Urteil des OLG Düsseldorf vom 28.12.2010

OLG Düsseldorf (letter of comfort, letter of intent, höhe, patronatserklärung, darlehen, vereinbarung, geschäftsverkehr, abweisung der klage, kündigung, garantie)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-16 U 28/09
Datum:
28.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-16 U 28/09
Vorinstanz:
Landgericht Düsseldorf, 2b O 27/07
Leitsätze:
§ 280 BGB
Zur Auslegung einer Patronatserklärung, in welcher sich der Patron
verpflichtet, "etwaigen zusätzlichen Finanzierungsbedarf der
(Schuldnerin) im gewöhnlichen Geschäftsverkehr … zu decken", und zur
Haftung des Patrons im Falle der Insolvenz der Schuldnerin.
Tenor:
Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird auf die
Berufung der Klägerin das am 17. Dezember 2008 verkündete Urteil der
2b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und
insgesamt wie folgt neu gefasst:
Unter Klageabweisung im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an die
Klägerin 9.629.816,99 € zuzüglich errechnete Verzugszinsen ab dem
10.10.2006 in Höhe von 1.348.529,14 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank p.a. ab dem 17.07.2008 auf 9.629.816,99 € zu zahlen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz haben die Beklagte zu 77% und die Klä-
gerin zu 23% zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten zu 69% und
der Klägerin zu 31% auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstre-
ckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des
Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils an-
dere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des je-
weils zu vollstreckenden Betrages leistet.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Parteien streiten um die Zahlungsverpflichtung der in Spanien ansässigen
Beklagten aufgrund einer von dieser am 07.09.1999 und einer weiteren von deren
100%iger, 2001 auf sie verschmolzener Tochtergesellschaft V… (im Folgenden: V…)
am 06.09.1999 abgegebenen Erklärung, welche die aus abgetretenem Recht der W…
(im Folgenden: W…) vorgehende Klägerin als harte Patronatserklärungen ansieht.
3
Die W…, welche alle Geschäftsanteile an der M… GmbH (im Folgenden: M… GmbH)
zur Sanierung übernommen hatte, übertrug diese 1996 an die wie die M… GmbH auf
dem Gebiet der chemischen und plastikverarbeitenden Industrie tätige Beklagte weiter,
die sie 1997 zu 24,9% an die V… weitergab, während die übrigen Geschäftsanteile von
der Beklagten oder von deren Treuhändern gehalten wurden.
4
Die W... gewährte der M... GmbH 1996/1997 Kredite von insgesamt 20 Mio. DM,
während die Beklagte und/oder V... der M... GmbH seit dem 1.1.1999 finanzielle Mittel in
Höhe von 3,1 Mio. DM zur Verfügung stellten.
5
Am 27.04.1999 unterzeichneten u. a. die W..., die M... GmbH, die V... sowie die Beklagte
eine als "Letter of Intent" bezeichnete Vereinbarung (Anl. K 16 nebst deutscher
Übersetzung). In diesem wurde der Finanzbedarf der M... GmbH unter Berücksichtigung
nachrangiger Darlehen der Beklagten von insgesamt 3,1 Mio. DM auf 28,5 Mio. DM
beziffert. Weiter wurde der jeweilige Beitrag der die Vereinbarung schließenden
Parteien festgelegt. So erklärte sich die W... bereit, eine Garantie von bis zu 5,5 Mio. DM
zu Gunsten eines von italienischen Banken in Höhe von 11 Mio. DM zu gewährenden
Darlehens zu geben sowie gegen die M... GmbH bestehende Forderungen von 2,5 Mio.
DM zu kaufen und sie gegenüber der M... GmbH in ein Abzahlungsdarlehen
umzuwandeln. Die Beklagte ihrerseits erklärte u.a. ihre Bereitschaft, die von ihr bzw. der
V... seit dem 01.01.1999 gewährten Vorschüsse von 3,1 Mio. DM in nachrangige
Darlehen umzuwandeln und zu der Garantie der W... von bis zu 5,5 Mio. DM und zu dem
Abzahlungsdarlehen von 2,5 Mio. DM eine Garantie zu Gunsten der W... und eine
weitere Garantie zu Gunsten der I… (im Folgenden: I…) im Hinblick auf ein von dieser
zu gewährendes Konsolidierungsdarlehen von bis zu 4,9 Mio. DM zu übernehmen.
Weiterhin erklärte die Beklagte ihre Bereitschaft, sich dazu zu verpflichten, "to cover
additional financing needs of M... GmbH in the ordinary course of business with further
subordinated loans to M..." (bzw. in der von der Klägerin vorgelegten deutschen
Übersetzung: "zusätzlichen Finanzierungsbedarf der M... GmbH im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr durch weitere nachrangige Darlehen gegenüber der M... zu decken").
Die W... machte das Treffen der notwendigen Vereinbarungen u. a. davon abhängig,
dass die Beklagte und die M... GmbH die genannten "Sicherheiten" und "Zusagen"
geleistet bzw. vorgelegt haben. Sollte die W... aus zeitlichen Gründen die Garantie zu
Gunsten der italienischen Banken vor Erstellung eines Sanierungsgutachtens geben
müssen, welches bestätigt, dass eine Sanierung der M... GmbH unter den gegebenen
Bedingungen wirtschaftlich erfolgreich sein kann, war unter Ziff. 6 des Letter of Intent
unter IV. vorgesehen: "Commitment (der Beklagten) "to cover additional financing needs
of M... GmbH in the ordinary course of business that exceed the a.m. subordinated
6
loans" (bzw. in der von der Klägerin vorgelegten deutschen Übersetzung: "Zusage (der
Beklagten) zur Deckung etwaigen zusätzlichen Finanzierungsbedarf der M... GmbH im
gewöhnlichen Geschäftsverkehr, der über die oben genannten nachrangigen Darlehen
hinausgeht").
Entsprechend dem Letter of Intent sagte die W... der M... GmbH mit Vereinbarung vom
18.06./02.07.1999 (Anl. K 14) einen Avalkredit über maximal 5.418.750 DM zur 50%igen
Sicherung des von der U… (im Folgenden: U…), einer italienischen Bank,
auszureichenden Darlehens über bis zu 10.837.500 DM sowie eine Stundung der
aufzukaufenden Forderungen von insgesamt 2.553.010,38 DM zu. Unter "Sicherheiten"
waren aufgeführt Garantien der Beklagten über die genannten Beträge zzgl. Zinsen und
Nebenkosten, wobei die Garantie über 5.418.750 DM bis max. 30.06.2005 und die
Garantie über 2.553.010,38 DM gültig sein sollte bis zur vollständigen Tilgung dieser
Forderung sowie des durch die I... auszureichenden Konsolidierungsdarlehens. Die
Kreditvergabe machte die W... weiterhin abhängig von einer Verpflichtung der Beklagten
"zur Deckung des zusätzlichen Finanzbedarfes der M... GmbH aus dem laufenden
Geschäftsbetrieb über die genannten nachrangigen Darlehen hinaus in für W...
akzeptabeler Form".
7
Mit Schreiben vom 29.06.1999 (Anl. K 18, Letter of Guarantee) gab die Beklagte
gegenüber der W... im Hinblick auf das von dieser zu gewährende Darlehen über
2.553.010,38 DM (die zu stundenden Forderungen) und gegenüber der I... im Hinblick
auf durch diese bereitzustellende Kreditfazilitäten von 4,9 Mio. DM eine - im Hinblick auf
die I... nachrangige - Garantie bis zur Gesamtsumme von 2.553.010,38 DM zzgl. Zinsen,
Kosten usw., die erst bei Erfüllung aller Zahlungsverpflichtungen der M... GmbH
gegenüber der W... und der I... verfallen soll.
8
Mit Schreiben vom 07.09.1999 (Anl. K 17, Letter of Guarantee) bekundete die Beklagte
gegenüber der W... ihre Kenntnis, dass die W... der M... GmbH einen Avalkredit von bis
zu 5.418.750,00 DM gewähren und im Rahmen dessen der U... eine Garantie in dieser
Höhe leisten wird. Dies vorausgeschickt, verpflichtete sich die Beklagte für den Fall,
dass der Betrag im Rahmen der gegenüber U... abgegebenen Garantie in Anspruch
genommen wird und die M... GmbH ihren Zahlungsverpflichtungen im Hinblick auf den
Avalkredit nicht nachkommt, jeglichen Betrag bis zu 5.418.750,00 DM zzgl. Zinsen,
Kosten usw. zu zahlen, wobei diese (so genannte) Garantie am Tag der Rückgabe an
die Beklagte verfallen sollte.
9
In dem an die W... gerichteten Schreiben vom 06.09.1999 (Anl. K 2, Bl. 16 GA, im
Folgenden: Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999) nahm die V... zunächst Bezug auf
den Avalkredit von 5.418.750,00 DM und auf das bereits erwähnte Darlehen der W...
über 2.553.010,38 DM. Hierin führte die V... aus, dass sie in Anbetracht dieser
Kreditgewährung der M... GmbH ein nachrangiges Darlehen in Höhe von 3.100.000,00
DM gewährt, und verpflichtete sich dazu, ihre 24,9%ige Beteiligung an der M... GmbH
während der Laufzeit dieses Kredits nicht zu reduzieren.
10
Sodann heißt es:
11
"In addition, V... regardless of its participation in M... GmbH commits itself to cover
additional financing needs of M... GmbH in the ordinary course of business that
exceed the a.m. subordinated loan".
12
Die von der Klägerin vorgelegte Übersetzung dieser Erklärung (Bl. 163 ff. GA) lautet wie
folgt :
13
"Außerdem verpflichtet sich V... ungeachtet ihrer Beteiligung an der M... GmbH,
etwaigen zusätzlichen Finanzierungsbedarf der M... GmbH im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr, der über das oben genannte nachrangige Darlehen hinausgeht,
zu decken.
14
15
Wir versichern, dass keine Umstände vorliegen, die uns davon abhalten könnten,
einer unserer Verpflichtungen aus den obigen Verpflichtungserklärungen zu
erfüllen. Wir garantieren insbesondere, in der Lage zu sein sicherzustellen, dass
die M... GmbH jederzeit die von uns bereitgestellten Mittel annimmt.
16
Wir verpflichten uns hiermit, jegliche weitere Zahlung, zu deren Leistung wir gemäß
dieser Zusage verpflichtet sind, auf das Konto … der M... GmbH bei der W... zu
leisten.
17
Alle Rechte und Pflichten aus diesem Schreiben unterliegen dem Recht der
Bundesrepublik Deutschland und werden demgemäß ausgelegt. Streitigkeiten
werden vor einem zuständigen Gericht in Düsseldorf beigelegt …"
18
Gegenüber der M... GmbH nahm die Beklagte mit Schreiben vom 07.09.1999 (Anl. K 3,
Bl. 19 GA, im Folgenden: Letter of Comfort der Beklagten vom 07.09.1999) Bezug auf
den "Letter of Comfort" der V... vom 06.09.1999 und führte einleitend aus, sie sei davon
unterrichtet, dass V... "has issued a comfort letter in favour of M... GmbH (bzw. - in der
deutschen Übersetzung Bl. 167 ff. GA - eine Patronatserklärung zu Gunsten der M...
GmbH, adressiert an die W..., abgegeben hat), in der sie sich verpflichtet hat, etwaigen
zusätzlichen Finanzierungsbedarf der M... GmbH im gewöhnlichen Geschäftsverkehr,
der über das nachrangige Darlehen der V... von 3.100.000,00 DM hinausgeht, zu
decken; diese Patronatserklärung bezeichnete die Beklagte in diesem Schreiben als (in
der deutschen Übersetzung) "Zusage". Sodann heißt es (in der dt. Übersetzung) u.a.:
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"Dies vorausgeschickt, verpflichtet sich (die Beklagte) hiermit unwiderruflich und
bedingungslos als Hauptschuldner, Ihnen, der M... GmbH, jeglichen Betrag unter
allen Umständen und ungeachtet sämtlicher Einwendungen und Einreden,
Aufrechnungen oder Gegenforderungen auf ihre erste schriftliche Aufforderung zu
zahlen, die darlegt, dass V... ihren Zahlungsverpflichtungen Ihnen gegenüber
gemäß der oben genannten Zusage nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig
nachgekommen ist. Zusätzlich zu diesem Betrag garantieren wir hiermit
unwiderruflich und bedingungslos, Ihnen jeweils die weiteren Beträge zu zahlen,
die den Zinsen, Kosten, Ausgaben und Gebühren entsprechen.
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Diese Garantie zu Gunsten der M... GmbH ist vom Datum ihrer Ausstellung
wirksam. Sie verfällt erst bei Erfüllung aller Zahlungsverpflichtungen von V... Ihnen
gegenüber gemäß der Zusage und der Rückgabe dieses Dokumentes an uns.
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Alle Rechte und Pflichten aus diesem Schreiben unterliegen dem Recht der
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Bundesrepublik Deutschland und werden demgemäß ausgelegt."
Die M... GmbH meldete am 08.11.2000 Insolvenz an. In dem noch nicht
abgeschlossenen Insolvenzverfahren meldete die W... Forderungen von 12.708.656,15
€ zur Insolvenztabelle an.
24
In einer in deutscher Sprache gehaltenen "Vereinbarung" vom 26.01.2001 (Anl. K 4, Bl.
22 ff. GA, im folgenden: Ratenzahlungsvereinbarung) erwähnten die Beklagte und die
W... zunächst 5 von der W... der M... GmbH gewährte Kredite über insgesamt knapp 30
Mio. DM, und zwar zwei Darlehensverträge über jeweils 10 Mio. DM, einen
Darlehensvertrag über 2.553.010,38 DM, einen Avalkredit über 5.418.750 DM sowie
einen Überziehungskredit über 1.927.630,31 DM. Sodann führten sie unter von der
Beklagten der W... gewährten "Sicherheiten" neben einem Letter of Guarantee vom
07.09.1999 über 5.418.750,00 DM und einem weiteren Letter of Guarantee vom
29.06.1999 über 2.553.010,38 DM einen "Letter of Comfort vom 07.09.1999" auf. Unter
Ziffer 1. der Ratenzahlungsvereinbarung verpflichtete sich die Beklagte sodann, an die
W... 8.300.000,00 DM nebst 8 % Zinsen p.a. in Monatsraten von 200.000,00 DM zu
zahlen. Gemäß Ziff. 5 "besteht Einigkeit, dass bei einem Zahlungsverzug von mehr als
zwei Monaten die W... zur Kündigung dieser Vereinbarung und zur Wahrnehmung ihrer
Rechte aus den Letter of Guarantee vom 29.06.1999 und 07.09.1999 berechtigt ist". In
Ziff. 6 erklärten die Beklagte und die W... mit Erfüllung dieser Vereinbarung alle ihren
wechselseitigen Ansprüche für erledigt, ebenso wie "eventuelle Ansprüche der W...
gegen die V..."; hier liege ein "Vertrag zu Gunsten Dritter vor".
