
Ringhersteller auszuschalten. Es sei es daher, so meint der Beklagte, sachlich
gerechtfertigt, die Zulassung von Produktaktualisierungen an die Wiederherstellung des
status quo ante in Bezug auf die Altgeräte zu knüpfen, weil die Klägerin durch diese
Maßnahme ihr eigenes wettbewerbswidriges Verhalten revidieren und so ihre
Zuverlässigkeit unter Beweis stellen könne.
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Schließlich meint der Beklagte, dass aus dem vom Landgericht angenommenen
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vertragsähnlichen Schuldverhältnis niemals ein Zulassungsanspruch hergeleitet
werden könne. Zum einen sei im Rahmen des Schadensersatzes lediglich das negative
Interesse zu erstatten. Zum anderen sei der Rechtsgedanke des
Kontrahierungszwanges mangels Vorliegens einer der hierzu in der Rechtsprechung
anerkannten Fallgruppen nicht anwendbar. Die somit auf der Grundlage der Auffassung
des Landgerichts allein vertretbare Konsequenz, dass die Zulassungsentscheidung
nicht von der Kompatibilität der Altgeräte mit den konkret benannten Ringen der Fa. A.
abhängig gemacht werden dürfe, entspreche wiederum nicht den Klageanträgen der
Klägerin.
Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
38
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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wobei sie den Hilfsantrag aus der Klageschrift nunmehr dahin stellt,
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dem Beklagten zu verbieten, die Zulassung des Systems ESA 4000/MC 2100
davon abhängig zu machen, dass zuvor das System TEE 400/MC 2100 auf ihre
Kosten für die Ringe TIPES 600 und TIPES 600+ mit der ID-Kennung 79
freigeschaltet wird.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
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Ihrer Ansicht nach liege eine Verletzung nachwirkender Treuepflichten einerseits darin,
dass eine mit dem Beklagten abgesprochene technische Aufwertung des TEE 400
(nunmehr ESA 4000) davon abhängig gemacht werde, einem Mitbewerber besondere
Rechte einzuräumen. Hierzu behauptet sie, im Jahr 2000 die Software des Gerätetyps
TEE 400 in Absprache mit dem und nach Prüfung durch den Beklagten in zwei Punkten
geändert zu haben: Zum einen sei eine vom Beklagten gewünschte Züchterkennung
ermöglicht worden; zum anderen sei die Software auf die Erkennbarkeit der Custom ID
70 bis 79 unter gleichzeitiger Zuordnung dieser ID-Nummern zu ihrem Geschäftsbetrieb
umgestellt worden. Letzterem habe zugrunde gelegen, dass diese Seriennummern ihr
vom Beklagten für die Zukunft reserviert worden seien. Die so veränderte Software sei
als Version 2.0 vom Beklagten zugelassen worden, womit – wie die Klägerin meint –
sämtliche Vorgängerversionen erloschen seien. Weiter behauptet die Klägerin, im
Rahmen von Wartungsarbeiten in Absprache mit den jeweiligen Auftraggebern nur
diese zugelassene Version 2.0 aufgespielt, aber ansonsten keine Änderungen, erst
recht keine heimlichen Manipulationen, vorgenommen zu haben. Die in der Version 2.0
enthaltene Programmierung habe erstmals die Lesbarkeit der Custom ID 70 bis 79
ermöglicht, aber nur eine Zuordnung zu ihr als Hersteller eines Ring-Chips mit diesen
ID-Kennziffern erlaubt. Daher sei der Chip eines anderen Herstellers mit der Custom ID
79 mit dieser Software nie kompatibel gewesen. Demgegenüber habe der Gerätetyp
TEE 400 nach wie vor nur Ringe der Fa. A. mit der Custom ID 7A lesen können.
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Die Klägerin meint, eine Treupflichtverletzung liege andererseits im Verlangen nach
allgemeiner Kompatibilität. Sie behauptet in diesem Zusammenhang, dass eine solche
weder bei den übrigen Anbietern des deutschen Markts noch im Ausland zur Zeit
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bestehe.
