Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.11.2010

OLG Düsseldorf (höhe, provision, anlageberater, aufklärungspflicht, immobilienfonds, aufklärung, kapitalanlage, bank, agio, rückvergütung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-6 U 39/10
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-6 U 39/10
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 3 O 266/08
Leitsätze:
1. Nicht nur die anlageberatende Bank, sondern auch der freie
Anlageberater ist verpflichtet, ungefragt den Anleger darüber
aufzuklären, dass und in welcher Höhe er für die erfolgreiche
Empfehlung der Kapitalanlage vom Kapitalsuchenden ein Entgelt erhält.
Es würde eine nicht gerechtfertigte Privilegierung der freien
Anlageberater gegenüber den Banken darstellen, sie von der
Verpflichtung zur Aufklärung über an sie zurückgezahlte Entgelte
auszunehmen.
2. Der Kunde eines freien Anlageberaters ist genauso schutzwürdig wie
der Kunde einer anlageberatenden Bank. Während der Kunde der
anlageberatenden Bank nach der Rechtsprechung des 11. Zivilsenats
des Bundesgerichtshofs zur Vermeidung eines vertragswidrigen
Interessenkonfliktes über die Höhe der Rückvergütung exakt aufgeklärt
werden muss (Urteil vom 19.12.2006 – XI ZR 56/05), hat der nach der
Rechtsprechung des 3. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs über die
Rückvergütung nicht aufgeklärte Kunde eines freien Anlageberaters
(Urteil vom 15.04.2010 – III ZR 196/09) allenfalls eine nur ungefähre
Vorstellung über die Höhe der Rückvergütung. Gerade wenn die dem
Anlageberater in Aussicht gestellten Entgelte hinsichtlich der in das
Beratungsgespräch einbezogenen Kapitalanlagegesellschaften
unterschiedlich hoch ausfallen, ist jedoch die Aufklärung über die Höhe
der zu erwartenden Rückflüsse für die Beurteilung der Objektivität der
angebotenen Beratung unabdingbar.
3. Die Aufklärungspflicht des Anlageberaters bezieht sich auf das
gesamte Entgelt, das er von dem Kapitalsuchenden für eine erfolgreiche
Empfehlung erhält, gleichgültig aus welchem „Topf“ der
Gesamtfinanzplanung das Entgelt im Ergebnis gezahlt wird.
Entscheidend ist allein, dass das Entgelt nur für den Fall der
erfolgreichen Anlageempfehlung gezahlt wird, weil es dann aus der
Geschäftsbesorgung im Sinne des § 667 BGB „erlangt“ und aufgrund
seines Umsatzbezugs zudem geeignet ist, die Objektivität der
Beratungsleistung zu beinträchtigen.
4. Der Umfang der vorgenannten Aufklärungspflicht gilt gewöhnlich auch
4. Der Umfang der vorgenannten Aufklärungspflicht gilt gewöhnlich auch
für die Anlageberatung durch Familienangehörige, da hier der Anleger
schon aus familiärer Rücksichtnahme eine streng an seinen Interessen
ausgerichtete Anlageempfehlung erwarten darf.
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels das am 24.09.2009 verkündete Urteil der
3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal teilweise abgeändert und
auch wegen der Teilerledigungserklärung vom 28.10.2010, wegen
offenbarer Unrichtigkeit sowie aus Gründen der Klarstellung wie folgt
neu gefasst:
Der Beklagte wird, Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und
Pflichten aus den mit den Zeichnungsscheinen vom 02.05.2002 und
21.03.2003 begründeten Beteiligungen über nominal 25.000,- und
40.000,- Schweizer Franken an der E-KG, verurteilt,
1. an die Klägerin € 18.159,53 nebst Zinsen
- in Höhe von 4 %
o aus € 18.090,07 seit dem 23.05.2002 bis zum 30.01.2003,
o aus € 17.565,39 seit dem 31.01.2003 bis zum 17.04.2003,
o aus € 41.513,54 seit dem 18.04.2004 bis zum 31.07.2008 und
- in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
o aus € 41.513,54 seit dem 01.08.2008 bis zum 31.03.2010 sowie
o aus € 18.159,53 seit dem 02.04.2010
zu zahlen;
2. die Klägerin von ihrer Verpflichtung gegenüber den Rechtsanwälten
F. & Partner freizustellen, diesen für ihr vorgerichtliches Schreiben vom
17.01.2008 an ihn, den Beklagten, ein Honorar in Höhe von € 1.530,58
zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch die am 01.04.2010
erhaltene Zahlung von € 23.354,01 teilweise erle-digt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt
nachgelassen, die Vollstreckung in Höhe von 110 % des voll-
streckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
G r ü n d e:
1
I.
2
Der Beklagte ist ein Vetter der Klägerin. Diese nimmt ihn wegen fehlerhafter
Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.
3
Die Klägerin zeichnete am 02.05.2002 und am 21.03.2003 zwei Beteiligungen an dem
Immobilienfonds E-KG im Wert von CHF 25.000,- und CHF 40.000,-, jeweils zzgl. 5 %
Agio, hierfür wurden ihr 22.05.2002 € 18.090,97 und am 17.04.2003 € 28.057,99 auf
ihrem Konto belastet. Der inzwischen in Liquidation befindliche Immobilienfonds E-KG
hielt die Büroimmobilie K. in XY. Die Zeichnungsscheine der Klägerin reichte der
Beklagte bei der M-GmbH, der der Beklagte mit am 10.10.2008 zugestelltem Schriftsatz
vom 06.10.2008 den Streit verkündet hat und deren Geschäftsführerin die Zeugin H. ist.