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Nach § 1 Abs. 3 des "Forderungskaufvertrags" vom 13.07.2006 (Anl. K 1, Bl. 13 ff. GA)
verkaufte die W... der Klägerin die "unter den vorstehenden Absätzen 1 bis 3
beschriebenen Zahlungsansprüche" gegenüber der M... GmbH, der Beklagten und der
V.... § 1 "Kaufgegenstand" erwähnt in Absatz 1 der W... gegenüber der M... GmbH aus
Darlehensverträgen und Stundungsvereinbarungen zustehende, nach Insolvenz der M...
GmbH durch Kündigung fällig gestellte und zur Insolvenztabelle angemeldete
Forderungen von insgesamt 12.708.656,15 € und verweist auf den diesem Vertrag als
wesentlicher Bestandteil beigefügten Auszug aus der Insolvenztabelle. Abs. 2 hält fest,
dass eine diesem Vertrag als wesentlicher Bestandteil beigefügte Vereinbarung vom
26.01.2001 die Verpflichtungen aus den Garantieerklärungen vom 29.06. und
07.09.1999 und aus einem Letter of Comfort vom 07.09.1999 in Bezug auf die in Absatz
1 erwähnten Verpflichtungen der M... GmbH gegenüber der W... neu geordnet hat und
die Verpflichtungen hierdurch auf den Betrag von 8.300.000,00 DM festgeschrieben
wurden, wobei die per 30.06.2006 ausstehende Forderung der W... gegenüber der
Beklagten sich auf 2.704.867,61 € belaufe. Absatz 3 führt sodann die am 06.09.1999
von der V... gegenüber der W... eingegangene Verpflichtung an und zitiert insoweit
auszugsweise im englischsprachigen Originalwortlaut der Anl. K 2 den Passus ab "to
cover any additional financing needs" (in der dt. Übersetzung ab "etwaigen zusätzlichen
Finanzierungsbedarf"). Gemäß § 3 Abs. 3 des Forderungskaufvertrages nahm die
Klägerin die in § 3 Abs. 1 von der W... erklärte Abtretung der gemäß § 1 verkauften
Forderungen an.
26
Unter dem 17.07.2006 kündigte die W... gegenüber der Beklagten die
Ratenzahlungsvereinbarung vom 26.01.2001 (Anl. K 5, Bl. 25 GA).
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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, beide Letter of Comfort seien harte
Patronatserklärungen, da hierin V... und die Beklagte gegenüber der M... GmbH eine
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uneingeschränkte Ausstattungsverpflichtung übernommen hätten, der sie nicht
nachgekommen seien, worauf die Insolvenz der M... GmbH zurückzuführen sei. Der
nach der Insolvenz der M... GmbH bestehende Schadensersatzanspruch belaufe sich
auf den Ausfall der W... in Höhe von insgesamt 12.708.656,15 €, worauf von den gemäß
der Ratenzahlungsvereinbarung geleisteten Zahlungen 1.538.855,01 € anzurechnen
seien.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.169.801,14 € zuzüglich errechnete
Verzugszinsen ab dem 10.10.2006 in Höhe von 2.155.839,48 € sowie zuzüglich
Tageszinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der
Europäischen Zentralbank p.a. ab dem 17.07.2008 auf 11.169.801,14 € zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, sie von außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten
in Höhe von 45.644,80 € freizuhalten.
32
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und u.a. neben fehlender Aktivlegitimation
der Klägerin und Verjährung eingewandt, bei den Letter of Comfort handele sich nicht
um harte Patronatserklärungen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar sei das Landgericht Düsseldorf für
diesen nach deutschem Recht zu entscheidenden Rechtsstreit international zuständig.
In der Sache bleibe die allein auf die beiden Letter of Comfort vom 06. und 07.09.1999
gestützte Klage indes ohne Erfolg. Die Klägerin sei aktivlegitimiert im Hinblick auf
Schadensersatzansprüche aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999, da diese
mit dem Forderungskaufvertrag vom 13.07.2006 wirksam an sie abgetreten worden
seien. Der Forderungskaufvertrag umfasse hingegen nicht Ansprüche aus dem Letter of
Comfort der Beklagten vom 07.09.1999; da etwaige Rechte der W... hieraus im Fall der
Kündigung der Ratenzahlungsvereinbarung bereits seinem Wortlaut nach gegenüber
der Beklagten nicht mehr geltend gemacht werden könnten, könne auch nicht
angenommen werden, dass die W... an die Klägerin mit § 1 Abs. 2 des
Forderungskaufvertrag etwaige Rechte aus dem Letter of Comfort der Beklagten vom
07.09.1999 an die Klägerin abgetreten habe. Die Klägerin könne die Beklagte auf
Schadensersatz für den im Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 erwähnten, von der
W... der M... GmbH für den Erwerb und die anschließende Stundung von Forderungen
der M… K… GmbH & Co. KG gegenüber der M... GmbH gewährten Kredit in Höhe von
2.553.010,38 DM in Anspruch nehmen, während die Klägerin nach eigenen Angaben
nicht Inhaberin eines Schadensersatzanspruchs im Hinblick auf den gleichfalls
gesicherten Avalkredit von 5.418.750,00 DM geworden sei und insoweit auch keinen
Schadensersatzanspruch geltend mache; entgegen der Auffassung der Klägerin erfasse
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der Letter of Comfort vom 06.09.1999 auch keine weiteren von der W... der M... GmbH
gewährten Kredite. Mit dem Letter of Comfort vom 06.09.1999 habe die V... mit
Rechtsbindungswillen gegenüber der W... eine harte Patronatserklärung abgegeben,
die neben dem vorerwähnten Kredit auch einen Avalkredit von 5.418.750,00 DM
abgesichert habe, der indes nicht Gegenstand des Forderungskaufs und damit der
Klageforderung sei. Die Klägerin könne die ihr hiernach zustehenden
Schadensersatzansprüche geltend machen, nachdem die W... die mit der Beklagten
geschlossene, keinen Erlass beinhaltende Ratenzahlungsvereinbarung vom
26.01.2001 am 17.07.2006 gekündigt habe. Die Schadensersatzansprüche seien auch
nicht verjährt, weil der Beklagten aus dem Ratenzahlungsvergleich mit der W... bis zu
dessen Kündigung am 17.07.2006 ein Leistungsverweigerungsrecht auch im Hinblick
auf Ansprüche aus der Patronatserklärung der V... zugestanden habe und daher gem. §
205 BGB (analog) der Lauf der am 01.01.2002 beginnenden 3-jährigen Verjährungsfrist
bis zum 17.07.2006 und erneut durch die am 01.02.2007 bei Gericht eingegangene
Klage gehemmt gewesen sei. Der Höhe nach beliefen sich die Ansprüche auf
2.553.010,38 DM nebst Zinsen, was dem mit der Klage geltend gemachten
Ausfallbetrag für den Kredit der W... zum Erwerb von Forderungen der M... K... GmbH &
Co. KG gegen die M... GmbH entspreche. Die Beklagte habe eine (teilweise) Erfüllung
dieser Ansprüche durch von der W... verwirklichte Sicherheiten nicht ausreichend
vorgetragen und unter Beweis gestellt, was ihr als Inhaber der Gesellschaftsanteile der
M... GmbH oblegen habe, zumal es ihr selbst möglich war, im hiesigen Rechtsstreit den
Bericht des Insolvenzverwalters über das Vermögen der M... GmbH vorzulegen. Dieser
an die Klägerin abgetretene Anspruch der W... sei indes durch die von der Beklagten
erklärte Hilfsaufrechnung mit einem ihr gegen die W... nach § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt.
BGB zustehenden Erstattungsanspruch erloschen, weil der rechtliche Grund für die von
der Beklagten auf den Ratenzahlungsvergleich an die W... erbrachten Zahlungen nach
wirksamer Kündigung dieses Vergleichs am 17.07.2006 weggefallen sei und die
Beklagte gem. § 406 BGB mit diesem Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin
aufrechnen könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
36
Der Beklagten stehe kein aufrechenbarer Anspruch zu. Die von der W...
ausgesprochene Kündigung der Ratenzahlungsvereinbarung habe nicht deren -
rückwirkende - Nichtigkeit zur Folge, sondern führe lediglich zu ihrer Beendigung für die
Zukunft; auf keinen Fall seien bereits gezahlte Beträge rückforderbar.
37
Entgegen der Ansicht des Landgerichts habe die W... nicht auf ihre Forderungen aus
dem Letter of Comfort der Beklagten vom 07.09.1999 verzichtet, auch nicht - implizit - in
der Ratenzahlungsvereinbarung.
38
V... habe mit ihrem Letter of Comfort vom 06.09.1999 nicht lediglich die neu
ausgereichten Darlehen der W... über 2.553.010,38 DM und 5.418.750 DM gesichert.
Der Wortlaut dieser Erklärung enthalte eine derartige Einschränkung nicht. Auch der
Letter of Comfort der Beklagten vom 07.09.1999 nehme mit keinem Wort auf die neu
ausgereichten Darlehen der W... Bezug, was zu erwarten gewesen wäre bei einer
Patronatserklärung, die nur zur Sicherung zweier Darlehen dienen sollte. Auf der
Grundlage des Auslegungsergebnisses des Landgerichts seien die beiden Letter of
Comfort inhaltsleer und überflüssig, da die nach Ansicht des Landgerichts hierdurch
allein abgesicherten beiden Kredite bereits durch die summenmässig begrenzten
Garantieerklärungen der Letters of Guarantee der Beklagten vom 29.06.1999 (Anl. K 18)
39
und vom 07.09.1999 (Anl. K 17) abgesichert gewesen seien. Zudem fehle auch im Letter
of Comfort der V... vom 06.09.1999 der in solchen Fällen übliche Zusatz wie etwa "bis
Zurückführung der oben genannten Darlehen" oder "zur Absicherung der oben
genannten Darlehen". Entgegen der Ansicht des Landgerichts fielen die - weder auf
eine bestimmte Darlehenssumme noch zeitlich auf eine bestimmte Laufzeit begrenzte -
Ausstattungsverpflichtung und der Schadensersatzanspruch nicht auseinander. Die
Beklagte sei verpflichtet gewesen, jeden zusätzlichen Finanzbedarf der M... GmbH, also
auch den Bedarf zur Rückführung der von der W... ausgereichten Darlehen zu decken.
Wäre die Beklagte dieser ihrer Verpflichtung nachgekommen, wären sämtliche Kredite
zurückgeführt worden.
Letztlich ergäbe sich kein anderes Ergebnis, wenn die Pflichten der Beklagten sich nur
auf die zuletzt ausgereichten Kredite bezogen. Denn dann wäre die Beklagte verpflichtet
gewesen, die M... GmbH so lange und so umfassend mit Finanzmitteln auszustatten,
dass diese die zuletzt gewährten Kredite zurückzahlen konnte. Da die M... GmbH aber
zunächst die älteren Kredite hätte zurückführen müssen, wäre es erst nach deren
Tilgung zu einer Rückführung der neu gewährten Kredite gekommen und hätte die
Pflicht der Beklagten zur Ausstattung erst nach Tilgung aller Kredite geendet.
40
Sie stütze ihren Anspruch auch auf den an sie abgetretenen Anspruch aus dem "Letter
of Guarantee" der Beklagten an W... und I... vom 29.06.1999 über 2.553.010,38 DM (Anl.
K 18) sowie hilfsweise auf die Garantie vom 7.9.1999 ("Letter of Guarantee" der
Beklagten an W... vom 07.09.1999 über 5.418.750,00 DM, Anl. K 17) für den Fall, dass
das Gericht sie entgegen der bisher von der Klägerin vertretenen Ansicht für wirksam an
sie abgetreten und auf Grund der Kündigung der Vereinbarung vom 26. Januar 2001 für
wiedererstarkt hält. Schließlich verfolge sie auch Restbeträge aus der
Ratenzahlungsvereinbarung von Januar 2001 (Anl. K 4).
41
Bei der M... GmbH habe "zusätzlicher Finanzierungsbedarf im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr" auch bereits vor Anmeldung der Insolvenz bestanden. Gemäß der
kurzfristigen Liquiditätsplanung Stand 02.03.2000 habe bereits zum damaligen
Zeitpunkt eine Liquiditätsunterdeckung von ca. 11,8 Millionen DM bestanden; zum
Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung habe die M... GmbH Schulden für laufende
Energielieferungen von ca. 3,5 Millionen DM gehabt; ein Energielieferant habe mit dem
sofortigen Entzug der Energielieferungen gedroht, woraufhin die M... GmbH eine
einstweilige Verfügung erwirkt habe; der mit der Gewährleistung der Sicherheit und der
Betriebsfeuerwehr beauftragte externe Dienstleister habe offene Forderungen in Höhe
von mehreren 100.000 DM gehabt und habe mit der Einstellung der Dienstleistungen
gedroht; Versicherungsprämien seien nicht bezahlt worden; in den letzten Tagen vor
Insolvenzantragstellung habe die M... GmbH aus ihren Beständen produziert, da sie
nicht mehr über Rohstoffe verfügt habe; für die Folgemonate habe sich eine monatliche
liquide Unterdeckung für den normalen Geschäftsgang in Höhe von einer Million DM
ergeben; seit September 2000 hätten Lohnrückstände aus dem laufenden Betrieb
bestanden; aus dem normalen Geschäftsgang hätten Lieferantenverbindlichkeiten in
Höhe von 11 Millionen DM bestanden; infolge der dauernden liquiden Unterdeckung sei
die M... GmbH bei Antragstellung zahlungsunfähig gewesen; die M... GmbH sei auf die
Stundungsbereitschaft der Kreditoren angewiesen gewesen; außergewöhnliche
Belastungen, die nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zuzuordnen wären, hätten
nicht vorgelegen.
42
Eine besondere schriftliche Aufforderung an die V... sei nicht erforderlich gewesen, da
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diese zu jeder Zeit in jeder Hinsicht über die Entwicklung bei der M... informiert gewesen
sei und bereits vor Insolvenzantragstellung Kenntnis davon gehabt habe, dass die M...
GmbH dringend finanzielle Mittel im gewöhnlichen Geschäftsverkehr benötigt.
Alle Geschäftsanteile an der M... GmbH seien von der Beklagten oder deren Treuhänder
gehalten worden. D…, seit dem 26.03.1998 bis zum 04.07.2000 Geschäftsführer der M...
