Urteil des OLG Düsseldorf vom 11.02.2005

OLG Düsseldorf: venire contra factum proprium, treu und glauben, spiel, gefahr, tennis, unfall, kauf, schmerzensgeld, sportart, abstimmung

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-15 U 78/04
Datum:
11.02.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-15 U 78/04
Tenor:
Das am 29. März 2004 verkündete Teil-Grundurteil der Einzelrichterin
der 2a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird abgeändert und -
als Schlussurteil - wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
gegen Sicherheitsleistung von 110% des beizutreibenden Betrags
abwenden, wenn der Beklagte nicht zuvor in gleicher Höhe Sicherheit
leistet.
Gründe:
1
I.
2
Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem Unfall beim Tennisspiel auf bezifferten
Schadensersatz, Schmerzensgeld, Verdienstausfall und Schadensersatzfeststellung in
Anspruch. Die Parteien spielten am 17. Februar 2001 gegen 19.30 Uhr als
Doppelpartner in einer Sporthalle in D auf der selben Seite des Netzes ein
Trainingsspiel gegen die Zeugen L und P. Alle vier sind seit Jahren aktive Tennisspieler
und auch im Doppelspiel erfahren. Zu dem Unfall kam es wie folgt: Nachdem der
Beklagte, der auf der rechten Seite seines Spielfeldes an der Grundlinie stand,
aufgeschlagen hatte, wurde der Ball durch den Zeugen L retourniert. Dieser spielte den
Ball im Wege eines kurzen Stopps hinter das Netz diagonal auf die rechte Seite des
Feldes zurück. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kläger in der linken Spielhälfte am
Netz. Beide Parteien liefen zum Ball, um diesen zurückzuspielen. Der Beklagte lief
dabei von der Grundlinie aus nach vorn, während der Kläger sich von der vorderen
linken Seite des Feldes zur Seite in den rechten Bereich des Feldes bewegte. Der
Beklagte traf bei dem Versuch den Ball zu schlagen den Kopf des Klägers. Bei diesem
zeigten sich zunächst leichte Schwellungen und Schürfungen im Gesicht. Die Parteien
setzten das Spiel mit den Zeugen L. und P. sodann fort. Der Kläger, der Arzt ist, begann
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im Anschluss daran noch ein Einzelspiel mit dem Zeugen P., welches er aber abbrach,
um mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht zu werden. Dort wurde eine
Gehirnerschütterung diagnostiziert. Der Kläger verließ noch am selben Abend auf
eigenen Wunsch das Krankenhaus.
Der Kläger hat behauptet: Er habe sich näher am Ball befunden und habe diesen auch
eher erreicht als der Beklagte. Dieser habe ihn mit seinem Körper und seiner linken
Hand auf die linke Seite geschlagen, um sich für seinen Schlag Platz zu verschaffen.
Der Beklagte habe sich dabei sogar seine linke Hand eingequetscht. Der Beklagte
habe, obwohl er, der Kläger, ihm zugerufen habe "ich habs", nicht versucht, den Schlag
abzubremsen, sondern mit voller Kraft statt des Balles seinen Kopf getroffen.
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Der Kläger hat geltend gemacht, dass der Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, den
Ball anzunehmen. Die vom Beklagten beabsichtigte Annahme des Balles am Netz und
der Körperkontakt seien regelwidrig gewesen. Der Kläger hat materiellen und
immateriellen Schadensersatz geltend gemacht. Er hat ein Schmerzensgeld von
50.000,00 EUR für angemessen erachtet.
5
Er hat beantragt,
6
den Beklagten zu verurteilen, an ihn
7
1.
8
1.098,83 EUR,
9
2.
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ein angemessenes Schmerzensgeld und
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3.
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Verdienstausfall in Höhe von 22.500,00 EUR zu zahlen sowie
13
4.
