Urteil des OLG Düsseldorf vom 11.06.2002

OLG Düsseldorf: geringes verschulden, versicherer, fahrzeug, versicherungsnehmer, reparaturkosten, verheimlichung, erfüllung, anzeigepflicht, vollstreckung, nachricht

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-4 U 217/01
Datum:
11.06.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-4 U 217/01
Rechtskraft:
ja
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 11. Oktober 2001 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Düsseldorf
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger ist Eigentümer eines Mercedes Benz 350 TD, Erstzulassung..., amtliches
Kennzeichen... . Bei Erstzulassung schloss er bei der Z. V., N., eine
Fahrzeugvollversicherung ab. Seit dem 1. April 1999 unterhält er bei der Beklagten eine
Fahrzeugteilversicherung (ohne Selbstbeteiligung), die durch Vermittlung eines ihrer
Agenten, den Zeugen C., zustande gekommen ist.
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Nachdem am 23. Juli 1999 bei einem Einbruch in den Wohnwagen des Klägers in T.,
N., der Reserveschlüssel für den Mercedes entwendet worden war, wurde das Kfz am 3.
August 1999 zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr in V., N., gestohlen. In der
Schadensanzeige vom 4. August 1999, die der Zeuge C. aufnahm, wurde die Frage, ob
das Fahrzeug "Vorschäden" hatte, bejaht. Obwohl bei Unfällen am 31. Dezember 1995,
29. Januar 1996 und 14. Juni 1996 weitere Schäden entstanden waren, bei denen die
Reparaturkosten mit insgesamt 33.302,07 hfl veranschlagt worden sind, wurden nur ein
Schaden an der Front und der Frontscheibe sowie Kratzer angegeben, die bei einem
Unfall im August 1998 aufgetreten sind, und die Schadenshöhe mit ca. 18.000,-- DM
beziffert. In dem Wertermittlungsbogen, den der Zeuge C. am 29. Oktober 1999 für den
Kläger ausfüllte, wurde die Frage, ob das Fahrzeug während seiner Besitzzeit
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"Unfallschäden" hatte, gleichfalls bejaht. Auf die Nachfrage, "wenn ja, welche und wo
wurden sie behoben?", wurde angegeben: "Frontschaden, 1998 Aug., T., W.". Zugleich
wurde die Höhe der Schäden mit ca. 20.000,-- DM aufgenommen.
Der Kläger, der den Wiederbeschaffungswert des entwendeten Mercedes mit 21.123,47
€ beziffert und von der Beklagten begehrt, hat geltend gemacht: Der Zeuge C. und er
hätten die weiteren Vorschäden nicht für erwähnungsbedürftig gehalten, weil sie der
Beklagten schon von dem Vorversicherer im Kontext mit der Eingruppierung seines Kfz
in die Schadensfreiheits-Klasse 2 mitgeteilt worden seien. Im Übrigen habe der Zeuge
ihn nur gefragt, ob der Pkw "einen Schaden gehabt" habe.
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Die Beklagte hat geltend gemacht, sie sei leistungsfrei, weil der Kläger durch die
Verheimlichung von mindestens drei Vorschäden gegen seine Aufklärungsobliegenheit
verstoßen und den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.
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Das Landgericht hat sich nach der Vernehmung des Zeugen C. der Auffassung der
Beklagten angeschlossen, dem Kläger sei ein Obliegenheitsverstoß anzulasten und hat
die Klage durch Urteil vom 11. Oktober 2001 abgewiesen. Dagegen wendet sich der
Kläger mit der Berufung. Er beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn
21.123,47 € nebst 9,26 % Zinsen seit dem 7. Juni 2000 zu zahlen.
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Die Beklagte, die das angefochtene Urteil verteidigt, beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die Beklagte wegen einer Verletzung der
Aufklärungsobliegenheit (§ 7 I Abs. 2 S. 3 AKB) leistungsfrei geworden ist (§ 7 V Abs. 4
AKB, § 6 Abs. 3 VVG).
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Nach § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB traf den Kläger nach der Entwendung seines Kfz die
Obliegenheit, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands dienlich war. Dagegen
hat er vorsätzlich verstoßen, indem er der Beklagten sowohl in der Schadensanzeige
als auch bei Ausfüllung des Wertermittlungsbogens drei Vorschäden bewusst
verschwiegen hat, bei denen die Reparaturkosten mit insgesamt 33.302,07 hfl
veranschlagt worden sind.
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1. Die Antworten des Klägers auf die Frage, ob das Fahrzeug Vor- bzw. Unfallschäden
gehabt hat, waren objektiv falsch. Schon durch den Gebrauch des Plurals in der
Fragestellung hat die Beklagte bei der Vorformulierung der Schadenanzeige des
Wertermittlungsbogens hinlänglich deutlich gemacht, dass es ihr um die Offenlegung
sämtlicher Schadensereignisse geht. Darüber hinaus war auch die Nachfrage, die sie
durch die Bitte um Ausfüllung des Wertermittlungsbogens gehalten hat, eindeutig. Wenn
der Kläger dennoch meint, er sei nur nach dem jeweils letzten Vorschaden gefragt
worden, so ist das nicht mehr nachvollziehbar. Das gilt selbst dann, wenn der Zeuge C.
die Fragestellung jeweils mündlich dahingehend modifiziert haben sollte, dass er
wissen wollte, ob das Fahrzeug "einen Schaden gehabt" hat. Auch in einem solchen
Fall ist nämlich für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer offenkundig, dass
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das Wort "einen" als unbestimmter Artikel und nicht als Zahlwort zu verstehen ist. Die
Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers erschöpft sich schließlich nicht in der
formalistischen Beantwortung des Wortlauts der gestellten Frage. In welchem Umfang
Auskunft zu erteilen ist, ergibt sich vielmehr aus dem Sinn der Fragestellung. Die
Antwort soll gewährleisten, dass der Versicherer in die Lage versetzt wird, die
sachgemäßen Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen
(BGH, VersR 1993, 828, 829). Davon ausgehend ist aber jedem Kfz-Führer klar, dass es
bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts, der die Frage nach Vorschäden dient,
neben der Schwere insbesondere auf die Anzahl der Schäden ankommt.