GmbH, sei daneben leitendes Verwaltungsratsmitglied der V... und seit dem 31.12.1996
Vorstandsmitglied, Finanzdirektor, Organ und einzelvertretungsberechtigter
Geschäftsführer der Beklagten gewesen. Nach einer Gesellschafterliste vom 19.11.1999
habe V... einen Anteil am - 11 Mio. DM betragenden - Stammkapital der M... GmbH von
2.640 TDM und D... von 8.360 TDM gehalten. Da D... zugleich Organ der V... (und der
Beklagten) gewesen sei, sei sein Wissen der V... zuzurechnen. Es sei unerheblich, dass
D... kurz vor Stellung des Insolvenzantrags von seiner Stellung als Geschäftsführer
abberufen wurde, da die sich bereits zu diesem Zeitpunkt in erheblichen
Zahlungsschwierigkeiten befunden habe. Die sich aus der Patronatserklärung der V...
ergebende Einstandspflicht sei bereits eingetreten gewesen, als D... sein Amt als
Geschäftsführer der M... GmbH abgab, da bereits erheblicher "zusätzlicher
Finanzierungsbedarf" bestand. Ein späterer Wechsel in der Geschäftsführung habe
weder die Einstandspflicht der V... beziehungsweise der Beklagten noch deren Wissen
um diese Einstandspflicht wieder beseitigen können. Zudem seien der M... GmbH
regelmäßig die Kosten für "Umlage Geschäftsführung V..., Geschäftsbesorgung" in
Rechnung gestellt worden, d. h. dass die Geschäftsführer der M... GmbH nicht nur von
V... bestellt, sondern auch von ihr bezahlt und diese Kosten dann lediglich an die M...
GmbH weitergereicht worden seien. D... hätte die gesonderte Information an sich selbst
als einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer der V... adressieren müssen. Ob und
wann es zu einem Wechsel in der Geschäftsführung der M... GmbH kam, habe allein im
Belieben der V... beziehungsweise ihrer Muttergesellschaft, der Beklagten, gestanden.
Mit Gesellschafterbeschluss vom 06.11.2000 habe die Gesellschafterversammlung der
M... GmbH S... M... zum alleinigen Geschäftsführer bestimmt und ihm ausdrücklich den
Auftrag erteilt, Insolvenzantrag zu stellen. Zudem enthalte die Patronatserklärung der
V... - anders als diejenige der Beklagten - kein Erfordernis einer besonderen
schriftlichen Aufforderung.
44
Die Klägerin beantragt,
45
1. die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie
11.169.801,14 € zuzüglich errechnete Verzugszinsen ab dem 10.10.2006 in Höhe
von 2.155.839,48 € sowie zuzüglich Tageszinsen in Höhe von acht
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank p.a. ab
dem 17.07.2008 auf 11.169.801,14 € zu zahlen;
46
47
2. Die Beklagte zu verurteilen, sie von außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten
in Höhe von 45.644,80 € freizuhalten.
48
49
Die Beklagte beantragt,
50
die Berufung zurückzuweisen.
51
Im Wege der Anschlussberufung beantragt sie,
52
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage auf die Anschlussberufung
in vollem Umfang abzuweisen mit der Maßgabe, dass festgestellt werden soll, dass
die Forderung der Beklagten durch die vom Landgericht vorgenommene
Aufrechnung nicht erloschen ist.
53
Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es für sie günstige Feststellungen enthält.
Sie ist der Ansicht, Ansprüche aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 seien
nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden. Die Abtretung eines Anspruches
eines Kreditinstituts aus einem Darlehensvertrag und der entsprechenden Sicherheiten
an einen nicht dem Bankgeheimnis unterliegenden Dritten wie die Klägerin sei gem. §
399 1. Alt. BGB unwirksam. Ansprüche aus einer externen, nicht dem patronierten
Unternehmen, sondern einem Dritten gegenüber abgegebenen Patronatserklärung
könnten isoliert nicht ohne Änderung des Schuldverhältnisses abgetreten werden. Der
Inhalt des Schuldverhältnisses würde bei isolierter Abtretung nur der Ansprüche aus der
Patronatserklärung ohne gleichzeitige Abtretung der gesicherten Hauptforderung
verändert. Wäre der Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 als harte
Patronatserklärung auszulegen, würde es sich um einen unechten Vertrag zu Gunsten
Dritter handeln; Ansprüche hieraus könnten wirksam nur an den begünstigten Dritten
selber abgetreten werden. Schließlich ergebe sich ein Abtretungsverbot gem. § 399 1.
Alt. BGB mit Rücksicht auf die Natur des Schuldverhältnisses aus der engen
wirtschaftlichen und geschäftlichen Beziehung zwischen der Beklagten und der W....
Die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der W... und der Beklagten beruhten auf
deren langjährigem, gemeinsamen Engagement für die M... GmbH. Forderungen aus
dieser wirtschaftlich engen Beziehungen könnten nicht an die Klägerin abgetreten
werden, ohne dass sich der Charakter der Forderungen ändert.
54
Selbst wenn man den Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 als harte
Patronatserklärung ansehen wollte, ergäbe sich kein anderes Ergebnis.
Anspruchsvoraussetzung wäre, dass etwaiger den bereits gewährten Krediten
übersteigender zusätzlicher Finanzierungsbedarf der M... GmbH im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr bestand; es fehle Vortrag der Klägerin dazu, dass dies bei den
insoweit allein in Betracht kommenden Ansprüchen der W... gegenüber der M... GmbH
aus der Stundungsvereinbarung der Fall war, die erst durch Kündigung nach
Insolvenzantragstellung fällig geworden seien.
55
Die in dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 verwandte Formulierung,
zusätzlichen Finanzierungsbedarf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu decken, sei so
offen und unbestimmt, dass ihr kein Rechtsbindungswille innewohne; es fehle an einer
bestimmten Zusage, die aber das charakteristische Element der harten
Patronatserklärung sei; auch die übrigen in diesem Schreiben abgegebenen
Erklärungen seien typischerweise Bestandteil einer weichen Patronatserklärung. Gegen
das Vorliegen einer harten Patronatserklärung spreche auch das Fehlen eines bei einer
56
harten Patronatserklärung in den jeweiligen Jahresabschlüssen der V... bzw. nach
Verschmelzung auf die Beklagte in deren Jahresabschlüssen aufzunehmenden
Bilanzvermerks. Die W... habe zu keinem Zeitpunkt auf einer Aufnahme eines
Bilanzvermerks bestanden, obgleich die W... die Bilanzen der V... bzw. der Beklagten
regelmäßig erhalten habe.
Auch die Vereinbarung vom 18.06./02.07.1999 (Finanzierungszusage der W...
gegenüber der M... GmbH, Anl. K 14) zeige, dass die W... selbst nicht von einer harten
Patronatserklärung ausgegangen ist. Denn in dieser Vereinbarung sei der Letter of
Comfort der V... vom 06.09.1999 weder als Sicherheit für den Avalkredit über
5.418.750,00 DM noch für die gestundete Forderung in Höhe von 2.553.010,38 DM,
sondern in Ziff. VII nur als Voraussetzung für Stundung und Ausstellungen der Garantie
durch die W... bezeichnet worden. Dass auch nach dem Willen der W... der in Ziff. VII
vorgesehen Zusage der V..., zusätzlichen Finanzbedarf der M... GmbH zu decken, keine
rechtliche Bindungswirkung zukommen sollte, zeige sich auch daran, dass die W... die
Vorlage einer Legal Opinion unter Ziff. VIII nur als Voraussetzung für die in den Punkten
IV bis VI genannten Vereinbarungen verlangte. Aus der Rechtswahl- und
Gerichtsstandsklausel des Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 ergebe sich nichts
anderes, da Wortlaut und Auslegung der Erklärung selbst entscheidend seien
57
Wäre der Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 als harte Patronatserklärungen mit
unbeschränkter Ausstattungsverpflichtung auszulegen, so wäre eine so weit reichende
Verpflichtung gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig. Typischerweise werde
nämlich eine harte Patronatserklärungen auf bestimmte Forderungen bzw. eine
bestimmte Ausstattungsverpflichtung beschränkt und gelte nicht für den gesamten
Finanzbedarf des patronierten Unternehmens. Eine so weitreichende Verpflichtung
wurde zudem eine übermäßige Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit der V...
bedeuten.
58
Eine aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 folgende Verpflichtung könnte
sich lediglich auf Forderungsausfälle bezüglich des Avalkredits von 5.418.750,00 DM,
die indes von der Klägerin nicht geltend gemacht würden, sowie aus der Stundung der
aufgekauften Forderungen von 2.460.732,90 DM beziehen. Letztere seien, was das
Landgericht verkannt habe, ebenfalls nicht substanziiert dargetan. Die von der Klägerin
in Bezug genommene Vereinbarung vom 18.06./02.07.1999 (Finanzierungszusage der
W... gegenüber M... GmbH) sei lediglich eine vertragsvorbereitende Absichtserklärung
und sehe unter Ziff. 2 eine genaue Spezifizierung dieser Forderungen im Rahmen der
abzuschließenden Stundungsvereinbarung vor; in der Ratenzahlungsvereinbarung sei
daher die geschlossene Stundungsvereinbarung auch konkret benannt mit dem Datum
02.08.1999/18.08.1999 und Ergänzungsvereinbarung vom 25.10.1999/05.11.1999;
hierzu habe die Klägerin indes weder vorgetragen noch diese Vereinbarungen
vorgelegt.
59
Auch auf der Grundlage der abweichenden Rechtsansicht des Landgerichts habe die
Beklagte ihre Ausstattungsverpflichtung nicht verletzt. Bei einer harten
Patronatserklärung verpflichte sich der Patron, die Tochter in dem Moment, in dem sie
Pflichten aus dem Verhältnis mit dem Erklärungsempfänger zu erfüllen hat, finanziell so
auszustatten, dass die Tochter ihre jeweiligen Pflichten erfüllen kann. Dies umfasse
eine Pflicht zur Liquiditätsausstattung nur, um Ansprüche bestimmter anderer Gläubiger
zu befriedigen. Dementsprechend sei für die Frage, ob durch die Insolvenz der
Tochtergesellschaft eine Schadensersatzpflicht des Patrons gegenüber dem Gläubiger
60
ausgelöst wird, darauf abzustellen, ob der Patron einer konkreten Ausstattungspflicht
nicht nachgekommen war, die nun auch durch die Insolvenz nicht mehr zu erfüllen ist.
Fehlerhaft sei die Annahme, dass sich an der Insolvenz der Tochter zeige, dass der
Patron seiner Ausstattungsverpflichtung nicht nachgekommen sei. Von den Ansprüchen
der W... für die übernommenen Forderungen von 2.553.010,38 DM sei eine erste Rate
erst am 31.12.2000 fällig gewesen.
Zudem habe eine etwaige Ausstattungsverpflichtung nur die Deckung des
Finanzbedarfs im gewöhnlichen Geschäftsverkehr umfassen sollen, so dass auch eine
Schadensersatzverpflichtung der Beklagten nur so weit reichen könnte. Der
Finanzierungsbedarf sei vorliegend erst entstanden, als der Insolvenzantrag bereits
gestellt war, nämlich durch Fälligkeit des Darlehens auf Grund dessen Kündigung durch
die W.... Ein Finanzierungsbedarf durch Kündigung eines Darlehens nach bereits
gestelltem Insolvenzantrag ergebe sich nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.
61
Zudem fehle es an einer ausreichenden Darlegung der Kündigung der
Stundungsvereinbarung; auch in dem Ratenzahlungsvergleich sei ein
Kündigungsdatum nicht aufgeführt.
62
Schließlich seien etwaige Ansprüche aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999
auch verjährt. Die Verjährung etwaiger Ansprüche sei nicht durch die
Ratenzahlungsvereinbarung analog § 205 BGB gehemmt gewesen, da ein Vergleich
die Verjährung nicht hemmen, sondern eine endgültige Regelung schaffen soll und
nach Kündigung der Ratenzahlungsvereinbarung lediglich Ansprüche aus den Letters
of Guarantee wieder aufleben sollten. Die Erhebung der Einrede der Verjährung sei
auch nicht treuwidrig.
63
Der Beklagten stehe wegen der auf die Ratenzahlungsvereinbarung geleisteten
Zahlungen von 3.046.811,09 € eine Gegenforderung gegen die W... aus
ungerechtfertigter Bereicherung in dieser Höhe zu, da mit Kündigung dieser
Vereinbarung der Rechtsgrund für diese Zahlungen weggefallen sei. Auch bei
vorzeitiger Beendigung von Dauerschuldverhältnissen durch eine Kündigung seien
nicht verbrauchte Vorausleistungen zurückzuerstatten. Die auf Grund der
Ratenzahlungsvereinbarung erbrachten Leistungen seien erst mit Erfüllung der
Ratenzahlungsvereinbarung verbraucht. Zudem sei die Ratenzahlungsvereinbarung
auch kein Dauerschuldverhältnis. Mit dieser Rückerstattungsforderung werde höchst
hilfsweise die Aufrechnung gegen die Gesamtklageforderung erklärt.
64
Aus der Insolvenzakte ergebe sich nicht, dass bei der M... GmbH ein zusätzlicher
Finanzierungsbedarf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestand
;
des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 27.11.2000 werde nicht erwähnt, dass für den
"laufenden Betrieb" Instandhaltungsmaßnahmen und Material benötigt würden; die in
dem Gutachten des Insolvenzverwalters bezeichnete liquide Unterdeckung von 1 Mio.
DM beziehe sich entgegen der Behauptung der Klägerin nicht auf den normalen
Geschäftsgang, sondern erst auf die Folgemonate ab Erstellung des Gutachtens durch
den Insolvenzverwalter, also die Zeit der Insolvenz der M... GmbH und somit gerade
nicht auf den gewöhnlichen Geschäftsverkehr; Blatt 9 der Insolvenzakte enthalte keinen
Hinweis auf Lohnrückstände; in dem Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters
vom 27.11.2000 werde nicht erwähnt, dass aus dem normalen Geschäftsgang
Lieferantenverbindlichkeiten bestanden; soweit der Insolvenzverwalter in seinem
Bericht vom 12.02.2001 ausführt, dass die M... zum 31.12.1995 ein Eigenkapital in Höhe
65
von 25 Millionen DM auswies, seien bereits zuvor Verluste erwirtschaftet worden und
nur noch ein gewisses Eigenkapital vorhanden gewesen; die Beklagte
beziehungsweise die V... hätten nach Übernahme der Anteile an der M... GmbH durch
schrittweise Kapitalerhöhungen von insgesamt 10 Millionen DM der M... GmbH in
erheblichem Maße Kapital zugeführt.