Die M-GmbH gab die Zeichnungsscheine an die N-AG weiter, deren
Vorstandsvorsitzender der Zeuge O. ist und die mit dem Vertrieb der Kommanditanteile
an dem Immobilienfonds E-KG befasst war und mit der M-GmbH als Vertriebspartnerin
für Deutschland zusammenarbeitete.
4
Die Klägerin erhielt Ausschüttungen am 30.01.2003 in Höhe von € 524,68, am
05.09.2003 in Höhe von insgesamt € 1.363,09, am 15.11.2004 in Höhe von € 1.015,27
und am 16.11.2004 in Höhe von € 1.623,38 gutgeschrieben. Am 01.04.2010 erhielt sie
ferner die Ausschüttung für das Jahr 2005 und einen Vorschuss auf den
Liquidationserlös in Höhe von insgesamt € 23.354,01 gutgeschrieben.
5
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
6
1. € 41.513,54 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie 5,2 Prozent Zinsen aus € 18.90,97 seit
dem 22.05.2002 und 4,2 Prozent Zinsen aus € 28.057,99 seit dem 17.04.2003 zu
zahlen, Zug um gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen die E-KG,
2. an sie außergerichtliche Auslagen in Höhe von € 1.530,58 zuzüglich Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtshängigkeit
zu zahlen.
7
8
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
10
Der Beklagte hat behauptet, der Klägerin mit Schreiben vom 12.04.2002 den
Hauptprospekt des Immobilienfonds E-KG (Anlage B2) übersandt zu haben. Ferner hat
er gemeint, dass nach ständiger Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts
jeder Kommanditist einer in der Schweiz ansässigen Gesellschaft unabhängig von
seinem Wohnsitz in der Schweizerischen Ausgleichskasse versicherungspflichtig sei,
weil er als Kommanditist gemäß Art. 1 AHVG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 AHVV eine
inländische Erwerbstätigkeit ausübe.
11
Ergänzend wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des
landgerichtlichen Urteils insoweit Bezug genommen, als diese den vorgenannten
Feststellungen nicht widersprechen.
12
Das Landgericht hat den Beklagten bis auf einen Teil der Zinsforderung antragsgemäß
zur Zahlung verurteilt. Die Parteien hätten hinsichtlich der Beteiligung vom 02.05.2002
einen Anlageberatungsvertrag geschlossen, da die Klägerin die fachkundige Bewertung
durch den Beklagten zur Grundlage ihrer Anlageentscheidung habe machen wollen.
Diesen Anlageberatungsvertrag habe der Beklagte verletzt, weil er die Klägerin nicht
über die ihm zukommende Rückvergütung in Höhe von 10 % der Zeichnungssumme
aufgeklärt habe. Zur Vermeidung von vertragswidrigen Interessenskonflikten gelte diese
Aufklärungspflicht nicht nur für anlageberatende Banken, sondern für alle
Anlageberater. Die fehlende Aufklärung sei für die Anlageentscheidung der Klägerin
kausal geworden, weil sie nur die Erwartung gehabt habe, dass dem Beklagten das
Agio von 5 % rückvergütet werde. Der Beklagte habe seinen Aufklärungspflichtverstoß
auch verschuldet, da er sich nicht gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB habe entlasten
können. Die zu seiner Entlastung vernommenen Zeugen hätten nicht die Zweifel
ausgeräumt, dass er doch von Anfang an die Höhe der ihm zustehenden Provision
gekannt habe. Aufgrund der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens sei nicht nur die
erste Zeichnung, sondern auch die zweite Zeichnung von dem
Schadensersatzanspruch umfasst, da der Aufklärungsfehler noch fortgewirkt habe. Da
die Klägerin erst im Jahr 2008 erfahren habe, dass der Beklagte mehr als 5 % Provision
erhalten habe, sei ihr Schadensersatzanspruch wegen fehlender Aufklärung über die
Rückvergütung nicht verjährt.
13
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er habe aufgrund der
verwandtschaftlichen Verbundenheit zu der Klägerin aus Gefälligkeit die
streitgegenständlichen Anlagen vermittelt. Ein Anlageberatungsvertrag sei weder von
der Klägerin vorgetragen noch von dem Landgericht hinreichend festgestellt worden.
Hinsichtlich der Anlageentscheidung vom Frühjahr 2002 sei danach allenfalls von
einem Anlagevermittlungsvertrag auszugehen. Er habe im Frühjahr 2002 die
streitgegenständliche Anlage lediglich als eine von mehreren Anlagen empfohlen.
Außerdem habe die Klägerin erwartet, dass er eine Provisionszahlung erhalte, weshalb
sie ihn auch nicht als unabhängigen Anlageberater eingestuft habe. Die
Anlageentscheidung vom Frühjahr 2003 habe die Klägerin eigenständig ohne seine
Beteiligung oder Beratung getroffen. Ferner sei entgegen der Meinung des Landgerichts
die Verpflichtung der anlageberatenden Banken zur Aufklärung über
Rückvergütungsvereinbarungen nicht auf allgemeine Anlageberater auszudehnen.