Der Beklagte behauptet replizierend, die von ihm behauptete heimliche Manipulation
durch die Klägerin sei zeitlich deutlich nach der Zulassung und Vermarktung der
Softwareversion 2.0 im Jahr 2000, nämlich im Jahr 2007, erfolgt. Bis zu diesem
Zeitpunkt seien Ringe der Fa. A. zunächst mit der zusätzlich vergebenen Custom ID 7 B
und später auch mit der Custom ID 79 durch die Altgeräte der Klägerin lesbar gewesen.
Im Ausland besäßen dort vertriebene Geräte der Klägerin des fraglichen Typs nach wie
vor diese technische Fähigkeit. Im Übrigen seien die Custom ID 75 – 79 nie verbindlich
der Klägerin reserviert oder zugewiesen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand
des landgerichtlichen Urteils und die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug
genommen.
47
II.
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Die zulässige Berufung des Beklagten ist nur teilweise begründet.
49
Die Klage ist – soweit in der Berufungsinstanz über sie noch zu entscheiden ist - mit
ihrem Hauptantrag unbegründet, hat aber mit ihrem Hilfsantrag in der nunmehr
gestellten eingeschränkten Fassung Erfolg. Der Beklagte ist derzeit nicht zur Zulassung
der Gerätetypen ESA 4000 und MC 2100, aber dazu verpflichtet, die Zulassung dieser
Gerätetypen nicht von einer vorherigen, auf Kosten der Klägerin vorzunehmenden
Freischaltung der bereits früher zugelassenen Geräte TEE 400 und MC 2100 für Ringe
ihres Mitbewerbers A. mit der Custom ID 79 abhängig zu machen.
50
1.
51
Der dahin gehende Anspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, Abs.
2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB. Nach den genannten Vorschriften ist ein
Unternehmen, das als Nachfrager einer bestimmten Art von Waren auf dem sachlich
und räumlich relevanten Markt keinem (wesentlichen) Wettbewerb ausgesetzt ist und
die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf
jenem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt,
dem Betroffenen zur Beseitigung und Unterlassung verpflichtet.
52
a.
53
Der Beklagte ist, soweit es die Zulassung elektronischer Konstatiersysteme im
Brieftaubensport betrifft, Normadressat des kartellrechtlichen Behinderungs- und
Diskriminierungsverbots nach §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB.
Er ist auf dem bundesweiten Absatzmarkt für elektronische Konstatiersysteme zur
Ermittlung von Flugzeiten im Brieftaubensport marktbeherrschend im Sinne von § 19
Abs. 2 Nr. 1 GWB, da er mit Hilfe des bei ihm zu durchlaufenden Zulassungsverfahrens
darüber entscheidet, welche elektronischen Konstatiersysteme für den
bundesdeutschen Brieftaubensport abgesetzt werden können und welche Systeme
mangels Zulassung faktisch unverkäuflich sind.
54
aa.
55
Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, kein Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne
zu sein.