Die M... GmbH habe die V... nicht über einen eventuellen Finanzierungsbedarf im
gewöhnlichen Geschäftsverkehr informiert. Eine etwaige Kenntnis D...s sei ihr nicht
zuzurechnen. Es werde bestritten, dass D... im Jahr 1999 neben seiner Stellung als
Geschäftsführer der M... GmbH Verwaltungsratsmitglied der V... war; es fehle jeglicher
Vortrag der Klägerin sowohl zur rechtlichen Stellung eines Verwaltungsratsmitglied zu
einer spanischen S.L. als auch dazu, ob und wie der V... nach dem insoweit
anwendbaren spanischen Recht Wissen ihrer Verwaltungsratsmitglieder zugerechnet
werden kann; unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrages (08.11.2000) seien
Gesellschafter der M... GmbH nicht mehr V... und D..., sondern V... zu 24% und A... C...
T... mit einem Anteil in Höhe von 76 % gewesen.
66
Zudem habe eine etwaige Ausstattungsverpflichtung nur die Deckung des
Finanzbedarfs im gewöhnlichen Geschäftsverkehr umfassen sollen, so dass auch eine
Schadensersatzverpflichtung der Beklagten nur so weit reichen könnte. Der
Finanzierungsbedarf sei vorliegend erst entstanden, als der Insolvenzantrag bereits
gestellt war, nämlich durch Fälligkeit des Darlehens auf Grund dessen Kündigung durch
die W.... Ein Finanzierungsbedarf durch Kündigung eines Darlehens nach bereits
gestelltem Insolvenzantrag ergebe sich nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.
67
Die Behauptung der Klägerin, V... habe nach und nach ihre Anteile an Treuhänder
weitergegeben, da sie und die Beklagte beschlossen hätten, sich aus der
Viskoseproduktion zurückzuziehen, sei nicht zutreffend.
68
Mit ihrer am Tag des Ablaufs der verlängerten Berufungserwiderungsfrist
eingegangenen Anschlussberufung begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage "in
vollem Umfang", ohne dass über die von ihr zur Hilfsaufrechnung gestellte Forderung
entschieden werden muss.
69
Die Aktivlegitimation der Klägerin scheitere auch daran, dass gemäß § 3 Abs. 1 des
Forderungskaufvertrages die Abtretung mit Wirkung zum und aufschiebend bedingt auf
den Zeitpunkt des vollständigen Einganges des Kaufpreises bei der W... vorgenommen
wurde, die Klägerin den Bedingungseintritt aber nicht vorgetragen habe und sie, die
Beklagte, diesen bestreite.
70
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der
wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Urkunden und
Schriftstücke verwiesen.
71
Der Senat hat den Parteien durch Beschlüsse vom 19. Januar 2010 (Bl. 527 ff. GA) und
vom 26. März 2010 (Bl. 616 f. GA) Hinweise erteilt.
72
II.
73
Die zulässige Berufung der Klägerin hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg,
während die zulässige Anschlussberufung der Beklagten unbegründet ist.
74
1. Teil
75
76
Soweit das Landgericht seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, kann auf die
entsprechenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen werden,
die von keiner Seite angegriffen werden. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen
nach eigener rechtlicher Prüfung an.
77
Ebenso wendet sich die Berufung nicht gegen die Annahme des Landgerichts, wonach
die Parteien wirksam die Anwendbarkeit des deutschen Rechtes vereinbart haben;
zudem tragen beide Parteien die Rechtslage auch in zweiter Instanz selbst nach
deutschem Recht vor, Art. 27 Abs. 2 EGBGB.
78
2. Teil: Berufung der Klägerin
79
80
A.
81
Der Klägerin steht unter Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung der Beklagten gegen
diese ein Schadensersatzanspruch von 10.978.346,13 € (9.629.816,99 € zuzüglich
errechnete Verzugszinsen ab dem 10.10.2006 in Höhe von 1.348.529,14 €) aus § 398
BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB a. F. aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999
(Anl. K 2, Bl. 16 GA) zu.
82
I.
83
Anwendbar ist das bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001
geltenden Fassung, Artikel 229 § 5 S. 1 und 2 EGBGB).
84
II.
85
Zu Recht hat das Landgericht die Aktivlegitimation der Klägerin im Hinblick auf
Schadensersatzansprüche aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 bejaht, da
diese mit dem Forderungskaufvertrag vom 13.07.2006 wirksam an die Klägerin
abgetreten worden sind.
86
1.
87
Die W... und die Klägerin haben sich in dem Forderungskaufvertrag darauf geeinigt, der
W... aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 zustehende Zahlungsansprüche
auf die Klägerin zu übertragen und diese Übertragung zu vollziehen. Der der W... aus
88
dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 zustehende Anspruch war seit der
Insolvenz der M... GmbH Ende 2000 nicht mehr auf Erfüllung, sondern auf
Schadensersatz gerichtet. Diesen Anspruch wollten die den Forderungskaufvertrag im
Jahr 2006 schließenden Parteien ersichtlich auf die Klägerin übertragen.
2.
89
Diese Abtretung war wirksam.
90
a)
91
Die Abtretung war nicht gem. § 399 Alt. 2 BGB ausgeschlossen, weil eine hierfür
erforderliche "Vereinbarung mit dem Schuldner" nicht vorliegt.
92
b)
93
Die Abtretung verstößt auch nicht gegen ein gesetzliches Abtretungsverbot gem. § 134
BGB. Der Abtretung selbst von Darlehensforderungen eines Kreditinstituts stehen weder
das Bankgeheimnis noch das Bundesdatenschutzgesetz entgegen (BGH, Urteil vom 27.
2. 2007 - XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106). Hier wurde zudem keine Forderung der W...
aus einem Kreditvertrag abgetreten, wo das Bankgeheimnis u.U. eine erhebliche Rolle
spielen kann, sondern ein der Beklagten gegenüber bestehender
Schadensersatzanspruch aus einer außerhalb eines Kreditvertrags abgeschlossenen
Vereinbarung. Unstreitig ist die Beklagte nicht Kundin der W... und war dies - jedenfalls
bezüglich der in Rede stehenden Forderungen - auch nie.
94
c)
95
Es kann dahin stehen, ob der Ansicht der Beklagten zu folgen ist, wonach Ansprüche
aus einer externen, nicht dem patronierten Unternehmen, sondern einem Dritten
gegenüber abgegebenen Patronatserklärung isoliert - ohne gleichzeitige Abtretung der
gesicherten Hauptforderung - nicht ohne Änderung des Schuldverhältnisses abgetreten
werden können. Denn mit dem Forderungskaufvertrag wurden nicht nur Ansprüche aus
dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999, sondern auch die der Patronatserklärung
zu Grunde liegenden Hauptforderungen mit übertragen (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 1 Abs. 1 des
Forderungskaufvertrages). Zudem ist zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Abtretung
der aus dem Letter of Comfort vom 06.09.1999 eventuell sich ergebende Anspruch der
M... GmbH auf Ausstattung sich durch deren Insolvenz bereits in einen
Schadensersatzanspruch umgewandelt hatte, so dass allein dessen Abtretung in Rede
stand.
96
d)
97
Die Abtretung ist auch nicht gem. §§ 399 Alt. 1, 242 BGB ausgeschlossen.
98
Eine angebliche enge wirtschaftliche und geschäftliche Beziehung zwischen der
Beklagten und der W... vermag nicht zu einem Abtretungsverbot nach § 399 BGB führen,
weil der Anspruch durch die Abtretung keine Inhaltsänderung erfährt. Zudem hat die
Beklagte, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat, eine langjährige, enge
Geschäftsbeziehung zwischen der W... und der Beklagten nicht dargetan. Mangels
anderer Darlegungen muss der Senat davon ausgehen, dass sich die
99
Geschäftsbeziehung zwischen der W... und der Beklagten darauf beschränkte, dass die
W... als Hausbank der M... GmbH von der Beklagten Sicherheiten verlangte. Nicht
ersichtlich ist unter diesen Umständen, welche "komplexen Beziehungen" zwischen der
W... und deren Tochtergesellschaften zu der M... GmbH als auch zu der Beklagten und
der V... es der Beklagten unzumutbar machen, von dritter Seite mit einem
Zahlungsanspruch konfrontiert zu werden, und welches schutzwürdige Interesse die
Beklagte daran haben kann, sich in dieser Angelegenheit nur mit der W... auf der
Grundlage der getroffenen Vereinbarungen auseinander setzen zu müssen; etwaige
Einreden oder Einwendungen kann die Beklagte nach § 404 BGB auch gegenüber der
Klägerin geltend machen.
e)
100
Die Aktivlegitimation der Klägerin scheitert auch nicht daran, dass gemäß § 3 Abs. 1 des
Forderungskaufvertrages die Abtretung mit Wirkung zum und aufschiebend bedingt auf
den Zeitpunkt des vollständigen Einganges des Kaufpreises bei der W... vorgenommen
wurde. Durch die von der Klägerin erstinstanzlich zur Akte gereichten Unterlagen,
insbesondere die Anlagen K1 und K5, sowie den unstreitigen Sachverhalt hat die
Klägerin erstinstanzlich konkludent den Eintritt der vorgenannten Bedingung
vorgetragen; soweit die Beklagte den Bedingungseintritt erstmalig in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat am 26. November 2010 sowie im Schriftsatz vom 6.
Dezember 2010 in Abrede stellt, ist sie hiermit ausgeschlossen.
101
Gemäß § 2 Abs. 2 des Forderungskaufvertrages war der Kaufpreis von 1,9 Mio. € am 14.
Juli 2006 zur Zahlung bei der W... fällig. Ausweislich der Anlage K5 (Blatt 25 GA) hat die
W... unter dem 17. Juli 2006 gegenüber den in der Ratenzahlungsvereinbarung auf
Seite 3 (Blatt 24 GA) genannten Zustellungsbevollmächtigten der Beklagten den
Ratenzahlungsvertrag gekündigt und darauf hingewiesen, dass die W... "mit Wirkung
vom 14.07.2006" ihrer Forderungen gegen die Beklagte und gegen die V... an die
Klägerin verkauft hat. Zeigt der Verkäufer dem Schuldner drei Tage nach dem mit dem
Käufer vereinbarten Datum der Kaufpreiszahlung den Verkauf mit Wirkung vom Tag der
vereinbarten Kaufpreiszahlung an, liegt es mehr als nahe, dass der Kaufpreis - wie
vereinbart - bei ihm eingegangen ist, weil er anderenfalls das Risiko läuft, Zahlungen
des Schuldners an den Zedenten gegen sich gelten lassen zu müssen (§ 409 BGB).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die W... offenbar nicht von ihrem für den Fall der
unterbliebenen beziehungsweise nicht rechtzeitigen Zahlung des Kaufpreises
vorgesehenen Rücktrittsrecht vom Forderungskaufvertrag Gebrauch gemacht, weil sie
den Rücktritt nahezu zwingend auch der Beklagten als Schuldnerin angezeigt hätte,
diese dies aber im vorliegenden Rechtsstreit nicht vorgetragen hat; ebenso wenig
behauptet die Beklagte, dass sie von der W... auf Zahlung in Anspruch genommen wird..
Hiernach spricht sowohl die Urkundenlage wie auch der unstreitige Sachverhalt
eindeutig für den Eintritt der Bedingung des vollständigen und rechtzeitigen Einganges
des Kaufpreises auf das in § 2 Abs. 2 des Forderungskaufvertrages genannte Konto;
näherer Vortrag der Klägerin hierzu war unter diesen Umständen erst nach
entsprechendem Bestreiten der Beklagten notwendig. Unter diesen Umständen ist die
Beklagte mit ihrem zweitinstanzlich neuen Bestreiten mangels Darlegung
beziehungsweise Vorliegens eines der Zulassungsgründe nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht
zu berücksichtigen.
102
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte entgegen der Darstellung auf
Seite 3 ihres Schriftsatzes vom 6. Dezember 2010 (Blatt 774 GA) auch in der
103
vorgerichtlichen Korrespondenz, soweit zur Akte gereicht, den Eintritt der Bedingung zu
keinem Zeitpunkt angezweifelt hat, auch nicht in dem von der Klägerin als Anlage K 9
zur Akte gereichten Schreiben der damaligen Bevollmächtigten der Beklagten vom 23.
November 2006 auf Seite 2.
III.
104
Unstreitig hat die Beklagte für die von der V... am 06.09.1999 gegenüber der W...
abgegebene Erklärung einzustehen, nachdem die V... 2001 auf die Beklagte
verschmolzen wurde.
105
IV.
106
V... hat sich schadensersatzpflichtig gemacht, weil sie die ihr nach dem wirksamen
Letter of Comfort vom 06.09.1999 obliegenden Verpflichtungen schuldhaft nicht erfüllt
hat.
107
1.
108
Bei dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 handelt es sich um eine harte
Patronatserklärung.
109
Welchen Inhalt der Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 hat, ist durch Auslegung
(§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung einer
Willenserklärung der wirklich erklärte und nicht der innere Wille einer Partei zu
erforschen. Zunächst ist auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen. Bei mehrdeutigen
Formulierungen, die entsprechend den jeweiligen Interessen der Vertragsparteien
verschieden interpretiert werden können, muss neben dem Wortlaut auch die
Interessenlage und die - erkennbare - Willensrichtung beider Parteien mit berücksichtigt
werden, wobei auch die Vorgeschichte mit einzubeziehen ist.
110
Weder die Beklagte noch die Klägerin tragen auch nur ansatzweise etwas dazu vor,
was die die beiden Letter of Comfort abschließenden Parteien hierbei bzw. im Vorfeld -
etwa im Rahmen der zum Letter of Intent führenden Verhandlungen - besprochen
haben, welche Vorstellungen sie hatten, was sie hierbei kommuniziert haben, welche
Verhandlungspositionen gegenüber gestellt wurden usw..
111
Insoweit ist der Senat bei der Ermittlung des von der W..., der Beklagten und der V...
Gewollten im Wesentlichen auf den Wortlaut der vorgenannten Erklärungen und der
übrigen zur Akte gereichten Schriftstücke angewiesen und kann die Interessenlage der
vertragschließenden Parteien auch nur insoweit berücksichtigen, als die hiesigen
Parteien hierzu vortragen bzw. hierfür sonstwie etwas ersichtlich ist.
112
a)
113
In erster Linie werden unter Patronatserklärungen Erklärungen verstanden, in denen
eine Muttergesellschaft zugunsten des Kreditgebers eines beherrschten Konzern- oder
Beteiligungsunternehmens ein bestimmtes Verhalten in Aussicht stellt oder zusagt.