Unabhängig davon sei er seiner Aufklärungspflicht auch durch die mit Schreiben vom
12.04.2002 erfolgte Übersendung des Hauptprospekts nachgekommen, da darin auf
Kosten der Eigenkapitalvermittlung in Höhe von 8 % des Eigenkapitals und das Agio in
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Höhe von weiteren 5 % aufmerksam gemacht werde. Die Klägerin habe nicht bewiesen,
den Prospekt nicht erhalten zu haben. Die Klägerin habe auch nicht bewiesen, dass für
den Vertrieb der Anteile des Immobilienfonds E-KG 15 % oder mehr ausgegeben
worden seien. Des Weiteren fehle es an der Kausalität zwischen der angeblichen
Aufklärungspflichtverletzung und den Anlageentscheidungen, da die Klägerin selbst
davon ausgegangen sei, dass er 5 % Provision durch die Rückvergütung des Agios
erhalte. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greife zudem bei der fehlenden
Aufklärung über eine Rückvergütung nicht ein. Unabhängig davon habe er sich
exkulpiert. Keiner der Zeugen habe bekundet, dass mit ihm eine
Provisionsvereinbarung getroffen worden sei. Er sei außerdem einem unvermeidbaren
Rechtsirrtum erlegen. Hinsichtlich des von der Klägerin begehrten Ersatzes der
Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht nicht festgestellt, dass die Beauftragung
eines Rechtsanwalts erforderlich gewesen sei. Des Weiteren habe die Klägerin in dem
Kostenfestsetzungsverfahren die Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr verlangt.
Schließlich sei ein Schadensersatzanspruch der Klägerin verjährt. Die Klägerin habe
durch den ihr zugesandten Hauptprospekt gewusst, dass er eine höhere Provision als 5
% erhalte. Ferner hätte die Klägerin, wenn er sich nicht auf einen unvermeidbaren
Rechtsirrtum hinsichtlich seiner Aufklärungspflicht berufen dürfte, spiegelbildlich
zumindest grobfahrlässig ihren Schadensersatzanspruch in den Jahren 2002 und 2003
verkannt.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2010 unter Bezugnahme
auf ihren Schriftsatz vom 23.10.2010 den Rechtsstreit im Hinblick auf die Zahlung vom
01.04.2010 in Höhe von € 23.354,01 für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der
Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Er beantragt abändernd,
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die Klage abzuweisen.
16
Die Klägerin beantragt,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil, indem sie den erstinstanzlichen Vortrag
vertieft.
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Ergänzend wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
verwiesen.
20
II.
21
Die zulässige Berufung hat nur teilweise Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht und mit
überzeugender Begründung den Beklagten wegen schuldhafter Verletzung eines
Anlageberatungsvertrags gemäß §§ 280, 249, 252 BGB als verpflichtet angesehen, der
Klägerin Schadensersatz in Höhe ihrer Kapitalanlage von € 41.513,54 (inkl. Agio
abzüglich erhaltener Ausschüttungen – bei korrekter Berechnung eigentlich €
41.621,64) nebst entgangener Anlagezinsen und Freistellung von den vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten, jeweils Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen die
Kapitalanlagegesellschaft, zu leisten. In geringem Umfang erfolgreich ist die Berufung
nur hinsichtlich der vom Landgericht getroffenen Zinsentscheidung, die zudem noch
gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit in einem Punkt zu korrigieren ist.
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1. Die Klägerin hat gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 BGB gegen den Beklagten Anspruch
auf Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung des zwischen ihnen
geschlossenen Anlageberatungsvertrags über ihre Beteiligung an dem
Immobilienfonds E-KG:
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a) Zwischen den Parteien wurde ein Anlageberatungsvertrag geschlossen. Einen
Anlageberater wird der Kapitalanleger im Allgemeinen hinzuziehen, wenn er selbst
keine ausreichenden wirtschaftlichen Kenntnisse und keinen genügenden Überblick
über wirtschaftliche Zusammenhänge hat. Er erwartet dann nicht nur die Mitteilung
von Tatsachen, sondern insbesondere deren fachkundige Bewertung und Beurteilung
(BGH, Urteil vom 13.05.1993 – III ZR 25/92, NJW-RR 1993, S. 1114). Der
Beratungsvertrag kommt regelmäßig konkludent dadurch zu Stande, dass im
Zusammenhang mit der Anlage eines Geldbetrages tatsächlich eine Beratung
stattfindet (BGH, Urteil vom 27.09.2007 - XI ZR 320/06, Rz. 12 bei juris). Im Gegensatz
dazu kommt ein Anlagevermittlungsvertrag stillschweigend zustande, wenn der
Interessent deutlich macht, dass er, auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen,
die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen
will, und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginnt (BGH, Urteil vom
19.06.2010 – III ZR 218/06, Rz. 4). Wie der Beklagte in erster Instanz eingeräumt hat,
bat ihn die in Kapitalanlagen unerfahrene Klägerin im Frühjahr 2002 um eine
Anlageempfehlung. Eine bestimmte Anlageentscheidung hatte sie zu diesem
Zeitpunkt noch nicht getroffen. Der Beklagte nahm dieses Angebot auf Abschluss
eines Anlageberatungsvertrags an, indem er der Klägerin mit Schreiben vom
12.04.2002 Informationsmaterial zu dem streitgegenständlichen Immobilienfonds E-
KG sowie zu verschiedenen anderen Investmentfonds übersandte und ihr in einem
nachfolgenden Telefonat den Immobilienfonds E-KG empfahl, indem er diesen als
eine für sie gute Kapitalanlage bewertete. Auch dies hat der Beklagte in erster Instanz
eingeräumt.
24
Entgegen der Meinung der Berufung handelten die Parteien bei Abschluss dieses
Anlageberatungsvertrags auch mit Rechtsbindungswillen. Ein solcher fehlt bei einem
bloßen Gefälligkeitsverhältnis, wie zum Beispiel bei bloß gesellschaftlichen,
freundschaftlichen Zusagen oder Gefälligkeiten des täglichen Lebens (Palandt/Sprau,
BGB, 69. Auflage, Einf v § 662, Rz. 4). Stehen jedoch zumindest für einen der
Vertragspartner erkennbar wirtschaftliche Interessen, z. B. erhebliche
Vermögenswerte auf dem Spiel, lässt dies auf einen Rechtsbindungswillen schließen
(BGH, Urteil vom 19.04.2007 – III ZR 75/06, Rz. 7 bei juris). Die Anlageberatung des
Beklagten diente erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Klägerin. Die von ihr
aufgrund der Empfehlung des Beklagten am 02.05.2002 gezeichnete Kapitalanlage
betrug inkl. Agio € 18.090,97. Ferner wollte sie, was der Beklagte wusste, mit der
Kapitalanlage Vorsorge für ihr Alter schaffen und ihre Rente aufbessern.
