Urteil des OLG Düsseldorf vom 07.05.2002

OLG Düsseldorf: schutzwürdiges interesse, getrennt leben, widersprüchliches verhalten, eheliche gemeinschaft, zgb, rechtsmissbrauch, wohnung, kassationshof, familie, zerrüttung

Oberlandesgericht Düsseldorf, II-1 UF 200/01
Datum:
07.05.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
II-1 UF 200/01
Tenor:
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts
Duisburg vom 11.7.2001 abgeändert:
Der Scheidungsantrag des Antragstellers wird abgewiesen.
Die Kosten der Scheidungssache einschließlich der Folgesachen trägt
der Antragsteller.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I.
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Die Parteien sind türkische Staatsangehörige, Cousin und Cousine, und "wurden" in
jungen Jahren von ihren Familien verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder
hervorgegangen, von denen die noch minderjährige Tochter M. bei der Kindesmutter in
D. -H. lebt und der inzwischen volljährige Sohn M. beim Kindesvater.
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Jedenfalls ab 1988 wohnte die Familie unter der Anschrift S - str. 79 in D. . Irgendwann
wandte sich der Antragsteller anderen Frauen zu; aus einer dieser Beziehungen stammt
sein nichtehelicher Sohn T. L. , der - nach Angaben des Antragstellers - ab 3/95
Aufnahme in den Haushalt seiner neuen Lebensgefährtin, Frau S. P. , im Hause S - str.
115 in D. fand, in deren Wohnung der Antragsteller seinerseits - ebenfalls nach eigenen
Angaben - ab 1991 lebte. Im Erdgeschoss dieses Hauses unterhielt der Antragsteller ein
Büro für sein Geschäft. Ende 1995 bezog der Antragsteller ein Haus auf der K - strasse
in M. , welches er jedoch alsbald wieder veräußerte, um fortan in einem von ihm
erworbenen Objekt unter der Anschrift M. 21 in einem D. - ger Gewerbegebiet zu
wohnen, wohin er auch sein Büro verlegte.
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Die Antragsgegnerin hat eine Trennung vor Juli 2000 bestritten und geltend gemacht, ihr
Mann habe nur aus beruflichen Gründen eine weitere Wohnung in R. unterhalten, Frau
P. sei seine Haushälterin, er sei immer wieder zur Familie zurückgekehrt. Bis dahin
habe es auch noch gelegentlich Geschlechtsverkehr gegeben. Erst nach dem 2.7.00
habe es keine Besuche des Antragstellers in der früheren ehelichen Wohnung mehr
gegeben.
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Am 2.7.00 kam es zu einem gewalttätigen Übergriff des Antragstellers auf seine Frau in
der Wohnung M. 21. Er schlug anlässlich einer verbalen Auseinandersetzung derart
heftig auf die Antragsgegnerin ein, dass diese sich bis zum 13.7.00 in stationäre
Krankenhausbehandlung begeben und dort einer Operation unterziehen musste. Am
21.8.00 erstattete sie wegen dieses Vorfalls Strafanzeige gegen ihren Mann; im
nachfolgenden Strafverfahren trat sie als Nebenklägerin auf; in der Sitzung vom 8.1.01
wurde der Antragsteller zu 9 Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung und einer
Geldbuße von 2000 DM verurteilt; aus diesem Grunde wurde sein Einbürgerungsantrag
zunächst abgelehnt; die Antragsgegnerin forderte von ihm nachfolgend 10000 DM
Schmerzensgeld.
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Mit Antragsschrift vom 29.8.2000 hat der Antragsteller die Scheidung der Ehe nach
türkischem Recht wegen eingetretener Zerrüttung derselben beantragt. Die
Antragsgegnerin hat gegen die Scheidungsklage Einspruch erhoben; sie hat geltend
gemacht, sie wolle nicht, dass ihre noch minderjährige Tochter als Scheidungskind
aufwachse; sie hänge nach wie vor an ihrem Mann und wolle sich trotz der erlittenen
Verletzungen, wegen der er habe bestraft werden müssen, um ihm seine Grenzen
aufzuzeigen, wieder versöhnen.