Werden Maßnahmen oder Unterlassungen versprochen, die die Kreditwürdigkeit der
patronierten Unternehmung fördern oder erhalten, so werden unmittelbare rechtliche
Verpflichtungen begründet (vgl. Allstadt-Schmitz in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn,
114
HGB, 2. Aufl., Anhang IV Rn 663 f.).
So liegt der Fall bei dem von der V... direkt gegenüber der W..., dem Kreditgeber der M...
GmbH, abgegeben Letter of Comfort.
115
Dem Letter of Comfort gingen Verhandlungen betreffend die Lösung der bei der M...
GmbH bestehenden Finanzierungsprobleme voraus. Ausweislich des Letter of Intent
vom 27.04.1999 (Anl. K 16) bestanden bei der M... GmbH 1999 Finanzierungsprobleme;
die den Letter on Intent unterzeichnenden Parteien, darunter die W..., die M... GmbH, die
V... sowie die Beklagte, bezifferten den Finanzbedarf der M... GmbH für die
Finanzierung ihrer Investitionen und zur Deckung ihres Betriebsmittelbedarfs im Jahr
1999 unter Berücksichtigung nachrangiger Darlehen der Beklagten von insgesamt 3,1
Mio. DM auf 28,5 Mio. DM.
116
Die W... machte das Treffen der notwendigen Vereinbarungen (also u.a. die
Kreditgewährung) gemäß dem Letter of Intent u. a. davon abhängig, dass die Beklagte
und die M... GmbH die dort genannten "Sicherheiten" und "Zusagen" geleistet bzw.
vorgelegt haben; hierzu gehörte u.a. die Bereitschaft der Beklagten, sich dazu zu
verpflichten, "to cover additional financing needs of M... GmbH in the ordinary course of
business with further subordinated loans to M..." (bzw. in der von der Klägerin
vorgelegten deutschen Übersetzung: "zusätzlichen Finanzierungsbedarf der M... GmbH
im gewöhnlichen Geschäftsverkehr durch weitere nachrangige Darlehen gegenüber der
M... zu decken"). Sollte die W... aus zeitlichen Gründen die in dem Letter of Intent
vorgesehene Garantie zu Gunsten von italienischen Banken vor Erstellung eines
Sanierungsgutachtens geben müssen (wie es später dann tatsächlich der Fall war), sah
Ziff. 6 des Letter of Intent unter IV. vor: "Commitment (der Beklagten) "to cover additional
financing needs of M... GmbH in the ordinary course of business that exceed the a.m.
subordinated loans" (bzw. in der von der Klägerin vorgelegten deutschen Übersetzung:
"Zusage (der Beklagten) zur Deckung etwaigen zusätzlichen Finanzierungsbedarf der
M... GmbH im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, der über die oben genannten
nachrangigen Darlehen hinausgeht").
117
Eine derartige Erklärung hat - auch - die Tochtergesellschaft der Beklagten, die V..., mit
ihrem Letter of Comfort vom 06.09.1999 gegenüber der W... abgegeben. Der
Rechtsbindungswille der V... wird noch dadurch unterstrichen, dass auch diese zugleich
eine Gerichtsstandsvereinbarung und eine Rechtswahl vereinbarte; denn eine
unverbindliche, "weiche" Patronatserklärung würde als lediglich moralische, gerichtlich
nicht durchsetzbare Bindung solcher Bestimmungen gerade nicht bedürfen (vgl. KG
Berlin, Urt. vom 18.01.2002 - 14 U 3416/00, juris).
118
Auch in der Finanzierungszusage der W... gegenüber der M... GmbH (Anl. K 14) ist auf
Seite 3 oben die Verpflichtung der V... zur Deckung des zusätzlichen Finanzbedarfs der
M... GmbH ausdrücklich als "Voraussetzung" für das Ausstellen der von der W...
abzugebenden Garantie und für die Stundung der Forderung vorgesehen.
119
Der Rechtsbindungswille fehlte auch nicht deswegen, weil es an einer bestimmten
Zusage (d. h. an einen bestimmten Betrag, der durch die Patronatserklärung abgesichert
werden soll) fehlte. Auf diesen Gesichtspunkt wird im Rahmen der Auslegung
zurückzukommen sein, welche Pflichten der Beklagten und der V... auf Grund der
Patronatserklärungen oblagen, und welche Ansprüche die Klägerin wegen einer
vermeintlichen Verletzung dieser Pflichten geltend machen kann.
120
Der Charakter der Patronatserklärung als rechtsverbindliche Vereinbarung von
Verpflichtungen zum Zwecke der Kreditsicherung wird betont und klargestellt durch
einen ausdrücklichen Hinweis, dass die Verpflichtungen als Sicherheit übernommen
werden (vgl. Wittig WM 2003, 1981, 1983). Hier wurde der Letter of Comfort der
Beklagten vom 07.09.1999 in der Ratenzahlungsvereinbarung ausdrücklich als
"Sicherheit" bezeichnet.
121
Das Fehlen eines entsprechenden Vermerks in den Bilanzen der Beklagten steht der
angesichts der vorgenannten eindeutigen Umstände gebotenen Auslegung der Letters
of Comfort als harte Patronatserklärungen nicht entgegen. Die Beklagte kann sich ihrer
zivilrechtlichen Haftung aus der abgegebenen Erklärung nicht durch Unterlassen des
Bilanzvermerks entziehen (vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO, § 98 Rn. 46;
Staudinger/Horn, BGB, Bearb. 1997, vor § 765 Rn. 408).
122
b)
123
Aufgrund der von der V... am 06.09.1999 abgegebenen harten Patronatserklärung ist
zwischen der V... und der W... ein einseitig verpflichtender Vertrag zustande gekommen,
wobei die W... das in dieser Erklärung liegende, ihr gegenüber abgegebene Angebot
zum Abschluss eines entsprechenden Vertrages konkludent durch die Gewährung und
anschließende Auszahlung der fraglichen Kredite angenommen hat. Eine ausdrückliche
Annahmeerklärung der W... gegenüber der Beklagten war hierbei nach allgemeiner
Meinung gemäß § 151 Satz 1 BGB entbehrlich (vgl. KG, aaO; Wittig, WM 2003, 1981,
1987, jeweils m.w.N.).
124
c)
125
Die Patronatserklärung war auch wirksam.
126
Obgleich der Letter of Comfort als harte Patronatserklärung mit unbeschränkter
Ausstattungsverpflichtung auszulegen ist (siehe unten), ist er keinesfalls gem. § 138
Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig. Es mag zwar sein, dass "typischerweise" harte
Patronatserklärungen auf bestimmte Forderungen bzw. eine bestimmte
Ausstattungsverpflichtung beschränkt werden und nicht für den gesamten Finanzbedarf
des patronierten Unternehmens gelten. Da die Beklagte im gleichen Segment wie die
M... GmbH tätig ist bzw. jedenfalls bis Ende 2000 war, sie unstreitig über eine eigene
Rechtsabteilung verfügt und sich in erheblichem Maße im Wirtschaftsleben betätigt
(2006 erzielte sie einen Umsatz von 672.408.000 €), war sie kein geschäftlich
unerfahrener Patron, dem eine im Vergleich mit der Bürgschaft unbekannte
Patronatserklärung als vermeintlich ungefährlicheres Sicherungsmittel untergeschoben
wurde; gleiches gilt für ihre Tochter VoscoSeda, zumal die Beklagte diese gegründet
hat, damit sie nach eigener Darstellung der Beklagten als Gesellschafterin der M... für
die Beklagte Steuerungs- und Kontrollfunktionen wahrnimmt (siehe näher unten).
Ebenso wenig wurde die Beklagte bzw. deren Tochter über die damit für sie
verbundenen Haftungsrisiken im Unklaren gelassen noch bedeutete die eingegangene
Verpflichtung eine übermäßige Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Freiheit.
127
Auch eine Besicherung sämtlicher Ansprüche aus einer bankmäßigen
Geschäftsverbindung ist hinreichend bestimmt (vgl. Wittig WM 2003, 1981, 1984).
128
2.
129
V... verpflichtetet sich in ihrem Letter of Comfort vom 06.09.1999 dazu, etwaigen
zusätzlichen Finanzierungsbedarf der M... GmbH im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu
decken.
130
Bei der M... GmbH bestand, bevor sie am 08.11.2000 Insolvenz anmeldete, derartiger
zusätzlicher Finanzierungsbedarf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.
131
Gemäß der kurzfristigen Liquiditätsplanung Stand 02.03.2000 bestand zum damaligen
Zeitpunkt eine Liquiditätsunterdeckung von ca. 11,8 Millionen DM. Dies hat die Beklagte
konkret nicht bestritten. Soweit sie auf Seite 9 ihres Schriftsatzes vom 29. Juli 2010 "Im
Übrigen" den Vortrag der Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, ist dies unwirksam. Die
Klägerin hat für ihre vorgenannte Behauptung Bezug genommen auf Blatt 44 der
Insolvenzakte; hierbei handelt es sich um Seite 5 des Gutachtens des vorläufigen
Insolvenzverwalters von 27. November 2000, welches der Beklagten vorliegt, was sich
aus der von ihr zur Akte gereichten Anl. B 3 ergibt (Bl. 124 ff. GA). Ist der Beklagten aber
dieses Gutachten bekannt, kann sie nicht den Vortrag der Klägerin schlicht mit
Nichtwissen bestreiten; die Beklagte bestreitet nicht, dass sich aus Blatt 44 der
Insolvenzakte die von der Klägerin in Bezug genommene Feststellung des vorläufigen
Insolvenzverwalters ergibt.
132
Zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung hatte die M... GmbH Schulden für laufende
Energielieferungen von ca. 3,5 Millionen DM; ein Energielieferant drohte mit dem
sofortigen Entzug der Energielieferungen, woraufhin die M... GmbH eine einstweilige
Verfügung erwirkte; der mit der Gewährleistung der Sicherheit und der
Betriebsfeuerwehr beauftragte externe Dienstleister hatte offene Forderungen in Höhe
von mehreren 100.000 DM und drohte mit der Einstellung der Dienstleistungen;
Versicherungsprämien wurden nicht bezahlt. Da die Klägerin auch insoweit wieder
Bezug genommen hat auf das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters, ist das
pauschale Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen wiederum unzureichend.
133
In den letzten Tagen vor Insolvenzantragstellung produzierte die M... GmbH aus ihren
Beständen, da sie nicht mehr über Rohstoffe verfügte, um die Maschinen in Betrieb zu
halten; es wurden Instandhaltungsmaßnahmen und Material benötigt. Hiervon hat der
Senat auszugehen, weil dies den Feststellungen des vorläufigen Insolvenzverwalters
auf 7 seines vorbezeichneten Gutachtens (von der Beklagten als Anlage B 3, Blatt 125
GA, zur Akte gereicht) entspricht und die Beklagte dem nicht hinreichend
entgegengetreten ist mit ihrem Vorbringen auf Blatt 671 GA, in dem Gutachten des
vorläufigen Insolvenzverwalters vom 27.11.2000 sei nicht erwähnt, dass für den
"laufenden Betrieb" Instandhaltungsmaßnahmen und Material benötigt würden; zwar
erwähnt das vorgezeichnete Gutachten in der Tat nicht explizit die Notwendigkeit von
Instandhaltungsmaßnahmen und Material für den laufenden Betrieb; unabhängig davon
besteht jedoch Finanzierungsbedarf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, wenn ein
produzierendes Unternehmen in den letzten Tagen und Wochen aus ihren Beständen
heraus produziert und deshalb nicht mehr über Rohstoffe verfügt, um überhaupt die
Maschinen in Betrieb zu halten und Instandhaltungsarbeiten und entsprechendes
Material benötigt werden.
134
Seit September 2000 bestanden Lohnrückstände, wie sich aus Bl. 10 der Insolvenzakte
ergibt (als Anl. K 24 - Bl. 759 GA - zur Akte gereicht).
135
Es bestanden Lieferantenverbindlichkeiten in Höhe von 11 Millionen DM; soweit die
Beklagte den klägerischen Vortrag pauschal bestreitet, dass sich aus dem von der
Klägerin in Bezug genommenen Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters ergibt,
dass diese Lieferantenverbindlichkeiten aus dem normalen Geschäftsgang der M...
stammen, ist, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, nicht ansatzweise ersichtlich,
woraus sonst als aus dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr derartige, von der Beklagten
konkret nicht bestrittene Lieferantenverbindlichkeiten in Höhe von immerhin 11 Millionen
DM stammen sollten. Da die Klägerin auch insoweit wieder Bezug genommen hat auf
das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters, ist das pauschale Bestreiten der
Beklagten mit Nichtwissen wiederum unzureichend.
136
Ohnehin ist nicht ansatzweise etwas dafür ersichtlich, dass die der M... vor
Insolvenzantragstellung unzweifelhaft fehlenden Finanzmittel auf außergewöhnlichen
Ereignissen außerhalb ihres gewöhnlichen Geschäftsverkehrs beruhten wie
beispielsweise Grundstücks- oder Spekulationsgeschäften oder Unternehmenskäufen.
Die Beklagte hat hierfür nicht ansatzweise etwas vorgetragen, obgleich ihr dies oblegen
hätte, weil sie zum einen die Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters kennt und
in diesen mit Sicherheit entsprechende Feststellungen getroffen worden wären, wenn es
hierfür Anhaltspunkte gegeben hätte. Zum anderen waren die Beklagte und ihre Tochter
V..., deren Kenntnisse sich die Beklagte nach der Verschmelzung zurechnen lassen
muss, in Bezug auf die M... GmbH nicht außenstehende, unbeteiligte Dritte, sondern
unter anderem über D..., ab dem 26.03.1998 bis zum 04.07.2000 Geschäftsführer der
M... GmbH und seit dem 31.12.1996 Vorstandsmitglied und Finanzdirektor der
Beklagten sowie vom 09.10.1997 an einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der
V..., über alle Vorgänge bei der M... GmbH informiert, wie sogleich noch auszuführen
sein wird.
137
3.
138
Die V... hat ihre gegenüber der W... bestehende Verpflichtung, den, wie ausgeführt, bei
der M... GmbH gegebenen zusätzlichen Finanzierungsbedarf im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr zu decken, schuldhaft verletzt.
139
a)
140
Erstinstanzlich war unstreitig, dass weder die Beklagte noch ihre Tochter Finanzmittel
nachgeschossen haben, so dass die M... GmbH Insolvenz beantragen musste.
141
Selbst wenn die Beklagte bzw. die V... nach Übernahme der Anteile an der M... GmbH
durch schrittweise Kapitalerhöhungen von insgesamt 10 Millionen DM der M... GmbH in
erheblichem Maße Kapital zugeführt haben sollten, wie die Beklagte zweitinstanzlich
neu behauptet, so haben sie doch den zuvor aufgeführten, weiteren zusätzlichen
Finanzierungsbedarf nicht gedeckt.