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b) Der Beklagte hat gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB seine Verpflichtung gegenüber
der Klägerin verletzt, sie ungefragt über die Höhe der ihm im Rahmen der
Anlageberatung zufließenden Vergütung aufzuklären.
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aa) Ein Anlageberater ist nach Meinung des Senats verpflichtet, ungefragt den
Anleger darüber aufzuklären, dass und in welcher Höhe er für die erfolgreiche
Empfehlung der Kapitalanlage vom Kapitalsuchenden ein Entgelt erhält. Der
Rechtsgrund für diese Verpflichtung ist ein zweifacher. Die Verheimlichung dieses
Entgelts stellt nicht nur in Bezug auf die ihn als Anlageberater gemäß §§ 667, 675
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BGB treffende Herausgabepflicht eine Täuschung des Anlegers dar, sondern auch
deswegen, weil das an den Anlageberater gezahlte Entgelt des Kapitalsuchenden
die Tätigkeit des Anlageberaters zuungunsten des Anlegers beeinflusst (vgl. BGH,
Beschluss vom 29.06.2010 – XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339, 2340, der zwar eine
anlageberatende Bank betraf, dessen Begründung unter Textziffern 4 ff jedoch eine
Aufklärungspflicht generell für Anlageberater mit einschließt). Da der Anlageberater
fremdnützig bestmöglich im Interesse seines Kunden zu verfahren hat, befindet er
sich in einem Interessenkonflikt zu dem bei ihm Rat suchenden und auf seinen Rat
vertrauenden Kunden, wenn durch die Beratung seine Eigeninteressen dadurch
betroffen sind, dass ihm der Kapitalsuchende für den Fall der erfolgreichen
Empfehlung ein Entgelt versprochen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.01.2010 - XI
ZR 510/07, Rz. 12 bei juris). In einer solchen Lage kann der Anlageberater dem
Vorwurf des Treubruchs nur dadurch entgehen, dass er seinem Kunden seine
Eigeninteressen offenbart. Dies folgt aus dem gemäß § 242 BGB zivilrechtlich
allgemein anerkannten Grundsatz der Vermeidung von vertragswidrigen
Interessenskonflikten und ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung z.B. für die
Aufklärungspflichten einer anlageberatenden Bank wegen der von ihr erhaltenen
Rückvergütungen (BGH, Beschluss vom 29.06.2010 – XI ZR 308/09 m.w.N.) oder
eines Baubetreuers (BGH, Urteil vom 14.03.1991 – VII ZR 342/89, Rz. 18 f bei juris)
sowie eines Steuerberaters (BGH, Urteil vom 19.06.1985 – IVa ZR 196/83, Rz. 13
bei juris) wegen der von ihnen vereinnahmten Provisionen geklärt. Hingegen sind
die Fragen, ob einen freien Anlageberater wegen des Grundsatzes der Vermeidung
vertragswidriger Interessenskonflikte überhaupt eine Aufklärungspflicht trifft (aaa)
und auf welche Art von Vergütungen sich eine solche Aufklärungspflicht bezieht
(bbb), noch nicht abschließend geklärt:
aaa) Der Senat ist wie das Landgericht der Auffassung, dass der freie Anlageberater
gemäß § 242 BGB wegen des Grundsatzes der Vermeidung vertragswidriger
Interessenskonflikte im Hinblick auf seine aus §§ 667, 675 BGB folgende
Herausgabepflicht verpflichtet ist, seinen Kunden über die vom Kapitalsuchenden
erhaltenen Entgelte und über deren Höhe aufzuklären (s. bereits Urteil des Senats
vom 08.07.2010 – I-6 U 136/09, zustimmend Buck-Heeb: Aufklärung über
Rückvergütungen – Die Haftung von Banken und freien Anlageberatern, BKR 2010,
S. 309 ff). Der Senat stützt sich dabei, wie oben näher dargelegt, auch auf die
entsprechend allgemein gehaltenen Begründungen der Beschlüsse des 11.
Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 20.01.2009 und vom 29.06.2010 (a.a.O.)
und sieht sich daran nicht durch das Urteil des 3. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs vom 15.04.2010 – III ZR 196/09 gehindert, weil aus Sicht des
Senats diese Entscheidung in Widerspruch zu den vorgenannten Entscheidungen
steht. In dem Urteil des 3. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 15.04.2010 wird
eine Aufklärungspflicht des freien Anlageberaters wegen der ihm gewährten
Rückvergütungen verneint. Anders als für den Kunden einer anlageberatenden
Bank, die ihren Verdienst bei einer in der Regel auf Dauer angelegten
Geschäftsbeziehung auch aus den Entgelten ihrer übrigen Dienstleistungen ziehen
könne, liege es für den Kunden eines freien Anlageberaters auf der Hand, dass
dieser von der kapitalsuchenden Anlagegesellschaft Provisionen erhalte, die
jedenfalls wirtschaftlich betrachtet dem von dem Kunden an die Anlagegesellschaft
gezahlten Betrag entnommen würden (BGH, Urteil vom 15.04.2010 – III ZR 196/09).