14
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und
immateriellen Schäden, die aus dem Tennisunfall am 17. Februar 2001 in der
"Aktiv"-Sporthalle künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf
Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
17
Er hat bestritten, einen Regelverstoß begangen zu haben. Selbst wenn dies der Fall
gewesen sei, sei dies nicht schuldhaft geschehen. Dazu hat er behauptet, dass er die
bessere Position zum Ball gehabt und diesen demgemäss auch vor dem Kläger habe
schlagen können. Es sei keinesfalls so gewesen, dass sich der Kläger nur einen Schritt
nach rechts habe bewegen müssen, um den Ball zu spielen. Wäre dies der Fall
gewesen, so hätte der Kläger den Ball schon weggeschlagen gehabt, bevor er, der
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Beklagte, diesen erreicht habe. Es gebe weder eine Regel, nach der derjenige, der
näher am Netz stehe, für die kurzen Bälle zuständig sei, noch eine, wonach
Körperkontakt zwischen Doppelpartnern regelwidrig sei. Bei einem Doppel im Tennis
bestehe auch unter Beachtung der Spielregeln und insbesondere beim Kampf um die
Punkte die Gefahr, den Doppelpartner zu verletzen. Daher sei von einer gegenseitigen
Inkaufnahme solcher Verletzungen auszugehen, die trotz Einhaltung der Spielregeln
einträten. Dies führe zu einem Haftungsausschluss.
Das Landgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 16. September 2003 (Bl. 82 d.A.)
durch die Vernehmung der Zeugen P. (Bl. 128 d.A.) und L.(Bl. 125 d.A.) Beweis über
den Hergang des Unfalls erhoben.
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Mit Teil-Grundurteil hat das Landgericht die Klage hinsichtlich der Leistungsanträge auf
Schadensersatz und Schmerzensgeld dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit
der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sei.
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Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Haftungsausschluss liege nicht
vor. Das Doppelspiel beim Tennis gehöre nicht zu den sogenannten gefährlichen
Sportarten, bei denen in einem gewissen Umfang mit gewöhnlichen Verletzungen
gerechnet werden müsse und für die anerkannt sei, dass die Einhaltung der sportlichen
Regeln einen Haftungsausschluss begründe. Die Verhaltensanforderungen richteten
sich nach § 276 BGB. Es gelte ein gegenseitiges Rücksichtnahmegebot, wonach
insbesondere eine Verletzung des Mitspielers bei Ausführung eines Schlages dadurch
zu vermeiden sei, dass der Schlag bei zu großer Körpernähe nicht ausgeführt werde.
Derjenige, der aufgrund seiner Position den größeren Überblick über das
Spielgeschehen und insbesondere den Ballverlauf und die Laufrichtung des Mitspielers
habe, müsse größere Zurückhaltung üben. Sehe der von der Grundlinie aufschlagende
Spieler, dass der Ball - wie es einem häufigen Spielzug des Gegners entspreche - von
diesem diagonal so zurückgeschlagen werde, dass der Ball zwar auf "seine" Seite, aber
kurz hinter das Netz gespielt werde und der am Netz und damit vor ihm stehende
Tennispartner ebenfalls zu diesem Ball laufe, habe er, entscheide er sich dafür,
ebenfalls von hinten nach vorn an das Netz zu laufen, um den Ball dort zu spielen,
besondere Rücksicht auf seinen Mitspieler zu nehmen und darauf zu achten, diesen mit
seinem Schlag nicht zu verletzen. Dem am Netz agierenden Spieler sei es seinerseits
nicht in eben diesem Maße möglich, sich auf das Spiel seines Mitspielers einzustellen,
da er diesen in seinem Rücken nicht sehen könne und sich auch nach vorn auf das
Spiel und dem Ball konzentrieren müsse. Der Beklagte sei seiner Pflicht, seine eigenen
Schlagbewegungen einzustellen und einen Zusammenstoß mit dem Kläger zu
vermeiden, schuldhaft nicht nachgekommen, obwohl er habe erkennen können, dass
der am Netz stehende Kläger den Ball vor oder wenigstens gleichzeitig mit ihm erreiche.
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Hiergegen richtet sich die form- und fristgerechte Berufung des Beklagten: Das
Landgericht habe verkannt, dass das Tennisdoppelspiel in einer Halle ein erhöhtes
Gefahrenpotential in sich berge, denn das Spiel sei auf dem harten Hallenboden im
Vergleich zu Sand- bzw. Aschenplätzen äußerst schnell. Beim Doppelspiel in einer
Halle nähmen die Teilnehmer dementsprechend ein erhöhtes Risiko spieltypischer
Gefahren in Kauf.