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Der Antragsteller hat den Einspruch für rechtsmissbräuchlich gehalten und geltend
gemacht, sie wolle ihn mit dem Einspruch nur treffen, ihm schaden und sein Glück mit
einer anderen Frau verhindern.
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Das Amtsgericht hat dem Scheidungsantrag stattgegeben. Dagegen richtet sich die
Berufung der Antragsgegnerin.
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II.
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Die Berufung der Antragsgegnerin ist begründet. Die Ehe der Parteien kann jedenfalls
aufgrund des Einspruchs der Antragsgegnerin derzeit nicht geschieden werden.
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Zutreffend geht das Amtsgericht in Übereinstimmung mit den Parteien davon aus, dass
sich die Scheidung allein nach türkischem materiellem Recht richtet, Art. 18 Abs. 1 Satz
1 EGBGB iVm Art 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB.
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Das türkische Recht, Art. 129 ff ZGB, gewährt ein Recht auf Scheidung zunächst bei
verschiedenem Verschulden des anderen Ehegatten, Art. 129 - 132, sowie im Falle
geistiger, unheilbarer Erkrankung, Art. 133; darüberhinaus kann die Ehe auch bei
Zerrüttung geschieden werden, Art. 134, jedoch grundsätzlich nur mit Einverständnis
des anderen Ehegatten, Abs. 2 und 4; ein Einspruch des anderen Ehegatten gegen die
Scheidung ist nur im Falle des Rechtsmissbrauchs und im Falle des Fehlens
schutzwürdiger Interessen des Ehegatten und der Kinder an der Fortsetzung der Ehe
unbeachtlich. Erst wenn eine Scheidungsklage einmal abgewiesen wurde, kann sie -
soweit die eheliche Gemeinschaft nicht wiederhergestellt wurde - nach Ablauf von drei
Jahren ohne Einspruchsrecht des anderen Ehegatten geschieden werden, Art. 134 Abs.
4 ZGB. Eine ähnliche Fristenregelung gilt im Falle einer gerichtlich angeordneten
Trennung von Tisch und Bett, Art. 140 ZGB, hier jedoch ausdrücklich dann nicht, wenn
die Scheidungsgründe ausschließlich vom Kläger verschuldet sind, es sei denn, der
andere Ehegatte verweigere die Wiederaufnahme des ehelichen Lebens.
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Diese Regelungen des türkischen Rechts sind unter Berücksichtigung der türkischen
Rechtspraxis, d.h. der dortigen Rechtsprechung und Lehre, vom deutschen Gericht
anzuwenden; das deutsche Gericht darf nicht etwa seine Vorstellungen von
Rechtsmissbrauch und dem Willen des türkischen Gesetzgebers an die Stelle der
türkischen Rechtspraxis setzen (h.M., vgl. etwa Baumbach-Lauterbach, ZPO, 60. Aufl., §
293 Rdnr. 8 m.w.N.; OLG Hamm zur Frage des Art. 134 Abs. 2 des türk. ZGB, FamRZ
2000, 1577; insoweit abweichend Odendahl, FamRZ 2000, 462, 470; derselbe in
FamRZ 2001, 101).
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Jedenfalls von der türkischen Rechtspraxis her, aber auch aus dem Zusammenhang der
gesetzlichen Regelungen lässt sich herleiten, dass eine Scheidung nach Art. 134 Abs. 1
ZGB - der hier allein in Betracht kommenden Scheidungsnorm - dann nicht erfolgen
kann, wenn den Antragsteller oder Kläger das alleinige Verschulden am Scheitern der
Ehe trifft ( vgl. Nachweise bei Odendahl, FamRZ 2000, 463 und 467; ebenso OLG
Hamm, aaO). Dafür, dass die Antragsgegnerin hier am Scheitern der Ehe ein auch nur
geringes Mitverschulden trifft, ist - wie sie mit der Berufung zu Recht ausführt - nichts
ersichtlich. Danach müsste das Scheidungsbegehren des Antragstellers schon aus
diesem Grunde abgewiesen werden.
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Aber auch im Falle eines geringen Mitverschuldens der Antragsgegnerin unterliegt das
Scheidungsbegehren der Abweisung.
