Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.12.2010

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Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-2 U (Kart) 17/09
Datum:
22.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kartellsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VI-2 U (Kart) 17/09
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 90 O 144/07
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Kammer für
Handels-sachen des Landgerichts Dortmund vom 26. Juni 2009
teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1.
Das Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und
Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der
Beklagten durch die frühere L... GmbH & Co. KG zur Energieversorgung
ihrer Kunden, die sie in den Jahren 2003 und 2004 im Netzgebiet der
Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung
vorgelagerter Netze, soweit berechnet und übergewälzt, wird auf
8.233,84 € brutto festgesetzt.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, 2.744,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Dezember 2007
an die L... AG zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens verbleibt es bei
der Entscheidung.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
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Die Beklagte gestattete aufgrund eines Rahmenvertrages vom 16./20. November 2000
der damals noch als L... GmbH & Co. KG firmierenden Klägerin die Netzdurchleitung
gegen Entgelt in Höhe der jeweils einschlägigen Preisblätter. Die Klägerin hat bei
Unterzeichnung sowie zumindest in den Jahren 2004 und 2005 Vorbehalte gegen die
Höhe der verlangten Durchleitungsentgelte erhoben.
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Die Klägerin verlangt – soweit für die Berufungsinstanz noch von Belang – mit der 2007
erhobenen Klage Rückzahlung der ihrer Ansicht nach überhöhten
Durchleitungsentgelte für die Jahre 2003 und 2004. Sie erbrachte in diesen Jahren
Zahlungen in Höhe von 9.463,66 € netto. Sie hat zunächst die Bestimmung des billigen
Netznutzungsentgelts für diese Jahre und Rückzahlung der Differenz zu den gezahlten
9.463,66 Euro netto zuzüglich Mehrwertsteuer und gesetzlicher
Rechtshängigkeitszinsen verlangt, wobei sie von einer Überhöhung von 30 %
ausgegangen ist. Die Klägerin hat zudem die Auffassung vertreten, die Beklagte habe
keine aussagekräftigen Zahlen zur Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts
vorgelegt, sie könne daher Rückzahlung der vollständigen Summe verlangen.
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Die Beklagte ist dem entgegen getreten. Sie hat sich auf aufbereitete Zahlen berufen,
die auf ihrer Bilanz für das Jahr 1997 beruhen. Hilfsweise hat sie geltend gemacht, es
sei eine Schätzung des billigen Entgeltes vorzunehmen, das sich nicht auf 0,00 €
belaufen könne. Sie hat sich zudem auf Verjährung und Verwirkung berufen.
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Das Landgericht hat – unter Zurückweisung der auf Rückzahlung für die Jahre 2000 bis
2002 gerichteten Klage wegen Verjährung - in Anlehnung an das Urteil des Senats vom
26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) das Entgelt für die Jahre 2003 und 2004 auf 0,00 €
festgesetzt und die Beklagte zur Zahlung von 9.463,66 Euro netto zuzüglich MWSt.
nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz an die L... AG seit
Rechtshängigkeit verurteilt.
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Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
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Im Verlaufe des Rechtsstreits ist die Klägerin umfirmiert und das Geschäftsfeld
einschließlich der streitigen Forderung an die L... AG übertragen worden. Die Beklagte
meint daher, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert und auch nicht
prozessführungsbefugt. Der Anspruch für das Jahr 2003 sei verjährt, jedenfalls verwirkt.
Das Landgericht habe ihre Beweisantritte zur Billigkeit des verlangten Entgeltes
übergangen. Die Schätzung des billigen Entgelts auf 0,00 € sei unzulässig;
entsprechend der Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte könne eine Schätzung
anhand der Festsetzungen der Bundesnetzagentur erfolgen. Sie beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass es unter 1. statt "Klägerin"
"frühere L... GmbH & Co. KG" heißen muss und die Zahlung unter 2. an die L...AG
zu erfolgen hat.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und hält eine Schätzung für unzulässig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszuge
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung der Beklagten hat einen Teilerfolg.
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1. Klagebefugnis der Klägerin
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Die Klägerin ist prozessführungsbefugt. Sie ist mit der "L... GmbH & Co. KG" identisch,
es hat lediglich eine Umfirmierung gegeben.