56
Der maßgebliche funktionale Unternehmensbegriff (vgl. nur: Zimmer in Immenga/
Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 1 Rn. 27) erfasst unabhängig von der Rechtsform des tätig
Werdenden (BGH, WuW/E BGH 2603, 2605 - Neugeborenentransporte) jedwede
selbständige und nicht lediglich dem privaten Verbrauch dienende Tätigkeit im
geschäftlichen Verkehr (Zimmer, a.a.O. § 1 Rn. 38, 56). Dieser weite
Unternehmensbegriff des GWB umfasst auch die Tätigkeit eines Idealvereins, soweit er
selbst wirtschaftlich tätig wird bzw. wirtschaftliche Interessen seiner Mitglieder verfolgt
(vgl. Bechtold, GWB, 5. Aufl., § 1 Rn. 7). Dies trifft für den Beklagten jedenfalls im
Verhältnis zu Anbietern von elektronischen Konstatiersystemen zu, da er durch das
Zulassungserfordernis, welches auf satzungsmäßiger Grundlage für seine Mitglieder
verbindlich ist, ähnlich einem Nachfragedisponenten die den Nachfragern obliegende
Auswahl unter den am Markt angebotenen Waren (eingrenzend) steuert und damit in
den Wettbewerb eingreift. Unerheblich ist hierbei, dass das in der satzungsgemäß
beschlossenen Reiseordnung des Beklagten verankerte Zulassungserfordernis sich als
innerverbandliche (sportliche) Reglementierung der Wettkampfbedingungen bei von ihm
oder seinen Organisationsteilen veranstalteten Preisflügen mit Verbindlichkeit nur für
seine Mitglieder darstellt. Diese innerverbandliche Regelung wirkt sich nämlich nicht
bloß reflexartig auf den Wettbewerb zwischen den Herstellern elektronischer
Konstatiersysteme aus, da reelle Absatzaussichten nur die vom Beklagten
zugelassenen Gerätetypen haben. Vielmehr dient das Zulassungserfordernis nach
eigenem Bekunden des Beklagten auch den wirtschaftlichen Belangen der
Verbandsmitglieder, indem durch den Inhalt der Zulassungsanforderungen und die
Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens unmittelbar Einfluss auf die technische
Geräteausstattung und die Wettbewerbsbedingungen auf Seiten der Geräteanbieter
genommen wird. So kann der Beklagte vermögen seiner Zulassungspraxis technische
Qualitätsstandards auf dem Markt gewährleisten sowie den Umfang oder die Intensität
des Wettbewerbs zwischen den Geräteanbietern steuern und sichern, womit letztlich
sachgerechte Preise für die benötigten Waren aus Sicht der Nachfrager gewährleistet
werden sollen. Hierzu wird der Beklagte selbständig marktbezogen tätig, beispielsweise
indem er mit den Anbietern Produktanforderungen erörtert und Produkteigenschaften –
wie das Beispiel der Freigabe der Custom ID 7 B im Jahre 2006 und die direkte
Aufforderung an die Geräteanbieter, die Einsatzfähigkeit von Ringen mit dieser Custom
ID auf ihren Systemen sicherzustellen, deutlich macht – beeinflusst; das
Zulassungsverfahren selbst ist ebenfalls Ausdruck wirtschaftlichen Handelns, da es -
wovon nach dem übereinstimmenden Parteivorbringen auszugehen ist - nicht aus der
internen Verbandsorganisation heraus, sondern durch einen Zulassungsantrag des
jeweiligen Anbieters initiiert wird und als Verfahren vor dem Präsidium des Beklagten
unter Beteiligung des Anbieters mit diesem obliegenden Tauglichkeitsnachweisen
praktiziert wird.
57
bb.
58
Die marktbeherrschende Stellung des Beklagten auf dem bundesweiten Absatzmarkt für
elektronische Konstatiersysteme im Brieftaubensport ergibt sich aus der Tatsache, dass
er als eine Art Dachorganisation der deutschen Brieftaubenzüchter exklusiv über die
Zulassung von Zeiterfassungssystemen für den deutschen Brieftaubensport entscheidet
und hierdurch den deutschen Nachfragemarkt für elektronische Konstatiersysteme im
Brieftaubensport lenkt. Dass die Zeiterfassungssysteme nicht vom Beklagten selbst,
59
sondern von den ihm angeschlossenen Brieftaubenzüchtern nachgefragt werden, ist für
die kartellrechtliche Beurteilung ohne Belang. Ähnlich einem Arzt, der seinen Patienten
die erforderlichen Medikamente verordnet, wird der Beklagte bei der Prüfung und
Zulassung von Zeiterfassungssystemen als "Nachfragedisponent" der ihm
angeschlossenen Brieftaubenzüchter tätig, weshalb bei der kartellrechtlichen Prüfung
auf ihn selbst abzustellen ist (vgl. BGH, WuW/E BGH 1445, 1447 – Valium).
b.