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Soweit der Antragsteller erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
geltend gemacht hat, Anlass für die tätliche Auseinandersetzung am 2.7.2000 sei
gewesen, dass er erfahren hatte, dass seine Frau für die erwachsene Tochter Mi. ohne
Rücksprache mit ihm einen türkischen Ehemann "ausgesucht" hatte, kann dahinstehen,
ob ein solches Verhalten der Ehefrau nach türkischen Vorstellungen ein Verschulden
am Scheitern der Ehe zu begründen vermag. Da die Eheleute - jedenfalls nach der
eigenen Darstellung des Antragstellers - schon seit Mitte der 90er Jahre räumlich völlig
voneinander getrennt leben, kann in dem Verhalten der Ehefrau im Jahre 2000 nicht die
entscheidende Ursache für das Scheitern der Ehe gesehen werden, sondern allenfalls
ein geringes Mitverschulden. Dass der Antragsteller hier angesichts seiner ehewidrigen
Nebenbeziehungen, seines Fortgangs aus der ehelichen Wohnung und nicht zuletzt
des gravierenden Vorfalls vom 2.7.2000 das ganz überwiegende Verschulden am
Scheitern der Ehe trägt, kann nicht zweifelhaft sein.
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In diesem Fall scheitert die Scheidung am Einspruch der Antragsgegnerin, der entgegen
der Auffassung des Amtsgerichts nicht als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden
kann.
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Unstreitig hat die Antragsgegnerin gegen die Scheidung Einspruch erhoben und damit
von ihrem gesetzlichen Recht Gebrauch gemacht, an der Ehe trotz aller Widrigkeiten
festzuhalten. Bis zum Inkrafttreten der Neufassung des Art. 134 ZGB gab es praktisch
keine Möglichkeit, gegen den Willen des anderen Ehegatten im Falle des
überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung geschieden zu werden
(vgl. auch OLG Frankfurt, FamRZ 1993, 329,330). Von daher wird auch in der deutschen
Rechtsprechung zu Art. 134 Abs. 2 des türk. ZGB durchweg die Auffassung vertreten,
dass eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Einspruchs nur ausnahmsweise anzunehmen
ist (vgl. OLG Frankfurt, aaO; OLG Köln, FamRZ 1999, 1352 sowie FamRZ 2002, 165,
166). Ebenso hat sich in Übereinstimmung mit der türkischen Rechtsprechung auch hier
die Auffassung gebildet, dass nicht etwa der widersprechende Ehegatte die
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Rechtsmissbräuchlichkeit seines Widerstands gegen die Scheidung ausräumen und
schutzwürdige Interessen an der Aufrechterhaltung der Ehe darlegen muss (insoweit
anderer Auff. OLG Hamm FamRZ 1992, 1436), sondern dass es Sache des Gerichts ist,
das die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale von Amts wegen zu prüfen hat, den für eine
eventuelle Rechtsmissbräuchlichkeit sprechenden Anhaltspunkten nach zu gehen, dass
in Ermangelung solcher Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Einspruch nicht
rechtsmissbräuchlich ist (vgl. OLG Hamm, NJW RR 1974, 517, 518; OLG Köln, FamRZ
1999, 1352; im Ergebnis ebenso türk. Kassationshof, FamRZ 2001, 99).
Fälle, in denen ein Rechtsmissbrauch beim Einspruch gegen die Scheidung
anzunehmen war, sind dementsprechend von der Rechtsprechung eher zurückhaltend
bejaht worden (vgl. etwa OLG Düsseldorf, FamRZ 1992, 946ff für den Fall, dass dem
Widersprechenden der Wille zur Wiederaufnahme der ehelichen Beziehung fehlte und
er allein aus finanziellen Gründen widersprach). Ein Rechtsmissbrauch wurde für
möglich gehalten (im jeweiligen Fall jedoch nicht bejaht), wenn sich der
widersprechende Ehegatte mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzt (vgl.
OLG Hamm, NJW RR 1994, 517, 518; OLG Köln, FamRZ 1999, 1352; türk.