Der Senat teilt die rechtstatsächlichen Annahmen, die dieser Begründung
zugrundeliegen, nicht. So entspricht es der Lebenserfahrung und ist dem Senat
auch gerichtsbekannt, dass sich Kapitalanleger nicht nur von ihrer "Hausbank",
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sondern auch von Banken wegen einer Kapitalanlage beraten lassen, zu der sie
bislang nicht in Geschäftsbeziehung standen (s. ausführlich Urteil des Senats vom
08.07.2010 – I-6 U 136/09). Daher würde es eine nicht gerechtfertigte Privilegierung
der freien Anlageberater gegenüber den Banken darstellen, sie von der
Verpflichtung zur Aufklärung über an sie zurückgezahlte Entgelte auszunehmen.
Doch selbst wenn man die rechtstatsächlichen Annahmen des vorgenannten Urteils
vom 15.04.2010 teilte, verbliebe als nicht geklärter Widerspruch zu der
Rechtsprechung des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, dass der nicht über
die Rückvergütung aufgeklärte Kunde eines freien Anlageberaters allenfalls nur
eine ungefähre Vorstellung über die Höhe der Rückvergütung hat, die zudem wie
der vorliegende Fall zeigt, von der Realität stark abweichen kann, während der
Kunde der anlageberatenden Bank nach der Rechtsprechung des 11. Zivilsenats
des Bundesgerichtshofs zur Vermeidung eines vertragswidrigen
Interessenkonfliktes über die Höhe der Rückvergütung exakt aufgeklärt werden
muss, da er nur so in die Lage versetzt wird, das Umsatzinteresse der Bank selbst
einzuschätzen und zu beurteilen, ob die Bank ihm einen bestimmten Titel nur
deswegen empfiehlt, weil sie daran verdient (Urteil vom 19.12.2006 – XI ZR 56/05,
Rz. 22f bei juris). Gerade wenn die dem Anlageberater in Aussicht gestellten
Entgelte hinsichtlich der in das Beratungsgespräch einbezogenen
Kapitalanlagegesellschaften unterschiedlich hoch ausfallen, ist die Aufklärung über
die Höhe der zu erwartenden Rückflüsse für die Beurteilung der Objektivität der
angebotenen Beratung unabdingbar.
bbb) Der Senat meint des Weiteren, dass sich die Aufklärungspflicht des
Anlageberaters auf das gesamte Entgelt bezieht, das er von dem Kapitalsuchenden
für eine erfolgreiche Empfehlung erhält, gleichgültig aus welchem "Topf" der
Gesamtfinanzplanung das Entgelt im Ergebnis gezahlt wird (Urteil des Senats vom
08.07.2010, a.a.O). Dies folgt schon aus der rechtlichen Herleitung der
Aufklärungspflicht des Anlageberaters, die der Senat, wie oben näher dargelegt,
auch auf die entsprechend allgemein gehaltenen Begründungen der Beschlüsse
des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 20.01.2009 und vom 29.06.2010
(a.a.O.) stützt. Sowohl für den Herausgabeanspruch des Geschäftsherrn gemäß §§
667, 675 BGB als auch im Hinblick auf den gemäß § 242 BGB bestehenden
Grundsatz der Vermeidung eines vertragswidrigen Interessenskonflikt ist es
gleichgültig, auf welchem Finanzierungweg der Kapitalsuchende den Anlageberater
vergütet. Entscheidend ist allein, dass das Entgelt nur für den Fall der erfolgreichen
Anlageempfehlung gezahlt wird, weil es dann aus der Geschäftsbesorgung im
Sinne des § 667 BGB "erlangt" und aufgrund seines Umsatzbezugs zudem geeignet
ist, die Objektivität der Beratungsleistung zu beinträchtigen. Nach dem Urteil des 11.
Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 27.10.2009 – IX ZR 338/08, Rz. 31 bei
juris, soll sich zwar die Aufklärungspflicht der anlageberatenden Bank nur auf
solche Vergütungen beziehen, die der Kapitalsuchende aus dem Agio oder
Verwaltungsgebühren finanziert. Diese Einschränkung verträgt sich jedoch nicht mit
der Begründung, die der 11. Zivilsenat des Bundegerichtshofs in seinen
Beschlüssen vom 20.01.2009 und vom 29.06.2010 (a.a.O.) anführt, um die
Aufklärungspflicht der anlageberatenden Banken über die an sie gezahlten
Rückvergütungen zu rechtfertigen. Eine so verkürzte Aufklärung würde den Anleger
nicht in die Lage versetzen, hinreichend zu beurteilen, wie stark die Objektivität der
Beratungsleistung durch die Eigeninteressen des Anlageberaters gefährdet ist,
sondern ihn unter Umständen sogar irreführen. Dies zeigt der vorliegende Fall. Der
Beklagte hätte nur über die Hälfte seiner Provision aufklären müssen und die
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anderen Hälfte verheimlichen dürfen.