22
Die komplette Aufmerksamkeit der beteiligten Spieler sei am 17. Februar 2001 auf den
Ball gerichtet gewesen. Bei der räumlichen Nähe, die während eines Doppelspiels
immer wieder entstehe, lasse es sich nicht ausschließen, dass beim Kampf um den
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Punktgewinn ein Doppelpartner den anderen mit dem Schläger berühre und verletze.
Demgemäss müsse bei einem derartigen Spiel von der gegenseitigen Inkaufnahme von
Verletzungen ausgegangen werden.
Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme habe der
Zeuge L. den Ball so angenommen, dass dieser auf den Beklagten zugeflogen sei. Es
sei deshalb nicht zu beanstanden, dass der Beklagte in dieser Situation nach vorn
gelaufen sei und versucht habe, den Ball zu erreichen. Der Kläger habe sich nach
rechts wenden müssen, um den Ball zu erlangen. Dabei sei er, der Beklagte,
zwangsläufig in das Blickfeld des Klägers geraten.
24
Der Beklagte beantragt,
25
das Teil-Grundurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. März 2004 abzuändern
und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
28
Er verteidigt das Urteil des Landgerichts. Sportarten wie Tennis zielten darauf ab,
körperlichen Kontakt mit den Mitspielern zu vermeiden. Werde der Abstand zwischen
den Partnern spielbedingt verringert, so hätten diese aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Der Kläger wiederholt im Übrigen sein Vorbringen aus der ersten Instanz, insbesondere,
dass es einen Regelverstoß darstelle, wenn der an der Grundlinie stehende Spieler
nach vorne laufe, um einen direkt hinter dem Netz landenden kurz gespielten Ball
anzunehmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Urteil, auf die im Berufungsrechtszug gewechselten
Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften
verwiesen.
30
II.
31
Der Kläger hat gegen den Beklagten aus dem Unfall vom 17. Februar 2001 keinen
Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB und keinen Schmerzensgeldanspruch
aus § 847 Abs. 1 BGB a.F.
32
1.
33
Es steht außer Frage, dass der Beklagte dem Kläger mit dem Schläger eine Verletzung
am Kopf zugefügt hat. Beide Zeugen haben eine derartige Verletzung bestätigt.
34
2.
35
Ein Rechtfertigungsgrund steht dem Beklagten nicht zur Seite.
36
Zwar finden die Grundsätze des "Handelns auf eigene Gefahr" auf den Streitfall
Anwendung. Aus diesen lässt sich eine konkludente Einwilligung in eine mögliche
Schädigung jedoch nicht herleiten. Der Bundesgerichtshof hat derartige Fälle dem
37
Anwendungsbereich des § 254 BGB zugeordnet (BGHZ 34, 355, 363): Der Grundsatz
des gegen Treu und Glauben verstoßenden venire contra factum proprium lasse es
nicht zu, dass der Geschädigte den beklagten Schädiger zur Rechenschaft ziehe, ohne
dabei zu berücksichtigen, dass er selbst die gefährliche Lage bewusst geschaffen oder
mitgeschaffen habe, in der sich der vom Beklagten zu vertretende Beitrag zur
Schadensentstehung habe ausdrücken können. Dies zeige, dass der rechtliche
Standort des Problems der Behandlung des Handelns auf eigene Gefahr in der vom
Gesetz in § 254 BGB getroffenen Wertung zu suchen sei. Die Regelung, die dem vom
Geschädigten zu vertretenden eigenen Verhalten bei der Schadensentstehung,
besonders seiner leichtfertigen Selbstgefährdung Bedeutung für die Haftung des
Schädigers beimesse und sogar den Wegfall der Schadensersatzforderung als möglich
vorsehe, beruhe wesentlich auf dem in § 242 BGB verankerten Grundsatz über die
Folgen widersprüchlichen Verhaltens. Für das Schadensrecht werde dieser Grundsatz
durch § 254 BGB näher ausgeprägt.
3.
38
Die Anwendung des § 254 BGB führt im Streitfall indessen zur Klageabweisung.
