Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.02.2005
OLG Düsseldorf: ausschreibung, vergabeverfahren, lieferung, verzicht, zek, abgabe, notfall, programm, ersatzbeschaffung, software
Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 72/04
Datum:
16.02.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 72/04
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 22. September
2004, Az.: VK VOL 25/2004, aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in dem Vergabeverfahren
zur Lieferung von digitalen Reprographiegeräten gemäß Aufforderung
zur Ab-gabe von Angeboten vom 10. September 2003
(Geschäftszeichen 2003/ZEK/Repro) durch die Entscheidung des
Antragsgegners zum Ver-zicht auf die Ausschreibung bezüglich des
Loses 2 in ihren Rechten ver-letzt ist.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des
Beschwerde-verfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs.
1 Satz 3 GWB und der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen
der Antragstellerin und des Antragsgegners haben die Antragstellerin
und der Antragsgegner je zur Hälfte zu tragen.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten war für die Antrag-
stellerin in beiden Instanzen notwendig.
Beschwerdewert: bis 22.000,- EUR
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
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Der Antragsgegner schrieb im offenen Verfahren den Abschluss eines Leasingvertrages
über digitale Reprographieanlagen in insgesamt 4 Losen aus. Ausweislich seines
Vergabevermerkes sollten die Zuschläge der Lose 1 und 2 auf die Beigeladene
entfallen. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag. Die
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Vergabekammer Köln entschied mit Beschluss vom 12.5.2004, dass der
Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hinsichtlich des Loses 1 wegen Nichterfüllung
von Mindestanforderungen unbegründet sei. Hinsichtlich des Loses 2 ordnete die
Vergabekammer die Wiederholung der Zuschlagswertung an, weil das Angebot der
Antragstellerin zu Unrecht ausgeschlossen worden sei; das Angebot der Beigeladenen
sei dabei auszuschließen. Gegen diesen Beschluss legten die Antragstellerin und die
Beigeladene sofortige Beschwerde ein. Noch während des Beschwerdeverfahrens teilte
der Antragsgegner unter dem 2.6.2004 mit, dass er auf die Vergabe der Lose 1 und 2
verzichte. Dessen ungeachtet begehrte die Antragstellerin weiterhin die Fortsetzung der
Vergabe. Mit Beschluss vom 19.8.2004 entschied der erkennende Senat, dass das
Rechtsmittel der Antragstellerin unbegründet sei, weil der Antragstellerin für Los 1
wegen einer unzulässigen Änderung der Vergabebedingungen die Antragsbefugnis
gemäß § 107 Abs. 2 GWB fehle. Auch das Rechtsmittel der Beigeladenen betreffend
das Los 2 sei unbegründet, weil die Beigeladene in Bezug auf die Plotgeschwindigkeit
die ausgeschriebenen Mindestanforderungen nicht erfüllt habe.
Die damit bestandskräftig gewordene Anordnung der Vergabekammer vom 12.5.2004
auf Wiederholung der Wertung bezüglich des Loses 2 verhielt sich in faktischem
Widerspruch zu der inzwischen getroffenen Verzichtsentscheidung des Antragsgegners
vom 2.6.2004. Schon mit Schreiben vom 3.6.2004 hatte die Antragstellerin die
Aufhebung der Ausschreibung erfolglos gerügt. Mit Schreiben vom 14.7.2004 teilte der
Antragsgegner den Bietern mit, dass bei einigen Niederlassungen die
Lichtpausmaschinen irreparabel defekt seien und insoweit eine freihändige Vergabe
erfolgen solle. Mit Schreiben vom 20.7.2004 rügte die Antragstellerin erneut ohne Erfolg
die Aufhebung der Ausschreibung vom 2.6.2004 bezüglich der Niederlassungen
Münster und Euskirchen als "Scheinaufhebung".
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Unter dem 22.7.2004 hat die Antragstellerin das vorliegende Nachprüfungsverfahren
eingeleitet und die Rückgängigmachung der Aufhebung der Ausschreibung vom
2.6.2004 begehrt. Ferner hat sie beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, das
Vergabeverfahren fortzusetzen und die freihändige "Notfallbeschaffung" zu unterlassen.