60
Seine überragende Marktstellung missbraucht der Beklagte im Sinne des § 19 Abs. 1
und 4 Nr. 1 GWB, indem er die Zulassung der streitgegenständlichen Gerätetypen der
Klägerin von einer kostenlosen technischen Umrüstung der bereits in der Vergangenheit
von ihm zugelassenen und verkauften Geräte der Typen TEE 400 und MC 2100
abhängig macht.
61
aa.
62
Das Verbot des Behinderungsmissbrauchs verpflichtet den Beklagten, über
Zulassungsanträge in einem transparenten Verfahren nach ausschließlich
sachbezogenen Kriterien diskriminierungsfrei zu entscheiden. Bei der Festlegung der
Zulassungskriterien kommt dem Beklagten ein weiter Beurteilungsspielraum zu, weil es
im Ausgangspunkt seiner freien Entscheidung unterliegt, welche technischen und
sonstigen Anforderungen die für den Brieftaubensport benötigten
Zeiterfassungssysteme aufweisen sollen. Seine Zulassungsentscheidung ist lediglich
einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle dahingehend unterworfen, ob der
Beklagte von einem vollständigen und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und
die Entscheidung auf der Grundlage der geltenden Zulassungsbedingungen eine
widerspruchsfreie, in sich nachvollziehbare und auf sachgerechte Gesichtspunkte
gestützte Begründung gefunden hat ( vgl. Senat, WuW/E DE-R 2379, 2382 f. -
Dentalmesse; WuW/E DE-R 994, 995 – Stefanelli; WuW/E DE-R 619, 622 – Fetting).
Eine ablehnende Entscheidung muss die tragenden Erwägungen der Ablehnung
nachprüfbar, verständlich und widerspruchsfrei enthalten (vgl. Senat, WuW/E DE-R 994,
995 – Stefanelli).
63
bb.
64
Die Zulassungspraxis des Beklagten wird in weiten Teilen diesen Anforderungen nicht
gerecht.
65
Ein transparentes Zulassungsverfahren findet derzeit nicht statt. § 19 Abs. 1 der
Reiseordnung bestimmt lediglich pauschal, dass elektronische Konstatiersysteme "vom
Präsidium zugelassen werden ... können". Die Vorschrift legt nicht im Ansatz die
verfahrensmäßigen und inhaltlichen Anforderungen und Bedingungen des
Zulassungsverfahrens fest. Sie gibt ebenso wenig irgendeinen Aufschluss über die
Zulassungskriterien. Diesbezüglich Vorgaben enthält lediglich der Präsidiumsbeschluss
vom 1. Oktober 2005. Er ist indes nach dem Sach- und Streitstand weder zeitnah
bekannt gegeben worden noch den antragstellenden Unternehmen frei zugänglich, so
dass auch insoweit die - mit dem Transparenzgebot beabsichtigte - wirksame Kontrolle
der Zulassungspraxis des Beklagten nicht stattfinden kann.
66
Auch in der Sache widersprach die Zulassungspraxis des Beklagten den
67
kartellrechtlichen Erfordernissen. Das gilt in Bezug auf den Zulassungsantrag der
Klägerin jedenfalls bis zum Abschluss der ersten Instanz. Die Entscheidung des
Beklagten, der Klägerin die nachgesuchte Gerätezulassung mit der Begründung zu
versagen, dass das angemeldete System ESA 4000/MC 2100 die von A. vertriebenen
Taubenringe TIPES 600 und TIPES 600+ mit der ID-Kennung 7 B und 79 nicht erfassen
und verarbeiten könne, war bereits auf erste Sicht rechtswidrig. Sie ist schon nicht von
dem Präsidiumsbeschluss vom 1. Oktober 2005 gedeckt, weil dieser eine Kompatibilität
mit allen Ringen aller Hersteller - und nicht bloß eine Kompatibilität mit den A.-Ringen
TIPES 600 und TIPES 600+ mit den ID-Kennungen 7B und 79 - verlangt. Es kommt
hinzu, dass der Beklagte das Kompatibilitätserfordernis nach dem erstinstanzlichen
Sach- und Streitstand nicht diskriminierungsfrei praktiziert hat. Zwischen den
Prozessparteien ist außer Streit, dass der Beklagte die entsprechende
Zulassungsbedingung bis zum Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens
ausschließlich der Klägerin und nicht auch den anderen Herstellern von
Zeiterfassungssystemen entgegengehalten hat. Erst mit dem zweitinstanzlichen
Verfahren hat der Beklagte seine Zulassungspraxis auf eine in diesem Punkt
diskriminierungsfreie Handhabung umgestellt. Dabei mag zugunsten des Beklagten
unterstellt werden, dass das Zulassungsverfahren in einem bloßen
Präsidiumsbeschluss geregelt werden darf.
cc.