142
b)
143
Die Verpflichtung der V..., der M... GmbH die für deren gewöhnlichen Geschäftsverkehr
erforderlichen zusätzlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, setzte keine
gesonderte Aufforderung gegenüber der V... hierzu voraus.
144
Die Patronatserklärung der V... enthält kein Erfordernis einer besonderen schriftlichen
Aufforderung. Zudem deutet auch der weitere in der Patronatserklärung der V...
enthaltene, für Patronatserklärungen typische, Passus "Wir garantieren insbesondere, in
der Lage zu sein sicherzustellen, dass die M... GmbH jederzeit die von uns
bereitgestellten Mittel annimmt" auf eine gesteigerte Eigenverantwortung der V... hin, die
sich nicht allein mit der Rolle eines Finanzmittel bereitstellenden Dritten beschränken,
sondern ihre beherrschende Stellung bei der M... GmbH (dazu sogleich) ausnutzen
sollte, um deren Überleben - auch zu Gunsten der W... - zu sichern.
145
Die Klägerin hat in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 8. März 2010, aufgrund dessen
der Senat die mündliche Verhandlung wieder eröffnet hat, nachvollziehbar und, wovon
der Senat überzeugt ist, in der Sache zutreffend darauf hingewiesen, dass die V... zu
jeder Zeit in jeder Hinsicht über die Entwicklung bei der M... GmbH informiert war,
weswegen eine gesonderte Information - zum Beispiel ein Anschreiben - entbehrlich
war.
146
Denn die Beklagte und V... waren in Bezug auf die M... GmbH keine außenstehenden,
unbeteiligten Dritten. Zunächst erwarb die Beklagte am 26.10.1996 sämtliche
Geschäftsanteile der M... GmbH und beschloss in einer Gesellschafterversammlung
vom 27.10.1997 nach vorheriger Gründung ihrer Tochter V..., die gesamten ihr
gehörenden Stammkapitalanteile auf diese zu übertragen. Die V... war bis zur Stellung
des Insolvenzantrages am 08.11.2000 Gesellschafter der M... GmbH, und zwar zunächst
zu 100%. Die spätere Reduzierung der Anteile (wohl ab etwa Ende 1997) auf 24% (bzw.
24,9%) änderte nichts daran, dass sie von der Beklagten eingesetzt worden war, um die
Geschäfte der M... GmbH zu führen und zu leiten. Die V... wurde von der Beklagten nach
deren eigener Darstellung (Bl. 228 GA) gegründet, damit diese als Gesellschafterin der
M... GmbH für die Beklagte Steuerungs- und Kontrollfunktionen wahrnimmt. Es fehlt
jegliches Vorbringen der Beklagten dazu, dass die V... diese Aufgabe nicht mehr
wahrgenommen hat, nachdem sie ihre Anteile an der M... GmbH reduziert hatte.
Dagegen spricht deutlich, dass nach dem insoweit unbestritten gebliebenen Vorbringen
der Klägerin, belegt durch die auf Seite 180 der Insolvenzakte aufgeführte Gewinn- und
Verlustrechnung, der M... GmbH jedenfalls in den Jahren 1997 und 1999 (also auch
nachdem die V... ihre Anteile an der M... GmbH bereits reduziert hatte) die Kosten für
"Umlage Geschäftsführung V..., Geschäftsbesorgung" in Rechnung gestellt wurden, d. h.
dass die Geschäftsführer der M... GmbH nicht nur von V... bestellt, sondern auch von ihr
bezahlt wurden, und diese Kosten dann lediglich an die M... GmbH weitergereicht
wurden.
147
Der Grund hierfür dürfte, was aber letztlich dahinstehen kann, darin liegen, dass die
restlichen Geschäftsanteile der M... GmbH von Treuhändern der Beklagten gehalten
wurden. Dies hat das Landgericht im unstreitigen Teil des Tatbestands des
angefochtenen Urteils mit Bindungswirkung für den Senat festgestellt, ohne dass die
Beklagte eine Tatbestandsberichtigung beantragt hat. Das Wissen der Treuhänder
müssen sich die Beklagte und deren Tochter V... zurechnen lassen.
148
Unabhängig davon müssen sich die V... und die Beklagte das Wissen von D...
zurechnen lassen, der nach einer Gesellschafterliste vom 19.11.1999 neben der V... die
restlichen Anteile am Stammkapital der M... GmbH hielt. D... war, wie bereits ausgeführt,
ab dem 26.03.1998 Geschäftsführer der M... GmbH und seit dem 31.12.1996
Vorstandsmitglied und Finanzdirektor der Beklagten sowie vom 09.10.1997 an
einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der V.... Die Stellung D...s als
149
einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der V... hat die Klägerin durch den
Auszug aus dem bzw. die Bestätigung des Handelsregisters Anl. K 20 (Bl. 725 ff. GA)
belegt; die Beklagte hat nicht bestritten, dass er seit dem 31.12.1996 ihr Finanzdirektor
war. Keine maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass D...s Stellung als
Geschäftsführer der M... GmbH am 04.07.2000, seine Stellung als Vorstandsmitglied der
Beklagten wohl am 14.12.2000 (vgl. Anl. K 23, Bl. 739 ff. GA) und seine Stellung als
einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der V... wohl am 20.07.2000 (vgl. Anl. K
20, Bl. 727 GA) endete. Die M... GmbH befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt in
erheblichen Zahlungsschwierigkeiten; so bestand gemäss der kurzfristigen
Liquiditätsplanung Stand 02.03.2000 bereits zum damaligen Zeitpunkt eine
Liquiditätsunterdeckung von ca. 11,8 Millionen DM.
Als Patron, der gegenüber der W... garantierte, in der Lage zu sein sicherzustellen, dass
die M... GmbH jederzeit die von uns bereitgestellten Mittel annimmt, war die V... in dieser
Situation verpflichtet, von sich aus die wirtschaftlichen Verhältnisse der M... GmbH im
Auge zu behalten; nicht hingegen durfte sie, ohne ihre Pflichten aus der
Patronatserklärung zu verletzen, eine rein passive Haltung einnehmen und auf eine -
nicht vorgesehene - förmliche Aufforderung durch die M... GmbH, deren Anteile sie
weiterhin unmittelbar oder durch Treuhänder hielt, warten.
150
V.
151
Die Beklagte ist der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, nachdem die V... ihre
Pflichten aus der Patronatserklärung verletzt und die M... GmbH in Insolvenz gefallen ist.
152
1.
153
Durch die harte Patronatserklärung übernimmt der Patron gegenüber einem Gläubiger
des Schuldners die vertragliche Verpflichtung, den Schuldner mit ausreichender
Liquidität auszustatten und damit die freiwillige Erfüllung oder zwangsweise
Durchsetzung der durch die Patronatserklärung gesicherten Forderung des Gläubigers
gegen den Schuldner zu ermöglichen.
154
Wie ausgeführt, hat die V... ihre aus der Patronatserklärung obliegenden
Verpflichtungen verletzt.
155
Sie schuldet daher Schadensersatz wegen Nichterfüllung dieser Verpflichtung (vgl.
BGH, Urteil vom 30. Januar 1992 – XI ZR 112/91, BGHZ 117, 127, juris Rz. 19 ff;
Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO, Rn. 37; Allstadt-Schmitz, in:
Ebenroth/Boujong/Joost/Stroh, aaO., Anhang IV, Rz. 730). Ist das patronierte
Unternehmen, wie hier, zahlungsunfähig geworden, wandelt sich der vertragliche
Ausstattungsanspruch in einen Direktleistungsanspruch um. Der Gläubiger kann sofort
Schadensersatz in voller Höhe verlangen, insbesondere den nicht getilgten
Kapitalbetrag, Zinsen und Provisionen. Es genügt jeder Nachweis der
Zahlungsunfähigkeit des patronierten Unternehmens; eine erfolglose
Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner ist für die Haftung des Patrons nicht
erforderlich. Denn die Bedeutung der harten Patronatserklärung liegt auch darin, dass
keine Verzögerung in der planmäßigen Rückführung des Kredits auftreten soll; der
Patron hat den Zustand herzustellen, der bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner
Ausstattungsverpflichtung bestünde. Die Schadensersatzpflicht des Patrons steht
gleichrangig neben der Haftung des Schuldners (Allstadt-Schmitz, in:
156
Ebenroth/Boujong/Joost/Stroh, aaO., Anhang IV, Rz. 732).
2.
157
Das Landgericht hat gemeint, gesichert gewesen seien lediglich der im Letter of Comfort
der V... vom 06.09.1999 erwähnte, von der W... der M... GmbH für den Erwerb und die
anschließende Stundung von Forderungen der M... K... GmbH & Co. KG gegenüber der
M... GmbH gewährte Kredit in Höhe von 2.553.010,38 DM sowie der Avalkredit von
5.418.750,00 DM, wobei die Klägerin nach eigenen Angaben nicht Inhaberin eines
Schadensersatzanspruchs im Hinblick hierauf geworden sei und insoweit auch keinen
Schadensersatzanspruch geltend mache; entgegen der Auffassung der Klägerin erfasse
der Letter of Comfort vom 06.09.1999 auch keine weiteren von der W... der M... GmbH
gewährten Kredite.
158
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
159
Zwar erwähnt der - von der W... vorformulierte - Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999
zunächst die beiden eben genannten Kredite, welche die W... der M... GmbH demnächst
gewähren wird. Indes enthält der Wortlaut des Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999
nicht ansatzweise eine dahingehende Beschränkung der zu sichernden Forderungen.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts vermag der Senat weder einen stufenförmigen
Aufbau des Letter of Comfort noch durch die Wendung "in addition" einen Rückbezug
auf die im vorangegangenen Satz eingegangene Verpflichtung zu sehen. Die
unterbliebene Inbezugnahme bestimmter, allein abzusichernder Kredite spricht dafür,
dass die vertragschließenden Parteien eine solche Beschränkung nicht wollten. Denn
die W..., die Beklagte und die V... verstanden es, eine Sicherungserklärung mit einem
gewollten engen Sicherungszweck entsprechend unmissverständlich zu formulieren,
was sich an den Garantien (Anlagen K 17 und 18) zeigt, die sich jeweils ausdrücklich
auf einen bestimmten Kredit beziehen.
160
Entscheidend gegen die vom Landgericht vertretene Ansicht spricht der am 27.04.1999
u. a. von der W..., der M... GmbH, der V... sowie der Beklagten unterzeichnete "Letter of
Intent" (Anl. K 16 nebst deutscher Übersetzung). Gemäß der dortigen Ziff. 1 (in der von
der Klägerin vorgelegten deutschen Übersetzung) sollte die Beklagte "für die Kredite
gemäß unten stehenden Punkten Nr. 2a und 2b eine Garantie zu Gunsten der W..."
sowie "für den Kredit gemäß unten stehenden Punkt 3 eine Garantie zu Gunsten der I..."
übernehmen und sich im Übrigen verpflichten, "zusätzlichen Finanzierungsbedarf der
M... GmbH im gewöhnlichen Geschäftsverkehr durch weitere nachrangige Darlehen
gegenüber der M... zu decken". Die in dem Letter of Intent erwähnten Kredite gemäß
unten stehenden Punkten Nr. 2a und 2b waren die von der W... zu Gunsten von
italienischen Banken zu bestellende Garantie von bis zu 5,5 Mio. DM und das im
Hinblick auf zu stundende Forderungen der M... K... GmbH & Co. KG von 2,5 Mio. DM;
bei dem Kredit gemäß unten stehenden Punkt 3 handelte es sich um ein von der I... zu
gewährendes Konsolidierungsdarlehen von bis zu 4,9 Mio. DM. Hiernach waren die von
der Beklagten zu stellenden Garantien konkret bezogen auf einzelne, bestimmte Kredite
der W... beziehungsweise der I.... Eine derartige Beschränkung fehlt hingegen im
Hinblick auf die von der Beklagten abzugebende Patronatserklärung. Da beide
Patronatserklärungen auf der Grundlage des Letter of Intent abgegeben wurden, spricht
dies deutlich gegen eine mit den Patronatserklärungen bezweckte Sicherung allein der
neuen, noch auszureichenden Kredite der W....
161
Allen anderen Erwägungen und Indizien lässt sich dagegen nichts Erhebliches für ein
bestimmtes Auslegungsergebnis entnehmen:
162
Dem Hinweis der Klägerin, dass in dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 der in
solchen Fällen übliche Zusatz wie "bis Zurückführung der oben genannten Darlehen",
"zur Absicherung der oben genannten Darlehen" o. ä. fehlt, lässt sich für das von den
Parteien des Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 und der Beklagten Gewollte
nichts Wesentliches entnehmen. Denn in dem Letter of Comfort fehlt ebenso der für eine
Absicherung aller Forderungen aus einer Geschäftsbeziehung verbreitete (vgl. Wittig,
WM 2003, 1981, 1987) Zusatz, dass die Patronatserklärung als Sicherheit für sämtliche
bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche, die der Bank aus der bankmäßigen
Geschäftsverbindung mit der Tochtergesellschaft dient.
163
Aus der - für die jeweils andere Seite erkennbaren - Interessenlage der W...
beziehungsweise der V... und der Beklagten ergibt sich nichts Maßgebliches für die
Auslegung des Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 im Hinblick auf die zu
sichernden Kredite. Während der W... naturgemäß an einer umfassenden Sicherung der
beiden in Höhe von 20 Millionen DM zugesagten, im September 1999 aber erst in Höhe
von etwa 15 Millionen DM an die M... GmbH ausgereichten langfristigen, zu diesem
Zeitpunkt noch tilgungsfreien Darlehen gelegen war, insbesondere bevor sie weitere
Darlehen ausreicht, waren V... und Beklagte naturgemäß bestrebt, ihr finanzielles
Engagement gegenüber der M... GmbH in Grenzen zu halten, vorbei V... und Beklagte
ebenfalls daran interessiert waren, dass die M... GmbH angesichts ihrer
Finanzierungsprobleme (vergleiche den Letter of Intent) weitere Darlehen von der W...
erhält. Insoweit ist auch die Erwägung des Landgerichts, die Erteilung eines
"Blankoschecks" zu Gunsten der M... GmbH habe nicht dem erkennbaren Interesse der
V... gedient, in dieser Pauschalität nicht haltbar.
164
Soweit das Landgericht bei der Auslegung des Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999
darauf abgestellt hat, es habe nicht festgestanden, dass die V... künftig in rechtlicher
Hinsicht hinreichenden Einfluss auf den Finanzierungsbedarf der M... GmbH haben
wird, ist dem entgegenzuhalten, dass der Fortbestand dieses Einflusses allein in den
Händen der V... beziehungsweise der Beklagten lag (siehe oben).