Kassationshof, Urteil vom 30.6.98, FamRZ 2001, 100), oder wenn der andere Ehegatte
den Kläger mit dem Einspruch bestrafen oder quälen will (vgl. türk. Kassationshof,
FamRZ 2001, 99) oder wenn er ohne Bindung an die Ehe, allein aus wirtschaftlichen
Interessen, etwa zur Vermeidung im Falle der Scheidung drohender Abschiebung oder
wegen Unterhalts der Scheidung widerspricht (vgl. OLG Köln, FamRZ 2002, 165, 166).
Umgekehrt wurde ein Rechtsmissbrauch verneint, wenn die Ehefrau - wie hier - nur den
Wunsch hatte, dass die minderjährigen Kinder nicht als Scheidungskinder aufwachsen
(vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1993, 330), wenn der Einspruch zur Folge hatte, dass der
andere nicht wieder heiraten konnte (vgl. OLG Hamm, NJW RR 1994, 517, 518 unter
Hinweis auf die dreijährige Wartefrist des Art. 134 Abs. 4 ZGB), wenn der gehörnte
Partner trotz des Ehebruchs an der Ehe festhalten wollte (vgl. türk. Kassationshof, Urteil
vom 22.6.98, FamRZ 2001,100 mit abl. Anm. Odendahl), wenn zwar die Bereitschaft
zum Zusammenleben nicht feststellbar war, aber ein schutzwürdiges Interesse an der
formellen Aufrechterhaltung der Ehe bestand (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2000, 959).
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Hiervon ausgehend ist vorliegend ein Rechtsmissbrauch nicht feststellbar:
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Die Antragsgegnerin macht ausdrücklich geltend, sie wolle nicht, dass ihre
minderjährige Tochter formell als Scheidungskind aufwachse. Dieser Wunsch ist nicht
zuletzt vor dem Hintergrund ihrer türkisch-konservativen Mentalität zu akzeptieren,
zumal an der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft ohnehin ein selbständig zu
prüfendes, einer Scheidung entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse der
minderjährigen Tochter M, zu bejahen ist, mag diese auch selbst zur Zeit Kontakt zum
Kindesvater ablehnen. Dafür, dass die Antragsgegnerin ihren Mann mit dem Einspruch
nur quälen oder bestrafen wollte, besteht kein hinreichender Anhalt, zumal der
Antragsteller durch sein Verhalten vom 2.7.2000 ein entsprechendes Verhalten seiner
Frau durchaus "verdient" hätte. Ebenso ist kein Widerspruch zu ihrem bisherigen
Verhalten erkennbar. Dass sie eine Strafanzeige erstattet hatte, im Strafverfahren als
Nebenklägerin aufgetreten war und von ihm schließlich 10000 DM Schmerzensgeld
fordert, kann nur als normale und gerechte Folge seines Fehlverhaltens qualifiziert
werden. Der Antragsgegnerin kann wohl kaum angesonnen werden, die schwere
körperliche Misshandlung, die auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des
Antragstellers zum Anlass für dieselbe jedenfalls eine völlig unangemessene Reaktion
des Antragstellers darstellte, klaglos hinzunehmen und dann auch noch mit seinem
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Scheidungswunsch einverstanden zu sein, nur weil er sich nunmehr einer seiner
Nebenbeziehungen verstärkt zuwenden will. Ebenso wenig kann ein widersprüchliches
Verhalten daraus hergeleitet werden, dass die Antragsgegnerin heute zur Versöhnung
bereit ist und die Rückkehr ihres Mannes in die Familie/Ehe wünscht, während sie auf
Fragen des Gerichts, ob sie noch an ihrem Mann hänge, ihn noch liebe, zweimal die
Antwort verweigert hat (vgl. die ähnliche "Widersprüchlichkeit" im Fall des OLG
Frankfurt, FamRZ 1993, 329). Dass die Antragsgegnerin gegen Übertragung seines
Vermögens oder wesentlicher Teile davon ohne weiteres mit einer Scheidung
einverstanden sei, macht der Antragsteller im Rahmen der Berufungserwiderung nicht
mehr geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 93a Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, §§ 621d Abs. 1,
546 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
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Der Gegenstandswert für die Berufung wird festgesetzt auf 12.000 DM.
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