Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.03.2009

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Oberlandesgericht Düsseldorf, I-23 W 99/08
Datum:
05.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-23 W 99/08
Tenor:
Das Landgericht wird angehalten, bis zum 30.4.2009 Maßnahmen zu
ergreifen, die zu einer Fortführung des Verfahrens führen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
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Die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist gem. §§ 567 ff ZPO zulässig.
Zwar ist eine spezielle Reglung für eine Untätigkeitsbeschwerde gegenüber Gerichten
noch nicht in Gesetzesform erfolgt. Der Senat geht aber davon aus, dass ein derartiger
Rechtsbehelf zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 13 EMRK (vgl. hierzu im
Einzelnen EGMR, Urt. v. 08.06.2006, 75529/01, Sürmeli/Deutschland NJW 2006, 2389)
und gegen Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.9.2007, 1
BvR 775/07, NJW 2008, 503f; BVerfG, Beschl. v. 6.12.2004 , 1 BvR 1977/04, NJW 2005,
739) Rechtssuchenden bei überlanger Verfahrensdauer zur Verfügung gestellt werden
muss. Im Interesse der Rechtssicherheit fordert das Rechtsstaatsprinzip. dass strittige
Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. grundlegend BVerfG,
Beschl. v. 2.3.1993, 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118 = NJW 1993, 1635). Der Senat hat
bereits in seiner Entscheidung vom 24.7.2006 die Zulässigkeit dieses
außergesetzlichen Rechtsmittels bejaht und zugleich darauf hingewiesen, dass das
Rechtsmittel auf die Fälle beschränkt ist, in denen das Verhalten des Gerichts praktisch
einer völligen Verweigerung der Entscheidung oder einer Aussetzung des Verfahrens
gleich kommt und angesichts einer ungewöhnlichen Verzögerung oder völliger
Untätigkeit von einer willkürlichen Rechtsverweigerung des Gerichts ausgegangen
werden kann (Senat, Beschl. v. 24.7.2006, 23 W 35/07, OLGR Düsseldorf, 2007, 156).
Auch zahlreiche andere Instanzengerichte haben eine Untätigkeitsbeschwerde bei
überlanger Verfahrensdauer grundsätzlich für zulässig erachtet (vgl.OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 16.1.2008, 24 W 109/07, OLGR Düsseldorf 2008, 330; OLG Brandenburg,
Beschl. v. 22.10.2007, 10 WF 237/07, FamRZ 2008, 288; KG Berlin, Beschl. v.
23.8.2007, 16 WF 172/07, NJW-RR 2008, 598; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.5.2007, 2
WF 32/07, MDR 2007, 1393 mit weiteren Nachweisen; OLG Brandenburg, Beschl. v.
02.10.2006 - 10 WF 203/06; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.1.2007, 3 WF 232/06, FamRZ
2007, 1030).
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Vorliegend ist eine überlange Verfahrensdauer, die auf Untätigkeit des Gerichts
zurückzuführen ist, gegeben, so dass die Untätigkeitsbeschwerde zulässig ist. Der
Rechtsstreit betrifft Zahlungsansprüche der Klägerin aus einem Werkvertrag. Die
Klägerin hat mit dem am 13.12.2006 erlassenen Mahnbescheid Vergütungsansprüche
geltend gemacht. Nach Widerspruch der Beklagten gingen die Akten am 30.5.2007
beim Landgericht ein. Seit dem 19.6.2007 liegt die Anspruchsbegründung, seit dem
7.8.2007 liegt die Klageerwiderung vor. In der Folgezeit wechselten die Parteien
Schriftsätze und am 22.11.2007 nahm das Landgericht eine Verfahrensverbindung mit
einem Parallelprozess vor. Seit dem, d.h. seit mehr als einem Jahr, lassen sich
verfahrensfördernde Maßnahmen des Gerichts nicht feststellen. Das Gericht hat das
Verfahren in keiner Weise weiterbetrieben. Entgegen § 216 Abs. 2 ZPO, der die
unverzügliche Terminierung anordnet, ist auch ein Verhandlungstermin bis heute nicht
bestimmt worden. Es ist damit ein Verfahrensstillstand eingetreten, der einer
Aussetzung gleichsteht. Hinzukommt, dass nach der Mitteilung der zuständigen
Einzelrichterin auch nicht mit einer Bearbeitung der Sache in absehbarer Zeit gerechnet
werden kann. Denn die Mitteilung, die aufgelaufenen Rückstände würden nach und
nach aufgearbeitet, lässt für die Parteien eine konkrete Perspektive, wann ihr
Rechtsstreit bearbeitet und einer Entscheidung zugeführt wird, nicht erkennen.
3
II.
