Urteil des OLG Düsseldorf vom 11.11.2010

OLG Düsseldorf (bundesrepublik deutschland, patg, erzeugnis, verfügung, sache, zpo, patentrecht, deutschland, erkenntnis, probe)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 40/10
Datum:
11.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 40/10
Tenor:
I. Die Berufung gegen das am 16. Februar 2010 verkündete Urteil der 4b
Zivil-kammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Berufungsklägerin zu
tragen.
III. Der Streitwert wird auf 150.000,-- € festgesetzt.
I.
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Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1,
542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
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II.
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Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Zu Recht hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
mangels Verfügungsanspruchs zurückgewiesen.
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1.
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Das Verfügungspatent verfolgt das Ziel, ein Verfahren bereitzustellen, mit dem sich
feststellen lässt, ob ein individueller Hund empfindlich gegenüber dem Antiparasitikum
A ist. Es geht dabei von der Erkenntnis aus, dass der Übertritt von Arzneistoffen in das
Gehirn üblicherweise durch eine Blut/Gehirnschranke verhindert wird, die maßgeblich
durch das sogenannte MDR1-Protein bereitgestellt wird. Fehlen dem MDR1-Gen vier
Basenpaare, so wird die Synthese des MDR1-Proteins gestört, so dass Arzneistoffe
(z.B. A) barrierefrei in das Nervengewebe des Gehirns eindringen und dort schwere
neurologische Symptome verursachen können.
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In seinem – im Berufungsverfahren allein noch interessierenden - Anspruch 1 schlägt
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das Verfügungspatent (EP 1 389 240) ein Verfahren zum Aufspüren des beschriebenen
Gendefektes mit folgenden Merkmalen vor:
A) Verfahren zur Detektion der A-Empfindlichkeit eines hundeartigen Subjekts,
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B) welches das Bestimmen umfasst, ob
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a. eine homozygote oder heterozygote
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b. Gentrunkierungsmutation
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c. in einer für MDR1 kodierenden Sequenz des hundeartigen Subjekts
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C) oder ein trunkiertes P-Glykoprotein (P-gp) im hundeartigen Subjekt vorhanden
ist,
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D) worin das trunkierte P-gp keine der ATP-Bindungsstellen,
Substratbindungsstellen, Phosphorylierungsstellen und mehreren
membrandurchdringenden Motive, von denen die
Arzneimittelausscheidungsfunktion des P-gp abhängt, aufweist
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E) oder die Gentrunkierungsmutation ein trunkiertes P-gp ergibt, das keine dieser
Stellen oder Motive aufweist,
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F) und worin die Gegenwart der Gentrunkierungsmutation oder Trunkierung von
P-gp anzeigt, dass das hundeartige Subjekt empfindlich gegenüber A ist.
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2.
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Im Berufungsverfahren steht zwischen den Parteien außer Streit, dass die
Antragsgegnerin zu 1) das ihr von Kunden zur Verfügung gestellte DNA-Probenmaterial
nicht selbst untersucht, sondern an ein Partnerlabor in der schutzrechtsfreien Slowakei
übersendet, welches das patentgemäße Testverfahren vor Ort durchführt und die dabei
gewonnenen Ergebnisse anschließend an die Antragsgegnerin zu 1) übermittelt,
welche den Befund ihrerseits an den jeweiligen Kunden weitergibt. Das durchgeführte
Testverfahren kann – wie das Landgericht unangefochten festgestellt hat - zu drei
möglichen Ergebnissen führen, für welche die Antragsgegnerin zu 1) Kurzformeln
verwendet: "N/N" (= keine Genmutation festgestellt), "N/MDR1" (= Genmutation
festgestellt, hälftige Wahrscheinlichkeit der Vererbung), "MDR1/MDR1" (= Genmutation
und Vererbung festgestellt).
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Als schutzrechtsverletzend greift die Antragstellerin im Berufungsrechtszug nur noch die
Einfuhr und den Besitz der "Testergebnisse und/oder Diagnosen" zum Zwecke des
Inverkehrbringens und Gebrauchens durch die Antragsgegnerin zu 1) in der
Bundesrepublik Deutschland an.
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3.
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Da das patentgeschützte Verfahren als solches im schutzrechtsfreien Ausland
durchgeführt wird, kann sie damit nur Erfolg haben, wenn es sich bei den von dem
slowakischen Labor gewonnenen und an die Antragsgegnerin übermittelten
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Testresultaten um "unmittelbare Erzeugnisse" des patentgeschützten Verfahrens
handeln würde, die gemäß § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ in der
Bundesrepublik Deutschland selbständigen Erzeugnisschutz genießen würden. Dem
hat indessen bereits das Landgericht zu Recht eine Absage erteilt.