165
Der Ratenzahlungsvereinbarung lässt sich für die Auslegung des Letter of Comfort
nichts Erhebliches entnehmen, weil keine Partei mitteilt, aufgrund welcher Erwägungen
und Verhandlungsgrundlagen die Parteien dieser Vereinbarung diese abgeschlossen
haben.
166
Nicht tragfähig ist die Erwägung des Landgerichts, es hätte der W..., welche die Letter of
Comfort vorformulierte, oblegen, einen weiten Sicherungszweck entsprechend zu
formulieren; vielmehr hätte es der V... und der Beklagten oblegen, gegenüber der W...
darauf zu dringen, dass der im Wortlaut keinen engen Sicherungszweck aufweisende
Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 so formuliert wird, dass aus ihm der enge
Sicherungszweck unmissverständlich hervorgeht.
167
Ohne dass es hierauf entscheidend ankommt, hat die Beklagte erstinstanzlich auch
nicht einmal vorgetragen, dass es dem Willen der die Letter of Comfort abschließenden
Parteien entsprach, dass die beiden Letter of Comfort nur die beiden noch
auszureichenden Neu-Kredite absichern soll.
168
VI.
169
Die Ansprüche aus dem Letter of Comfort der V... vom 06.09.1999 sind nicht verjährt.
170
Zwar war die V... weder Partei der Ratenzahlungsvereinbarung noch waren die der W...
ihr gegenüber zustehenden Ansprüche von der Ratenzahlungsvereinbarung dergestalt
erfasst, dass es der W... verwehrt war, seit dem 26.01.2001 die ihr vermeintlich
zustehenden Schadensersatzansprüche gegenüber der V... durchzusetzen. Indes zielte
die Ratenzahlungsvereinbarung auf eine Beilegung der Gesamtverbindlichkeiten der
Beklagten und der V... ab, da sich die W... in Ziff. 6 der Ratenzahlungsvereinbarung
damit einverstanden erklärte, dass bei vertragsgemäßer Zahlung durch die Beklagte
auch die Forderungen der W... gegen die V... erlöschen. Insoweit war die
Ratenzahlungsvereinbarung ein Vertrag auch zu Gunsten der V.... Zumindest seit deren
Verschmelzung auf die Beklagte im Jahr 2001 hätte die W... gegen den
übereinstimmenden Willen der die Ratenzahlungsvereinbarung schließenden Parteien
verstoßen, hätte sie gegen die V... Schadensersatzansprüche aus deren Letter of
Comfort vom 06.09.1999 geltend gemacht, weil die W... in diesem Fall aus der gegen
die V... begründeten Forderung gegen die Beklagte hätte vorgehen müssen, was durch
die Ratenzahlungsvereinbarung gerade ausgeschlossen werden sollte (§ 202 BGB a.F.
analog).
171
Die frühestens mit Ablauf des Jahres 2000 begonnene Verjährung wurde mithin durch
die 2001 erfolgte Verschmelzung der V... auf die Beklagte gehemmt. Diese Hemmung
endete mit der von der W... unter dem 17.07.2006 erfolgten Kündigung der
Ratenzahlungsvereinbarung, so dass die die dem Bevollmächtigten der Beklagten am
02.04.2007 (Blatt 50 GA) zugestellte Klage die (dreijährige, § 195 Abs. 1 BGB, Art. 229 §
6 Abs. 4 EGBGB) Verjährung erneut rechtzeitig gehemmt hat.
172
Zur Klarstellung sei ausgeführt, dass entgegen der Ansicht des Landgerichts, welches
sich insoweit nicht auf Sachvortrag der Parteien stützen konnte, die W... nicht auf ihre
Forderungen aus dem Letter of Comfort der Beklagten vom 07.09.1999 verzichtet hat,
auch nicht - implizit - in der Ratenzahlungsvereinbarung. Wie die Klägerin zu Recht
ausführt, ist der einzige Verzicht der W..., der mit Unterzeichnung der
Ratenzahlungsvereinbarung eintreten sollte, dort unter Ziff. 7 erklärt worden (betr.
Rechte an den Maschinen). Ausweislich Ziff. 6. der Ratenzahlungsvereinbarung sollten
alle wechselseitigen Ansprüche zwischen der W... auf der einen und der Beklagten und
der V... auf der anderen Seite erst mit Erfüllung der Ratenzahlungsvereinbarung erledigt
sein. Insoweit bedurfte es einer ausdrücklichen Vereinbarung eines Erlasses, falls
entgegen Ziff. 6 doch bereits vor Erfüllung der Ratenzahlungsvereinbarung Rechte
erlöschen sollen; hieran fehlt es (mit Ausnahme der bereits erwähnten Ziff. 7). Insoweit
kann allein aus dem Umstand, dass Ziff. 5 der Ratenzahlungsvereinbarung als nach
einer Kündigung wiederauflebende Recht (aus welchen Gründen auch immer) nicht
auch den Letter of Comfort der Beklagten vom 07.09.1999 erwähnt, kein konkludenter
Verzicht auf Rechte hieraus hergeleitet werden.
173
VII.
174
Zur Höhe der Schadensersatzforderung:
175
1.
176
Kontokorrentkredit
177
a)
178
Zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung betrug der negative Saldo des von der W...
der M... gewährten Kontokorrentkredits 985.581,73 €.
179
Hiervon hat der Senat auszugehen, weil die Beklagte diesem Vortrag, belegt durch die
als Teil der Anlage K 11 Akte gereichte Forderungsaufstellung (dort vorletzte Position in
DM) und durch den Auszug aus der Insolvenztabelle (Anlage K 6, Blatt 27 GA) nicht -
hinreichend - entgegengetreten ist, sondern lediglich in Abrede gestellt hat, dass die M...
mit der Rückzahlung des Kontokorrentkredit von 985.581,73 € ab dem 01.10.2000 in
Verzug war und der gesetzliche Verzugszins 9,26% p.a. betrug (Bl. 223 GA).
180
b)
181
Einen Verzug der M... im Zeitraum vom 1. Oktober 2000 bis zum Tag der
Insolvenzeröffnung, dem 30. November 2000 (vgl. Bl. 190 GA), hat die Klägerin trotz des
Bestreitens der Beklagten nicht dargetan, so dass die Klägerin nicht mit Erfolg
Verzugszinsen für den vorgenannten Zeitraum verlangen kann. Ein Hinweis war der
Klägerin insoweit nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht zu erteilen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28.
Aufl., § 139 Rn. 8).
182
2.
183
Darlehensvertrag vom 22./23. Oktober 1996
184
a)
185
Mit Darlehensvertrag vom 22./23. Oktober 1996 (Anlage K 12) stellte die W... der M... ein
Darlehen von 10 Millionen DM zur Verfügung. Da hierauf unstreitig keine Zahlungen
geleistet wurden, entspricht der Ausfall der W... dem vollen Darlehensbetrag von
umgerechnet 5.112.918,81 €.
186
b)
187
Außer der in der Sache unzutreffenden Ansicht, die Zinsberechnungen der Klägerin
seien nicht nachvollziehbar, hat die Beklagte gegen die vom 20. Oktober 2000 an
berechneten Zinsen keine Einwendungen erhoben.
188
Gemäß § 288 Abs. 1 BGB in der vom 30.03.2000 bis zum 31.12.2001 gültigen Fassung)
war eine Geldschuld während des Verzugs für das Jahr mit fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998
(BGBl. I S. 1242) zu verzinsen. Dieser betrug vom 01.09.2000 bis zum 30.08.2001
4,26% (vgl. jurisPK-BGB/Toussaint, 5. Aufl. 2010, Stand: 01.10.2010, § 247 BGB Rn.
21), so dass vom 20.10.2000 bis zum 30.11.2000 gesetzliche Verzugssinsen von 9,26%
= 54.320,42 € angefallen wären; insoweit sind die von der Klägerin geforderten
45.833,06 €
189
nicht zu beanstanden.
190
3.
191
Kreditrahmenvertrag vom 16. Dezember 1997
192
a)
193
Die W... hat der M..., wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen und durch die
Anlagen K 13 (b) bis (g) belegt hat, insgesamt 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt;
auch hier entspricht der Ausfall der W... dem vollen Darlehensbetrag von umgerechnet
5.112.918,81 €.
194
b)
195
Die vertraglichen Zinsen für eine Tranche von 1.955.239,46 DM betrugen ausweislich
der Anlage K 13 (b) 6,21%, so dass für den Zeitraum vom 18. Juni 2000 bis zum 10.
November 2000 die von der Klägerin auf Bl. 195 GA errechneten 24.764,65 € Zinsen
anfielen. Zuzüglich der, wie ausgeführt, 9,26 % getragenen Verzugszinsen für die Zeit
vom 11. November 2000 bis zum 30. November 2000 von 5.058,59 € beträgt der
Zinsanspruch hier insgesamt 29.823,25 €. Insoweit sind die von der Klägerin
angesetzten 29.715,19 €
196
nicht zu beanstanden.
197
c)
198
Gleiches gilt auch für die übrigen von der W... im Insolvenzverfahren angemeldeten und
von der Klägerin im hiesigen Verfahren begehrten Zinsen von
199
6.338,85 €,
11.621,40 €,
19.025,15 €,
6.112,98 € und
6.112,98 €.
200
201
4.
202
Darlehen gemäß Zusage vom 18.06./02.07.1999
203
a)
204
Die W... kaufte die Forderungen der M.F. Kraftwerk und Entsorgung GmbH und Co. KG
gegen die M... GmbH aus Energielieferungen auf und stundete sie gegenüber der M...
GmbH ; das der M... GmbH insoweit gewährte Darlehen belief sich auf 2.533.010,38
DM. Da hierauf unstreitig keine Zahlungen geleistet wurden, entspricht der Ausfall der
W... dem vollen Darlehensbetrag von umgerechnet
205
1.305.333,48 €.
206
Dies war erstinstanzlich, wie das Landgericht auf Seite 29 des angefochtenen Urteils
völlig zutreffend ausgeführt hat, unstreitig. Das zweitinstanzlich neue Bestreiten der
Beklagten ist mangels Darlegung beziehungsweise Vorliegens eines der
Zulassungsgründe nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen.
207
Von einer nicht substanziierten Darlegung der diesbezüglichen Forderung durch die
Klägerin kann keine Rede sein, zumal in der zwischen der W... und der Beklagten am
26. Januar 2001 geschlossenen Ratenzahlungsvereinbarung (Anlage K 4, Bl. 22 ff. GA)
ausdrücklich festgehalten ist, dass die W... der M... GmbH ein Darlehen in dieser Höhe
gewährt hat; da in der Ratenzahlungsvereinbarung ebenfalls einvernehmlich
festgehalten wurde, dass die W... sämtliche der M... GmbH gewährten Darlehen und
Kredite gekündigt und sofort fällig gestellt hat, kann die Beklagte nicht mit Erfolg ohne
weiter gehenden, nicht gehaltenen Sachvortrag eine fehlende Kündigung der Kredite
beziehungsweise der Stundungsvereinbarung geltend machen.
208
b)
209
Gegen die vom Landgericht für den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 30. November
2000 errechneten Zinsen von insgesamt 35.143,65 € hat keine Partei Einwendungen
erhoben, so dass die von der W... im Insolvenzverfahren angemeldeten und von der
Klägerin im hiesigen Verfahren begehrten 35.115,64 €
210
keinen Bedenken unterliegen.
211
5.
212
Insgesamt ergibt sich somit folgender Schadensersatzanspruch der Klägerin (alle
Beträge in Euro):
213
214
215
985.581,73
216
217
5.112.918,81
218
219
238
45.833,06
220
221
5.112.918,81
222
223
29.715,19
224
225
6.338,85
226
227
11.621,40
228
229
19.025,15
230
231
6.112,98
232
233
6.112,98
234
235
1.305.333,48
236
237
35.115,64
insgesamt mithin:
12.676.628,08
.
6.
239
Dieser Schadensersatzanspruch ist durch die von der Beklagten erklärte
Hilfsaufrechnung gemäß §§ 389, 406 BGB in Höhe von 3.046.811,09 € erloschen.
240
a)
241
Die Beklagte hat gegen die von der Klägerin geltend gemachte
Schadensersatzforderung bezüglich des von der W... gewährten Neudarlehens
hinsichtlich der Energiekosten von 1.305.333,48 € zzgl. Zinsen hilfsweise die
Aufrechnung erklärt (vgl. das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor dem
Landgericht vom 12. November 2008 auf Seite 2, Bl. 253 GA).
242
Zweitinstanzlich hat die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegenüber der
Gesamtklageforderung erklärt (Schriftsatz vom 30. Dezember 2009, Blatt 488 GA). Diese
zweitinstanzlich neue Aufrechnung ist gemäß § 533 ZPO zu berücksichtigen, weil der
Senat sie für sachdienlich hält und auf Tatsachen gestützt werden kann, die der Senat
seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zu
Grunde zu legen hat.
243
b)
244
Das Landgericht hat zu Recht die Aufrechnung nach § 812 Abs. 1 S. 2 1. Alt. BGB
(Leistungskondiktion wegen späteren Wegfalls des rechtlichen Grundes), § 406 BGB als
berechtigt angesehen haben. Mit der von der W... - unstreitig wirksam -
ausgesprochenen Kündigung fiel der Rechtsgrund für die von der Beklagten nach Ziff. 1
der Ratenzahlungsvereinbarung allein im Hinblick auf diese Vereinbarung und nicht
etwa - auch - auf im Hinblick auf die dieser Vereinbarung zu Grunde liegenden
Verpflichtung geleisteten Zahlungen fort. Die Vereinbarung begründete mithin kein
Dauerschuldverhältnis. Vielmehr sollten die von der Beklagten zu erbringenden
Zahlungen von insgesamt 8,3 Mio. DM nach Ziff. 6 dazu führen, dass - erst - mit
Erfüllung dieser Vereinbarung alle wechselseitigen Ansprüche der Beklagten und der
W... erledigt sind, ebenso wie eventuelle Ansprüche der W... gegen die V.... Ziff. 5 der
Ratenzahlungsvereinbarung besagt ausdrücklich, dass die W... nach einer -
berechtigten - Kündigung dieser Vereinbarung zur Wahrnehmung ihrer Rechte aus den
Letter of Guarantee vom 29.06.1999 und 07.09.1999 berechtigt ist. Wäre die
Rückforderungsansprüche der Beklagten verneinende Rechtsansicht der Klägerin
zutreffend, könnte die Klägerin nach Ziff. 5 der Vereinbarung die dieser Vereinbarung zu
Grunde liegenden Ansprüche in vollem Umfang geltend machen, ohne dass die
Beklagte die von ihr geleisteten Zahlungen zurückfordern kann oder diese auch nur
anzurechnen sind. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht zutreffend sein kann. Diese
Ansicht vertritt im Übrigen nicht einmal die Klägerin, denn sie bringt jenen Teil der von
der Beklagten geleisteten Zahlungen, die sie als erbrachte Tilgungen berechnet hat,
nämlich 1.538.855,01 €, selbst von der Klageforderung in Abzug (vgl. Bl. 187 und 200 ff.