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Die Untätigkeitsbeschwerde ist auch begründet. Die Untätigkeitsbeschwerde ist nicht
nur dann begründet, wenn die Untätigkeit des Gerichts auf dessen Willkür beruht (so
aber OLG Rostock, Beschl. v. 25.5.2004, 8 W 75/04, MDR 2005, 108; dagegen
zutreffend Schneider MDR 2005, 430). Vielmehr gebietet es der Anspruch auf
Rechtsschutzgewährung, das Gericht zum Betreiben des Prozesses aufzufordern, wenn
dessen vollständige Untätigkeit mehr als ein Jahr andauert, ohne dass ein sachlicher
Grund für das Verhalten erkennbar gewesen ist (ebenso schon OLG Hamburg, Beschl.
v. 3.5.1989, 2 UF 24/89, NJW-RR 1989, 1022). Dabei ist die Untätigkeit des Gerichts nur
dann hinnehmbar, wenn sich der sachliche Grund aus dem Verfahren selbst herleitet.
Dazu gehören der besondere Umfang einer Sache oder ihre außergewöhnlichen
rechtliche bzw. tatsächlich Problemstellungen. Solches ergibt sich hier nicht. Weder aus
dem Umfang der Gerichtsakte, die bis zur Erhebung der Untätigkeitsbeschwerde 274
Seiten umfasst, noch aus dem Verfahrensgegenstand – Vergütungsansprüche aus
einem "üblichen" Bauvertrag, denen der Auftraggeber Mängel entgegenhält - ergeben
sich Anhaltspunkte dafür, dass eine Bearbeitung der Sache durch das Gericht zur
Vorbereitung eines Termins notwendigerweise mehrere Monate beansprucht. Die
Bearbeitung ist auch nicht durch Anträge der Prozessbeteiligten zu Prozessfragen
behindert worden. Vielmehr hat gerade die Klägerin mehrfach auf eine Fortsetzung des
Verfahrens gedrängt. Der Rechtsstreit ist schlicht durch das Gericht nicht bearbeitet
worden, wie sich aus der Mitteilung der zuständigen Richterin vom 27.1.2009 ergibt.
Dieser Beurteilung einer nicht gerechtfertigten Untätigkeit steht nicht entgegen, dass die
zuständige Richterin langfristig erkrankt war und ihr kein Verschulden vorgeworfen
werden kann. Der Anspruch des Rechtssuchenden auf Gewähr des Rechtsschutzes ist
nicht nur dann verletzt, wenn die Untätigkeit des Gerichts verschuldet ist. Kommt es
wegen einer Erkrankung des Richters oder wegen besonders umfangreicher Verfahren,
die in dem Richterdezernat bearbeitet werden müssen, zu einem längerfristigen
"Bearbeitungsstau", muss die Justizorganisation gewährleisten, dass die
Prozessverfahren nicht gänzlich zum Ruhen kommen. Zwar kommt es im Falle einer
Erkrankung des zuständigen Richters notgedrungen trotz bestehender
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Vertretungsregelungen zu Verfahrensverzögerungen. Solche Verzögerungen im
Verfahrensablauf muss der Rechtssuchende auch hinnehmen. Es ist aber nicht zu
akzeptieren, dass während einer langfristigen Erkrankung des zuständigen Richters,
wie es hier vorliegt, das Verfahren mehr als ein Jahr lang überhaupt nicht mehr gefördert
wird. Dabei ist es unerheblich, dass weder dem zuständigen Richter noch dem Vertreter
angesichts der erheblichen Mehrbelastungen ein Verschulden trifft. Mit zunehmender
Dauer des Verfahrens verdichtet sich die mit dem Justizgewährleistungsanspruch
verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des
Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20. 7. 2000, 1
BvR 352/00, NJW 2001, 214). Das Gericht ist in einer solchen Lage verpflichtet,
sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung
zu nutzen. Gegebenenfalls ist der Berichterstatter gehalten, um gerichtsinterne
Entlastungsmaßnahmen bemüht zu sein (BVerfGE Beschl. v. 6.12.2004,1 BvR 1977/04,
NJW 2005, 739). Dieser Grundsatz gilt nicht nur bei mehrjährigen Prozessen, die
Gegenstand der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts waren. Wenn fast
zwei Jahre nach Eingang des Mahnverfahrens beim Prozessgericht in einem durchaus
üblichen Prozess ohne erhebliche Besonderheiten das Verfahren nicht gefördert wird
und zudem gemäß der Auskunft der zuständigen Richterin eine Terminsbestimmung
nicht konkret abzusehen ist, ist dieser Zustand für die Prozessparteien nicht mehr
hinzunehmen.
III.
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Kosten sind nicht zu erheben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
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Beschwerdewert: 24.684,36 €
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