2. Der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung entfällt auch nicht, weil -
nach Behauptung des Klägers - die Vorschäden der Beklagten bereits bei Eingang der
Schadenanzeige bekannt waren. Zwar würde es in dem Fall an einer Aufklärungspflicht
fehlen, gegen die der Kläger verstoßen haben könnte (OLG Hamm, NJW-RR 1990,
1310; r + s 1993, 442, 443). Prämisse dafür ist indes, dass es sich um präsentes Wissen
handelt, über das der mit der Bearbeitung der Angelegenheit befasste Sachbearbeiter
verfügt oder das sich die Beklagte ansonsten zurechnen lassen muss. Dass auf Seiten
des für die Bearbeitung der Angelegenheit zuständigen Mitarbeiters der Beklagten
entsprechende Kenntnisse vorhanden waren, legt der Kläger aber nicht dar. Dabei kann
zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werden, dass die Vertragsabteilung der
Beklagten von der Z. V. tatsächlich im Juni 1999 über sämtliche Vorschäden und nicht
nur über die Schadensfreiheits-Klasse, in die sie den Kläger eingestuft hatte, informiert
worden ist. Darauf muss sich die Beklagte aber selbst dann nicht verweisen lassen,
wenn diese Nachricht in ihren EDV-Bestand Eingang gefunden haben sollte und diese
Datensammlung auch den Mitarbeitern in ihrer Leistungsabteilung zur Verfügung
gestanden hat. Denn die Daten, die der Versicherer in einer Datenbank sammelt, sind
dem Sachbearbeiter nur dann als aktuelles Wissen zuzurechnen, wenn für ihn Anlass
bestanden hat, auf den Datenbestand zurückzugreifen. Solcher Anlass besteht aber
grundsätzlich nur, wenn der befragte Versicherungsnehmer darauf verweist, dass dem
Versicherer die begehrten Informationen dort bereits vorliegen (BGHZ 123, 124 = VersR
1993, 1089 = NJW 1993, 2807). Darauf hat der Kläger jedoch weder bei der Aufnahme
der Schadenanzeige noch bei der Ausfüllung des Wertermittlungsbogens hingewiesen.
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Ebenso wenig muss die Beklagte sich zurechnen lassen, dass der Zeuge C. im
Zusammenhang mit dem Vertragsschluss mit dem Kläger von den Vorschäden Kenntnis
erlangt haben soll. Zwar gilt bei dem Versicherer grundsätzlich als bekannt, was sein
Agent in Ausführung der Stellvertretung bei der Entgegennahme des
Versicherungsantrags in Erfahrung gebracht hat (BGH, VersR 1999, 1481, 1482; 2001,
1498, 1499). Das bezieht sich aber nur auf Angaben, die der Versicherungsnehmer in
Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht gemacht hat. Bei einer späteren
Verletzung der Aufklärungsobliegenheit können diese Informationen dagegen nur noch
Berücksichtigung finden, wenn sie dem Agenten, der bei der Erfüllung der
Anzeigepflicht mitwirkt, auch dann noch präsent sind. Anderenfalls würde bei der
Zurechnung des Agentenwissens strengere Maßstäbe angelegt als bei dem jederzeit
möglichen aber dennoch nicht verlangten Zugriff auf die in der EDV gespeicherten
Daten. Dass der Zeuge C. bei der Aufnahme der Schadenanzeige und der Ausfüllung
des Wertermittlungsbogens noch eine entsprechende Erinnerung besaß, hat seine
Vernehmung durch das Landgericht jedoch nicht ergeben.
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3. Den Obliegenheitsverstoß hat der Kläger auch vorsätzlich begangen. Bei der
Verletzung der Aufklärungsobliegenheit wird der – vom Versicherungsnehmer zu
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widerlegende – Vorsatz kraft Gesetzes vermutet (Römer in: Römer/Langheid, VVG, § 6
Rn 94 m.w.N.). Diese Vermutung hat der Kläger nicht widerlegt. Im Gegenteil spricht die
unzutreffende Beantwortung der weiteren Frage der Beklagten nach einem
Vorversicherer (GA 28) dafür, dass er eine Rückfrage bei der Z. V. oder die Auswertung
der von dieser über das vorausgegangene Versicherungsverhältnis übermittelten
Unterlagen bewusst vereiteln wollte.
4. Dass die Verheimlichung von Vorschäden in der angegebenen Dimension generell
geeignet ist, die Interessen des Fahrzeugversicherers zu beeinträchtigen, liegt auf der
Hand (vgl. BGH VersR 1984, 228). Schließlich hat der Kläger auch nicht nach
gewiesen, dass ihm nur ein geringes Verschulden zur Last fällt, für das ein einsichtiger
Versicherer noch Verständnis aufzubringen vermag (vgl. BGH, a.a.O.).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Entscheidung über die
Zulassung der Revision findet ihre Grundlage in § 543 ZPO. Berufungsstreitwert und
Beschwer des Klägers: 21.123,47 €.
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Dr. S. Dr. R. H.
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