39
a)
40
Von einer Fallkonstellation, die die Freistellung des Beklagten von der
Schadensersatzpflicht nahe legt, ist im Streitfall allerdings nicht von vornherein
auszugehen. Der Bundesgerichtshof bejaht unter dem Gesichtspunkt des treuwidrigen
Selbstwiderspruchs (venire contra factum proprium, § 242 BGB) bei sportlichen
Kampfspielen einen Haftungsausschluss für Verletzungen, soweit der Schädiger die
Regeln der Sportart nicht verletzt hat (BGH, NJW 2003, 2018): Der Teilnehmer an einem
sportlichen Kampfspiel nehme grundsätzlich Verletzungen in Kauf, die auch bei
regelgerechtem Spiel nicht zu vermeiden seien. Ein Schadensersatzanspruch gegen
einen Mitspieler setzte daher den Nachweis voraus, dass dieser sich nicht regelgerecht
verhalten habe. Verletzungen, die auch bei sportgerechtem Verhalten auftreten könnten,
nehme jeder Spielteilnehmer in Kauf; deshalb verstoße es jedenfalls gegen das Verbot
des treuwidrigen Selbstwiderspruchs, wenn der Geschädigte den beklagten Schädiger
in Anspruch nehme, obschon er ebenso gut in die Lage hätte kommen können, in der
sich nun der Beklagte befinde, sich dann aber - und mit Recht - dagegen gewehrt haben
würde, diesem trotz Einhaltens der Spielregeln Ersatz leisten zu müssen.
41
Das Tennisdoppelspiel der Parteien ist allerdings vom Bereich derartiger sportlicher
Kampfspiele nicht umfasst. Diese sind durch körperliche Berührungen und kämpferische
Elemente beim gemeinsamen "Kampf um den Ball" geprägt (BGHZ 63, 140). Sie sind im
Besonderen dadurch gekennzeichnet, dass ihnen bestimmte, für jeden Teilnehmer
verbindliche Regeln zugrunde liegen, die von vornherein feststehen, unter denen somit
die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insbesondere durch das Verbot des
sogenannten "Fouls" auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler
selbst ausgerichtet sind (BGH, NJW-RR 1995, 857, 858). So liegt es beim Tennis-
Doppelspiel nicht. Es fehlt bei den Doppelpartnern auf der einen Seite des Netzes
bereits am gemeinsamen "Kampf um den Ball", denn die Doppelpartner spielen nicht
gegen-, sondern miteinander, um den Ball in das gegnerische Feld zurückzuschlagen.
Zudem ist dem Tennisspiel gerade das Fehlen körperlicher Berührungen eigen; ein
Regelwerk zu sogenannten "Fouls" gibt es dort dementsprechend nicht.
42
b)
43
Der Bundesgerichtshof hat in seinen früheren Entscheidungen betont, dass die
eingangs beschriebenen Grundsätze zum Haftungsausschluss ausschließlich auf
sportliche Kampfspiele Anwendung finden sollen (BGH, NJW-RR 1995, 857, 858).
Diese klare Abgrenzung sportlicher Kampfspiele zu sogenannten parallel ausgeübten
Sportarten - zu diesen zählt auch das Tennisdoppel (OLG Braunschweig, NJW 1990,
987; Spindler in Bamberger/Roth, BGB, Aktualisierung August 2004, § 823 BGB, Rdnr.
396; Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 823 BGB, Rdnr. 216) - hat der Bundesgerichtshof
allerdings mittlerweile aufgegeben. Er hat im Fall eines Autorennens - hierbei handelt es
sich um eine parallel ausgeübte Sportart - einen konkludenten Haftungsausschluss der
Teilnehmer untereinander bejaht: Die Grundsätze, die zur Inkaufnahme von
Schädigungen bei regelgerechtem Kampfspiel entwickelt worden seien, hätten
allgemein Geltung für Wettkämpfe mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential, bei denen
typischerweise auch bei Einhaltung der Wettkampfregeln oder geringfügiger
Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung bestehe (BGH, NJW
2003, 2018, 2020).
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Der Streitfall ist mit dem des vom Bundesgerichtshof entschiedenen Falls auf den ersten
Blick nicht ohne weiteres vergleichbar. Die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs
zu Grunde liegende Rennveranstaltung und das hier im Streit stehende
Tennisdoppelspiel lassen sich schon hinsichtlich des von den jeweiligen Sportarten
ausgehenden Gefahrenpotentials, von welchem die Teilnehmer betroffen sind, kaum
miteinander vergleichen. Akteure eines Autorennens können bereits durch geringfügige
Fahrfehler in Todesgefahr geraten. Eine solche Gefährdung eines Tennisspielers durch
seinen Doppelpartner ist hingegen schwerlich vorstellbar. Der gravierendste
Unterschied liegt in der Zielrichtung der Teilnehmer der beiden Sportarten: Fahren die
Rennfahrer gegeneinander, so spielen die Doppelpartner beim Tennis in dem Sinne
miteinander, als sie das gegnerische Doppel gemeinsam schlagen wollen.