bb) Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, dass die vorgenannte
Aufklärungspflicht den Beklagten wegen des familiären Hintergrunds der
Anlageberatung nicht treffen würde. Es ist zwar richtig, dass Inhalt und Umfang der
Informations- und Beratungspflicht grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls
abhängen (BGH, Urteil vom 19.04.2007 – III ZR 75/06, Rz. 11 bei juris). So kann es
zwar in den konkreten Situation einer Vermögensverwaltung durch
Familienangehörige entbehrlich sein, den Anleger nach seinen genauen
Vermögensverhältnissen zu befragen und förmlich seine Risikobereitschaft
festzustellen, wenn die Investitionsmittel ersichtlich zur freien Verfügung stehen und
nur Aktiengeschäfte in einem konservativen Rahmen beabsichtigt sind (BGH, a.a.O.,
Rz. 12 f). Nach den Umständen der streitgegenständlichen Anlageberatung ist
jedoch der Beklagte dazu verpflichtet gewesen, die Klägerin über die Höhe der
Provision aufzuklären, die er von dem Immobilienfonds E-KG im Falle einer
erfolgreichen Anlageempfehlung zu erwarten hatte. Nach dem Grundsatz der
Vermeidung eines vertragswidrigen Interessenkonfliktes traf ihn diese
Aufklärungspflicht in der konkreten Situation der Anlageberatung uneingeschränkt,
da seine familiäre Beziehung zu der Klägerin den vertragswidrigen
Interessenkonflikt eher verschärft, jedenfalls nicht abgeschwächt hat. Gerade wegen
des familiären Hintergrunds brachte die Klägerin dem Beklagten besonderes
Vertrauen entgegen und durfte sie schon aus familiärer Rücksichtnahme ihr
gegenüber eine streng an ihren Interessen ausgerichtete Anlageberatung erwarten.
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cc) Der Beklagte hat gegen seine vorgenannte Aufklärungspflicht verstoßen, weil er
die Klägerin nicht über die Provision in Höhe von 10 % des Anlagebetrags
aufgeklärt hat, die an ihn über den Eigenkapitalvermittler N-AG zurückgeflossen
sind. Ohne Erfolg beruft sich die Berufung insoweit darauf, dass die Klägerin durch
den Hauptprospekt des Immobilienfonds E-KG hinreichend aufgeklärt worden sei.
Es ist zwar richtig, dass der Anleger die Beweislast dafür trägt, den für die
Kapitalanlage erstellten Prospekt nicht erhalten zu haben (BGH, Urteil vom
11.05.2006 – III ZR 205/05, Rz. 6 ff bei juris). Ob der Klägerin dieser Beweis
gelungen ist, kann dahinstehen. Der Hauptprospekt klärt nämlich die Klägerin nicht
darüber auf, dass der sie beratende Beklagte eine Provision in Höhe von 10 % des
Kapitalanlagebetrags erhalten soll. So lässt sich zwar dem Hauptprospekt auf S. 39
und 41 entnehmen, dass das Agio 5 % vom Eigenkapital = € 1.925.000,- und die
Kosten der Eigenkapitalvermittlung weitere € 3.080.000 (das sind 8 % bezogen auf
das Eigenkapital von € 38.500.000,-) betragen. Die vom Beklagten geschuldete, hier
in Rede stehende Aufklärungspflicht bezieht sich jedoch nicht auf die Werthaltigkeit
der Kapitalanlage, sondern auf die Objektivität seiner Beratungsleistung. So kann
der Anleger den Prospektangaben nicht entnehmen, wie viel Provision der ihn
beratende Anlageberater erhalten soll. Ferner sind unter diesem Gesichtspunkt die
Prospektangaben auch irreführend, als sie das Agio nicht als ein Teil der
Vertriebskosten ausweisen.
31
c) Die vorgenannte Pflichtverletzung ist für die Zeichnungen der
Kommanditbeteiligungen der Klägerin vom 02.05.2002 und vom 21.03.2003
ursächlich geworden. Steht eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den
Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, das heißt, der
Aufklärungspflichtige muss beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei
richtiger Aufklärung erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet
32
gelassen hätte (BGH, Urteil vom 12.05.2009 – XI ZR 586/07, Rz. 22 bei juris). Diese
Vermutung gilt auch für die fehlende Aufklärung des Anlageberaters über einen
vertragswidrigen Interessenkonflikt wegen von dem Kapitalsuchenden
zurückgezahlter Entgelte (vgl. BGH, a.a.O., für die unterlassene Aufklärung der
anlageberatenden Bank über Rückvergütungen).
aa) Der Beklagte hat nicht den Beweis erbracht, dass die Klägerin die beiden
Zeichnungen auch vorgenommen hätte, wenn er sie richtig über seinen
Provisionsanspruch in Höhe von 10 % aufgeklärt hätte. Zwar hat die Klägerin
unstreitig auch ohne Offenlegung der Provision angenommen, der Beklagte werde
wohl das Agio in Höhe von 5 % erhalten. Da sie weder wusste noch damit rechnete,
dass der Beklagte darüber hinaus weitere 5 % Provision erhält, bleibt die Vermutung
bestehen, dass sie bei voller Aufklärung über diese Sachlage die Kapitalanlage
nicht gezeichnet hätte.
33
bb) Entgegen der Meinung der Berufung gilt dies nicht nur hinsichtlich der ersten am
02.05.2002 gezeichneten Kommanditeinlage, sondern auch hinsichtlich der zweiten
am 21.03.2003 gezeichneten Kommanditeinlage. Der Entschluss der Klägerin zur
zweiten Zeichnung beruhte noch auf der Empfehlung des Beklagten aus dem
Anlageberatungsvertrag vom Frühjahr 2002. Die Klägerin ging entsprechend den
aus der Beratung durch den Beklagten erlangten Informationen noch bei der zweiten
Kapitalzeichnung davon aus, dass sie durch die Kommanditbeteiligung an dem
Immobilienfonds E-KG auch einen Rentenanspruch bei der P-Versicherung erwirbt.
Um ihren erhofften Rentenanspruch gezielt zu erhöhen, errechnete ihr Mann den
dazu notwendigen Zeichnungsbetrag von CHF 40.000,- aus. Diese allein auf Basis
der ersten Beratung durch den Beklagten getroffene Anlageentscheidung, zu deren
Umsetzung sie den Beklagten nur noch als Anlagevermittler und nicht mehr als
Anlageberater einsetzte, um dessen Verbindung zu dem Immobilienfonds E-KG zu
nutzen, wäre nach der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht
getroffen worden, wenn der Beklagte sie über seine Provision vollständig aufgeklärt
hätte.