68
Für den Zulassungsantrag der Klägerin ergeben sich daraus die nachfolgend
dargestellten Konsequenzen:
69
Neben der erprobten technischen Funktionstüchtigkeit der streitgegenständlichen
Geräte, von der aufgrund des insoweit unwidersprochenen tatsächlichen Vorbringens
der Klägerin auszugehen ist, sieht der Beklagte – jedenfalls nach seinem in der
Berufungsinstanz nunmehr zugrunde zu legenden Sachvortrag –
Zulassungshindernisse zum einen in der – unstreitig – fehlenden Kompatibilität des
streitgegenständlichen Systems ESA 4000/MC 2100 mit allen Ringen aller Hersteller
und zum anderen in der Weigerung der Klägerin, ihre bereits zugelassenen (und
insbesondere auch verkauften) Altgeräte mit den Bezeichnungen TEE 400 und MC
2100 auf Lesbarkeit der Ringe des Mitbewerbers A. mit den Bezeichnungen TIPES 600
und TIPES 600+ und der Custom ID 79 auf eigene Kosten umzustellen. Während
ersteres Zulassungskriterium sachlich gerechtfertigt ist, stellt die Kopplung der
Zulassung an die kostenlose technische Umrüstung der Altgeräte eine sachlich nicht
gerechtfertigte Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten der Klägerin dar. Im
Einzelnen:
70
(1)
71
Soweit der Beklagte unter Hinweis auf seinen Präsidiumsbeschluss vom 01. Oktober
2005 die Zulassung von einer allgemeinen Kompatibilität des Gerätesystems ESA
4000/MC 2100 mit allen Ringen aller Hersteller abhängig macht, stellt dies ein in der
Berufungsinstanz zulässiges neues tatsächliches Vorbringen dar, welches dem
Zulassungsbegehren der Klägerin entgegengehalten werden kann.
72
Im landgerichtlichen Verfahren hat der Beklagte sich auf seine mit Schreiben vom
21. Juni 2007 an die Klägerin mitgeteilte Entscheidung berufen, die Zulassung sei von
einer Kompatibilität mit bestimmten Ringen des Mitbewerbers A. abhängig. Das so
73
gefasste Zulassungskriterium ist sachlich schon deshalb nicht gerechtfertigt gewesen,
weil es von dem zur Begründung herangezogenen Präsidiumsbeschluss vom 1.
Oktober 2005 nicht gedeckt war. Denn dieser fordert - wie bereits ausgeführt - die
Kompatibilität nicht nur mit den Produkten des Mitbewerbers A., sondern mit allen
Ringen aller Hersteller. Diesen nicht tragfähigen Ablehnungsgrund hat der Beklagte bis
zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aufrechterhalten, wie
insbesondere in der Erklärung des durch das Landgericht persönlich angehörten
Vorstandsmitgliedes Herr M. deutlich wird, man wolle mit der Ablehnung der ESA 4000
nur den status quo ante wiederherstellen, da die Ringe der Firma A. auch mit der
Custom ID 79 zuvor durch Antennen der Klägerin lesbar gewesen seien.
In zweiter Instanz stützt der Beklagte seine Ablehnungsentscheidung nunmehr auf die
umfassende Kompatibilitätsforderung des Präsidiumsbeschlusses vom 1. Oktober 2005
und behauptet hierzu unwidersprochen, nach dem Erlass des landgerichtlichen Urteils
seine gesamte Zulassungspraxis an diesem Zulassungskriterium auszurichten und
dieses Zulassungskriterium in derzeit laufenden Zulassungsverfahren anderer konkret
bezeichneter Hersteller anzuwenden.