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Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln hat den Nachprüfungsantrag mit
Beschluss vom 22.09.2004 zurückgewiesen. Soweit sich die Antragstellerin gegen die
Aufhebung der Ausschreibung zu Los 2 wende und die Fortsetzung des
Vergabeverfahrens begehre, sei der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, aber
unbegründet. Die Aufhebung der Ausschreibung verstoße nicht gegen das
Vergaberecht, da ein Aufhebungsgrund im Sinne von § 26 Nr. 1 VOL/A vorgelegen
habe. Es könne dahinstehen, ob sich die Grundlagen der Ausschreibung in technischer
Hinsicht wesentlich geändert hätten und deshalb eine Aufhebung der Ausschreibung
erforderlich gewesen sei. Denn jedenfalls sei die Aufhebung der Ausschreibung
gerechtfertigt, weil das Leistungsverzeichnis des Antragsgegners zu Pos. 2.4 eine
Formulierung enthalte ("1 x Programm mit folgenden Funktionen:"), die von den Bietern
nicht zweifelsfrei nur in dem von ihm gemeinten Sinn einer einheitlichen
benutzerfreundlichen Software mit nur einer Benutzeroberfläche zu verstehen gewesen
sei. Hieraus ergebe sich ein "schwerwiegender Grund" gemäß § 26 Nr. 1 Buchst. d
VOL/A. Ein Festhalten am Vergabeverfahren hätte zur Konsequenz, dass auch solche
Angebote in die Wertung kämen, die der Antragsgegner nicht gewollt habe. Soweit die
Antragstellerin darüber hinaus die vom Antragsgegner beabsichtigte
Notfallersatzbeschaffung für die Niederlassungen in Münster und Euskirchen als
vergaberechtsfehlerhaft beanstande, sei der Nachprüfungsantrag unzulässig. Es fehle
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an der Antragsbefugnis. Der Antragsgegner habe sich für eine freihändige Vergabe
entscheiden dürfen, weil die Aufhebung der Ausschreibung rechtmäßig gewesen sei.
Zudem habe die Antragstellerin nicht dargetan, dass ihr durch die Notfall-
Ersatzbeschaffung im Wege einer freihändigen Vergabe ein Schaden entstanden sei
oder zu entstehen drohe.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde,
mit der sie zunächst ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt und im Einzelnen
beantragt hat,
7
1.
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1. den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer aufzuheben,
2.
3. den Antragsgegner anzuweisen, in dem Vergabeverfahren zur Lieferung von
digitalen Reprographiegeräten gemäß Aufforderung zur Abgabe von Angeboten
vom 10. September 2003 (Geschäftszeichen 2003/ZEK/Repro) unter Aufhebung
seines Beschlusses vom 2.6.2004 zum Verzicht auf die Ausschreibung das
Vergabeverfahren bezüglich des Loses 2 unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts fortzusetzen, sowie das Vergabeverfahren zur Lieferung von digitalen
Reprographiegeräten mit den Geschäftszeichen "2004/ZEK/Notfall-
Ersatzbeschaffung" (Standorte Münster und Euskirchen) in dem dadurch
betroffenen Umfang nicht fortzusetzen,
4.
5. festzustellen, dass die Zuschlagserteilungen in der freihändigen Vergabe zur
Lieferung von digitalen Reprographiegeräten der Standorte Bielefeld und
Paderborn nichtig sind,
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10
hilfsweise
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1.
12
1. festzustellen, dass sie, die Antragstellerin, in dem Vergabeverfahren zur Lieferung
von digitalen Reprographiegeräten gemäß Aufforderung zur Abgabe von
Angeboten vom 10.9.2003 (Geschäftszeichen 2003/ZEK/Repro) durch den
Beschluss des Antragsgegners vom 2.6.2004 zum Verzicht auf die Ausschreibung
bezüglich des Loses 2 in ihren Rechten verletzt ist,
13
2.