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Angesichts dieses Ursachenzusammenhangs kommt es nicht darauf an, ob den
Beklagten auch bei der Vermittlung der zweiten Anlage die erneute
Aufklärungspflicht traf, die Klägerin über die von dem Immobilienfonds E-KG durch
die N-AG gezahlte Provision in Höhe von 10 % aufzuklären.
35
d) Der Beklagte hat sich nicht gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpiert. Nach
dieser Vorschrift obliegt es demjenigen, der eine vertragliche Verpflichtung verletzt
hat, sein fehlendes Verschulden darzulegen und nachzuweisen. Hierzu gehören
gleichermaßen Vorsatz und Fahrlässigkeit (BGH, Urteil vom 12.05.2009 – XI ZR
586/07, Rz. 17 bei juris).
36
aa) Der Beklagte musste bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt damit rechnen, dass
er verpflichtet war, die Klägerin über seine Provisionsansprüche aufzuklären. Der
Beklagte hat nicht dargelegt, einem unvermeidbaren Rechtsirrtum erlegen zu sein.
Auch hierfür trägt er die uneingeschränkte Darlegungs- und Beweislast (BGH,
a.a.O., Rz. 20). Schon seit Beginn der 90ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
wurde in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und auch in der Rechtslehre
vertreten, dass der Anlageberater den Anleger über die an ihn gezahlten Entgelte,
die seiner Herausgabepflicht gemäß §§ 667, 675 BGB unterfallen, aufzuklären hat,
37
um einem vertragswidrigen Interessenkonflikt zu entgehen (BGH, Beschluss vom
29.06.2010 – XI ZR 308/09 m.w.N.).
bb) Der Beklagte hat keine Umstände dargelegt, die widerlegen, dass er es
zumindest fahrlässig unterlassen hat, die Klägerin über seine Provision aufzuklären.
Hierfür spricht schon die Tatsache, dass er gewusst hat, dass er eine Provision
erhalten werde, wie er in der Sitzung des Landgerichts vom 14.05.2009 eingeräumt
hat. Dass er nach seiner Behauptung nicht gewusst hat, wie hoch diese sein werde,
entlastet ihn nicht, da er bei Beachtung der gemäß § 276 Abs. 2 BGB maßgeblichen
verkehrsüblichen Sorgfalt bei M-GmbH oder N-AG, wenn er den erforderlichen
Nachdruck aufgewandt hätte, die Höhe der Provision hätte in Erfahrung bringen
können. Die Vernehmung der Zeugen H. und J. und des Zeugen O. hat keine
Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem Beklagten eine entsprechende
Informationsbitte nicht erfüllt worden wäre. Die Zeugen haben vielmehr dargelegt,
dass Maßstab für die Festlegung der Provisionshöhe grundsätzlich die
Umsatzstärke des Untervertreters war. Unabhängig davon verbleiben dem Senat
wie dem Landgericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme erhebliche
Zweifel daran, dass der Beklagte nicht bei der Beratung der Klägerin gewusst haben
soll, wie hoch die ihm zustehende Provision ist. Einer entsprechenden
Überzeugungsbildung steht schon entgegen, dass keiner der Zeugen konkret
erklären konnte, wie es bei dem Beklagten zu der zweimaligen Auszahlung der
maximalen Provision gekommen ist. Ferner leidet die Glaubhaftigkeit der Aussage
der Zeugen H. und J. sowie des Zeugen O. darunter, dass einerseits die Zeugen H.
und J. die Zuständigkeit für den Abschluss einer Provisionsvereinbarung der N-AG
zuwiesen, andererseits der Zeuge O. dies als eine Aufgabe des Zeugen J. ansah.
38
e) Die Höhe des zu ersetzenden Schadens einschließlich der Anlagezinsen und der
Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 249, 252 BGB. Auf die zutreffenden
Ausführungen des Landgerichts wird zunächst zur Vermeidung von
Wiederholungen verwiesen.
39
aa) Ein gemäß § 254 BGB anrechnungsfähiges Mitverschulden fällt der Klägerin
nicht zur Last. Im Falle eines Schadensersatzanspruches wegen Verletzung von
Aufklärungs- und Beratungspflichten kommt ein Mitverschulden des Geschädigten
nur unter besonderen Umständen in Betracht, weil sich der Geschädigte regelmäßig
auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Aufklärung und Beratung
verlassen darf (BGH, Urteil vom 08.07.2010- III ZR 249/09, Rz. 21 m.w.N.). Die
gegenteilige Annahme stünde im Widerspruch zu dem Grundgedanken der
Aufklärungs- und Beratungspflicht (BGH, Urteil vom 13.01.2004 - XI ZR 355/02,
NJW-RR 2004, S. 1868, 1870). Der Beklagte kann daher der Klägerin nicht
entgegenhalten, sie habe ihn nicht nach seinen Provisionsansprüchen gefragt.
40
bb) Ohne Erfolg wendet die Berufung gegen die Freistellung von den
Rechtsanwaltskosten ein, die Einschaltung eines Rechtsanwalts sei nicht
erforderlich gewesen. Die Erforderlichkeit ergibt sich aus dem
kapitalmarkrechtlichen Schadensersatzanspruch, wegen dessen Komplexität sich
der Verbraucher von Anfang an eines Rechtsanwalts bedienen darf. Auch der
Einwand der Berufung, die Klägerin habe im Kostenfestsetzungsverfahren die volle
Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht, greift wegen § 15 a Abs. 2 RVG nicht durch.