74
Dieses neue Vorbringen ist nach Maßgabe der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 ZPO als
entscheidungsrelevant zu beachten. Das Klagebegehren hat ein in die Zukunft
gerichtetes Zulassungsverlangen zum Gegenstand, dessen Berechtigung sich nach
dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung richtet. Der
Beklagte ist mit diesem neuen Vorbringen nicht präkludiert. Die behaupteten Tatsachen
zur geänderten Zulassungspraxis sind erst nach dem Schluss der mündlichen
Verhandlung in erster Instanz entstanden und konnten daher nicht früher vorgetragen
werden. Darüber hinaus handelt es sich um unstreitiges Vorbringen, welches in der
Berufungsinstanz stets zu berücksichtigen ist (hierzu: Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl., §
531 Rn. 21 m.w.N.).
75
(2)
76
Das Zulassungskriterium der allgemeinen Kompatibilität mit allen Ringen aller
Hersteller stellt keinen Behinderungsmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1
GWB dar, weil es nach der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen
sachlich gerechtfertigt ist. Die insoweit berechtigten Interessen des Beklagten und
seiner Mitglieder an der Schaffung allgemeiner Wettkampfbedingungen und der
Aufrechterhaltung des Wettbewerbs auf dem Markt für elektronische Konstatiersysteme
im Brieftaubensport überwiegen die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin und aller
System- sowie Ringhersteller, durch - insbesondere auf Systemkomponenten eigener
Produktion - beschränkte Kompatibilitäten Absatzchancen und Marktanteile zu sichern
oder auszubauen. Zum einen kommt schon dem vom Beklagten für seine Mitglieder
verfolgten Interesse hohes Gewicht zu, zukünftig allen interessierten Mitgliedern die
Teilnahme an jedem Wettflug unabhängig von ihrer jeweiligen technischen Ausrüstung
(Ringe, Zeiterfassungssysteme) zu ermöglichen; zugleich gewährleistet die allgemeine
Kompatibilität die satzungsgemäße Freiheit der Konstatiermethode nach § 7
Reiseordnung. Zum anderen kann sich der Beklagte auf das weitergehende Interesse
berufen, zugunsten der ihm angeschlossenen Brieftaubenzüchter den Wettbewerb
sowohl auf dem Absatzmarkt für Ringe als auch auf demjenigen für
Zeiterfassungsgeräte zu sichern. Zur Erreichung dieser Zwecke ist das
Zulassungskriterium einer allgemeinen (umfassenden) Kompatibilität auch
verhältnismäßig, zumal selbst nach dem Vorbringen der Klägerin eine entsprechende
77
Programmierung technisch ohne weiteres möglich ist. Dass die Forderung nach
umfassender Kompatibilität der Zeiterfassungsgeräte die Klägerin unangemessen
belastet und ihr ein Geräteabsatz unter zumutbaren Bedingungen nicht mehr möglich
sei, ist weder vorgetragen noch sonst zu erkennen. Den Belangen der Hersteller von
Zeiterfassungssystemen wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass über die
Zulassung in einem transparenten Verfahren ausschließlich nach sachlichen Kriterien
diskriminierungsfrei entschieden werden muss.
(3)
78
Soweit der Beklagte die Zulassung der streitgegenständlichen Gerätetypen des
weiteren von einer Umstellung der Vorgängergeräte TEE 400 und MC 2100 auf eine
Kompatibilität mit den Ringen TIPES 600 und TIPES 600+ der Firma A. abhängig
macht, ist dieses Zulassungskriterium sachlich nicht gerechtfertigt. Denn es entspricht
schon nicht den eigenen Zulassungskriterien, wie sie vom Beklagten im
Präsidiumsbeschluss vom 1. Oktober 2005 niedergelegt worden sind. Soweit vorliegend
von Interesse, ist dort als Zulassungskriterium lediglich die Kompatibilität des
angemeldeten Gerätesystems mit den Ringen aller anderen Hersteller gefordert. An
keiner Stelle fordert der Präsidiumsbeschluss des Beklagten darüber hinaus, dass auch
die in der Vergangenheit bereits zugelassenen Vorgängermodelle - hier also das
System TEE 400/MC 2100 - mit den am Markt gehandelten Taubenringen kompatibel
sein müssen. Dementsprechend ist der Beklagte auch nicht berechtigt, der Klägerin
diese Anforderung unter dem Gesichtspunkt der Zuverlässigkeit des Geräteherstellers
als ein Zulassungskriterium entgegen zu halten. Denn der Präsidiumsbeschluss vom 1.