45
c)
46
Die vom Bundesgerichtshof formulierte neue Regel, die Grundsätze, die bisher zur
Inkaufnahme von Schädigungen bei regelgerechtem Kampfspiel entwickelt worden
seien, gälten allgemein für Wettkämpfe mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential, bei
denen typischerweise auch bei Einhaltung der Wettkampfregeln oder geringfügiger
Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenzufügung bestehe, greift trotzdem
auch für das Tennisdoppelspiel Platz. Dieses ist ohne weiteres als ein derartiger
Wettkampf einzuordnen.
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Das Tennisspiel birgt schon, wenn es als Einzel gespielt wird, wegen seiner
Schnelligkeit ein erhebliches Gefahrenpotential. Häufig sind schnelle, gegenläufige
Bewegungswechsel nötig, die bei einem unglücklichen Verlauf zum Umknicken eines
Spielers führen können. Eine Fehleinschätzung eines einen Ball annehmenden
Spielers kann dazu führen, dass er von einem mit hoher Geschwindigkeit geschlagenen
Ball unglücklich getroffen und verletzt wird. Das Gefahrenpotential ist beim Spiel in der
Halle - wie im Streitfall - zudem höher als auf einem Sand- oder Rasenplatz, da der Ball
in der Halle höhere Geschwindigkeiten erreicht.
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Beim Doppelspiel tritt die Gefahr, dass sich die beiden auf einer Seite des Netzes
spielenden Doppelspieler gegenseitig verletzen, hinzu. Es entspricht einem typischen
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Spielverlauf, dass ein Ball - genau dies ist auch vom gegnerischen Doppel bezweckt -
so gespielt wird, dass er für beide Doppelspieler schwierig zu erreichen ist. Es liegt auf
der Hand, dass es in derartigen Fällen geschehen kann, dass beide Spieler in Richtung
des Balles rennen um diesen ins gegnerische Feld zurückzuschlagen. Solche
Situationen lassen sich durch eine vorherige Abstimmung der Spieler darüber, wer von
ihnen den Ball annehmen soll, nicht vermeiden, da nicht jede Spielsituation vor dem
Spiel im einzelnen besprochen werden kann. Es drängt sich auf, dass es in derartigen
Situationen zum Zusammenstoß der beiden Doppelpartner kommen kann oder bei
räumlicher Nähe der beiden Doppelpartner ein Spieler den anderen beim Versuch der
Ballannahme versehentlich mit dem Schläger trifft. Es versteht sich von selbst, dass
dann auch die vom Bundesgerichtshof als Voraussetzung für die Anwendung der
Grundsätze zur Inkaufnahme von Schädigungen verlangte Gefahr gegenseitiger
Schadenszufügung besteht.
In diese Gefahr geraten die Doppelpartner auch nicht nur etwa bei der Verletzung der für
ihren Sport aufgestellten Regeln, sondern ebenso bei regelgerechtem Spiel. Die
Tennisregeln der International Tennis Federation enthalten zwar in Regel 36
Bestimmungen dazu, welcher der beiden Doppelpartner einen Aufschlag
zurückzuschlagen hat. Um eine derartige Situation geht es im Streitfall jedoch nicht. Die
Regeln schreiben nicht vor, welcher der beiden Spieler während des weiteren Spiels -
eine solche Lage steht in Rede - für die Ballannahme zuständig ist.
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Greifen dem entsprechend die Grundsätze zur Inkaufnahme von Schädigungen ein, so
hat der Kläger - davon ist nach dem Wortlaut der vom Bundesgerichtshof formulierten
Regel auszugehen - einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nur, wenn
diesem mehr als ein nur geringfügiger Regelverstoß zur Last fällt.