14
15
2. den Antragsgegner anzuweisen, das Vergabeverfahren zur Lieferung von digitalen
Reprographiegeräten gemäß Aufforderung zur Abgabe von Angeboten vom
14.7.2004 (Geschäftszeichen 2004/ZEK/Notfall-Ersatzbeschaffung) aufzuheben,
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nochmals hilfsweise,
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den Antragsgegner anzuweisen, in dem Vergabeverfahren zur Lieferung von
digitalen Reprographiegeräten gemäß Aufforderung zur Abgabe von Angeboten
vom 14.7.2004 (Geschäftszeichen 2004/ZEK/Notfall-Ersatzbeschaffung) die Bieter
unter Beachtung der Rechtsansicht des Gerichts erneut zur Abgabe von Angeboten
aufzufordern.
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Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage im Senatstermin stellt die Antragstellerin nur
noch den Hilfsantrag zu 1.
19
Der Antragsgegner beantragt,
20
die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
21
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
22
II.
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Im Umfang des zuletzt gestellten Hilfsantrags zu 1 hat die sofortige Beschwerde der
Antragstellerin Erfolg.
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1. Nach der Rechtsprechung ist die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, die
Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrages oder öffentlichen Bau- oder
Lieferauftrages aufzuheben, in einem Nachprüfungsverfahren auf Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die
einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüfbar (EuGH, Urt. vom
18.6.2002 - Rs. C-92/00 "Hospital Ingenieure gegen Stadt Wien", NZBau 2002, 458;
BGH Beschluss vom 18.2.2003 - X ZB 43/02, NZBau 2003, 293).
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Sind, wie im Streitfall, die Bestimmungen der VOL/A Abschnitt 2 anzuwenden, ist die
Aufhebung der Ausschreibung nur unter den engen Voraussetzungen des § 26 Nr. 1
VOL/A rechtmäßig. Liegen diese Voraussetzung nicht vor, kann der Auftraggeber aber
gleichwohl nicht ohne weiteres nach § 114 Abs. 1 GWB verpflichtet werden, das
Vergabeverfahren zu Ende zu führen. Eine diesbezügliche Anordnung der
Nachprüfungsinstanzen kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Aufhebung
der Ausschreibung eine Maßnahme der Diskriminierung einzelner Bieter oder eine
"Scheinaufhebung" war. Kann Letzteres nicht festgestellt werden, liegt der Bieterschutz
nur noch in der Grundlegung eines Schadensersatzanspruches. Zwecks Vorbreitung
der Geltendmachung eines solchen Schadensersatzanspruchs haben die
Nachprüfungsinstanzen auf Antrag die Befugnis (§ 114 Abs. 2 S. 2 GWB, § 123 S. 3
GWB), festzustellen, dass die Aufhebung der Ausschreibung das Unternehmen in
seinen Rechten verletzt.
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Im Streitfall hat der Senat im Verhandlungstermin darauf hingewiesen, es könne nicht
mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Verzicht des
Antragsgegners auf die Ausschreibung nur zum Schein erfolgte oder diskriminierend
wirkte. Der Antragsgegner hat schon bei seiner Verzichtsentscheidung vom 2.6.2004
sachliche Gründe für sein Vorgehen anführen können (vgl. im Einzelnen den Wortlaut
des Schreibens Anlage AST 1). Diese werden nicht grundlegend dadurch in Zweifel
gezogen, dass er später weitere Aufhebungsgründe nannte. Im Hinblick auf die
Senatshinweise hat die Antragstellerin ihr Nachprüfungsbegehren auf den Hilfsantrag
zu 1 beschränkt.
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2. Der Hilfsantrag zu 1 ist als Feststellungsantrag gemäß § 123 Satz 3 GWB zulässig.
Durch den "Verzicht" auf die Ausschreibung vom 2.6.2004 hat sich das
Nachprüfungsverfahren erledigt. Zwar hat eine vergaberechtswidrige Aufhebung
grundsätzlich keine Erledigungswirkung, jedoch stellt eine gleichwohl erfolgte,
wirksame Abstandnahme vom Vergabeverfahren eine Erledigung "in sonstiger Weise"
dar (§ 114 Abs. 2 Satz 2 GWB).
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Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die Aufhebung vom 2.6.2004 verletzt die
Antragstellerin in ihren Bieterrechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB. Ein Aufhebungsgrund im
Sinne von § 26 Nr. 1 VOB/A Abschnitt 2 liegt nicht vor.