Oktober 2005 sieht weder eine Zuverlässigkeitsprüfung vor noch regelt er, dass die
(Wieder-)Herstellung der Kompatibilität von Altgeräten bei einer solchen
Zuverlässigkeitsprüfung Bedeutung haben soll.
79
Bei dieser Rechtslage kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits von vornherein
nicht auf die Frage an, ob die Klägerin die Geräte TEE 400/MC 2100 im Zuge von
Wartungsmaßnahmen manipuliert und ihre Kompatibilität mit den Ringen TIPES 600
und TIPES 600 + der Kennung ID 7 B und ID 79 nachträglich beseitigt hat. Selbst wenn
der diesbezügliche Vorwurf des Beklagten zutreffen und die Klägerin demgemäß den
Auftraggebern der Wartungsarbeiten zur Wiederherstellung der Kompatibilität
verpflichtet sein sollte, kann der Beklagte aus diesem Sachverhalt keine eigenen
Rechte herleiten. Er ist überdies (und vor allem) nicht berechtigt, diesen Gesichtspunkt
in das Zulassungsverfahren einzubeziehen und aus ihm gegen die Klägerin eine
Zulassungsvoraussetzung abzuleiten, die der Präsidiumsbeschluss vom 1. Oktober
2005 nicht vorsieht.
80
Der - im Senatstermin näher erörterten - Frage, wie der erhobene Manipulationsvorwurf
mit der Tatsache in Einklang zu bringen ist, dass der Beklagte mit Schreiben vom 11.
Dezember 2006 sowohl die Klägerin als auch deren Mitbewerber G., R., D., D. B. und
W. aufgefordert hat, die Einsatzfähigkeit der Custom ID 7B auf ihren jeweiligen
Systemen sicherzustellen, und ferner die Fa. A. in ihre undatierten
Informationsveröffentlichung darauf hinweist, dass die Custom ID 79 "ohne zusätzliches
Software-Update von den Systemlieferanten D., G., R. und M." nicht verarbeitet werden
könne, kann nach alledem auf sich beruhen.
81
c.
82
Aufgrund des Verstoßes gegen das kartellrechtliche Behinderungsverbot ist der
Beklagte aus § 33 Abs. 1 GWB zur Beseitigung dieses Kartellverstoßes verpflichtet.
83
Diese Beseitigungspflicht umfasst allerdings nicht die - mit dem Hauptantrag verfolgte -
Verpflichtung des Beklagten zur Zulassung des klägerischen Systems ESA 4000/MC
2100, weil das streitgegenständliche System die vom Beklagten dem
Zulassungsbegehren zulässigerweise entgegengehaltene Zulassungsanforderung
einer umfassenden Kompatibilität unstreitig nicht erfüllt. Vielmehr ist der
Beseitigungsanspruch der Klägerin zur Zeit nur auf das gerichtliche Verbot gegen den
Beklagten gerichtet, die Zulassung des Konstatiersystems ESA 4000/MC 2100 von
einer auf Kosten der Klägerin vorzunehmenden vorherigen Freischaltung der Geräte
des Vorgängersystems TEE 400/MC 2100 für die Ringe TIPES 600 und TIPES 600+ mit
der Custom ID 79 abhängig zu machen. Dementsprechend war dem Hilfsantrag in der
zweitinstanzlich eingeschränkten Fassung stattzugeben.