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Eine der im Regelwerk der International Tennis Federation ausdrücklich genannten
Regeln ist nicht verletzt. Der Kläger legt auch nicht dar, aus welcher Bestimmung eine
Regel, nach der allein er für die Ballannahme zuständig gewesen sei, folgen soll.
Allerdings ist für das Tennisdoppelspiel als ungeschriebene Regel anzunehmen, dass
die Doppelpartner gegenseitig Rücksicht zu üben und Verletzungen des anderen zu
vermeiden haben. Eine mehr als nur geringfügige Verletzung dieser Regel kann, da
dem Tennisdoppelspiel - wie dargestellt - ein gewisses Verletzungsrisiko gerade eigen
ist, jedoch nur angenommen werden, wenn der Schadenseintritt mit einem üblichen
Spielverlauf und dessen immanenten Gefährdungen nicht mehr zu erklären ist.
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So liegt es hier aber nicht. Es hat sich ein typisches Risiko verwirklicht, nämlich, dass es
infolge einer fehlenden Abstimmung der beiden Spieler auf einer Seite des Netzes
dazu, wer von ihnen einen Ball annimmt, zum Zusammenprall dieser Spieler kommt.
Der Erfolg beim Tennisdoppelspiel hängt außer vom Spielvermögen und der
Geschicklichkeit der beteiligten Spieler wesentlich vom Verständnis der Doppelpartner
ab. Eine fehlende Koordination kann dazu führen, dass sich keiner der beiden für einen
Ball zuständig fühlt und das gegnerische Doppel allein aus diesem Grund einen Punkt
gewinnt. Eine andere Folge unkoordinierten Spiels kann - wie im Streitfall geschehen -
sein, dass sich beide Spieler zum Ball bewegen um diesen anzunehmen und es
deshalb zu einem Körperkontakt kommt.
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Die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte dafür
ergeben, dass das Verhalten des Beklagten vor dem Unfall nicht mehr als spieltypisch
und daher nicht nur geringfügig regelwidrig gewertet werden könnte. Es hat sich im
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Besonderen nicht die vom Kläger erhobene Behauptung bestätigt, der Beklagte habe
ihn mit seinem Körper und seiner linken Hand auf die linke Seite geschlagen - was auch
immer damit konkret gemeint ist -, um sich für seinen Schlag Platz zu verschaffen. Nach
der Erinnerung des Zeugen L. war der Kläger zwar eher am Ball. Der Zeuge vermochte
aber nicht auszuschließen, dass es der Beklagte war, der den Ball zurückschlug.
Es steht auch nicht fest, dass der Beklagte den Kläger hörte, als dieser rief "ich habs"
und ausreichend Zeit hatte, sein weiteres Vorgehen auf diesen Zuruf einzustellen.
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Vielmehr sprechen die Bekundungen der Zeugen L. und P. dafür, dass der Beklagte
falsch einschätzte, welche der Parteien den Ball zuerst erreichen könnte. Es handelte
sich dabei keinesfalls um eine grobe, sondern eben um eine spieltypische
Fehleinschätzung. Der Zeuge L. hatte den Ball als sogenannten Stopp-Ball ins Feld der
Parteien geschlagen. Der Ball stand, so der Zeuge Lindhaus, "ganz tief" und war daher
schwer einzuschätzen und anzunehmen. Der Beklagte musste, um an den Ball zu
gelangen, da er an der Grundlinie stand, zum Netz spurten, also ein beachtliches
Tempo entwickeln. Es ist durchaus fraglich, ob er bei dieser Anstrengung noch die
erforderliche Übersicht hatte um - wie es das Landgericht allerdings angenommen hat -
zu bemerken, dass sich der Kläger dem Ball am Netz von der linken Seite kommend
näherte und er, der Beklagte, seinen Spurt sinnvollerweise abbrechen musste. Bei der
Betrachtung darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Parteien ihre
Entscheidungen zur Ballannahme in Sekundenbruchteilen zu treffen hatten, da der Ball
nicht in der Luft verharrt. Der Beklagte befand sich, wie der Zeuge L. schilderte, bei dem
Unfall "im Eifer des Gefechts"; er spielte - so beide Zeugen - zwar "mit großem Einsatz",
die Fähigkeiten, die spielerische Situation richtig einzuschätzen, fehlten ihm nach dem
Urteil des Zeugen L. jedoch.