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Die Ausgliederung des Geschäftsfeldes, welches auch die streitige Forderung umfasst,
auf die L... AG im Verlaufe des Rechtsstreits berührt sowohl ihre Parteistellung als auch
ihre Prozessführungsbefugnis nicht. Diese Vorgänge führen nicht zu einer
Gesamtrechtsnachfolge der L... AG (was konsequenterweise zur Folge haben müsste,
dass prozessual an die Stelle der "L... GmbH & Co. KG" ohne Weiteres als Klägerin die
L... AG getreten wäre), sondern lediglich dazu, dass die Aktivlegitimation im Wege einer
(vereinfachten) Einzelrechtsnachfolge auf die L... AG übergegangen ist (vgl. näher
Stöber, NZG 2006, 574 m.w.N.). Dies führt zu einer Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO
mit der Folge, dass die Klägerin weiterhin Partei des Rechtstreits ist, jedoch Zahlung nur
an die neue Gläubigerin verlangen kann.
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2. Rückzahlungsanspruch für das Jahr 2003
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Der Klägerin steht ein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der für das Jahr 2003
geleisteten Zahlungen nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB in Höhe von 25 % der geleisteten
Zahlungen zu.
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a) Wie das Landgericht zu Recht unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom
26. November 2008 (VI-2 U [Kart] 12/07, ZNER 2009, 46 m.w.N.) ausgeführt hat, ist die
Vorschrift des § 315 Abs. 1 BGB einschlägig.
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b) Die Entgeltfestsetzung der Beklagten ist unbillig.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21. November 2008 vorgetragen (Bl. 282 GA), ihren
Berechnungen anhand der Verbändevereinbarung II plus liege der Jahresabschluss per
31. Dezember 1997 zugrunde, der Abschluss für 1998 unterscheide sich von diesem
nicht "substantiell". Abgesehen davon, dass auch der Jahresabschluss 1998 nicht mehr
als zeitnah zum Jahr 2003 angesehen werden kann, hat die Klägerin zutreffend – ohne
eine Reaktion der Beklagten - darauf hingewiesen (Bl. 369), dass das Wort
"substantiell" ohne Substanz ist. Die Rüge der Beklagten, das Landgericht hätte über
den mangelnden Unterschied der Kostenstruktur in den Jahren 1997 einerseits und
1998 andererseits Beweis erheben müssen, ist daher unberechtigt. Zeitnähere Zahlen
liegen nicht vor. Es müssten erheblich zeitnähere Unterlagen vorgelegt werden, nur so
können die "jahresspezifischen Kosten" im Sinne der VV II plus einigermaßen
berechnet werden. Gerade durch den – u.a. infolge der VV erst ermöglichten –
Marktzutritt Dritter sind die Netzbetreiber gehalten gewesen, ihre Kostenstrukturen
kritisch zu überprüfen, insoweit ist damit zu rechnen, dass sich nach mehreren Jahren
die Kostenstrukturen geändert haben.
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c) Der Senat setzt das billige Entgelt gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB auf 75 % des von
der Beklagten verlangten Entgeltes fest.
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Das Landgericht hat das billige Entgelt im Anschluss an das Urteil des Senats vom
26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) auf 0,00 € festgesetzt. Der Senat hat dieses Ergebnis
damals damit begründet, er verkenne zwar nicht, dass dem Netzbetreiber ein Entgelt
zustehen müsse, er habe jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, in welcher Höhe ein Entgelt
billig im Sinne des § 315 BGB sei; eine Schätzung sei unzulässig, wenn sie "völlig in
der Luft hängen würde" (vgl. Greger, in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 287 Rdnr. 5).
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Der Bundesgerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2010 (EnZR
23/09) in einem vergleichbaren Fall eine Schätzung für grundsätzlich möglich erachtet.
Unter diesen Umständen hält es der Senat – auch zur Wahrung der Rechtseinheit – für
geboten, eine Schätzung vorzunehmen.
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Der Senat legt der Schätzung in vergleichbaren Fallgestaltungen, soweit möglich, im
Allgemeinen nicht den Durchschnittssatz, sondern den individuellen Kürzungssatz
zugrunde, den die Bundesnetzagentur in ihrem ersten Bescheid gegenüber den
vorherigen Sätzen vorgenommen hat. Im Termin vom 07. Juli 2010 ist unter diesem
Gesichtspunkt der im Parallelverfahren 2 U (Kart) 34/09 angesprochene Bescheid
(Anlage K 8) erörtert worden. Die Klägerin hat dort Kürzungssätze zwischen 12,5 % (bei
einem Jahresverbrauch von 1.500 kWh/a) und 18,6 % (bei einem Jahresverbrauch von
4.500 kW/h) errechnet. Die Beklagte hat im Termin vom 24. November 2010 erheblich
niedrigere Kürzungssätze errechnet. All dies konnte der Senat mangels Vorlage des
Bescheides und der Rechenwege nicht nachvollziehen. Unter diesen Umständen muss
der Senat von dem durchschnittlichen Kürzungssatz ausgehen.