41
2. Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung ohne Erfolg. Er darf nicht gemäß
42
§ 214 Abs. 1 BGB die Erfüllung des vorgenannten Schadensersatzanspruchs
verweigern, da dieser nicht gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt ist. Die am 31.07.2008
zugestellte Klage hat den Anlauf der Verjährungsfrist gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB
rechtzeitig gehemmt. Die gemäß § 195 BGB dreijährige Verjährungsfrist wäre
ansonsten gemäß § 199 Abs. 1 BGB erst mit Schluss des Jahres 2008 angelaufen.
Nach dieser Vorschrift kommt die Verjährungsfrist am Schluss des Jahres in Gang,
in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger die Kenntnis von den
anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder
ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Für diese Kenntnis oder
grobfahrlässige Unkenntnis trägt der Schuldner, der sich auf den Eintritt der
Verjährung beruft, die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 03.06.2008 –
XI ZR 319/06, Rz. 25):
a) Der Beklagte hat weder dargelegt noch bewiesen, dass die Klägerin bereits vor
dem 01.01.2005 gewusst hat, dass er sie pflichtwidrig nicht über seine Provisionen
für die von ihr gezeichneten Beteiligungen an dem Immobilienfonds E-KG aufgeklärt
hat. Die Klägerin hat nur eingeräumt, erst durch das Schreiben der Rechtsanwälte
G. & Kollegen vom 25.07.2008 davon erfahren zu haben, dass die Vermittler des
Immobilienfonds E-KG teilweise mehr als 15 % Provision erhalten hätten. Soweit die
Klägerin weiterhin vorgetragen hat, sie habe bei beiden Zeichnungen vermutet,
dass der Beklagte wohl das Agio in Höhe von 5 % als Provision erhalte, steht diese
bloße Annahme der Klägerin nicht ihrer positiven Kenntnis der Provisionszahlungen
an den Beklagten gleich. Folglich hat die Klägerin aus der Tatsache, dass der
Beklagte ihr keine Provisionen offengelegt hat, auch nicht den gesicherten Schluss
ziehen können und müssen, dass er dabei pflichtwidrig gehandelt hat.
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b) Der Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass die Klägerin vor dem 01.01.2005
grob fahrlässige Unkenntnis davon gehabt hat, dass er sie pflichtwidrig nicht über
seine Provisionen aufgeklärt hat, die er wegen ihrer beiden Beteiligungen an dem
Immobilienfonds E-KG erhalten hat. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von §
199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil
er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat,
was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich
dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt
haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (BGH, Urteile
vom 10.11.2009 – VI ZR 247/08, Rz. 13 ff und vom 08.07.2010 - III ZR 249/09, Rz.
28). Dem Gläubiger muss deshalb ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner
eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von
"Verschulden gegen sich selbst", vorgeworfen werden können (BGH, a.a.O.). Ihn
trifft jedoch generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem
möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben;
vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als
geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des
Gläubigers bejahen zu können (BGH, a.a.O.). Nach diesen Maßstäben stellt es
keinen schweren Verstoß gegen ihre Obliegenheit gegen sich selbst dar, wenn sich
die Klägerin nicht, ggf. mit dem erforderlichen Nachdruck, bei dem Beklagten
darüber erkundigt hat, ob und in welcher Höhe er eine Provision von dem
Immobilienfonds E-KG, den er empfahl, erhält. Eine andere Betrachtungsweise
würde auch zu einem Wertungswiderspruch zu der oben angeführten
Rechtsprechung zum anspruchsmindernden Mitverschulden führen (s.o. 1 e) aa)):
Wenn im Rahmen der Prüfung des § 254 BGB ein anrechnungsfähiges
44
Mitverschulden des Geschädigten ausgeschlossen wird, der sich auf die Richtigkeit
und Vollständigkeit der Informationen verlässt, die der Aufklärungspflichtige ihm
erteilt hat, dann kann bei der Prüfung der Frage, ob seine Schadenersatzansprüche
verjährt sind, sein Verhalten nicht als grob fahrlässig gewertet werden (vgl. BGH,
Urteil vom 08.07.2003 – III ZR, 249/09, Rz. 34).
3. Die Berufung des Beklagten ist insoweit erfolgreich, als die Klägerin die von dem
Immobilienfonds E-KG erhaltenen Zahlungen jeweils nur auf die
Klagehauptforderung angerechnet hat, wie ihre Berechnungen auf S. 7 der
Klageschrift und auf S. 2 ihres Schriftsatzes vom 23.10.2010 zeigen. Gemäß § 319
ZPO war ferner als offenbar unrichtig der Tenor insoweit zu korrigieren, als die
Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
gemäß § 291 BGB seit dem 01.08.2008 und nicht erst seit dem 01.08.2009
geschuldet werden. Hiervon ging auch das Landgericht aus, wie die
Entscheidungsgründe zeigen (S. 13 des Urteils).
45
III.
46
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Ausspruch der
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Streitwert für das
Berufungsverfahren wird gemäß §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO auf € 41.513,54 festgesetzt.
47
Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen. Zur Begründung wird auf die
Ausführungen zu II. 3. b) aa) aaa) und 3. b) aa) bbb) verwiesen.
48
I-6 U 39/10
49
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF Beschluss
50
In dem Rechtsstreit
51
pp.
52
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch die Vorsitzende Richterin
am Oberlandesgericht A., den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am
Oberlandesgericht C.
53
am 28. Dezember 2010
54
beschlossen:
55
Gemäß § 319 Abs. 1 ZPO wird die Zinsentscheidung des Tenors des Urteils vom
18. November 2010 wegen einer offenbarer Unrichtigkeit wie folgt korrigiert
(Änderung unterstrichen):
56
"… aus € 41.513,54 seit dem 18.04.2003 bis zum 31.07.2008 …"
57