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Eine etwa unvollkommene Übersicht oder mangelhafte Einschätzung der Situation
durch den Beklagten würden sich gleichfalls als eine für ein Tennisdoppelspiel typische
Erscheinung darstellen. Es mag sein, dass ein besserer Spieler an der Stelle des
Beklagten eher in der Lage gewesen wäre den Unfall zu vermeiden. Ebenso steht aber
auch fest, dass die am Tennisspiel beteiligten Spieler häufig eine unterschiedliche
Spielstärke aufweisen und dadurch Spielsituationen auf verschiedene Weise
einschätzen. Der Umstand geringerer Spielstärke kann dem betroffenen Spieler nicht
zum Verschulden gereichen.
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Dem Kläger waren vor dem Spiel zudem sämtliche Umstände bekannt, die die
Annahme rechtfertigen, er habe etwaige Schädigungen in Kauf genommen:
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Der Kläger hat sich bewusst in eine Situation begeben, in der sich ein solcher Unfall bei
einem unglücklichen Spielverlauf ergeben konnte. Hinzu tritt der Umstand, dass der
Kläger um die Stärken und Schwächen des Beklagten wusste: Der Beklagte spielte, so
beide Zeugen, immer "mit vollem Einsatz", war aber gleichzeitig nach den Angaben des
Zeugen L. der im Verhältnis zum Kläger schwächere Doppelpartner. Diese Kombination
der Spieleigenschaften des Beklagten war dem Kläger durchaus - davon muss nach der
Aussage des Zeugen L. ausgegangen werden - bekannt, denn der Kläger hatte nach
seinem Eintritt in den Tennisclub schon mehrfach - auch im Doppel - mit gespielt.
59
4.
60
Ist nach alledem die Haftung des Beklagten ausgeschlossen, so kann der Senat, da
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eine weitere Verhandlung in der Sache nicht erforderlich ist, abschließend entscheiden.
Das Landgericht hat zwar unzulässigerweise ein allein die Leistungsanträge des
Klägers betreffendes Teil-Grundurteil erlassen. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs darf ein Teilurteil nach § 301 ZPO nur erlassen werden, wenn
die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen auch aufgrund einer
abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht ausgeschlossen ist (BGH,
NJW 2004, 1452 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Genau diese Gefahr
verwirklichte sich im Streitfall, sollte das Landgericht bei der Entscheidung über den
beim Senat nicht anhängigen Feststellungsantrag wie im angefochtenen Urteil anders
als der Senat zu dem Ergebnis gelangen, dem Kläger stehe gegen den Beklagten dem
Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zu.
62
Von einer Zurückverweisung der Sache nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 7 ZPO sieht der
Senat jedoch ab. Aus der Wendung "das Berufungsgericht darf die Sache ...
zurückverweisen" in § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO folgt, dass die Zurückverweisung an das
erstinstanzliche Gericht beim Vorliegen eines von diesem erlassenen unzulässigen
Teilurteils keinesfalls zwingend ist. Vielmehr darf das Berufungsgericht im Fall eines
vom Landgericht unzulässig erlassenen Teil-Grundurteils aus Gründen der
Prozesswirtschaftlichkeit den dort noch anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits an
sich ziehen und über diesen mit entscheiden (BGH, 1992, 511, 512).
63
So liegt es hier. Da der beim Landgericht noch anhängige Feststellungsantrag
entscheidungsreif ist und aus den selben Gründen scheitert, welche der Abweisung der
Leistungsanträge zu Grunde liegen, wäre eine Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht mit dem Gebot prozessökonomischen Handelns unvereinbar.
64
III.
65
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Über die im ersten Rechtszug
entstandenen Kosten des Rechtsstreits ist mit zu entscheiden, da das Landgericht - von
seinem Standpunkt aus folgerichtig - eine Kostenentscheidung unterlassen hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711,
108 ZPO.
67
Ein begründeter Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht.
68
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird wie folgt festgesetzt:
69
Klageantrag zu Ziffer 1:
1.098,83 EUR
Klageantrag zu Ziffer 2:
50.000,00 EUR
Klageantrag zu Ziffer 3:
22.500,00 EUR
Klageantrag zu Ziffer 4:
2.000,00 EUR
insgesamt
75.598,83 EUR.
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