Die besagten Vorschriften (§ 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ) sehen einen (das
Anbieten, Inverkehrbringen, Gebrauchen, Einführen, Besitzen) umfassenden
Sachschutz für diejenigen Erzeugnisse vor, die durch das patentierte Verfahren
unmittelbar hergestellt sind. Bereits die Gesetzesformulierung macht unmissverständlich
deutlich, dass der derivative Erzeugnisschutz nicht auf jedwedes Verfahren anwendbar
ist, sondern nur für solche Verfahren gilt, die ein Erzeugnis hervorbringen. Es entspricht
von daher zu Recht gefestigter Auffassung, dass § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG allein bei
Vorliegen eines Herstellungsverfahrens einschlägig ist, welches sich dadurch
auszeichnet, dass mit ihm ein Erzeugnis hervorgebracht oder ein Erzeugnis äußerlich
oder hinsichtlich seiner inneren Beschaffenheit irgendwie verändert wird.
Demgegenüber bleiben reine Arbeitsverfahren, bei denen kein Erzeugnis geschaffen
oder in seiner Konstitution variiert, sondern - im Gegenteil - veränderungsfrei auf eine
Sache eingewirkt (diese z.B. bloß untersucht, gemessen oder befördert) wird, außerhalb
des Anwendungsbereichs von § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG (Schulte, PatG EPÜ, 8. Aufl., § 9
PatG Rn. 82 f.; Benkard, PatG GebrMG, 10. Aufl., § 9 PatG Rn. 53 f.; Benkard, EPÜ,
2002, Art. 64 Rn. 22; Busse, PatG, 6. Aufl., § 9 PatG Rn. 101; Mes, PatG GebrMG, 2.
Aufl., § 9 PatG Rn. 44; von Meibom/vom Feld, Festschrift Bartenbach, 2005, S. 385, 390
f.; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 773; Schramm, Der Patentverletzungsprozess, 6. Aufl.,
S. 128 f.; Jestaedt, Patentrecht, 2. Aufl., Rn. 556-562). Zur Differenzierung zwingt zudem
die weitere Überlegung, dass § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ einen
Sachschutz fingieren, der – abgesehen von der Handlungsalternative des Herstellens,
die im Rahmen des aus einem Verfahrenspatent abgeleiteten Erzeugnisschutzes
naturgemäß keinen Platz hat – mit demjenigen Schutz übereinstimmt, der bestehen
würde, wenn das Verfahrenserzeugnis selbst durch ein Sachpatent geschützt wäre.
Daraus folgt umgekehrt, dass dasjenige, für das ein ergänzender
Verfahrenserzeugnisschutz reklamiert wird, prinzipiell taugliches Objekt eines
Sachpatents sein können muss.
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Ein Untersuchungsbefund, der nach Abschluss des patentgemäßen Verfahrens erhalten
wird und der z.B. – wie beim Verfügungspatent – eine Aussage darüber liefert, ob die
untersuchte DNA-Probe einen bestimmten Gendefekt aufweist oder nicht, genügt den
vorgenannten Anforderungen nicht. Am Ende des Verfahrens steht kein Erzeugnis, auf
das ein Sachpatent gerichtet werden könnte, sondern lediglich ein bestimmtes Wissen
um die DNA-Struktur der untersuchten Testprobe. Dieses Wissen mag therapeutisch
und kommerziell bedeutsam sein; rechtlich entscheidend ist indessen allein, dass für
den Untersuchungsbefund als bloß intellektuelle Erkenntnis ein Sachanspruch nicht
gewährbar wäre. Er beruht zudem auf einem für § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2
EPÜ unzureichenden Arbeitsverfahren. Zwar mag die DNA-Probe im Zuge der
Verfahrensführung in ihrer Substanz verändert werden. Die patentierte Erfindung
bezweckt jedoch ersichtlich nicht diesen Substanzeingriff, wie schon daran deutlich
wird, dass es nicht darum geht, die Testprobe nach der Verfahrensführung wieder –
verändert – zur Verfügung zu haben; Anliegen ist vielmehr allein das Erlangen einer
bestimmten Kenntnis um die innere Struktur der untersuchte Sache, nämlich die
Aufdeckung der interessierenden DNA-Sequenz und ihres etwaigen Defekts.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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X Y Z
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