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Allerdings hat der Antragsgegner sachliche Gründe für seinen Verzicht genannt. So führt
er unwiderlegt an, dass er ein einheitliches Programm stets gewollt und dies im
Leistungstext durch die Wortwahl "1 x Programm mit folgenden Funktionen" nur
ungenau zum Ausdruck gebracht habe. Die Bedienerfreundlichkeit einer einheitlichen
Benutzeroberfläche sei von Beginn an ein wichtiges Kriterium gewesen. Zwar hat der
Antragsgegner auch das Angebot der Antragstellerin in die Wertung genommen, jedoch
spricht für die Richtigkeit seines Vortrags das Protokoll des "Arbeitskreises digitale
Reprographie" vom 21.11.2003 (Anlage NRV 5), wo es auf S. 3 heißt.
30
a.
31
a. "zu LOS 2...
32
33
...Die Firma R... hat verschiedene Softwarepakte angeboten die auf mehreren
Oberflächen parallel arbeiten. Dies wurde von der Arbeitsgruppe als
schwerwiegende Hürde für die Nutzer vor Ort angesehen. Dem Mitarbeiter soll der
Wechsel in eine neue Technologie so einfach wie möglich gemacht
werden....Daher war der Wunsch eine Software einzuführen welche die
gewünschten Merkmale in einer einfach zu bedienenden Software vereint..."
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Indes scheiden Aufhebungsgründe gemäß § 26 Nr. 1 Buchst. b und d VOL/A von
vornherein aus, wenn sie dem Auftraggeber als Verschulden oder
Obliegenheitsverletzung zuzurechnen sind (vgl. Daub/Eberstein VOL/A 5. Aufl. § 26 Rn.
20, 27 a.E. m. w. N.). So verhält es sich hier. Sämtliche von dem Antragsgegner
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genannten Verzichtsgründe entstammen seiner Einflusssphäre und hat er selbst zu
vertreten. Ein öffentlicher Auftraggeber hat eine Auftragsvergabe mit Sorgfalt zu planen
und zu erstellen. Dazu gehört, den jeweiligen Beschaffungsbedarf zutreffend zu
ermitteln (vgl. § 16 Nr. 1 VOL/A) und die benötigte Leistung eindeutig und erschöpfend
so zu beschreiben (§ 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A), dass alle Bewerber den Leistungstext im
gleichen Sinne verstehen können. Daran hat es der Antragsgegner im Streitfall fehlen
lassen. Er hätte die von ihm angeführte Ungenauigkeit in der Formulierung der
Leistungsbeschreibung zu Los 2.4 ("1 x Programm mit folgenden Funktionen") bei
Anwendung der gebotenen Sorgfalt fraglos vermeiden können. Entsprechendes gilt für
das nachträgliche Hervortreten neuer Bedarfsgesichtspunkte, die er am 2.6.2004 und
später für seinen Verzicht geltend gemacht hat, nämlich: Anbindung der Rechner an
einen zentralen Server mit Auswirkungen auf die technische Änderungen an die
Controller-PC; nachträglich hervorgetretener Bedarf nach einer digitalen Archivierung
aller Plandaten auf einem zentralen, für alle Standorte zugänglichen Server
(Archivierungstool) und dadurch erhöhter Datenfluss sowie Anschluss an das Hausnetz
(LAN) und das Weiterverkehrsnetz (WAN) mit entsprechend geänderter
Softwarekonfiguration; Existenz weiterer Realisierungskonzepte in Form einer
dezentralen Archivierung auf mehreren, jeweils in den Niederlassungen befindlichen
Servern mit wechselseitigem Datenaustausch (vgl. Schriftsatz vom 14.1.2005). Diesen
Bedarf hätte der Antragsgegner vor der Vergabebekanntmachung feststellen können
und müssen. Auf Seite 3 seines Schriftsatzes vom 14.1.2005 (GA 263) räumt er
demgegenüber ein, die Planung selbst bis heute noch nicht abgeschlossen zu haben.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128 Abs. 3, 4 GWB, 92 Abs. 1 ZPO. Eine
Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO ist nicht angezeigt. Der Antragsgegner hat von Beginn
an sachliche Gründe für die Aufhebung angeführt. Die Antragstellerin unterliegt in der
Hauptsache nicht deshalb, weil der Antragsgegner in zweiter Instanz neuen Vortrag
gebracht hat.
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