84
Der Feststellung einer Wiederholungsgefahr bedarf es nicht. Denn das Begehren der
Klägerin ist nicht mittels eines Unterlassungsanspruchs, sondern mit dem
Beseitigungsanspruch zu verfolgen. Rechtsschutzziel der Klägerin ist es, dass ihrem
bereits gestellten Zulassungsantrag nicht länger das rechtswidrige Verlangen nach
einer vorherigen und kostenlosen Umrüstung der Vorgängergeräte entgegengehalten
wird. Dies hat eine bereits eingetretene, in die Zukunft lediglich fortwirkende Störung
(vergleichbar den Fällen der Liefersperre; hierzu Emmerich in Immenga/Mestmäcker,
a.a.O. § 33 Rn. 102), nicht hingegen die mit dem Unterlassungsanspruch zu verfolgende
Besorgung ausschließlich in der Zukunft liegender (vgl. hierzu: Bechtold, GWB, a.a.O. §
33 Rn. 13) Wiederholungen neuer, mit dem begangenen Kartellverstoß im wesentlichen
übereinstimmender Verstöße (vgl. hierzu: Emmerich in Immenga/Mestmäcker, a.a.O. §
33 Rn. 94) zum Gegenstand.
85
Der Inhalt des Beseitigungsanspruchs richtet sich nach der Art der Störung; sein Ziel
muss die Wiederherstellung der rechtmäßigen Lage sein (Emmerich in
Immenga/Mestmäcker, a.a.O. § 33 Rn. 101). Die rechtmäßige Lage besteht hier darin,
die rechtswidrige Kopplung der Zulassung an die vorherige und kostenlose
Freischaltung der Vorgängergeräte nicht länger aufrecht zu erhalten, was durch
Unterlassen dieser rechtswidrigen Zulassungsanforderung im laufenden
Zulassungsverfahren der Klägerin zu erreichen ist.
86
2.
87
Ob der mit dem Hilfsantrag verfolgte Unterlassungsanspruch daneben auch auf §§ 280,
311 Abs. 2 Nr. 3 BGB gestützt werden kann, kann in Anbetracht des begründeten
kartellrechtlichen Beseitigungsanspruchs ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage,
ob § 33 GWB eine zivilrechtliche Ansprüche verdrängende Anspruchsnorm darstellt. In
jedem Fall ergäbe sich aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB kein darüber hinaus
gehender Zulassungsanspruch der Klägerin. Denn aus einem rechtsgeschäftsähnlichen
Schuldverhältnis zu einem Gerätehersteller, der um die Zulassung seiner Geräte
ersucht, können dem Beklagten keine weitergehenden Verhaltens- und
Rücksichtnamepflichten erwachsen, wie sie vorstehend unter kartellrechtlichen
Gesichtspunkten erörtert worden sind.
88
3.
89
Einen weitergehenden Anspruch auf Zulassung ihres Systems ESA 4000/MC 2100
kann die Klägerin auch nicht auf § 826 BGB stützen. Insoweit fehlt es bereits an einer
Schadenszufügung. Um gerade die begehrte Zulassung zu erreichen, müsste der
Schaden der Klägerin in deren Nichterteilung liegen. Dies wäre nur denkbar, wenn der
bisherigen Nichterteilung keine rechtlich billigenswerten Gründe zugrunde lägen, was
hier – wie bereits ausgeführt – nicht der Fall ist, oder die berechtigte Vorenthaltung der
Zulassung vom Beklagten bewusst zur weitergehenden Schädigung der Klägerin
missbraucht würde, wofür sich hier weder aus dem tatsächlichen Vorbringen der
Klägerin noch sonst hinreichende Anhaltspunkte ergeben.
90
III.
91
Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens aus § 97
Abs. 2 und im übrigen aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
92
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
93
Für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass.
94
Die Rechtsfrage, ob die im Streit stehenden Zulassungsanforderungen des Beklagten
sachlich gerechtfertigt bzw. nicht gerechtfertigt sind, berührt nicht das abstrakte Interesse
der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts und hat
daher keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts nicht.
95