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Wie der Senat bereits im Termin vom 24. November 2010 ausgeführt hat, addiert er zu
diesem Kürzungssatz noch einen Zuschlag. Die Netzregulierungsbehörde hat nämlich
in der ersten Regulierungsrunde unbestritten nur eine rudimentäre Prüfung der
vorgelegten Unterlagen vornehmen können. Sie hat lediglich bestimmte Werte geprüft,
eine in die Tiefe gehende Untersuchung hat - und zwar auch in der Folgezeit - nicht
stattgefunden.
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Insgesamt schätzt der Senat daher den Kürzungsbetrag auf 25 %.
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b) Der Anspruch ist nicht verjährt.
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Der Rückzahlungsanspruch ist im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst im Jahre 2004
entstanden.
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Grundsätzlich entsteht ein Anspruch auf Rückgewähr des Geleisteten nach § 812 Abs. 1
S. 1 BGB bereits mit der Leistung (vgl. Teilurteil des Senats vom 04.11.2009 – VI-2 U
(Kart) 8/08). Denn bereits bei der Zahlung steht im Allgemeinen objektiv fest, ob sie
geschuldet war oder nicht.
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Das ist aber bei Abschlagszahlungen anders. Erst bei Abrechnungsreife steht fest, ob
und in welchem Umfange tatsächlich ein Entgelt verlangt werden kann. Erst dann steht
dem Zahlenden ein Anspruch auf Rückzahlung des zu viel Gezahlten zu (vgl. BGH NJW
2005, 1499; 2006, 2552 für Vorauszahlungen auf Betriebskosten).
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Die Beklagte hat Abschlagszahlungen (so unwidersprochen die Klägerin) nach Nr. 8.1
S. 2 des Rahmenvertrages erhoben. Ob und in welcher Höhe die Abschlagszahlungen
berechtigt waren, ergab sich erst aus der Jahresabrechnung (Nr. 8 Abs. 1 S. 1
Rahmenvertrag. Damit sind Rückzahlungsansprüche für das Jahr 2003 erst im Jahr
2004 entstanden.
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Auf die Frage, ob bei der Klägerin die subjektiven Voraussetzungen für den Beginn der
Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits im Jahre 2003 vorlagen, kommt es
danach nicht an.
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Die Klageerhebung hat sodann rechtzeitig zu einer Hemmung der Verjährung nach
§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB geführt. Die Zustellung der Klage ist am 22. Dezember 2007
erfolgt .
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c) Die – zutreffenden – Ausführungen des Landgerichts zur fehlenden Verwirkung der
Ansprüche nimmt die Beklagte hin.
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3. Rückzahlungsanspruch für das Jahr 2004
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Die Ausführungen unter 2.a) gelten entsprechend. Hinzu kommt, dass die Vermutung
der Kartellrechtskonformität eines nach der Verbändevereinbarung II plus als
angemessen kalkulierten Entgeltes für das Jahr 2004 nicht mehr galt (BGH WuW/E DE-
R 1617 ff., 1620). Sonstige Zahlen legt die Klägerin nicht vor.
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4. Zinsen
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Die Berufung der Beklagten hat auch hinsichtlich der Zinsentscheidung einen Teilerfolg.
Es handelt sich bei der geltend gemachten Forderung nicht um eine Entgeltforderung im
Sinne des § 288 Abs. 2 BGB (für die Anwendbarkeit des § 288 Abs. 2 BGB ohne nähere
Erörterung allerdings Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 33 Rdnr. 67).
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5.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 2, § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Der
Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Klägerin in erster Instanz in erster Linie die
Höhe des Rückzahlungsbetrages in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Das
rechtfertigt es, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2
ZPO vollständig der Beklagten aufzuerlegen. Für das Berufungsverfahren hält der Senat
eine Kostenaufhebung gerechtfertigt; er ist der Auffassung, dass auch vor dem
Hintergrund der genannten Vorschrift die Klägerin angesichts ihres Festhaltens an einer
Festsetzung auf 0,00 € einen erheblichen Teil des Risikos des Rechtsstreits tragen
muss.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) sind nicht ersichtlich.
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Der Berufungsstreitwert beträgt 10. 977,84 €.
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Schüttpelz Frister Breiler
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