GA).
245
c)
246
Hiernach hat die zunächst gegen die Schadensersatzforderung der Klägerin aus dem
Darlehen gemäß Zusage vom 18.06./02.07.1999 (siehe zuvor unter 4.) gerichtet
Hilfsaufrechnung diesen Schadensersatzanspruch von (1.305.333,48 € zzgl. Zinsen von
35.115,64 € =) 1.340.449,12 € gemäß §§ 389, 406 BGB zum Erlöschen gebracht.
247
d)
248
Die verbleibende Aufrechnungsforderung von (3.406.811,09 € - 1.340.449,12 € =)
2.066.361,97 hat einen entsprechenden Teil der restlichen Klageforderung zum
Erlöschen gebracht, und zwar gemäss §§ 396 Abs. 2, 367 Abs. 1 BGB zunächst die
(verbliebenen) Zinsen von 45.833,06 €, 29.715,19 €, 6.338,85 €, 11.621,40 €, 19.025,15
€, 6.112,98 € und 6.112,98 €.
249
e)
250
Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 16.07.2008 vorgenommene Anrechnung von
1.538.855,01 € hat keine abweichende Tilgungsreihenfolge bewirkt, weil die Beklagte
sich hiermit nicht einverstanden erklärt hat. Vielmehr hat sie mit ihrer in der mündlichen
Verhandlung vor dem Landgericht vom 12. November 2008 erklärten Aufrechnung
gegenüber der von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzforderung
bezüglich des von der W... gewährten Neudarlehens hinsichtlich der Energiekosten von
1.305.333,48 € zzgl. Zinsen eine andere Tilgungsreihenfolge - nach § 366 Abs. 1 BGB
a.E. bindend - vorgegeben.
251
f)
252
Wie das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend und von der Berufung der
Klägerin unangefochten ausgeführt hat, kommt der von der Beklagten erklärten
Aufrechnung gemäß § 389 BGB Rückwirkung zum 17. Juli 2006 zu. Zu diesem
Zeitpunkt standen sich Haupt- und Gegenforderung erstmals aufrechenbar gegenüber,
nachdem die Gegenforderung der Beklagten auf Rückzahlung der auf den
Ratenzahlungsvergleich geleisteten Zahlungen von der W... unter dem 17. Juli 2006
gekündigt wurde.
253
g)
254
Insgesamt verbleibt daher eine Klageforderung von (12.676.628,08 - 3.046.811,09 € =)
9.629.816,99 €.
255
B.
256
Weiter gehende Ansprüche kann die Klägerin mit Erfolg im hiesigen Verfahren nicht
geltend machen,
257
I.
258
Dies gilt zum einen für einen eventuellen Schadensersatzanspruch aus § 398 BGB
i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB a. F. aus dem Letter of Comfort der Beklagten vom 07.09.1999
(Anl. K 3, Bl. 19 GA).
259
Es kann dahinstehen, ob auch Ansprüche aus dem Letter of Comfort der Beklagten vom
07.09.1999 an die Klägerin abgetreten wurden, weil hierdurch der Klägerin keine
weitergehenden Ansprüche übertragen wurden als aus dem Letter of Comfort der V...
vom 06.09.1999.
260
II.
261
Die Klägerin hat sowohl in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (Blatt 538 GA)
als auch im nachgelassen Schriftsatz vom 8. März 2010 auf Seite 11 (Blatt 593) erklärt,
sie stütze ihren Anspruch auch auf den an sie abgetretenen Anspruch aus dem "Letter of
Guarantee" der Beklagten an W... und I... vom 29.06.1999 über 2.553.010,38 DM (Anl. K
18).
262
Hierin liegt eine Klageänderung, die nach § 533 ZPO nicht zuzulassen ist.
263
Die Beklagte hat erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 22.
Januar 2010 ihre Klage auch auf Ansprüche aus dem "Letter of Guarantee" vom
29.06.1999 gestützt. In der Klageschrift hat sie allein Ansprüche aus den
Patronatserklärungen der Beklagten und der V... geltend gemacht (Bl. 6 GA). Nicht
hingegen hat sie dort auch nur ansatzweise zu erkennen gegeben, dass sie den
Klageanspruch - auch - auf Ansprüche aus der Garantieerklärung vom 29.06.1999 stützt.
Auch auf den Hinweis des Landgerichts vom 7. Mai 2008 auf Seite 2 oben (Blatt 175
GA), das Gericht gehe davon aus, dass Ansprüche aus den Garantieerklärungen nicht
geltend gemacht werden, hat die Klägerin Entgegenstehendes nicht dargetan, sondern
in dem zu dem Hinweisbeschluss Stellung nehmenden Schriftsatz vom 16. Juli 2008 auf
Seite 19 (Blatt 204 GA) eine Haftung der Beklagten wiederum allein aus den beiden
264
Patronatserklärungen herzuleiten gesucht. Die Klägerin hat auch nicht dem
nochmaligen Hinweis des Landgerichts im Termin vom 12. November 2008 (Bl. 252 GA)
widersprochen, Ansprüche aus den Garantieerklärungen würden nach Auffassung des
Landgerichts nicht geltend gemacht.
Schließlich hat sie keine Tatbestandsberichtigung beantragt gegenüber der zwar in den
Entscheidungsgründen, aber mit Tatbestandsqualität getroffenen Feststellung des
Landgerichts auf Seite 13 des angefochtenen Urteils, dass Ansprüche aus den beiden
Garantieerklärungen von der Klägerin nicht geltend gemacht werden. Die Klägerin hat
dieser landgerichtlichen Feststellung nicht einmal in ihrer Berufungsbegründung
widersprochen.
265
Die mithin gegebene Klageänderung ist nicht zuzulassen. Die Beklagte hat hierin nicht
eingewilligt, sondern ihr bereits im Senatstermin ausdrücklich widersprochen. Der Senat
hält diese Klageänderung auch nicht für sachdienlich, da zu etwaigen aus der
Garantieerklärung vom 29.06.1999 folgenden Ansprüchen nicht ansatzweise
Sachvortrag gehalten wurde.
266
Deswegen und zudem kann die Klageänderung nicht auf Tatsachen gestützt werden,
die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach §
529 ZPO zu Grunde zu legen hat.
267
Wollte man dies anders sehen, wären etwaige Ansprüche der Klägerin jedenfalls
verjährt. Die durch die Ratenzahlungsvereinbarung eingetretene Hemmung endete mit
der von der W... unter dem 17. Juli 2006 gegenüber der Beklagten ausgesprochenen
Kündigung; die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) war am 22. Januar 2010 bereits
abgelaufen.
268
III.
269
Die Bedingungen, unter welcher die Klägerin Ansprüche aus dem "Letter of Guarantee"
der Beklagten an die W... vom 07.09.1999 über 5.418.750,00 DM (Anl. K 17) hilfsweise
geltend macht (Bl. 591 GA), nämlich dass das Gericht sie entgegen der bisher von der
Klägerin vertretenen Ansicht für wirksam an sie abgetreten und auf Grund der
Kündigung der Vereinbarung vom 26. Januar 2001 für wiedererstarkt hält, liegen nicht
vor. Zudem gilt das soeben Ausgeführte entsprechend.
270
IV.
271
Die Klägerin kann aus der Ratenzahlungsvereinbarung von Januar 2001 (Anl. K 4)
einen restlichen Zahlungsanspruch nicht mit Erfolg herleiten, da diese Vereinbarung
durch die W... unstreitig wirksam gekündigt worden ist.
272
C.
273
Ein Anspruch auf Freihaltung von außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten steht
der Klägerin nicht zu.
274
Wie ausgeführt, wurde die Beklagte durch die Bevollmächtigte der Klägerin durch deren
anwaltliches Schreiben vom 19. September 2006 (Anlage K 7) in Verzug gesetzt; da
sich die Beklagte bei Abfassung dieses Schreibens noch nicht in Verzug befand, kann
275
die Klägerin die Kosten dieser anwaltlichen Tätigkeit nicht als Verzugsschaden ersetzt
verlangen. Eine anderweitige Anspruchsgrundlage für einen Anspruch auf Ersatz der
insoweit außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten ist nicht ersichtlich.
Erst recht besteht kein Anspruch auf Erstattung der "durch die weitere Wahrnehmung
der Rechte der Klägerin" - angeblich - entstandenen Gebühren, welche die Klägerin auf
Seite 27 ihres Schriftsatzes vom 16. Juli 2008 (Blatt 212 GA) begehrt. Denn gemäß VV
RVG Teil 2 Abschnitt 3 Vorbemerkung 2.3 entsteht die Geschäftsgebühr bereits für das
Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information; die Gebühr ist mithin verdient
bereits mit dem Anwaltsauftrag und der ersten aufgrund des Auftrages erbrachten
Tätigkeit des Anwaltes, hier also spätestens mit dem vorbezeichnetem Schreiben vom
19. September 2006. Es gibt mithin keine weiteren außergerichtlichen Gebühren, die
"durch die weitere Wahrnehmung der Rechte der Klägerin" entstanden sind und welche
die Klägerin hier erstattet verlangen könnte.
276
D.
277
Nachdem die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 19. September 2006 (Anl. K 7)
die Beklagte vergeblich unter Fristsetzung zur Zahlung von 12.708.656,15 € bis zum 10.
Oktober 2006 aufgefordert hat, befindet sich die Beklagte seit dem 11. Oktober 2006
gem. § 286 BGB mit der Zahlung von 9.629.816,99 € im Verzug.
278
Der von der Klägerin geforderte Zinssatz von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszins steht ihr nicht zu. § 288 Abs. 2 BGB setzt Entgeltforderungen voraus; dies sind
Forderungen, die auf Zahlung eines Entgelts für die Lieferung von Gütern oder die
Erbringung von Dienstleistungen gerichtet sind (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl.,
§ 286 Rn. 27). Schadensersatzansprüche fallen hierunter ebenso wenig wie
Darlehensforderungen (vgl. Palandt/Grüneberg, aaO sowie § 288 Rn. 8). Stattdessen
beträgt der Verzugszinssatz gemäß § 288 Abs. 1 S. 2 BGB fünf Prozentpunkte über dem
jeweiligen Basiszinssatz.
279
Die ausgerechneten Verzugszinsen betragen daher (alle Beträge in Euro):
280
Zeitraum
Tage
Zinssatz
Zinsbetrag
281
282
11.10.2006 - 31.12.2006
82
6,95 %
150.357,06
01.01.2007 - 30.06.2007
181
7,7 %
367.700,71
01.07.2007 - 31.12.2007
184
8,19 %
397.582,16
01.01.2008 - 30.06.2008
182
8,32 %
398.411,31
01.07.2008 - 16.07.2008
16
8,19 %
34.477,90
Total:
1.348.529,14
283
zzgl. Ausgangsforderung:
9.629.816,99
Ingesamt:
10.978.346,13 €.
3. Teil Anschlussberufung der Beklagten
284
I.
285
Die Anschlussberufung ist zulässig.
286
1.
287
Sie wurde innerhalb der der Berufungsbeklagten gesetzten - verlängerten - Frist zur
Berufungserwiderung eingelegt und zugleich begründet (§ 524 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3
Satz 1 ZPO in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August
2004).
288
2.
289
Mit der Anschlussberufung begehrt die Beklagte, wie sie auf Seite 20 ihrer
Anschlussberufung klargestellt hat, eine Abweisung der Klage, ohne dass über die von
ihr zur Hilfsaufrechnung gestellte Forderung entschieden werden muss. Damit verfolgt
die Beklagte die Beseitigung der Beschwer, die darin zu sehen ist, dass das
Landgericht die Klage in Höhe von 1.340.449,32 € für begründet erachtet und zur
Klageabweisung erst durch Heranziehung einer von der Beklagten erklärten
Hilfsaufrechnung in dieser Höhe gekommen ist (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., vor §
511 Rz. 26).
290
II.
291
Die mithin zulässige Anschlussberufung ist indessen unbegründet. Wie ausgeführt, ist
die Klage - in dem oben errechneten Umfang - erfolgreich und erst unter Heranziehung
der Hilfsaufrechnung der Beklagten teilweise unbegründet.
292
4. Teil
293
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.917.061,55 € festgesetzt
(Berufung der Klägerin 11.169.801,14 € [§ 4 Abs. 1 2. HS ZPO]); Anschlussberufung der
Beklagten 1.340.449,32 €; Hilfsaufrechnung der Beklagten 3.046.811,09 €).
294
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits Berufungsverfahrens ergibt sich
aus §§ 91, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dabei waren für das Verfahren vor dem Landgericht
einerseits und für das Verfahren im Berufungsrechtszug andererseits unterschiedliche
Streitwerte sowie dementsprechend unterschiedliche Quoten des jeweiligen Obsiegens
und Unterliegens (§ 92 Abs. 1 ZPO) zugrunde zu legen. Während für den Streitwert des
Berufungsverfahrens der Wert der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten
Gegenforderung in Höhe von 3.046.811,09 € in dieser Höhe dem Wert der
Zahlungsklage hinzuzurechnen ist (§ 45 Abs. 3 GKG), findet eine solche
Zusammenrechnung für das landgerichtliche Verfahren in dieser Höhe nicht statt. Denn
295
§ 45 Abs. 3 GKG setzt voraus, dass über die Gegenforderung eine der Rechtskraft
fähige Entscheidung ergangen ist. Eine solche hat das Landgericht nur hinsichtlich
einer Aufrechnungsforderung von 1.340.449,32 € getroffen. Der Umstand, dass der
Senat über die gesamte Aufrechnungsforderung sachlich entschieden hat, bleibt bei der
Bemessung des Streitwerts für das landgerichtliche Verfahren im Hinblick auf den
Grundsatz der nach Instanzen getrennten Wertfestsetzung, dem auch der Wortlaut des §
45 Abs. 3 GKG Rechnung trägt, außer Betracht (vgl. BGH, Urt. vom 10.07.1986 - I ZR
102/84, juris Rn. 45 m.w.N., für den mit § 45 Abs. 3 GKG identischen Wortlaut des § 19
Abs. 3 GKG a.F.).
Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Ziffer 10,
711 ZPO.
296
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor.
297
R…
B…
Dr. L…
298